Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 12.10.1988, Az.: 3 U 138/88

Vertretung durch einen nichtvertretungsberechtigten Rechtsanwalt in einem Gerichtsprozess; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil; Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage wegen vorheriger Antragstellung auf Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
12.10.1988
Aktenzeichen
3 U 138/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 24284
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1988:1012.3U138.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 29.04.1988 - AZ: 2 O 414/87

Fundstellen

  • MDR 1989, 168-169 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1989, 446-447 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 1988
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht xxx und
der Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. April 1988 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück geändert.

Die Hauptsache ist erledigt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer für die Beklagte übersteigt nicht 40.000,- DM.

Tatbestand

1

Die Beklagte hat in dem Verfahren 9 O 471/86 Landgericht Osnabrück den Kläger und einen xxx als Gesamtschuldner auf Zahlung von 11.913,36 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Für beide meldete sich Rechtsanwalt xxx als Prozeßbevollmächtigter. Der Kläger wußte hiervon nichts. Er hatte dem Rechtsanwalt keine Vollmacht zu seiner Vertretung erteilt. Die Ladung des Klägers zu dem Verhandlungstermin vom 22. Januar 1987 ist dem Rechtsanwalt xxx zugestellt worden. Dieser hat keine Anträge gestellt, so daß das Landgericht den Kläger und xxx durch das Versäumnisurteil vom 22. Januar 1987 als Gesamtschuldner zur Zahlung von 11.913,36 DM nebst 10% Zinsen seit dem 13. August 1986 verurteilt hat. Dieses Urteil ist dem Rechtsanwalt xxx am 28. Januar 1987 zugestellt worden.

2

Durch den am 30. November 1987 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage eines anderen Rechtsanwalts hat der Kläger gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe den Rechtsanwalt xxx nicht mit seiner Vertretung beauftragt und habe auch nicht gewußt, daß er Beklagter eines Rechtsstreits gewesen sei. Mit seinem weiteren Schriftsatz vom 7. Dezember 1987 hat der Kläger u.a. beantragt, umgehend über das Wiedereinsetzungsgesuch zu entscheiden, da er sonst eine Nichtigkeitsklage erheben müßte. Mit seinem Schriftsatz vom 11. Dezember 1987 hat er diesen Antrag wiederholt. In seinem Beschluß vom 14. Dezember 1987 hat das Landgericht u.a. ausgeführt, es werde über die begehrte Wiedereinsetzung nach ausreichendem rechtlichen Gehör der Beklagten entscheiden.

3

In der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 1988 hat das Landgericht dem Kläger wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

4

Inzwischen hatte der Kläger mit seinem am selben Tage eingegangenen Schriftsatz vom 28. Dezember 1987, der Beklagten zugestellt am 5. Januar 1988, eine auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage erhoben, mit der er unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 22. Januar 1987 die Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage erstrebte. Nachdem die Beklagte schriftsätzlich den Antrag auf Abweisung der Klage angekündigt hatte, hat der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 22. Februar 1988 die ihm in dem Verfahren 9. O. 471/86 inzwischen gewährte Wiedereinsetzung mitgeteilt und den Antrag angekündigt, den die Nichtigkeitsklage betreffenden Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Diesen Antrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 7. März 1988 gestellt und zugleich mitgeteilt, daß in dem Verfahren 9 O 471/86 am 3. März 1988 das gegen den Kläger ergangene Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen worden ist.

5

Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und die Abweisung der Klage beantragt, weil wegen des Wiedereinsetzungsantrages die erst später erhobene Nichtigkeitsklage von vornherein unzulässig gewesen sei.

6

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Nichtigkeitsklage sei von Anfang an unzulässig gewesen, weil der Kläger nur wahlweise entweder in dem Vorprozeß einen mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Einspruch hätte einlegen oder aber die Nichtigkeitsklage erheben können. Die Nichtigkeitsklage sei mindestens solange unzulässig gewesen, wie der Wiedereinsetzungsantrag und das Rechtsmittel in dem Vorprozeß nicht zurückgewiesen worden wären.

7

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er weiterhin beantragt, die Erledigung der Hauptsache auszusprechen.

8

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für richtig und demnach die Berufung für unbegründet.

Entscheidungsgründe

9

Die Berufung hat Erfolg, weil sich die Hauptsache durch die dem Kläger am 18. Februar 1988 wegen der Versäumung der Einspruchsfrist gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erledigt hat.

10

Da nur der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt, die Beklagte dagegen die Abweisung der Klage beantragt hat, hat das Gericht darüber zu entscheiden, ob die Hauptsache erledigt ist. Die Erledigung liegt dann vor, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war (vgl. BGH vom 6. Dezember 1984, NJW 1986, 588). Das ist hier der Fall, weil die Nichtigkeitsklage bis zu der dem Kläger gewährten Wiedereinsetzung zulässig und begründet war.

