Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 22.07.2010, Az.: S 5 SO 94/09
angemessener Umfang; Angemessenheit; Anrechnung; Bemessung; Berechnung; Berücksichtigung; Deutscher Verein; Deutscher Verein; Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge; Ehegatte; Einkommen; Einkommenseinsatz; Einrichtung; Einsatz; Empfehlung; Ermessen; Ermessensausübung; Ermessensentscheidung; Ermessensfehler; Ermessensfehlgebrauch; Ersparnis; Fehlen; Haushaltsangehöriger; häusliche Ersparnis; häuslicher Lebensunterhalt; Höhe; Kopfteil; Kostenbeitrag; Lebenssituation; Lebensunterhalt; rechtswidriger Kostenbeitrag; Rechtswidrigkeit; Sozialhilfe; stationäre Einrichtung; stationäre Unterbringung; Umfang; Unterbringung; Vermögen; Vermögenseinsatz; weiterer Kostenbeitrag; Zurechnung
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 22.07.2010
- Aktenzeichen
- S 5 SO 94/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47874
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 92a Abs 1 SGB 12
- § 92a Abs 3 SGB 12
- § 92a Abs 2 SGB 12
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zur Berechnung eines Kostenbeitrages nach § 92a SGB XII auf Grundlage der Empfehlungen des Deutschen Vereins für den Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe.
2. Die Erhebung eines Kostenbeitrages wegen häuslicher Ersparnis nach § 92a Abs. 1 SGB XII ist rechtswidrig, wenn das Ermessen nicht ausgeübt wird.
3. Die Rechtswidrigkeit der Erhebung eines Kostenbeitrages nach § 92a Abs. 1 SGB XII hindert nicht die Erhebung eines weiteren Kostenbeitrages nach Abs. 2.
Tenor:
1) Der Bescheid vom 29.10.08 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.08, des Änderungsbescheides vom 24.09.09 und des Widerspruchsbescheides vom 12.03.10 wird insoweit aufgehoben, als darin ein Kostenbeitrag für den Zeitraum ab Oktober 2008 von mehr als 195,03 €, für den Zeitraum ab Februar 2009 von mehr als 182,09 € und für den Zeitraum ab Oktober 2009 von mehr als 192,89 € festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2) Die Beklagte hat den Klägern die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen einen Kostenbeitrag aufgrund der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der im Jahre 1940 geborene Kläger zu 1. und die im Jahre 1941 geborene Klägerin zu 2. sind miteinander verheiratet. Die Klägerin leidet an einer schizoaffektiven Störung, die eine stationäre Unterbringung erforderlich macht. Sie wurde am 27.04.2004 in ein Wohnheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in I. aufgenommen. Die Beklagte erteilte am 13.08.2004 ein Kostenanerkenntnis für die stationäre Unterbringung, ein Kostenbeitrag wurde zunächst nicht erhoben.
Die Klägerin bezieht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich im Jahr 2008 auf 76,89 € belief und dann am 1.7.2009 auf 78,79 € erhöht wurde. Der Kläger erhält eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung i. H. v. 958,27 € (ab 1.7.2009 981,91 €) und eine Betriebsrente i. H. v. 108,91 € (ab 1.1.2009 112,96 €). Er bewohnt eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 62 qm, für die eine monatliche Kaltmiete i. H. v. 279,12 €, ein Abschlag für Nebenkosten i. H. v. 27,- € und für Heizkosten i. H. v. 50,- € anfällt. Die Kaltmiete wurde zum 1.2.2009 auf 305,- € erhöht. Die Kosten für ein Monatsticket der Stadtwerke I. zur Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (sog. Umwelt-Abo) belaufen sich auf 38,50 €.
Die Beklagte erneuerte am 29.10.2008 ihr Kostenanerkenntnis und gewährte der Klägerin mit gesondertem Bescheid Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Mit weiterem Bescheid vom gleichem Tage setzte sie den Kostenbeitrag ab dem 1.10.2008 auf 344,32 € pro Monat fest, denn die Eheleute seien gem. § 92a SGB XII verpflichtet, sich an den Kosten der stationären Unterbringung zu beteiligen. Das gemeinsame Einkommen der Eheleute betrage 1.144,07 €. Abzüglich der Aufwendungen für die Haftpflicht- und Hausratversicherung ergebe sich ein Betrag von 1.129,46 €, der um 153,16 € über dem notwendigen Lebensunterhalt nach dem SGB XII liege. Dies entspreche 24% der Regelsätze. Der Kostenbeitrag sei daher in der Weise zu bestimmen, dass von dem gemeinsamen Einkommen der notwendige Lebensunterhalt des Ehemannes sowie ein weiterer Betrag i. H. v. 24% des für ihn maßgeblichen Regelsatzes abzuziehen seien. Dies führe zu einem Kostenbeitrag i. H. v. 344,32 €. Abzüglich der bereits übergeleiteten Rente der Klägerin ergebe sich ein Zahlbetrag i. H. v. 265,- €.
