Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 15.03.1995, Az.: 5 U 40/94
Ansprüche aus einer Unfallversicherung; Vorliegen einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung; Eintritt des Todes durch einen Wespenstich
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 15.03.1995
- Aktenzeichen
- 5 U 40/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 17642
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1995:0315.5U40.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - 25.07.1994 - AZ: 2 O 272/94
Rechtsgrundlage
- § 412 ZPO
Fundstellen
- SGb 1996, 17 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1995, 823-825 (Volltext mit red. LS)
- zfs 1995, 224-225 (Volltext mit red. LS)
Prozessführer
...
vertreten durch den Vorstand,
Prozessgegner
Frau ...
In dem Rechtsstreit
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ...
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 24. Februar 1995
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts ... vom 25. Juli 1994 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08. März 1993 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien sind jeweils mit 10.000,00 DM beschwert.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat teilweise Erfolg. Die Beklagte ist als Unfallversicherer verpflichtet, der Klägerin aus der Unfallversicherung mit Zusatzvereinbarung und Umwandlung vom 15.02.1983 wegen des Todes des damals 38-jährigen Ehemannes der Klägerin am 08.08.1992 eine Versicherungsleistung in Höhe von 10.000,00 DM zu gewähren. Dagegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf den restlichen Teil der Versicherungssumme von insgesamt 20.000,00 DM, da die Leistungspflicht der Beklagten nach § 4 der besonderen Versicherungsbedingungen für die Unfallzusatzversicherung (§ 8 AÜB 88) eingeschränkt ist.
Soweit die Parteien darum streiten, daß ein Unfallereignis stattgefunden hat, setzt sich die - insoweit beweispflichtige - Klägerin durch. Der Ehemann der Klägerin ist nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht - ausschließlich - infolge eines körperinneren Vorgangs verstorben. Vielmehr war erste und unmittelbare Ursache für die Beeinträchtigung des Ehemannes der Klägerin die Gesundheitsschädigung durch ein Insekt. Dementsprechend handelt es sich um einen Unfall als ein plötzliches von außen auf den Körper des Versicherten wirkendes Ereignis, das zu einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung fuhrt. Dabei steht ein Ausschlußtatbestand - wie es beispielsweise bei einer Infektion möglich sein kann - nicht in Rede.
In dem eingehend begründeten landgerichtlichen Urteil wird aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin unmittelbar vor Beginn eines Fußballspiels (um 16.00 Uhr) von einer Wespe gestochen worden ist. Insoweit hat das Landgericht die Bekundungen der von ihm vernommenen Zeugen treffend ausgewertet. Auf die Ausführungen des Landgerichts wird insoweit Bezug genommen. Zwar hat niemand, auch nicht der Ehemann der Klägerin selbst, das Insekt, insbesondere eine Wespe, gesehen. Auch hat der Zeuge ... lediglich davon berichten können, er habe den Ehemann der Klägerin laut "Aua" rufen hören. Dennoch ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht etwa der Insektenstich eine bloße Denkmöglichkeit und insbesondere ein Hinterwandinfarkt beim Ehemann der Klägerin zumindest in gleicher Weise denkbar oder gar ein Wespenstich ausgeschlossen und allein ein Hinterwandinfarkt als gegeben zu erachten. Bei mehreren bloß möglichen Ursachen für eine relevante Beeinträchtigung besteht ein Anspruch aus der Unfallversicherung nicht (vgl. zum Anscheinsbeweis und dem möglichen, unfallunabhängigen Eintritt eines Hirninfarkts OLG Stuttgart VersR 1992, 306 [OLG Stuttgart 21.12.1990 - 7 U 148/90]). Der Sachverständige ... Internist und Allergologe, der während der gesamten Beweisaufnahme anwesend gewesen ist (Bl. 53 d.A.), hat sich aber in seinem schriftlichen Gutachten vom 28.04.1994 (Bl. 80 ff.) zusammenfassend dahin geäußert, daß der Ehemann der Klägerin aufgrund eines allergischen Schocks verursacht durch einen Insektenstich (wahrscheinlich Wespe) gestorben ist. Dabei hat er berücksichtigt, daß der zunächst herbeigerufene Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin ... der sofort erkannt hat, daß der Ehemann der Klägerin zu sterben drohte, keine Anzeichen für ein allergisches