Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 16.11.2012, Az.: 3 A 134/12
Befristung der Abschiebungswirkung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 16.11.2012
- Aktenzeichen
- 3 A 134/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 32167
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2012:1116.3A134.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 AufenthG
- § 113 Abs. 5 VwGO
Fundstelle
- InfAuslR 2013, 113-114
In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn A., Staatsangehörigkeit: russisch,
Klägers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Piening,
Kleine Johannisstraße 6, 20457 Hamburg,
gegen
den Landkreis Harburg, Schloßplatz 6, 21423 Winsen/Luhe,
Beklagter,
Streitgegenstand: Befristung der Abschiebung,
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2012 durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, die Wirkungen der im Jahre 2001 durchgeführten Abschiebung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung (4. Juli 2012) zu befristen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die Wirkung der Abschiebung zu befristen.
Der Kläger wurde 1983 in Tschetschenien geboren. Nach seiner Einreise nach Deutschland wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2001 festgestellt, dass ihm wegen der Einreise über Polen kein Asylrecht zusteht, und die Abschiebung nach Polen wurde angeordnet. Die Abschiebung wurde am 13. Juni 2001 vollzogen. Es entstanden Kosten von über 5.000 DM.
Der Kläger beantragte im Mai 2011, die Wirkungen der Abschiebung nachträglich zu befristen. Dieser Antrag wurde von der Beklagten nicht beschieden.
Der Kläger hat am 4. Juli 2012 Klage erhoben. Er trägt vor: In Polen sei er als Flüchtling anerkannt worden, habe einen Reiseausweis für Flüchtlinge und eine polnische Aufenthaltserlaubnis. Sein Bruder wohne in Hamburg und werde demnächst eingebürgert. Auch die Mutter, die in Hamburg wohne, habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Abschiebung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zu befristen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Befristung lägen vor. Der Kläger müsse jedoch noch die Abschiebungskosten von 2.597,98 EUR zahlen, ehe er einen positiven Bescheid erhalte. Nach den Verwaltungsvorschriften solle die Befristung davon abhängig gemacht werden, dass die Abschiebungskosten erstattet würden, zu deren Erstattung der Ausländer verpflichtet sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Beklagte ist zu verpflichten, die Wirkungen der Abschiebung auf den Zeitpunkt der Klageerhebung (4. Juli 2012) zu befristen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 11 AufenthG, welches durch Gesetz vom 22. November 2011 geändert worden ist. Danach werden die Wirkungen einer Abschiebung auf Antrag befristet. § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG lautet:
Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf 5 Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Die Dauer der Befristung ist gerichtlich voll nachprüfbar, der Behörde kommt kein Ermessen zu. Sofern die Ausländerbehörde rechtsfehlerhaft keine Befristung ausgesprochen hat oder aber die von ihr verfügte Frist zu lang ist, hat das Gericht die Behörde deshalb zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung auf einen konkreten, vom Gericht für geboten gehaltenen Zeitraum zu befristen (BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 - 1 C 7.11 -).
Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung abgeschoben worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Die finanziellen Forderungen der Ausländerbehörde führen jetzt im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht mehr dazu, dass die Befristung der Wirkungen der Abschiebung abgelehnt werden darf. Allgemein wie auch hier gilt: Angesichts teils erheblicher Forderungssummen und der beschränkt finanziellen Verhältnisse der betroffenen Ausländer kann die Weigerung der Behörden, wegen der Kosten eine Befristung abzulehnen, im Ergebnis eine Ausdehnung zu einer Wiedereinreisesperre deutlich über 5 Jahre hinaus bewirken. Damit liefe der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechtes und des deutschen Rechts zuwider. Allein wegen ausstehender Kosten darf die Befristung damit nicht verweigert werden (so auch Habbe für Jesuiten-Flüchtlingsdienst in einer Stellungnahme zur Gesetzesänderung in: Deutscher Bundestag, Innenausschuss, Ausschuss-Drucksache 17 (4) 282 E Seite 9 f). Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (v. 27.07.2009, Bundesratsdrucksache 669/09), wonach die Befristung davon abhängig gemacht werden soll, dass die Abschiebungskosten erstattet werden, findet seit Änderung des Aufenthaltsgesetzes aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG insoweit keine Anwendung mehr, wenn die Fünfjahresfrist verstrichen ist. Die im Aufenthaltsgesetz geregelte Höchstfrist von 5 Jahren ist eine Höchstgrenze, die nur überschritten werden darf, wenn der Ausländer verurteilt worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Ob die Verkürzung der Wiedereinreisefrist davon abhängig gemacht werden darf, dass der Ausländer die Abschiebungskosten zahlt, solange die Frist Ablauf von fünf Jahren noch nicht abgelaufen ist, mag auf sich beruhen, jedenfalls nach Ablauf von fünf Jahren wie hier können nur noch die im Gesetz genannten Gründe einer Wiedereinreise entgegengehalten werden. Da die Richtlinie 2008/115 EG und die geänderte Fassung des § 11 AufenthG keine Übergangsregelung enthalten, ist die vor Inkrafttreten der Änderung verstrichene Zeitdauer bei der Fünfjahresfrist anzurechnen (Haibronner, AuslR, Kommentar Stand Aug. 2012, § 11 AufenthG Rn. 69). Nach dem somit hier festzustellenden Zeitablauf von mehr als 10 Jahren seit der vollzogenen Abschiebung ist es damit im Ergebnis unverhältnismäßig, die Wiedereinreise wegen der Abschiebungskosten noch weiter hinauszuzögern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.