Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.02.2023, Az.: L 13 AS 145/22

Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.02.2023
Aktenzeichen
L 13 AS 145/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 47613
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2023:0206.13AS145.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 12.05.2022 - AZ: S 32 AS 260/21

In dem Rechtsstreit
B.
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte C.
gegen
Jobcenter D.
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
hat der 13. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ohne mündliche Verhandlung am 25. Januar 2023 in Bremen durch den Richter E. - Vorsitzender - und die Richterinnen F. und Dr. G. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. H. und I. für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. Mai 2022 wird geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2021 und des Teilanerkenntnisses vom 12. Mai 2022 wird aufgehoben, soweit die Erstattungsforderung den Betrag von 802,24 € übersteigt.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Erstattungsforderung des Beklagten und beruft sich auf eine Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Die am 7. Juli 2001 geborene Klägerin bezog im streitbefangenen Bewilligungszeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2019 in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern und Geschwistern vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zugrunde lag ein am 27. Mai 2019 gestellter Weiterbewilligungsantrag des Vaters der Klägerin. Die Leistungen wurden mit Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2019 und Änderungsbescheid vom 20. Juni 2019 vorläufig bewilligt und monatlich im Voraus auf ein Konto des Vaters gezahlt. Am 7. Juli 2019 wurde die Klägerin volljährig.

Nach Feststellung des aus selbständiger Tätigkeit erzielten Einkommens des Vaters entschied der Beklagte abschließend über die Leistungsansprüche und lehnte den Leistungsantrag für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2019 wegen Erzielung bedarfsdeckenden Einkommens ab (Bescheid vom 15. Dezember 2020). Mit dem angefochtenen weiteren Bescheid vom 15. Dezember 2020 forderte der Beklagte die Klägerin zur Erstattung der für sie vorläufig gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 882,41 € auf, wobei auf Juli 2019 133,66 €, auf August 2019 229,75 € und auf die Monate September bis Dezember 2019 jeweils 129,75 € entfielen.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 15. März 2021) hat die Klägerin am 15. April 2021 Klage gegen den Erstattungsbescheid erhoben und u. a. die Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung erhoben. Der Beklagte hat im Verhandlungstermin am 12. Mai 2022 auf die Erstattung eines Betrages von 31,19 € verzichtet. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen. Die weitergehende Anfechtungsklage hat das (Sozialgericht) SG mit Urteil vom 12. Mai 2022 abgewiesen und hinsichtlich der im Berufungsverfahren allein noch streitbefangenen Beschränkung der Minderjährigenhaftung ausgeführt, dass der Beklagte diese mit seinem Teilanerkenntnis ausreichend berücksichtigt habe. § 1629a BGB knüpfe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) allein an die Saldierung zwischen der fremdverantworteten Verbindlichkeit und dem Vermögensbestand bei Eintritt der Volljährigkeit an. Daher komme es auf Verbindlichkeiten, die durch die Inanspruchnahme von Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit entstanden seien, nicht an.

Gegen das ihr am 20. Mai 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Juni 2022 Berufung eingelegt, mit der sie geltend macht, dass im Hinblick auf § 1629a BGB auch die nach Eintritt der Volljährigkeit für sie gezahlten Leistungen von ihr nicht zu erstatten seien, da sie zum Zeitpunkt des der Leistungsgewährung zugrundeliegenden Antrags des Vaters noch minderjährig gewesen sei.

Der Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Oldenburg vom 12. Mai 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2021 und des Teilanerkenntnisses vom 12. Mai 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Klägerin hat auf Aufforderung des Senats einen Kontoauszug ihres Girokontos vorgelegt, welcher für den Tag des Eintritts ihrer Volljährigkeit ein Guthaben von 53,49 € ausweist. Im Übrigen hat die Klägerin in einer Vermögensauskunft erklärt, zu jenem Zeitpunkt über keinerlei Vermögenswerte verfügt zu haben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist teilweise begründet.

Der angefochtene Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2021 und des in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärten Teilanerkenntnisses ist rechtwidrig, soweit die geltend gemachte Erstattungsforderung den Betrag von 802,24 € übersteigt. Die erstinstanzliche Entscheidung ist entsprechend zu korrigieren. Im Übrigen erweist sich die Berufung als unbegründet.

Im Berufungsverfahren im Streit steht nur noch eine Erstattungsforderung in Höhe von 851,22 €, nachdem der Beklagte erstinstanzlich auf die Erstattung eines Betrages von 31,19 € (für die Zeit vom 1. bis 7. Juli 2019 gewährte Leistungen) verzichtet hat. Nicht mehr streitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin aufgrund der von dem Beklagten vorgenommenen abschließenden Entscheidung über ihre Leistungsansprüche für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2019 in Form einer sog. Nullfeststellung dem Grunde nach gemäß § 41a Abs. 6 S. 3 und 4 SGB II zur Erstattung der vorläufig gezahlten Leistungen verpflichtet ist. Streitig ist nur noch, im welchem Umfang bezüglich der verbliebenen Erstattungsforderung die Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a BGB zu Gunsten der Klägerin eingreift.