Geschehen festgestellt hat und von einer Herz - Kreislauf-Erkrankung bzw. - Schwäche ausgegangen ist. Insbesondere hat dieser Arzt keinen Ausschlag in Form von Quaddeln gesehen. Für seine Annahme, es habe sich um eine Herz - Kreislauf - Schwäche gehandelt, hat sich dieser Arzt auch darauf gestützt, daß der später Verstorbene relativ leibesfüllig gewesen ist, auf ihn nicht besonders austrainiert gewirkt hat und es an dem Unfalltag besonders heiß gewesen ist. Dem diensthabenden Arzt des Rettungshubschraubers, der sofort hinzugezogen worden ist, ist das unmittelbare Geschehen vor seinem Eintreffen dahin geschildert worden, daß der später Verstorbene trotz der extremen Witterungsbedingungen, d.h. der extremen Hitze, an einem auf dem Sportplatz stattfindenden Fußballspiel teilgenommen hat, dann sei diesem "schlecht geworden" und er sei noch selbständig mit Unterstützung von Mannschaftskameraden in die Umkleidekabine gegangen, wo er kollabiert und dann bewußtlos geworden sei. Dieser Arzt hat zunächst wegen der langen Zeitspanne zwischen fremdanamnestisch erlittenem Wespenstich und ersten klinischen Symptomen (von ca. 1 Stunde) einen kausalen Zusammenhang für unwahrscheinlich erachtet (Bl. 16 d.A.). Bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen einem Wespenstich und der zum Tod führenden Erkrankung hat er dagegen anschließend (Bl. 17. d.A.) einen kausalen Zusammenhang in Form eines allergischen Schocks mit folgendem Herz - Kreislauf-Versagen für eher wahrscheinlich gehalten. Während seiner Vernehmung vor dem Landgericht hat er präzisiert, daß er um 16.29 Uhr am Ort und der zuvor tätige Notarzt seit etwa 16.15 Uhr tätig gewesen sei (Bl. 61 d.A.). Das Spiel begann - wie nunmehr unstreitig ist - um 16.00 Uhr. Diesen zeitlichen Zusammenhang hat der Sachverständige berücksichtigt und von daher die Kriterien einer Typ I - Reaktion (z.B. durch Wespengift) für gegeben erachtet. Die - nunmehr - unstreitige Tatsache, daß der Ehemann der Klägerin aufgrund eines bekannten Heuschnupfens Atopiker gewesen ist, hat der Sachverständige ebenfalls berücksichtigt. Dabei hat er darauf hingewiesen, daß es sich bei der Atopie um eine IgE-vermittelte Soforttypallergie handelt, wie sie auch in klassischer Weise bei der Insektengiftallergie angetroffen wird. Zudem hat sich der Sachverständige mit dem klinischen Verlauf einer anaphylaktischen Reaktion auf Insektengift näher auseinandergesetzt und das Zusammentreffen verschiedener Momente (körperliche Belastung, heiße Witterung und Insektenstich) näher berücksichtigt (Bl. 84). All dies wird in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargestellt. Für die Einholung eines neuen Gutachtens (§ 412 ZPO) besteht kein Anlaß. Soweit sich die Berufung zu möglichen subjektiven Wahrnehmungen und anderen möglichen Geschehensabläufen äußert, werden letztlich Erkenntnisse und Schlußfolgerungen herausgestellt, die von dem Befund und den Erkenntnissen des Sachverständigen abweichen, ohne daß der Sachverständige in irgend einer Weise fehlerhaft oder bedenklich Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt hat.
Nach dem überzeugenden und vereinzelten Sachverständigengutachten ist die Grundlage für die gesundheitsschädigenden Folgen im Zeitpunkt des Unfallereignisses gelegt worden. Der Tod des Ehemanns der Klägerin tritt rechtlich insoweit als Unfallfolge hervor, die die von der Klägerin geltend gemachte Leistungspflicht auslöst. Das vorliegende Gutachten, dem sich auch schon das Landgericht uneingeschränkt angeschlossen hat, reicht aus, um die Kausalität zu bejahen. Der Gutachter hat sich dem Gesamtbild zugewandt, ohne einzelne Momente zu übersehen oder unzureichend zu berücksichtigen. Dabei ist auch nicht unberücksichtigt zu lassen, daß der Arzt des Rettungshubschraubers während der Vernehmung beim Landgericht darauf hingewiesen hat, daß bei seiner Untersuchung durch die schlechte Versorgung mit Blut bereits eine Änderung des Hautbildes zu erkennen gewesen sei und kleinere Einstiche mit dazugehörenden Merkmalen dadurch bereits hätten überdeckt worden sein können. Soweit die Berufung geltend macht, es fehle an differential - diagnostischer Betrachtung gegenüber anderen Geschehensabläufen, ist ihr nicht zu folgen. Die Alternative zwischen einem allergischen Geschehen und einem denkbaren Herzinfarkt ist allen Ärzten, die sich mit den wesentlichen Problemen befaßt haben, nicht entgangen.
