Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 25.07.2013, Az.: 4 A 1475/12
Anspruch eines Schwerbehinderten auf Übernahme der Kosten für die Nutzung eines Anrufsammeltaxis im Zusammenhang mit dem Anspruch Schwerbehinderter auf unentgeltliche Beförderung im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 25.07.2013
- Aktenzeichen
- 4 A 1475/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 43073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2013:0725.4A1475.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 145 Abs. 1, 2 SGB IX
- § 59 Abs. 2 SchwbG
Fundstellen
- FStNds 2013, 729-731
- NdsVBl 2013, 5
[Tatbestand]
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit dem Anspruch Schwerbehinderter auf unentgeltliche Beförderung im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) um die Übernahme der Kosten für die Nutzung eines Anrufsammeltaxis.
Der Kläger, bei dem eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 % festgestellt ist und nach dessen Schwerbehindertenausweis vom 6. November 1986 unter anderem die Merkzeichen "G" (= erhebliche Gehbehinderung) und "H" (Hilflosigkeit) vergeben worden sind, lebt in der Stadt F. (G.) unter der Adresse "C. D.".
Nachdem es ab dem 11. Dezember 2011 anlässlich des Fahrplanwechsels 2011/2012 zu Änderungen bei den in dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten verkehrenden Stadtbuslinien gekommen war, die den Kläger insoweit betrafen, als die Linie 712 nicht mehr die Gemeindestraße C. befuhr und die dort vorhandenen Haltestellen ersatzlos aufgehoben worden waren, beantragte der Kläger durch Schreiben vom 12. Dezember 2011 bei der Beklagten die Übernahme der Taxikosten für Hin- und Rückfahren zu der jeweils nächstgelegenen Bushaltestelle der F. -J. Eisenbahn (K.) bzw. der F. er Verkehrsgesellschaft (L.) im Rahmen des Schwerbehindertengesetzes. Zur Begründung machte er unter anderem geltend: Durch die ersatzlose Streichung der Haltestellen C. sei der für ihn notwendige Zugang zu einer unentgeltlichen Beförderung nach dem Schwerbehindertengesetz außer Kraft gesetzt worden, obwohl die AllerBusse der L. weiter durch die Straße C. führen und die Benutzung dieser Busse die Beklagte kein zusätzliches Geld koste. Weiter sei zu beklagen, dass hinsichtlich der Umstellung auf den neuen Fahrplan weder der Landesbehindertenbeauftragte noch der Behindertenbeauftragte der Beklagten gehört worden seien.
Unter dem 14. Dezember 2011 teilte die Beklagte dem Kläger im Wesentlichen Folgendes mit: Sie sei nicht Auftraggeber für den ÖPNV. Auch sei sie nicht für die Beantragung oder Genehmigung der Linienverkehre zuständig. Die Verantwortung für die Genehmigung sämtlicher Linienverkehre mit Bussen und Bahnen liege bei der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG) in Hannover. Gleichwohl habe sie, die Beklagte, sich gemeinsam mit den örtlichen Verkehrsträgern Gedanken über den öffentlichen Personennahverkehr gemacht und mit externer Beratung ein ÖPNV-Konzept erarbeitet, um ein optimales ÖPNV-Angebot für alle Ortschaften und Stadtteile ohne Bezuschussung des Stadtbusverkehrs zu schaffen. Dieses neue ÖPNV-Angebot zeichne sich insbesondere durch ein transparentes und verlässliches Linienangebot mit Vernetzung am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) aus. Die Linien 711 und 712 verkehrten im Halbstundentakt und hätten Anschluss an die Regio S-Bahn. Änderungen brächten jedoch nicht nur Vorteile. So werde der M. und der Bereich C. nicht mehr direkt von dem Stadtbus bedient. Diese Bereiche seien jedoch mit dem Anrufsammeltaxi (AST) erschlossen. Der Beförderungstarif betrage für Schwerbehinderte mit gütigem Ausweis 2,40 € pro Fahrt. Dieses ÖPNV-Angebot werde von ihr finanziell gefördert. Eine darüber hinausgehende Bezuschussung von Einzelfahrten bzw. eine Übernahme der Beförderungskosten sei ihr nicht möglich.