Nach der genannten Vorschrift beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Soweit diese Vorschrift nach § 40 Abs. 9 SGB II in der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Fassung durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Einführung eines Bürgergeldes vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I 2022, 2328) mit der Maßgabe gilt, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15.000 € übersteigt, ist diese Regelung auf den Fall der bereits am 7. Juli 2019 volljährig gewordenen Klägerin nicht anzuwenden, da maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines noch nicht bestandskräftigen Erstattungsbescheids im Hinblick auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung der Zeitpunkt der Volljährigkeit ist (BSG, Urteil vom 18. November 2018 - B 4 AS 43/17 R).

Das SG Oldenburg hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass § 1629a BGB an den Vermögensbestand bei Eintritt der Volljährigkeit anknüpft und es daher auf Verbindlichkeiten, die durch die Inanspruchnahme von Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit entstanden sind, nicht ankommt. Wie das BSG für die vorliegende Fallgestaltung (endgültige Festsetzung nach vorläufiger Leistungsgewährung) bereits entschieden hat, resultiert die zur Erstattung führende Überzahlung aus der Beantragung und der Entgegennahme der Leistungen nach dem SGB II durch den vertretungsberechtigten Elternteil (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 SGB II). Insoweit bewirkt § 1629a BGB eine Beschränkung der Haftung für die Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder sonstige Handlung für das Kind begründet haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2018 - B 14 AS 34/17 R - juris Rn. 17 - 20). Vorliegend sind die Leistungen für den Bewilligungszeitraum von Juli bis Dezember 2019 zwar noch von dem Vater im Rahmen seiner gesetzlichen Vertretungsmacht beantragt worden. Die Leistungen ab August 2019 sind aber nicht mehr im Rahmen dieser Vertretungsmacht entgegengenommen worden. Hinsichtlich dieser Leistungen, die sie als Volljährige bezogen hat und die daher nicht fremdverantwortet sind, kann die Klägerin keinen Minderjährigenschutz in Anspruch nehmen.

Die von der Klägerin zitierte Kommentierung (Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1629a Rn. 24) bestätigt entgegen ihrer Auffassung das gefundene Ergebnis. Soweit danach für alle in § 1629a Abs. 1 S. 1 BGB geregelte Fallgruppen allein darauf abzustellen ist, ob die betreffende Verbindlichkeit während der Minderjährigkeit begründet wurde, reicht es im vorliegenden Verfahren für die begehrte Haftungsbeschränkung gerade nicht aus, dass die Klägerin bei Beantragung der im Streit stehenden Leistungen noch minderjährig war. Denn - wie ausgeführt - resultiert die zur Erstattung führende Überzahlung aus der Beantragung und Entgegennahme der Leistungen nach dem SGB II (vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 SGB II). Mit diesen Handlungen wurde die in Rede stehende Verbindlichkeit begründet. Wären die auf dessen Konto überwiesenen Leistungen nicht von dem Vater entgegengenommen worden, wäre keine Überzahlung eingetreten, welche nach § 41a Abs. 6 S. 3 und 4 SGB II zu erstatten wäre. Es ist daher auch der Zeitpunkt der Entgegennahme der Leistungen in den Blick zu nehmen. Die Leistungen für die Monate August bis Dezember 2019 hat der Vater zwar noch im Rahmen seiner gesetzlichen Vertretungsmacht für die seinerzeit noch minderjährige Klägerin beantragt, aber nicht mehr im Rahmen dieser gesetzlichen Vertretungsmacht entgegengenommen, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Überweisungen bereits volljährig war.

Hinsichtlich der Leistungen für Juli 2019 (133,66 €) ist allerdings in Anwendung der vorstehenden Maßstäbe zu berücksichtigen, dass diese vor Eintritt der Volljährigkeit (7. Juli 2019) bereits in voller Höhe an den damals noch gesetzlich vertretungsberechtigten Vater der Klägerin ausgezahlt worden waren, so dass insoweit die Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB in vollem Umfang greift. Die Haftung für diese fremdverantwortete Verbindlichkeit in Höhe von 133,66 € beschränkt sich nach § 1629a BGB auf den Bestand des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens, welches sich nach der im Berufungsverfahren nachgeholten Sachaufklärung auf 53,49 € (Guthaben auf dem Girokonto) belief. Ein Betrag von 80,17 € (133,66 - 53,49) ist mithin nicht zu erstatten, sodass sich die Erstattungsforderung des Beklagten um diesen Betrag reduziert und ein Restbetrag von 802,24 € verbleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Wegen des nur geringfügigen Obsiegens der Klägerin ist eine anteilige Belastung des Beklagten mit den außergerichtlichen Kosten nicht gerechtfertigt.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.