Die danach bestehende Leistungspflicht der Beklagten ist jedoch eingeschränkt. Nach § 4 der besonderen Versicherungsbedingungen für die Unfallzusatzversicherung bzw. § 8 AUB 88 (§ 10 AUB a. F.) ist eine Versicherungsleistung entsprechend dem Anteil einer Krankheit oder eines Gebrechens zu kürzen, wenn diese bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung bzw. deren Folgen (hier dem Tod des Ehemanns der Klägerin) mitgewirkt haben und der Mitwirkungsanteil mindestens 25 % beträgt. Auf die Mitwirkung am Eintritt des Unfallereignisses als solchem kommt es dabei nicht an. Dies ist hier auch nicht problematisch.
Eine Krankheit i.S.d. § 8 AUB 88 ist ein regelwidriger Körperzustand, der ärztlicher Behandlung bedarf bzw. der ärztlich festzustellende, objektiv vorhandene regelwidrige Körperzustand. Gebrechen ist ein dauernd abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung der normalen Körperfunktion nicht mehr zuläßt. Die bloße erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten infolge der individuellen Körperdisposition ist kein Gebrechen und keine relevante Krankheit. Die medizinisch in der Norm liegende Situation und der entsprechende Zustand vermögen die Leistungspflicht des Unfallversicherers nicht herabzusetzen. Es ist nur dann zugunsten des Versicherers gerechtfertigt, Folgen teilweise von der Leistungspflicht zu befreien bzw. die Leistungspflicht dementsprechend einzuschränken, wenn eine außergewöhnliche, individuell geprägte Mitverursachung vorliegt. Auf ein Verschulden kommt es dann nicht an. Die bloße objektive Tatsache der Mitverursachung bzw. Mitwirkung genügt. Die nur unwesentliche Mitwirkung schließt die Grenze von mindestens 25 % aus. Die Krankheitserscheinung bzw. das Gebrechen muß aber nach dem Sinn und Zweck der Leistungseinschränkung zugleich auch wirklich den individuellen Zustand gegenüber der medizinischen Norm auszeichnen.
So stellt es sich hier dar. Entgegen der Ansicht der Berufung ist zwar keine Minderung i. S. eines vollständigen Leistungsausschlusses gerechtfertigt. Dies wäre allenfalls denkbar und möglich, wenn die Unfallfolgen allein auf einer Vorerkrankung oder dem vorhandenen Gebrechen beruhen und sich der Unfall nur als eine auswechselbare Gelegenheitsursache darstellt. Das ist nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten nicht der Fall. Aus diesem Sachverständigengutachten ergibt sich aber zugleich, daß der körperliche Zustand des Ehemanns der Klägerin die Unfallereignisfolge und die weitere Todesfolge mit beeinflußt hat. Der Stich des Insekts allein hätte nach diesem Gutachten nicht zum Tod führen können. Erst das Zusammentreffen der verschiedenen Umstände, mit denen sich der Sachverständige näher auseinandergesetzt hat, hat zum Tode geführt. Die Sterbewahrscheinlichkeit des Ehemanns der Klägerin war dabei für sich gesehen gering. Die bei ihm vorliegende Atopie ist ohne das Hinzutreten eines weiteren Moments für sich gesehen ohne Einfluß geblieben. Es mußten erst die verschiedenen Momente zusammenkommen. Dabei ist im Verhältnis zueinander den konkurrierenden Ursachen jeweils ein gleiches Gewicht und ein gleicher Anteil zuzumessen. Dementsprechend ist die gesamte Leistungspflicht der Beklagten um die Hälfte auf 10.000,00 DM zu kürzen gewesen.
Die Zinsentscheidung folgt der insoweit nicht angegriffenen landgerichtlichen Erwägung. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1; 708 Nr. 10, 713; 546 Abs. 2 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beide Parteien sind jeweils mit 10.000,00 DM beschwert.