Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.12.1955, Az.: 18 T 1109/55

Beschwerde gegen gerichtlichen Beschluss über Kindergeldauszahlung; Beschwerdebefugnis des Fürsorgeamtes im Rahmen des Kindergeldverfahrens ; Beschwerderecht des Fürsorgeamtes gegen Kindergeldentscheidung aus Kindergeldgesetz oder anderen gesetzlichen Bestimmungen

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
20.12.1955
Aktenzeichen
18 T 1109/55
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1955, 10442
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:1955:1220.18T1109.55.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 17.11.1955 - AZ: 35 X 366/55

Verfahrensgegenstand

Kindergeld

Tenor:

Die Beschwerde des Fürsorgeamts der Stadt ... gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 17. November 1955 wird als unzulässig auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

1

Die Eltern des Kindes sind geschieden. Der Mutter ist das Sorgerecht übertragen. Bei ihr hält sich auch das Kind auf. Der Vater hat Anspruch auf Zahlung von Kindergeld, der sich z.Zt. gegen die Familienausgleichskasse des Westdeutschen Baugewerbes richtet.

2

Das Fürsorgeamt der Stadt ... hat beantragt, gemäss § 8 Abs. 2 Kindergeldgesetz anzuordnen, dass das Kindergeld an das Fürsorgeamt auszuzahlen sei, weil das Kind laufend Fürsorgeunterstützung erhalte. Der Vater zahle keinen Unterhalt habe bisher auch keinen Antrag auf Zahlung des Kindergeldes gestellt.

3

Das Jugendamt hat die Angaben des Fürsorgeamts bestätigt und den Antrag befürwortet.

4

Die Mutter hat beantragt, das Kindergeld an sie auszahlen zu lassen. Sie hat vorgetragen, sie erhalte für das Kind monatlich 25,10 DM Fürsorgeunterstützung, davon könne sie das Kind nicht unterhalten.

5

Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss angeordnet, dass das Kindergeld für die Minderjährige an die Mutter auszuzahlen sei. In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, die Auszahlung des Kindergeldes an das Fürsorgeamt widerspreche dem Sinn des Kindergeldes. Es entspreche dem Wohl der beteiligten Kinder, wenn die Mutter das Kindergeld erhalte.

6

Gegen diese Entscheidung wendet sich das Fürsorgeamt mit der Beschwerde. Zur Begründung trägt es vor: Im allgemeinen sei es für das Kind praktisch bedeutungslos, ob das Kindergeld an die Mutter oder an das Fürsorgeamt ausgezahlt werde. Erhalte die Mutter das Kindergeld, so ermässige sich die Fürsorgeleistung gemäss den §§ 8 und 8c der Reichsgrundsätze. Bei Zahlung des Kindergeldes an das Fürsorgeamt erhalte die Mutter weiterhin den vollen Fürsorgesatz. Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn Kindergeld für einen zurückliegenden Zeitraum gewährt werde. Die Fürsorgeverbände könnten nach § 5 RGr auf die laufende Unterstützung nur solche Mittel anrechnen, die der Hilfsbedürftige tatsächlich erhalte. Werde das Kindergeld nachträglich von der Familienausgleichskasse gezahlt, so könne es zu Doppelzahlungen kommen, weil der Anspruch auf Kindergeld nicht übertragbar sei und daher vom Fürsorgeverband nicht als Ersatz seiner schon gewährten Leistung in Anspruch genommen werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Doppelzahlung liege im vorliegenden Fall besonders nahe, weil der Vater erfahrungsgemäss seine Arbeitsstelle häufig wechsele und damit auch jeweils gegen eine andere Familienausgleichskasse den Anspruch auf Auszahlung des Kindergeldes erhalte. Die Mutter werde nur schwer ohne grösseren Zeitverlust die jeweils zuständige Familienausgleichskasse oder das zuständige Arbeitsamt ermitteln können. Dagegen habe es die Fürsorgebehörde im Rahmen der ihr zu gewährenden Amts- und Rechtshilfe erheblich leichter, die notwendigen Feststellungen zu treffen, um dann, wenn auch nachträglich, zu den ihr zustehenden Kindergeld zu kommen.