Hiergegen erhob der Kläger am 17. Dezember 2011 Widerspruch, weil der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2011 rechtswidrig sei. Aus dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) gehe nicht hervor, dass er für jede Busfahrt des öffentlichen Personenstadtnahverkehrs einen Betrag in Höhe von 2,40 € und noch zusätzlich für eine notwendige Begleitperson pro Fahrt einen Betrag in Höhe von 3,40 €, insgesamt also für jede Fahrt einen Betrag in Höhe von 5,80 € zu zahlen habe. Er habe vielmehr gemeinsam mit einer Begleitperson Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr.
Nach weiterem zwischen den Beteiligten geführtem Schriftwechsel sowie dem Eingang einer Stellungnahme des Behindertenbeauftragten der Stadt F. (G.) vom 23. Januar 2012 und Beteiligung des Nds. Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers auf dessen Kosten durch Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2012 zurück und setzte für diese Entscheidung eine Gebühr in Höhe von 125,00 € fest. Zur Begründung ihrer Widerspruchsentscheidung führte sie unter anderem aus:
Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass sie für ihn die Beförderungskosten zur nächsten Haltestelle des Stadtbusverkehrs übernehme. Gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - würden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos seien, von Unternehmen, die öffentlichen Personennahverkehr betrieben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX unentgeltlich befördert. Sie sei einerseits kein Unternehmen, das öffentlichen Personennahverkehr betreibe, andererseits bestehe ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX nur im öffentlichen Personennahverkehr mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Die unentgeltliche Beförderung sei daher nur auf den Stadtbuslinien möglich. Das AST sei kein Linienverkehr im Sinne der §§ 42 und 43 PBefG, sondern ein Gelegenheitsverkehr nach § 46 PBefG, so dass hier kein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung bestehe. Die von dem Kläger darüber hinaus beantragte Übernahme der Beförderungskosten für Fahrten mit dem Taxi von seiner Wohnung zu der nächsten Linienbus-Haltestelle sehe auch keine örtliche Regelung vor. Seinem Antrag auf Kostenübernahme könne daher nicht entsprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruhe auf §§ 73 Abs. 3 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 80 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in Verbindung mit §§ 1, 2, 4 Abs. 1 und 7 Abs. 2 ihrer Satzung über die Erhebung von Verwaltungskosten im eigenen Wirkungskreis (Verwaltungskostensatzung) vom 13. Dezember 1994 sowie Ziffer 10 des Kostentarifs zu ihrer Verwaltungskostensatzung. Die Gebühr für den Erlass des Widerspruchsbescheides setze sie danach auf den Mindestsatz in Höhe von 125,00 € fest.
Der Kläger hat am 16. Februar 2012 Klage erhoben und macht ergänzend zu seinen bisherigen Ausführungen unter anderem geltend:
Am 11. Dezember 2011 habe die Beklagte mitten in der Innenstadt an der Straße C., einer stark frequentierten Schnellstraße, vier Bushaltstellen der L. aus rein politischen Gründen ersatzlos aufgehoben und auf die neue Dorfgemeinde N. verlagert, obwohl sie gesetzlich verpflichtet sei, in der Innenstadt die Beförderung der Bürger durch die L. sicherzustellen. Stattdessen habe die Beklagte 500 m von der Straße C. entfernt eine neue Bushaltestelle eingerichtet, die nur auf Bestellung alle zwei Stunden nach dem Streckenfahrplan fahre. Hierfür müssten er und eine Begleitperson für jede Fahrt insgesamt 5,80 € bezahlen.
Mit Nachdruck weise er nochmals darauf hin, dass er als Schwerbehinderter sein Begehren auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr auf die einschlägigen Vorschriften der §§ 49, 57, 59, 60 und 63 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) und auf die Schutzpflichten stütze, die sich aus der UN-Behinderten-konvention in Verbindung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ergäben. Darüber hinaus habe die Beklagte eklatant gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 20 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - verstoßen.
