Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.08.1967, Az.: 8 T 270/67
Rechtsmittel gegen einen gem. § 825 Zivilprozessordnung (ZPO) die Verwertung gepfändeter Sachen in anderer als im Gesetz vorgesehener Weise anordnenden Beschluss; Ersetzen der dinglichen Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner über den Eigentumsübergang durch Anordnung des Vollstreckungsgerichts
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 18.08.1967
- Aktenzeichen
- 8 T 270/67
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1967, 16439
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1967:0818.8T270.67.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wolfenbüttel - 23.06.1967 - AZ: 9 M 822/67
Rechtsgrundlagen
- § 766 ZPO
- § 825 ZPO
Fundstelle
- MDR 1968, 249-250 (Volltext mit amtl. LS)
In der Zwangsvollstreckungssache
hat die 4. Ferienzivilkammer des Landgerichts Braunschweig
unter Mitwirkung
von Landgerichtsdirektor ...
Landgerichtsrat ... und
Gerichtsassessor ...
am 18. August 1967
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 23. Juni 1967 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die von dem Gerichtsvollzieher ... am 29.3.1967 bei dem Schuldner gepfändeten Bücher-Schülerlexikon Band I und II, Witte-Schüler-Bildungswerk Band III, Witte-Kinderlexikon - (DR II 647/67) werden der Gläubigerin zum Preise von 70,- DM überwiesen.
Der Schuldner trägt die Kosten des Verfahrens, jedoch ist das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei.
Gründe
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Zahlungsbefehl des Amtsgerichts Freiburg i.Br. vom 15.4.1966/1.7.1966 - 7 B 5094/66 - wegen einer Hauptforderung von 139.75 DM. Der Gerichtsvollzieher hat die oben bezeichneten Bücher bei dem Schuldner gepfändet, aus deren Verkauf der Schuldtitel herrührt. Nachdem im Versteigerungstermin keine Gebote auf die Bücher abgegeben worden sind, hat die Gläubigerin beantragt, ihr die Bücher gemäss § 825 ZPO zu überweisen. Das Amtsgericht Wolfenbüttel hat dem Antrag der Gläubigerin mit Beschluss vom 23.6.1967 stattgegeben und den Übernahmepreis auf 140,- DM festgesetzt. Die Gläubigerin wendet sich mit ihrem am 6.7.1967 eingegangenen Schreiben gegen den vom Amtsgericht bestimmten Übernahmepreis. Die Gläubigerin will mit diesem Schreiben das zulässige Rechtsmittel einlegen. Da dies die sofortige Beschwerde nach§ 793 ZPO ist, ist die Kammer zur Entscheidung berufen.
Gegen einen gemäss § 825 ZPO die Verwertung gepfändeter Sachen in anderer als im Gesetz vorgesehener Weise anordnenden Beschluss des Amtsgerichts ist stets die sofortige Beschwerde gegeben und nicht die Erinnerung.
Die Kammer folgt damit der u.a. vom Kammergericht (NJW 1956 S. 1885 [KG Berlin 19.04.1956 - 1 W 491/56]) und vom Landgericht Hamburg (MDR 1959 S. 45) vertretenen Ansicht. Die gegenteilige Meinung (Wieczorek, Anm. D zu § 825 ZPO; Stein-Jonas-Pohle, Anm. I 5 zu § 825 ZPO; Baumbach-Lauterbach, Anm. 2 B zu§ 825 ZPO; Landgericht Braunschweig, MDR 1955 S. 748)übersieht, dass der Antrag, gemäss § 825 ZPO die Verwertung gepfändeter Sachen in anderer Weise anzuordnen, bereits einen Antrag darstellt, welcher die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betrifft und über den das Vollstreckungsgericht i.S. § 766 ZPOentscheidet.
§ 766 ZPO eröffnet dem Vollstreckungsgericht die Möglichkeit, das Verfahren der Vollstreckungsorgane nachzuprüfen (Baumbach-Lauterbach, Anm. 2 A zu § 766 ZPO). Vollstreckungsorgan für die Pfändung körperlicher Sachen ist der Gerichtsvollzieher. Trifft das Vollstreckungsgericht gemäss§ 825 ZPO eine Anordnung über eine Verwertung der gepfändeten Sache in anderer als der im Gesetz vorgesehenen Weise, so handelt es nicht als Vollstreckungsorgan. Vollstreckungsorgan bleibt vielmehr der Gerichtsvollzieher, der alle weiteren Massnahmen zu treffen hat und der lediglich vom Vollstreckungsgericht von der Einhaltung der allgemeinen Vorschriften über die Verwertung entbunden wird. § 825 ZPO stellt sich danach als Sonderregelung des in § 766 ZPO allgemein geregelten Eingriffsrechts des Vollstreckungsgerichts dar, das nicht darauf beschränkt ist, unrechtmässige Vollstreckungsmassnahmen zu beanstanden.