7

Gegen die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts in Kindergeldsachen ist die Beschwerde gemäss den §§ 19, 20 FGG gegeben (vgl. Bayr.Ob.LG., FamRZ. 55, 365; OLG Hamm, FamRZ 55, 364; LG Berlin, FamRZ 55, 296). Das Fürsorgeamt ist nach diesen Bestimmungen nicht beschwerdeberechtigt. Nach § 20 FGG steht die Beschwerde jedem zu, dessen Recht durch die Verfügung beeinträchtigt wird. Soweit die Verfügung nur auf Antrag erlassen werden kann, und der Antrag zurückgewiesen ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu.

8

Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts über die Auszahlung des Kindergeldes gemäss § 8 Abs. 2 KGG ist nicht von der Stellung eines Antrags abhängig. Gemäss § 3 Abs. 1 Satz 2 KGG hat zwar das Vormundschaftsgericht den Anspruchsberechtigten nur auf Antrag des Jugendamts oder einer Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, zu bestimmen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um die Bestimmung des Anspruchsberechtigten gemäss § 3 KGG sondern um eine Auszahlungsanordnung nach § 8 Abs. 2 KGG. Diese setzt einen Antrag nicht voraus. Denn § 8 Abs. 2 verweist wohl auf die Grundsätze des § 3 Abs. 1 Satz 4 u. 5, nicht aber auf den das Antragserfordernis enthaltenden Satz 2. Die Auszahlungsanordnung muss somit das Vormundschaftsgericht von Amts wegen erlassen. Der Antrag des Fürsorgeamts und der sonstigen Beteiligten ist daher rechtlich nur als eine Anregung zum Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts zu werten.

9

Durch den angefochtenen Beschluss ist auch ein Recht des Fürsorgeamts nicht beeinträchtigt. Durch die Auszahlungsanordnung, die im Interesse des Mündels getroffen ist, dem Vater die Bezugsberechtigung entzieht und sie der Mutter überträgt, werden Rechte des Fürsorgeamts nicht berührt. Dass die Entscheidung auf die Gestaltung der wirtschaftlichen Lage des Fürsorgeamts von Einfluss sein mag, weil sie auf die Hilfsbedürftigkeit des Kindes einwirkt, und dass der Beschwerdeführer an einer Änderung der angefochtenen Entscheidung ein fiskalisches Interesse hat, reicht zur Begründung seiner Beschwerdeberechtigung nicht aus (KG in OLG 1, 385; 7, 204; 33, 379; KGJ 25, 5; 27, 172). Wenn unter Recht im Sinne des § 20 FGG auch jedes von der Staatsgewalt geschützte subjektive Recht zu verstehen ist, und dieses auch öffentlich-rechtlicher Natur sein kann (RGZ 60, 196; KGJ 21, 181; 34, 133; 48, 16), so greift doch die getroffene Auszahlungsanordnung nicht in ein dem Fürsorgeamt zustehendes öffentliches Recht ein. Da der Kindergeldanspruch nicht übertragbar ist, hat das Fürsorgeamt durch die von ihm gezahlte Fürsorgeunterstützung keine Ansprüche auf das rückständige oder künftig fällig werdende Kindergeld erworben. Daher ist das Fürsorgeamt in dem Kindergeldverfahren nicht beteiligt und auch nicht beschwerdeberechtigt.

10

Zwar ist in dem Bericht des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik vom 12.09.1954 (zitiert von Klein-Heyer, FamRZ 55, S. 351 Anm. 3) u.a. ausgeführt, dass bei Unterbringung des Kindes in einer Anstalt die Anordnung der Auszahlung des Kindergeldes an diese Anstalt und bei einer grösseren Anschaffung für das Kind auch die Auszahlung an die Lieferfirma zulässig sei. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass etwa die Gläubiger des Kindes ein Anwartschaftsrecht auf Auszahlung des Kindergeldes zugebilligt werden sollte, und dass sie ein Recht zur Beschwerde erhalten sollten, wenn eine anderweitige Auszahlungsanordnung ergeht.

11

Auch in seiner Eigenschaft als Behörde wäre der Beschwerdeführer nur dann beschwerdeberechtigt, wenn er zur Wahrung des öffentlichen Interesses in der Angelegenheit oder zur Vertretung der Interessen der Beteiligten durch das Gesetz berufen wäre (vgl. KGJ 34, 133; 21, 181; Schlegelberger, Anm. 28 zu § 20 FGG). Eine derartige Berufung ist weder dem Kindergeldgesetz noch einer anderen gesetzlichen Bestimmung zu entnehmen.

12

Da sich auch aus den §§ 57 ff FGG ein Beschwerderecht des Beschwerdeführers nicht ergibt, war seine Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.