Mit großem Befremden stelle er ferner fest, dass die Beklagte ihm für die Wahrnehmung seiner Behindertenrechte eine Strafgebühr in Höhe von 125,00 € auferlegt habe. Für Amtshandlungen, die in Durchführung des SchwbG vorgenommen würden, seien Verwaltungsgebühren und Auslagen nicht zu erheben. Dies gelte auch für das Widerspruchsverfahren. Er sehe in der Gebührenfestsetzung eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Garantien auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Er dürfe von der Beklagten, die die Schutzpflichten aus dem SchwbG in Verbindung mit dem aus Art. 3 Konvention zum Schutze der Menschrechte und Grundfreiheiten (EMRK) folgenden Verbot unmenschlicher Behandlung außer Acht gelassen habe, nicht zum bloßen Objekt des staatlichen Handelns gemacht werden.
Zum 1. August 2013 werde die Beklagte die neue Buslinie 714 mit einer Haltestelle C. einführen.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2011 und deren Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2012 aufzuheben und
- 2.
festzustellen, dass die hohen regelmäßig wiederkehrenden Beförderungskosten des Schwerbehinderten und einer ständig erforderlichen Begleitperson im Sinne des Schwerbehindertengesetzes rechtswidrig sind.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen:
Zunächst sei zu erwähnen, dass das Schwerbehindertengesetz, auf welches der Kläger seine Klagebegründung stütze, mit Wirkung vom 1. Juli 2001 aufgehoben und durch das SGB IX abgelöst worden sei.
Die Stadtbuslinie 712 habe bis zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2011 die Haltestelle O. bedient, die sich in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Klägers befunden habe. Mit dem Fahrplanwechsel sei das von ihrem Rat am 22. Juni 2010 beschlossenen ÖPNV-Konzept in ersten Schritten umgesetzt worden. Ziel dieses Konzeptes sei ein optimales ÖPNV-Angebot für alle Ortschaften und Stadtteile bei Erhalt des eigenwirtschaftlichen Stadtbusverkehrs. Es sollten insbesondere ein durchgehend vertaktetes und verlässliches Linienangebot, eine Anbindung an den Schienenpersonennahverkehr sowie eine transparente, leicht erkennbare und barrierefreie Infrastruktur geschaffen werden. Dies habe unter anderem dazu geführt, dass die von der L. ohne städtischen Zuschuss betriebene Stadtbuslinie 712 nunmehr auf den nachfragestärksten Bedienungskorridoren im Halbstundentakt verkehre und nicht mehr die Straße C. durchfahre. Fahrgasterhebungen aus den Jahren 2002/2003 und 2007 hätten ergeben, dass beispielweise die Zahl der täglichen Ein- und Aussteiger an der Haltestelle O. bei unter 10 gelegen habe. Die Linie 712 bediene nunmehr Haltestellen, die sich in einer Entfernung von 500 m (Haltestelle P. -Q. -Straße) bzw. 600 m (Haltestelle R. /S.) zum Wohnort des Klägers befänden. Anzumerken sei noch, dass es sich bei der Straße C. um eine Gemeindestraße handele, in der eine Tempobeschränkung von 30 km/h gelte (Tempo-30-Zone).
Ferner habe ihr Rat die Verwaltung am 22. Juni 2010 mit der Erarbeitung eines neuen Anrufsammeltaxen-Konzeptes auf vier Bedienungskorridoren beauftragt, um weiterhin ein ÖPNV-Angebot in den nicht mehr durch den Stadtbus angebundenen Bereichen zu gewährleisten. Am 11. Oktober 2011 habe ihr Rat die Einführung des neuen Anrufsammeltaxen-Systems sowie die neuen Tarife beschlossen. Hinsichtlich der Durchführung dieses Systems bestünden seit 1993 Verträge zwischen der Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen GmbH (VBN) und ihr - der Beklagten -, wobei der VBN die Durchführung des AST auf die L. übertragen und diese wiederum ein örtliches Taxenunternehmen beauftragt habe. Das System biete auf vier Bedienungskorridoren (so genannte AST-Linien) in der Zeit von 6.00 Uhr bis 23.00 Uhr ein stündliches ÖPNV-Angebot, welches mindestens 30 Minuten vor der in dem Fahrplan angegebenen Abfahrtzeit telefonisch bestellt werden müsse. Die Fahrgäste würden an der Haltestelle abgeholt und zu dem gewünschten Ziel in der Innenstadt bzw. auf der Rückfahrt bis vor die Haustür gefahren. Dieser Service übersteige somit den einer Fahrt mit dem Stadtbus, sei jedoch geringer als bei einer normalen Taxifahrt, weil man zum Einstieg eine Haltestelle aufsuchen müsse. In einer Entfernung von 200 m zum Wohnort des Klägers befinde sich in der Straße T. U. die Haltestelle C., die von dem AST bedient werde. Die Tarife für die Beförderung mit dem AST seien mit dem VBN abgestimmt. Sie betrügen einheitlich für Erwachsenen in einer Tarifzone 3,40 €, für Behinderte mit gültigem Ausweis 2,40 €. Die nicht durch Fahrgeldeinnahmen gedeckten Kosten übernehme sie - die Beklagte - in Form eines Zuschusses an die L..