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Sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage (§§ 578 ff ZPO) lagen vor.

12

Das in dem Vorverfahren gegen den Kläger ergangene Versäumnisurteil ist zwei Wochen nach seiner an Rechtsanwalt xxx am 28. Januar 1987 erfolgten Zustellung rechtskräftig geworden (§ 339 Abs. 1 ZPO). Zwar hatte der Kläger den Rechtsanwalt xxx nicht mit seiner Vertretung beauftragt. Gleichwohl ist ihm das Versäumnisurteil wirksam zugestellt worden, weil in dem Auftreten des Rechtsanwalts xxx für den Kläger die Bestellung zu seinem Prozeßbevollmächtigten im Sinne von § 176 ZPO liegt (vgl. BGH vom 23. November 1978, VersR 1979, 255; vom 21. Mai 1986, VersR 1986, 993; Stein-Jonas, ZPO, 20. Aufl., Rn. 18 zu § 176). Damit war das Versäumnisurteil rechtskräftig, als der Beklagten am 5. Januar 1988 die Nichtigkeitsklage zugestellt worden ist. Diese Rechtskraft hat angedauert, bis dem Kläger antragsgemäß die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gewährt wurde. Die Nichtigkeitsklage richtete sich demnach gegen ein durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenes Verfahren (§ 578 Abs. 1 ZPO).

13

Die Ladung zu dem Verhandlungstermin und das Versäumnisurteil sind dem Rechtsanwalt xxx als vollmachtlosem Vertreter zugestellt worden, so daß der Kläger in dem Vorverfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO).

14

Der Kläger hat die Nichtigkeitsklage rechtzeitig erhoben. Nach § 586 Abs. 1 und 3 läuft die Monatsfrist für die auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Klage von dem Tage an, an dem dem Kläger das Versäumnisurteil zugestellt ist. Damit ist die von Amts wegen zu erfolgende Zustellung (§ 270 Abs. 1 ZPO) gemeint, die, weil Rechtsanwalt xxx ein vollmachtloser Vertreter war, an den Kläger selbst hätte erfolgen müssen. Eine derartige Zustellung ist bis zur Erhebung der Nichtigkeitsklage nicht erfolgt. Daß der Kläger die Nichtigkeitsklage vor Beginn der Frist des § 586 Abs. 3 ZPO erhoben hat, hindert deren Zulässigkeit nicht, weil die Klage auch schon vor dem Beginn der Frist statthaft ist.

15

Der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage steht nicht entgegen, daß der Kläger bereits vorher - verbunden mit dem Wiedereinsetzungsantrag - Einspruch gegen das rechtskräftige Versäumnisurteil eingelegt hat. Denn dadurch wurde die Rechtskraft nicht beseitigt, sondern erst durch die dem Kläger am 18. Februar 1988 gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

16

Der Kläger war nicht gehindert, zusätzlich zu dem mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Einspruch gegen das damals noch rechtskräftige Versäumnisurteil die Nichtigkeitsklage zu erheben. Denn nach der gesetzlichen Regelung ist die Nichtigkeitsklage solange zulässig, wie das damit angefochtene Urteil rechtskräftig ist. Sie wäre auch dann zulässig gewesen, wenn der Kläger vor Ablauf der Einspruchsfrist die Möglichkeit gehabt hätte, das Versäumnisurteil mit dem Einspruch anzufechten, die Frist aber wissentlich hätte verstreichen lassen. Das ergibt sich aus § 579 Abs. 2 ZPO. Wenn auch der Kläger mit seinem Einspruch gegen das Versäumnisurteil Erfolg hatte, so jedoch nur deshalb, weil ihm wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und damit die Rechtskraft des Versäumnis-Urteils beseitigt worden ist. Ein ohne die - später - gewährte Wiedereinsetzung unzulässiger, weil verspäteter, Einspruch beseitigt aber nicht die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage. Eine derartige Folge würde schon deshalb der gesetzlichen Regelung über die Nichtigkeitsklage widersprechen, weil bis zur gewährten Wiedereinsetzung ungewiß ist, ob der Einspruch gegen das Versäumnisurteil zulässig ist. Wann das Gericht über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet, entzieht sich dem Einfluß des Antragstellers. Denkbar ist es deshalb, daß dies erst geschieht, wenn die nach § 586 Abs. 3 ZPO beginnende Monatsfrist verstrichen ist und die Nichtigkeitsklage dann unzulässig wäre. Bei einer Versagung der Wiedereinsetzung wäre der Kläger dann auf die ungewisse Möglichkeit einer Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsklage angewiesen. Die Gewährung einer Wiedereinsetzung ist aber dann äußerst zweifelhaft, wenn der Kläger von einer Zustellung im Sinne des § 586 Abs. 3 ZPO Kenntnis gehabt hätte.