Die Kläger legten gegen den Bescheid mit Schreiben vom 28.11.2008 Widerspruch ein.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 20.5.2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Kläger gem. § 92a SGB XII verpflichtet seien, sich an den Kosten der stationären Unterbringung zu beteiligen. Die Berechnung des Kostenbeitrages sei nicht zu beanstanden.
Die Kläger haben am 22.6.2009 Klage erhoben. Diese begründen sie damit, dass ein Kostenbeitrag nicht geschuldet werde. Die Kläger hätten zahlreiche weitere Ausgaben z.B. für ihren Pkw und verschiedene Versicherungen, so dass ein Einkommenseinsatz von ihnen nicht verlangt werden könne.
Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte den Kostenbeitrag mit Änderungsbescheid vom 24.09.09 ab dem 1.10.2009 aufgrund der gestiegenen Renteneinkünfte auf 363,99 € fest. Auf den Widerspruch der Kläger berücksichtigte sie zusätzlich die Mieterhöhung zum 1.2.2009 und reduzierte den Kostenbeitrag durch den Widerspruchsbescheid vom 12.3.2010 auf 338,11 €. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 29.10.08 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.08, des Änderungsbescheides vom 24.09.09 und des Widerspruchsbescheides vom 12.03.10 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält. Die Kläger seien gem. § 92a SGB XII verpflichtet, sich an den Kosten der stationären Unterbringung zu beteiligten. Die Berechnung des Kostenbeitrages sei nicht zu beanstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der während des Klageverfahrens erlassene Änderungsbescheid vom 24.09.09 und der Widerspruchsbescheid vom 12.03.10 sind gem. § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden.
Der Bescheid vom 29.10.08 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.08, des Änderungsbescheides vom 24.09.09 und des Widerspruchsbescheides vom 12.03.10 erweist sich als teilweise rechtswidrig, denn der von den Klägern geschuldete Kostenbeitrag beläuft sich für den Zeitraum ab Oktober 2008 lediglich auf 195,03 €, für den Zeitraum ab Februar 2009 auf 182,09 € und für den Zeitraum ab Oktober 2009 auf 192,89 €.
Die Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide bildet § 92a SGB XII, denn diese Vorschrift ist ab dem 1. Januar 2007 die Zentralnorm für den Einkommenseinsatz bei Leistungen in Einrichtungen (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 28. Mai 2009 - S 4 SO 6021/07). Hinsichtlich der Berechnung eines Kostenbeitrages nach dieser Vorschrift gibt es verschiedene Modelle, die erkennende Kammer orientiert sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für den Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe vom 5. Dezember 2007 (vgl. zu den verschiedenen Modellen: Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 92a, Rn. 7 ff.; Ruschmeier, ZfF 2008, 265 ff.). Das Modell des Deutschen Vereins entspricht nach Auffassung der Kammer durch die Aufteilung des übersteigenden Einkommens nach Kopfteilen am ehesten der gesetzlichen Regelung in § 92a Abs. 3 SGB XII, dass bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, auch der bisherigen Lebenssituation des im Haushalt verbliebenen, nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie der im Haushalt lebenden minderjährigen unverheirateten Kindern Rechnung zu tragen ist.
Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins ist der Kostenbeitrag in mehreren Schritten zu bestimmen. Auszugehen ist vom gemeinsamen Einkommen der Ehepartner, das gem. § 82 Abs. 2 und 3 SGB XII zu bereinigen ist. Von dem so ermittelten Einkommen ist zunächst der notwendige Lebensunterhalt nach dem SGB XII des im Haushalt verbliebenen Ehepartners abzuziehen, denn die Erhebung eines Kostenbeitrages darf nicht dazu führen, dass dieser selbst sozialhilfebedürftig wird. Zusätzlich sind Sonderbedarfe zu berücksichtigen, wie etwa die Fahrtkosten zum Besuch des in der Einrichtung lebenden Ehepartners. Diese sind nicht zuletzt aufgrund des besonderen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 Grundgesetz anzuerkennen, was sich im Übrigen auch aus der gesetzlichen Wertung in § 54 Abs. 2 SGB XII ergibt.
Von dem verfügbaren Einkommen kann dann gem. § 92a Abs. 1 SGB XII die Aufbringung der Mittel für die Leistungen in der Einrichtung verlangt werden, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Ob ein solcher Beitrag verlangt wird und ggf. in welcher Höhe steht im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins ergibt sich der Umfang der häuslichen Ersparnis in stationären Einrichtungen in Anlehnung an die monatliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes eines Haushaltangehörigen, kann jedoch auch darunter liegen (höchstens maßgeblicher Regelsatz nach § 3 Abs. 2 Regelsatz-Verordnung).