Das Nds. Oberverwaltungsgericht habe bereits mit Urteil vom 8. Oktober 2003 (4 LB 365/03) deutlich gemacht, dass ein Anspruch auf kostenlose Beförderung bei Benutzung eines Anruf-Sammel-Mobils nicht bestehe, weil als rechtliche Grundlage nur § 145 Abs. 1 SGB IX in Betracht kommen. Diese Vorschrift begründe aber einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX lediglich gegenüber den Unternehmen, die öffentlichen Nahverkehr betrieben. Sie - die Beklagte - sei weder ein Unternehmen, welches öffentlichen Nahverkehr betreibe, noch handele es sich bei dem Angebot des AST um Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 SGB IX, insbesondere nicht um Personenverkehr mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 PBefG. Die spezielle Verweisung im SGB IX auf die Definition des Linienverkehrs in § 42 PBefG verbiete es, in den Anspruch auf kostenlose Beförderung Schwerbehinderter auch andere Verkehrsarten einzubeziehen. Bei dem AST handele es sich nicht um Linienverkehr, sondern es liege Gelegenheitsverkehr nach § 46 PBefG vor. Obwohl die Haltestellen entlang definierter Routen angeordnet und die stündlichen Abfahrtzeiten entsprechend fahrplanmäßig organisiert seien, fehle es an dem den Linienverkehr prägenden Element fester Einstiegs- und Ausstiegspunkte. Nach vorheriger telefonischer Bestellung sammele das Taxi die Fahrgäste an den durch die Haltestellen markierten Einstiegspunkten ein und fahre sie unter Beachtung wirtschaftlicher Gesichtspunkte (Streckenlänge, Zeitaufwand) an das jeweilige Ziel, lege somit die Route selbst fest. Der Fahrtverlauf sei daher sehr individuell. Leerfahrten - wie beim Linienverkehr - fänden nicht statt.
Ein Verstoß gegen das Behindertengleichstellungsgesetz liege nicht vor. Nach § 7 Abs. 2 BGG dürfe ein Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 1 BGG behinderte Menschen nicht benachteiligen. Bereits eine solche Benachteiligung sei nicht gegeben. Die Vorschrift richte sich aber ohnehin nur an die Dienststellen oder sonstigen Einrichtungen der Bundesverwaltung sowie die Landesverwaltungen, soweit sie Bundesrecht ausführten. Die Gewährleistung des ÖPNV richte sich jedoch nach den landesrechtlichen Vorschriften des Nds. Nahverkehrsgesetzes (NNVG). Aufgabenträger seien gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 NNVG für den nicht schienengebundenen Personenverkehr die Landkreise bzw. hier für das Anrufsammeltaxi gemäß § 4 Abs. 3 NNVG sie - die Beklagte -.
Auch gegen das AGG werde nicht verstoßen. Es liege keine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen vor, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stünden. Die geänderte Führung der Linie 712 und die Aufgabe der Haltstelle V. (richtig wohl: O.) wirkten sich auf den gesamten Bereich um die Straße C. aus und stellten keine Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen dar. Die von dem Kläger erwähnten Leerfahrten der Busse der L. ergäben sich aus der Lage des nur 400 m von dem Wohnhaus des Klägers entfernten Betriebshofs der Gesellschaft in der W. X..