Die Verwertungsanordnung nach § 825 ZPO ist auch im Gegensatz zu den nach nur förmlicher Prüfung vorzunehmenden Vollstreckungsakten materiell eine Entscheidung. Das Vollstreckungsgericht ist gehalten, wirtschaftliche Erwägungen anzustellen, die Interessen der Beteiligten abzuwägen und sich danach für eine der verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten zu entscheiden. Das Vollstreckungsgericht muss diese eigenen Prüfungen auch dann anstellen, wenn sich der Schuldner nicht zu dem Antrag des Gläubigers äussert. Die Kammer kann daher nicht der Ansicht folgen, bei Zustimmung oder Schweigen des Schuldners sei die Erinnerung, bei einem Widerspruch des Schuldners die sofortige Beschwerde gegeben, da hier allein das Gericht zwischen widerstreitenden Anträgen entscheiden müsse. Gegen diese Auffassung spricht auch, dass es mit der Rechtssicherheit nicht vereinbar ist, wenn gegen inhaltlich gleiche Entscheidungen von Fall zu Fall verschiedene Rechtsmittel gegeben sind.
Schliesslich wird auch vom Ergebnis her gesehen, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde allein der Verfahrenslage gerecht. Die Anordnung des Vollstreckungsgerichts gemäss § 825 ZPO ersetzt ähnlich wie ein Urteil nach § 894 ZPO die dingliche Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner über den Eigentumsübergang. Würde man gegen die Anordnung die unbefristete Erinnerung zulassen, würde die zum Eigentumsübergang erforderlicheÜberweisung nicht rechtskräftig werden und die dingliche Rechtslage in einem Schwebezustand bleiben. Dieses unbefriedigende Ergebnis umgehen zwar Baumbach-Lauterbach (Anm. 3 B zu § 825 ZPO) und Stein-Jonas-Pohle (Anm. I 5 zu § 825 ZPO) dadurch, dass sie mit der Besitzübertragung vom Gerichtsvollzieher auf den Gläubiger das Eigentum endgültig übergehen lassen, so dass damit die Zwangsvollstreckung beendet und ein Rechtsmittel gegen den die Einigung ersetzenden Beschluss nicht mehr möglich ist. Diese Lösung ist aber geeignet, die Rechtsstellung des Schuldners über Gebühr zu beeinträchtigen. Gelingt es dem Gläubiger, den Gerichtsvollzieher zu einer sofortigen Übergabe der gefpändeten Sache zu veranlassen, wird dem Schuldner jede Möglichkeit genommen, sich gegen die Anordnung der Verwertung auf andere Weise überhaupt und gegen den in ihr festgesetztenÜbernahmepreis zu wehren. Diese Folge wird in einer den Interessen aller Beteiligten gerecht werdenden Weise vermieden, wenn der Beschluss nach § 825 ZPO der sofortigen Beschwerde unterliegt.
Die Gläubigerin hat die sonach zulässige sofortige Beschwerde frist- und formgerecht eingelegt, das Rechtsmittel ist auch begründet.
Nach dem vom Schuldner nicht bestrittenen Vortrag der Gläubigerin entspricht der vom Amtsgericht festgesetzteÜbernahmepreis dem Neuwert der gepfändeten Bücher, die sich jedoch schon 22 Monate im Besitz des Schuldners befinden. Der Gerichtsvollzieher ... Wolfenbüttel hat der Kammer mitgeteilt, dass er unter Berücksichtigung des Zustandes der Bücher deren Wert auf 70,- DM schätze. Der Schuldner hat diese Wertangabe nicht beanstandet, die Gläubigerin hat sich mit diesem Übernahmepreis einverstanden erklärt. Die Kammer hat daher keine Bedenken, den Übernahmepreis auf 70,- DM festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht fallen dem Schuldner nach § 788 ZPO zur Last. Da der Schuldner im Beschwerdeverfahren unterlegen ist, hat er gemäss § 91 ZPO auch dessen Kosten zu tragen. Allerdings ist das Beschwerdeverfahren nach § 46 Abs. 2 GKG gerichtsgebührenfrei.