Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.12.2009, Az.: 1 Ws 556/09

Zulässigkeit der Entnahme von Körperzellen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren bei einer Verurteilung wegen Hehlerei

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.12.2009
Aktenzeichen
1 Ws 556/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 29678
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2009:1207.1WS556.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 30 AR 5/09

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2010, 90
  • NStZ-RR 2010, 149-150
  • StraFo 2010, 67-68

Amtlicher Leitsatz

Anlässlich des Begehens einer Hehlerei ist regelmäßig nicht mit dem Auffinden von DNA-Spuren zu rechnen.

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 27. August 2009 auf Anordnung der Entnahme von Körperzellen des Angeklagten und molekulargenetischer Untersuchungen wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

1

I. Die Staatsanwaltschaft Hannover legt dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 23. Juli 2009 zur Last, in der Zeit von Januar 2001 bis Dezember 2004 51 Straftaten der gewerbsmäßigen Hehlerei begangen zu haben, indem er von dem Zeugen P., einem Beamten des damaligen Informationszentrums Niedersachsen (izn), diverse hochwertige Elektroartikel zu einem Preis von 20 bis 25 % des tatsächlichen Warenwertes ankaufte, und zwar gegen Barzahlung und ohne Rechnung; die Elektroartikel wurden teilweise von dem gesondert Verurteilten P. vom izn mit zu diesem nach Hause genommen und dort an den Angeklagten übergeben; teilweise wurden sie auch direkt an den Angeklagten oder eine von ihm bestimmte Adresse geliefert; insgesamt erhielt der Angeklagte Waren im Wert von 2.777.136,62 EUR.

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Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover vom 27. August 2009 ordnete das Landgericht Hannover am 6. Oktober 2009 gegen den Angeklagten gemäß § 81 g StPO zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren die Entnahme von Körperzellen und die Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen an.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.

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II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

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1. Der angefochtene Beschluss konnte bereits deswegen keinen Bestand haben, weil seine Begründung nicht den Anforderungen des § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO und den durch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung (BVerfG NStZ 2001, 328 ff. (330); BVerfG NJW 2001, 2320 ff. (2321); BVerfG StV 2003, 1) benannten Kriterien genügte. Gemäß § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO sind in der Begründung eines Beschlusses nach § 81g StPO die für die Beurteilung der Erheblichkeit der Straftat bestimmenden Tatsachen, die Erkenntnisse, auf Grund derer Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren zu führen sein werden und die Abwägung der jeweils maßgeblichen Umstände einzelfallbezogen darzulegen. Eine formularartige Abfassung einer Entscheidung und eine Bezugnahme auf Schriftstücke außerhalb der Begründung sind dabei nichts stets von Verfassung wegen zu beanstanden. Entscheidend ist, ob die Gründe unter Berücksichtigung der in Bezug genommenen Schriftstücke erkennen lassen, dass der Richter eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung getroffen hat, die sich auf tragfähige Gründe stützt und dadurch der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung trägt (BVerfG NJW 2001, 882 f. (882 f.); Meyer-Goßner, § 34 StPO Rn. 4; BeckOK StPO Stand: 1.10.2009 § 34 Rn. 3). Die Begründung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Hannover erschöpft sich in der Benennung des dem Angeklagten zur Last gelegten Tatvorwurfs der gewerbsmäßigen Hehlerei und dem Hinweis auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. Juli 2009 sowie die in dieser Anklageschrift benannten Beweismittel und dem bisherigen Ermittlungsergebnis. Ausführungen zu der nach § 81g StPO erforderlichen Negativprognose fehlen gänzlich; es wird auch nicht dargelegt, inwiefern einem DNA-Identifizierungsmuster in zu erwartenden künftigen Strafverfahren die erforderliche potentielle Aufklärungsrelevanz zukommt (vgl. Löwe/Rosenberg § 81g StPO, Rn. 37). Dieser Mangel ist auch nicht durch die Entscheidung der Kammer, der Beschwerde nicht abzuhelfen, geheilt worden.

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2. Die mangelhafte Begründung des angefochtenen Beschlusses führt indessen nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Diese käme nur dann in Betracht, wenn eine Begründung völlig fehlte und mit der angefochtenen Entscheidung gravierende Rechtsfolgen für den Betroffenen angeordnet würden, so dass es untragbar wäre, ihm in der Sache eine Instanz zu nehmen. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst zu treffen.

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3. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer DNA-Untersuchung nach § 81 g StPO liegen nicht vor. Gemäß § 81g Abs. 1 StPO dürfen einem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Vorliegend sind mit der dem Angeklagten zur Last gelegten gewerbsmäßigen Hehlerei in 51 Fällen zwar Straftaten von erheblicher Bedeutung und somit taugliche Anlasstaten i.S.d. § 81g StPO gegeben. Denn die Taten stören den Rechtsfrieden empfindlich und sind dazu geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dies folgt vorliegend nicht nur aus der großen Anzahl der Taten, welcher der Angeklagte verdächtig ist, sondern auch aus dem mehrjährigen Zeitraum der Tatbegehung und dem äußerst hohen Schaden von über 2,5 Millionen Euro. Für die Frage der Erheblichkeit der Bedeutung einer Straftat und damit ihrer Tauglichkeit als Anlasstat i.S.d. § 81g StPO kommt es dabei entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung nicht auf die Wahrscheinlichkeit der Spurenverursachung durch bestimmte Arten von Straftaten an; dieses ist allein bei der prognostizierten Tat von Bedeutung (BVerfG NStZ 2001, 328 ff. (329); Meyer-Goßner § 81g StPO Rn. 7a).

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Die Anordnung der DNA-Untersuchung nach § 81g StPO setzt neben dem Vorliegen einer Anlasstat aber auch eine auf Tatsachen gestützte Gefahr der Begehung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung voraus, für die das DNA-Identifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann (BVerfG NStZ 2001, 328 ff. (330)).

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Dabei kann dahinstehen, ob nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen Anlass zur Annahme einer Wiederholungsgefahr besteht. Denn jedenfalls kann insoweit die erforderliche potentielle Aufklärungsrelevanz nicht angenommen werden. Die §§ 257 bis 266b StGB gehören zu den Straftatbeständen, bei deren Begehung typischerweise keine DNA-Spuren entstehen (KK-Senge, § 81g Rn. 8). Auch Hehlerei gehört nicht zu den Straftatbeständen, bei deren Verwirklichung typischerweise auswertbares Zellmaterial anfällt (OLG Köln, StV 2004, 640). Es bestehen vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass abweichend vom Regelfall der Hehlerei gerade bei einer künftigen Tatbegehung durch den Angeklagten mit DNA-Spuren zu rechnen ist. Zwar ist der Angeklagte u.a. auch verdächtig, Teile der vom gesondert Verurteilten P. veruntreuten Elektroartikel bei diesem zu Hause abgeholt zu haben, wobei die Waren an den Angeklagten übergeben wurden. Hinsichtlich der erforderlichen potentiellen Aufklärungsrelevanz ist aber auf den Typus der zu erwartenden Straftat abzustellen. Nicht entscheidend ist, ob bei der Anlasstat Identifizierungsmaterial hinterlassen worden ist (LR- Krause § 81g StPO Rn. 37). Es reicht nicht aus, dass ein Aufklärungserfolg mit Hilfe eines DNA-Identifizierungsmusters lediglich nicht ausgeschlossen ist.

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III. Die Kosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen entsprechend § 467 I StPO der Staatskasse zur Last.