Schließlich verweise sie noch auf das Angebot des Deutschen Roten Kreuzes, Kreisverband Verden e. V., der Menschen mit Behinderungen einen Fahrdienst nach telefonischer Anmeldung anbiete und ein Fahrgeld von 2 € bei einer Strecke bis zu 10 km erhebe.
Durch den angefochtenen Bescheid sei auch keine "Strafgebühr", sondern eine Verwaltungsgebühr im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens festgesetzt worden. Die Regelung des § 118 SGB IX greife hier nicht, weil sie nicht als Integrationsamt oder örtliche Fürsorgestelle tätig geworden sei. Vielmehr sei die Schaffung des AST-Systems im eigenen Wirkungskreis erfolgt, weil nach § 4 Abs. 5 NNVG kreisangehörige Gemeinden in eigener Verantwortung ÖPNV durchführen (lassen) könnten. Hiervon habe sie mit der Beauftragung des VBN mit der Durchführung des AST durch Vertrag aus dem Jahre 1993 Gebrauch gemacht, während der Landkreis F. als Träger des ÖPNV unter anderem die L. mit der Durchführung des Stadtbusverkehrs beauftragt habe. Da nur die in ihrer Verwaltungskostensatzung vorgesehene Mindestgebühr festgesetzt worden sei, könne der Kläger auch durch die Bemessung der Gebühr nicht in seinen Rechten verletzt sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die trotz des Ausbleibens des Klägers gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verhandelt und entschieden werden konnte, bleibt ohne Erfolg, wobei die Kammer den schriftsätzlich gestellten Klageantrag zu Ziffer 2. dahin auslegt, der Kläger wolle festgestellt wissen, dass die ihm und einer Begleitperson nach § 145 Abs. 1 und 2 SGB IX zustehende Freifahrtberechtigung im öffentlichen Personennahverkehr auch die Benutzung des in dem Stadtgebiet von F. vorgehaltenen Anrufsammeltaxen-Systems umfasst.
Dies vorausgeschickt, erweist sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2011 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2012 als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, wie es für eine erfolgreiche Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlich wäre. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine unentgeltliche Nutzung der in dem Stadtgebiet der Beklagten verkehrenden Anrufsammeltaxen.
Für sein Begehren kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des seit dem 1. Juli 2001 maßgeblichen § 145 Abs. 1 und 2 SGB IX berufen. Das Nds. Oberverwaltungsgericht hat im Zusammenhang mit dieser Regelung in einem vergleichbaren Fall durch Urteil vom 8. Oktober 2003 (4 LB 365/03, zitiert nach [...]) folgende Feststellungen getroffen, denen die Kammer folgt:
Nach § 145 Abs. 1 SGB IX (§ 59 Abs. 1 SchwbG) trifft die Verpflichtung zur kostenlosen Beförderung Schwerbehinderter die "Unternehmen, die öffentlichen Personenverkehr betreiben". Die Kostenbefreiung gilt auch für Begleitpersonen (§ 145 Abs. 2 SGB IX bzw. § 59 Abs. 2 SchwbG). Der Anspruch ist aber sachlich beschränkt auf die unentgeltliche Beförderung "im Nahverkehr im Sinne des § 147" (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) bzw. "im Nahverkehr im Sinne des § 61 Abs. 1" (§ 59 Abs. 1 Satz 1 SchwbG). Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass sich der Anspruch nicht auf den gesamten öffentlichen Personennahverkehr (etwa im Sinne der weit gefassten Definition des öffentlichen Personennahverkehrs in § 1 Abs. 2 NNVG) erstreckt. Durch die Verweisung werden vielmehr nur ganz bestimmte Verkehrsformen erfasst. Nahverkehr ist nach der vorliegend allein in Betracht kommenden Alternative des § 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX (früher § 61 Abs. 1 Nr. 2 SchwbG) der öffentliche Personenverkehr mit "Kraftfahrzeugen im Linienverkehr nach den §§ 42 und 43 des Personenbeförderungsgesetzes ...". § 43 PBefG betrifft Sonderformen des Linienverkehrs wie Schülerbeförderung und anderes und ist hier nicht einschlägig. § 42 PBefG definiert "Linienverkehr" als "eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind."