17

Der Kläger durfte deshalb trotz seines bis zur Gewährung von Wiedereinsetzung unzulässigen Einspruchs gegen das Versäumnisurteil die auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage erheben. Eine andere Ansicht wird weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten. Der Bundesgerichshof hat in seinem Urteil vom 5. Mai 1982 (BGHZ 84, 24, 27 [BGH 05.05.1982 - IVb ZR 707/80] = NJW 1982, 2449, 2450 , rechte Spalte) ausgeführt, daß die Partei zwischen der Möglichkeit eines Rechtsmittels und (nach Rechtskraft) der Nichtigkeitsklage wählen kann, und daß die Nichtigkeitsklage zu der Anfechtung eines Urteils durch Rechtsmittel die ausdrücklich vorgesehene Alternative ist. Ebenso heißt es bei Zöller, ZPO, 15. Aufl., Rn. 12 zu § 579; Baumbach, ZPO, 46. Aufl., Anm. 7 zu § 579; Thomas-Putzo, ZPO, 15. Aufl., Anm. zu § 579; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. A II b zu § 579 und AK-ZPO-Greulich, Rn. 28 zu § 579, daß die Partei wahlweise entweder ein Rechtsmittel einlegen oder die Entscheidung rechtskräftig werden lassen und dann Nichtigkeitsklage erheben kann. Damit ist aber im Hinblick auf § 579 Abs. 2 ZPO nur als selbstverständlich gesagt, daß die Partei im Falle eines Vertretungsmangels das Urteil trotz offener Frist nicht anfechten muß, vielmehr das Urteil rechtskräftig werden lassen und statt eines Rechtsmittels die Nichtigkeitsklage erheben kann. Die Alternative bezieht sich also auf diese Wahlmöglichkeit. Solange das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist bereits nach § 578 Abs. 1 ZPO die Nichtigkeitsklage nicht zulässig, so daß bis zur Rechtskraft nur die Möglichkeit einer Anfechtung besteht. Nach Rechtskraft des Urteils scheidet jedoch diese Wahlmöglichkeit aus. Vielmehr hat eine Partei dann nur die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage, weil ein Rechtsmittel - bis zu einer etwa gewährten Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist - unzulässig ist. Daß die Nichtigkeitsklage dann nicht mehr zulässig sein soll, wenn ein Kläger nach Rechtskraft des Urteils ein mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenes Rechtsmittel in der Erwartung einlegt, ihm werde Wiedereinsetzung gewährt werden mit der Folge der Zulässigkeit des Rechtsmittels, kann weder der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die zu dieser Konstellation nichts besagt, noch den zitierten Kommentarstellen entnommen werden.

18

Fraglich kann lediglich sein, ob der Kläger infolge der bereits zuvor beantragten Wiedereinsetzung ein Rechtsschutzinteresse für seine Nichtigkeitsklage hatte. Das Rechtsschutzinteresse könnte aber nur dann verneint werden, wenn die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Aufhebung des mit der Nichtigkeitsklage angefochtenen Urteils identisch wären und der Kläger keine vernünftigen Zweifel daran haben konnte, daß er mit seinem Wiedereinsetzungsantrag und dem damit verbundenen Einspruch eine sachliche Überprüfung des in dem Vorverfahren gegen ihn geltend gemachten Anspruchs erreichen würde (§§ 342, 343 ZPO). Das ist aber abgesehen davon, daß der Kläger in dem Vorverfahren zweimal vergeblich eine umgehende Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch erbeten hatte, schon deshalb nicht der Fall, weil die Frist zur Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuchs mit dem Tage beginnt, an dem der Kläger von der Zustellung des Versäumnisurteils an Rechtsanwalt xxx Kenntnis erlangt hat, wogegen die Frist für die Nichtigkeitsklage erst ab einer Zustellung an den Kläger beginnt (vgl. §§ 234, 586 Abs. 3 ZPO). Zudem muß die die Wiedereinsetzung begehrende Partei die Wahrung der Antragsfrist glaubhaft machen (§ 236 Abs. 2 ZPO), also auch den Zeitpunkt der Kenntnis von der Zustellung des Urteils, wogegen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht von einer Kenntnis des Klägers abhängig ist, sondern von dem Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Zustellung im Sinne des § 586 Abs. 3 ZPO.

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Der Kläger konnte deshalb nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß ihm wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden würde. Damit fehlte es nicht an dem Rechtsschutzinteresse für die Nichtigkeitsklage.

20

Daß die Nichtigkeitsklage bis zur Gewährung der Wiedereinsetzung auch begründet war, nimmt die Beklagte nicht in Abrede.

21

Nach allem war das angefochtene Urteil zu ändern und die Erledigung der Hauptsache auszusprechen, so daß die Beklagte die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat (§ 91 ZPO).

22

Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.