In einem weiteren Schritt soll gem. § 92a Abs. 2 SGB XII die Aufbringung der Mittel verlangt werden, wenn eine Person auf voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins ist das Resteinkommen, d.h. das gemeinsame bereinigte Einkommen abzüglich des notwendigen Lebensunterhalts des im Haushalt verbliebenen Ehepartners und des Kostenbeitrages wegen häuslicher Ersparnis, nach Kopfteilen zuzurechnen. Der auf die Person in der stationären Einrichtung entfallende Kopfteil sei für die Deckung der Leistungen einzusetzen, der andere verbleibe bei dem Ehepartner. Dadurch werde der Lebenssituation der im Haushalt Verbliebenen Rechnung getragen.
Im vorliegenden Verfahren betrug das gemeinsame Einkommen der Ehepartner im Oktober 2008 1.144,07 €. Davon sind gem. § 82 Abs. 2 SGB XII die Aufwendungen für die Haftpflicht- und Hausratversicherung i. H. v. monatlich 14,61 € abzusetzen. Weitere Versicherungen sind nicht zu berücksichtigen, da diese nicht angemessen i. S. v. § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII sind (vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 82, Rn. 76). Dies gilt insbesondere auch für die Kfz-Versicherung, da der notwendige Lebensunterhalt nach dem SGB XII den Aufwand für das Halten eines Kraftfahrzeugs regelmäßig nicht umfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1981 - 5 C 12/80).
Von dem bereinigten Einkommen i. H. v. 1.129,46 € ist der notwendige Lebensunterhalt des Klägers, bestehend aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand i. H. v. 351,- € und den Unterkunftskosten abzüglich der Warmwasserpauschale i. H. v. 349,90 € abzuziehen. Zusätzlich sind die Fahrtkosten zum Besuch der Klägerin in der stationären Einrichtung zu berücksichtigen. Geltend gemacht werden kann hier allerdings nur der Betrag für eine Monatskarte mit öffentlichen Verkehrsmitteln i. H. v. 38,50 €, da der notwendige Lebensunterhalt nach dem SGB XII den Aufwand für das Halten eines Kraftfahrzeugs regelmäßig nicht umfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.6.1981 - 5 C 12/80).
Das verfügbare Einkommen i. H. v. 390,06 € ist gem. § 92a Abs. 2 SGB XII nach Kopfteilen zuzurechnen, so dass sich der von den Klägern geschuldete Kostenbeitrag auf 195,03 € beläuft. Die Erhebung eines Kostenbeitrages aufgrund der häuslichen Ersparnis nach § 92a Abs. 1 SGB XII kam im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht, da die Beklagte das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Der Sozialhilfeträger entscheidet über die Erhebung eines Kostenbeitrages nach § 92a Abs. 1 SGB XII nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Heranziehung ist rechtswidrig, wenn der Träger bei Festsetzung des Kostenbeitrages Ermessen nicht ausgeübt hat. Verlautbarte Ermessenserwägungen sind mit Rücksicht darauf unverzichtbar, dass die Skala der Entscheidungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles vom Verzicht auf die Erhebung eines Kostenbeitrages bis zur vollen Heranziehung des Einkommens reichen kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.2.2010 – L 8 SO 5/08 zur Vorgängervorschrift in § 88 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII).
Die Rechtswidrigkeit der Erhebung eines Kostenbeitrages nach § 92a Abs. 1 SGB XII hindert indes nicht die Heranziehung nach § 92a Abs. 2 SGB XII, denn bei dieser Vorschrift ist das Ermessen intendiert, so dass es nur in atypischen Fällen ausgeübt werden muss (vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 92a, Rn. 16). Ein solcher liegt hier nicht vor. Der geschuldete Kostenbeitrag beläuft sich daher auf 195,03 € (Hälfte des verfügbaren Einkommens). Abzuziehen ist die Rente der Klägerin, die bereits auf die Beklagte übergeleitet wurde.
Ab Februar 2009 reduziert sich das verfügbare Einkommen aufgrund der Mieterhöhung auf 364,18 €. Die Beklagte kann daher ab diesem Zeitpunkt lediglich einen Kostenbeitrag nach § 92a Abs. 2 SGB XII i. H. v. 182,09 € erheben. Der Änderungsbescheid vom 24.09.09 und der Widerspruchsbescheid vom 12.03.10, mit denen die Beklagte den Kostenbeitrag aufgrund der gestiegenen Renteneinkünfte ab Oktober 2009 neu festgesetzt hat, erweisen sich ebenfalls aufgrund der fehlenden Ermessensausübung als teilweise rechtswidrig. Das verfügbare Einkommen stieg durch die Rentenerhöhungen auf 385,77 €, so dass sich der geschuldete Kostenbeitrag auf 192,89 € beläuft. Abzuziehen ist wiederum jeweils die übergeleitete Rente der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.