Die spezielle Verweisung im SGB IX (früher SchwbG) auf die Definition des Linienverkehrs in § 42 PBefG verbietet es, in den Anspruch auf kostenlose Beförderung Schwerbehinderter auch andere Verkehrsarten einzubeziehen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen mehrfacher Änderungen des Schwerbehindertenrechts gerade darauf verzichtet, besondere Verkehrsformen ganz oder teilweise dem für Schwerbehinderte unentgeltlichen Nahverkehr zuzuordnen (vgl. VG Köln, a.a.O.). Das gilt auch für die Aufnahme des Schwerbehindertenrechts in das SGB IX, bei der die hier maßgeblichen Vorschriften der §§ 145, 147 SGB IX wortgleich von den §§ 59, 61 SchwbG übernommen worden sind.
Gemessen hieran scheidet ein unmittelbarer Anspruch des Klägers auf kostenlose Beförderung im ÖPNV gegen die Beklagte schon deshalb aus, weil durch die Vorschrift des § 145 Abs. 1 SGB IX die Verpflichtung zur unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter nicht den (staatlichen) Trägern des ÖPNV, sondern den Unternehmern, die öffentlichen Nahverkehr betreiben, auferlegt worden ist, das heißt, die Verpflichtung, Schwerbehinderte - gegen Erstattung der Fahrgeldausfälle - kostenlos zu befördern, haben allein die Unternehmen, die den Verkehr tatsächlich durchführen, so dass ein Schwerbehinderter dieses Recht nur gegenüber dem Verkehrsunternehmen selbst geltend machen kann. Hier hat die Beklagte im Rahmen ihrer auf § 4 Abs. 3 NNVG beruhenden Zuständigkeit, wonach unbeschadet der Pflichten der Aufgabenträger unter anderem kreisangehörige Gemeinden in eigener Verantwortung öffentlichen Personennahverkehr durchführen oder durchführen lassen können, für das von ihr in ihrem Stadtgebiet vorgehaltene Anrufsammeltaxen-System durch Vertrag vom 5. August 1993 die Einrichtung dieses "Bedarfsverkehrs mit Sammeltaxen (AST-Verkehr)" auf die VBN unter der Bezeichnung VBN-PLUS Sammeltaxi übertragen (§ 1 Abs. 1 dieses Vertrages), die wiederum unter anderem für die L., einem ihrer Mitgliedsunternehmen, das im Gebiet der Beklagten Linienverkehr gemäß § 42 PBefG betreibt, zur Durchführung des AST-Verkehrs eine entsprechende Genehmigung nach § 49 PBefG in Verbindung mit § 2 Abs. 6 PBefG eingeholt hat (§ 1 Abs. 2 des Vertrages). Die L. wiederum ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages berechtigt, in eigener Verantwortung, jedoch im Einvernehmen mit der Beklagten, leistungsfähige Taxi- und/oder Mietwagenunternehmen mit der Durchführung der AST-Fahrten zu beauftragen. Danach ist die Beklagte für das AST-System zwar Aufgabenträger im Sinne des § 4 NNVG, nicht aber Unternehmer im Sinne des § 145 Abs. 1 SGB IX.
Darüber hinaus ergibt sich aber auch kein aus der Trägerschaft der Beklagten für den AST-Verkehr abzuleitender mittelbarer Anspruch des Klägers dahingehend, dass die Beklagte auf ihren Vertragspartner, die VBN und damit die L., einwirkt, dass diese den Kläger und eine Begleitperson (im Sinne des § 145 Abs. 2 SGB IX) bei Vorlage eines gültigen Schwerbehindertenausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX unentgeltlich befördern. Dies scheitert daran, dass es sich bei dem in dem Stadtgebiet von F. zum Einsatz kommenden AST nicht um "Linienverkehr" im Sinne der allein in Betracht zu ziehenden Vorschriften der §§ 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, 42 PBefG handelt, sondern Gelegenheitsverkehr nach den §§ 46 ff. PBefG vorliegt.
Gemäß § 42 Satz 1 PBefG ist Linienverkehr eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Er setzt nicht voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten besteht oder Zwischenhaltestellen eingerichtet sind (§ 42 Satz 2 PBefG). Gemessen an dieser Definition fehlt dem streitigen AST-System (jedenfalls) das einen Linienverkehr prägende Element einer Verbindung zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten. Der Streckenverlauf wird vielmehr grundsätzlich flexibel nach den vorliegenden telefonischen Anmeldungen durch das von der L. mit der Durchführung der AST-Fahrten beauftragte Taxi- oder Mietwagenunternehmen geplant. Damit kann der Ausgangspunkt jeweils an einer anderen der bestehenden Haltestellen liegen. Der Fahrtverlauf ist beliebig und unabhängig von den Linien der sonst verkehrenden Stadtbusse, weil die Fahrtziele von dem Fahrgast unabhängig von den regulären Bushaltestellen frei ("bis vor die Tür") bestimmt werden. Anders als in dem regulären Linienverkehr gibt es auch keine Betriebspflicht für den Unternehmer in dem Sinne, dass gegebenenfalls auch Leerfahrten durchzuführen sind. Gerade solche unrentablen Fahrten sollen durch die Flexibilität des AST vermieden werden. Die auf den Linienverkehr zugeschnittene Vergünstigung der kostenlosen Beförderung für Schwerbehinderte erstreckt sich danach nicht auf die besondere Betriebsform des AST.
Der Kläger kann sich für sein Begehren auch nicht auf das BGG bzw. das Nds. Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) und/oder das AGG berufen. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 BGG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 NBGG darf ein Träger öffentlicher Gewalt bzw. dürfen öffentliche Stellen behinderte Menschen bzw. Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligen. Träger der öffentlichen Gewalt, an die sich die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 BGG richtet, sind nach § 7 Abs. 1 BGG aber nur Dienststellen und sonstige Einrichtungen der Bundesverwaltung, einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sowie die Landesverwaltungen, soweit sie Bundesrecht ausführen, während sich das NBGG an die Behörden, Gerichte und sonstigen Einrichtungen des Landes sowie die der alleinigen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts richtet (§ 2 Abs. 1 NBGG). Da die Gewährleistung des ÖPNV nach den landesrechtlichen Vorschriften des NNVG erfolgt und Aufgabenträger des ÖPNV für den nicht schienengebundenen Personennahverkehr gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3 NNVG die Landkreise und kreisfreien Städte sind bzw. auch kreisangehörige Gemeinden - wie hier - sein können, finden weder das BGG noch das NBGG Anwendung. Eine dem § 7 Abs. 2 BGG bzw. § 4 Abs. 2 NBGG entsprechende Norm, die sich an die Kreise, Städte und Gemeinden richtet, ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus fehlt es aber auch an einer Benachteiligung des Klägers im Sinne dieser Vorschriften (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2 BGG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 2 NBGG), weil die Bewohner im Bereich der Straße C. von der ab 11. Dezember 2011 veränderten Linienführung des Stadtbuslinie 712 unabhängig davon, ob sie behindert oder nicht behindert sind, betroffen werden. Daher sind auch keine Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung im Sinne des § 1 AGG gegeben.
Schließlich hat die Beklagte von dem Kläger zu Recht eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 125,00 € erhoben. Da die Beklagte bei Erlass des angefochtenen Widerspruchsbescheides nicht als Behörde im Sinne des § 118 SGB IX, sondern als Träger des AST-Verkehrs und damit gemäß § 4 Abs. 5 NNVG im eigenen Wirkungskreis gehandelt hat, findet die Kostenfreiheitsvorschrift des § 64 SGB X keine Anwendung. Die Beklagte ist daher berechtigt gewesen, auf der Grundlage der §§ 1 Abs. 1, 2, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 7 Abs. 2 ihrer Verwaltungskostensatzung in Verbindung mit Ziffer 10 des Kostentarifs die Zahlung einer Widerspruchsgebühr zu fordern, deren Höhe ebenfalls keinen Bedenken begegnet, weil es sich ohnehin nur um die in Ziffer 10 des Kostentarifs vorgesehene Mindestgebühr von 125,00 € handelt.