Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.10.1980, Az.: 19 UF 109/80

Adoptionsbedingter Wegfall von Renten eines Kindes; Gestattung einer Sicherheitsleistung durch eine selbstschuldnerische Bürgeschaft an eine Bank; Zahlung einer rückständigen Unterhaltsverpflichtung nach einer Adoption; Ablehnung des Angebots verbunden mit einem neuen Antrag im Rahmen einer Unterhaltszahlung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.10.1980
Aktenzeichen
19 UF 109/80
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1980, 16514
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1980:1013.19UF109.80.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 19.03.1980 - AZ: 212 F 38/80

Verfahrensgegenstand

Rückständiger Unterhalt

In dem Rechtsstreit
hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Oktober 1980
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wendt,
den Richter am Oberlandesgericht Hinnekeuser sowie
den Richter am Amtsgericht Boës
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 19. März 1980 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 3.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Februar 1980 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 3.850 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Dem Beklagten wird gestattet, die ihm obliegende Sicherheitsleistung durch eine unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu leisten.

Gegen dieses Urteil wird die Revision zugelassen.

Tatbestand

1

Die Mutter der Klägerin und der Beklagte waren miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe ist die am 1. November 1970 geborene Klägerin hervorgegangen. Durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 24. Januar 1973 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden. Die Mutter der Klägerin ist inzwischen wieder verheiratet. Ihr zweiter Ehemann hat die Klägerin adoptiert. Die Adoption wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge. vom 19. Juli 1979 (8 XVI .../78) ausgesprochen.

2

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bis zum Zeitpunkt der Adoption Unterhalt zu zahlen. Seit Juni 1978 haben die Parteien in außergerichtlicher Korrespondenz wegen dieses Unterhalts verhandelt. Die Klägerin berechnet die Höhe ihrer (angeblichen) Unterhaltsforderung bis zum 31. Juli 1979 auf insgesamt 6.641,98 DM. Demgegenüber hat nach Auffassung des Beklagten - allerdings bis zum 31. Dezember 1978 - nur ein Unterhaltsrückstand in Höhe von 2.732 DM bestanden.

3

Unabhängig hiervon hat die Klägerin die Auffassung vertreten, sie habe sich mit dem Beklagten wegen des Unterhaltsrückstandes vergleichsweise auf einen Betrag von 3.000 DM geeinigt. Zur Begründung ihrer Ansicht hat sie sich auf folgenden Sachverhalt gestützt:

4

Mit Schreiben vom 22. Juni 1979 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin u.a. folgendes mit:

"Mein Mandant hat mich ermächtigt, Ihrer Mandantin den Vorschlag zu unterbreiten, daß von ihm zur Abgeltung der rückständigen Unterhaltsansprüche noch insgesamt 3.000 DM gezahlt werden. ..."

5

Hierauf erwiderte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 29. Juni 1979:

"In der Unterhaltssache B. V. danken wir ... für Ihre Schreiben vom 20. und 22.6.1979 und erklären Ihnen namens der Mutter und gesetzlichen Vertreterin von B. hiermit die Annahme Ihres Vergleichsangebotes, auf die Rückstände für die Zeit bis zum 31. Dezember 1978 noch insgesamt 3.000 DM durch Ihren Herrn Auftraggeber, zu Händen unserer Mandantin für das Kind zu zahlen. Wenn Ihr Herr Auftraggeber den Betrag auf einmal zahlen kann, ist es Frau F. natürlich am liebsten. Wenn er das aber nicht kann, dann kann Ratenzahlung nur in der Weise diesseits bewilligt werden, daß der Gesamtbetrag von 3.000 DM bis zum 31. Dezember 1979 in Händen von Frau F. ist ..."

6

Darauf ließ der Beklagte mit Schreiben vom 2. August 1979 der Klägerin folgendes mitteilen:

"Weiter teile ich im Auftrage meines Mandanten auf Ihr Schreiben vom 29.6.1979 mit, daß mein Mandant bereit ist, zur Abgeltung des rückständigen Unterhalts insgesamt noch 3.000 DM zu zahlen ... Dagegen ist mein Mandant nicht in der Lage, den Betrag von 3.000 DM bis Ende 1979 auszugleichen. Er wird jedoch ab September 1979 monatliche Raten von 200 DM zahlen und will darum bemüht sein, den Gesamtbetrag binnen Jahresfrist zu tilgen. Eine verbindliche Verpflichtung dazu kann er jedoch nicht übernehmen ..."

7

Durch weiteren Schriftsatz vom 10. August 1979 entgegnete die Klägerin, sie müsse auf der Bezahlung des Betrages von 3.000 DM bis Ende 1979 bestehen; sollte der Beklagte diesem Wunsch nicht entsprechen, so werde sie die gesamten Rückstände "mit gerichtlicher Hilfe geltend machen". In Erwiderung auf dieses Schreiben ließ der Beklagte mit Schriftsatz vom 27. August 1979 mitteilen, er lehne die Führung weiterer Vergleichsverhandlungen ab, nachdem die Klägerin seinen Vergleichsvorschlag im Schreiben vom 2. August 1979 nicht angenommen habe.

8

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr 3.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Februar 1980 zu zahlen.

9

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er hat die Auffassung vertreten, nach der durchgeführten Adoption sei er im Hinblick auf § 1755 Abs. 1 Satz 2, zweiter Halbsatz BGB nicht mehr zu rückständigen Unterhaltszahlungen verpflichtet.

11

Durch Urteil vom 19. März 1980 hat das Familiengericht die Klage abgewiesen, wobei es der Rechtsauffassung des Beklagten gefolgt ist. Wegen der Erwägungen im einzelnen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen, wird auf seine Entscheidungsgründe (Bl. 25, 26 d.A.) verwiesen. Ferner wird zur Ergänzung der Sachdarstellung auf den Tatbestand des Urteils (Bl. 24 R, 25 d.A.) sowie die im ersten Rechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

12

Gegen dieses ihr am 31. März 1980 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. April 1980 Berufung eingelegt und diese am 9. Mai 1980 begründet.

13

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens erster Instanz vertritt sie insbesondere den Standpunkt, das Verhalten des Beklagten sei rechtsmißbräuchlich, wenn er sich nach jahrelangen Vergleichsverhandlungen nun auf das Erlöschen seiner Unterhaltsschuld berufe.

14

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und ihrem Klagantrag stattzugeben.

15

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

16

Er verteidigt in vollem Umfang das angefochtene Urteil.

17

Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

19

Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin 3.000 DM zu zahlen. Diese Verpflichtung folgt aus den §§ 1601 ff. BGB. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin ist durch die inzwischen erfolgte Adoption nicht erloschen. Mit dem Oberlandesgericht Hamburg (FamRZ 1979, 180, 181) ist der Senat der Auffassung, daß Unterhaltsansprüche aus der Zeit bis zur Adoption nicht nach § 1755 Abs. 1 Satz 2, zweiter Halbsatz BGB erlöschen (so auch; Lüderitz in Münchener Komm., §§ 1754, 1755, Rdz. 18; Roth-Stielow, AdoptG, § 1755 BGB, Anm. 4 a.E.; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts, 4. Aufl., 1977, S. 6; Brüggemann, DAVorm. 1979, 82 ff.; Ruthe, FamRZ 1977, 30 ff.). Der gegenteiligen, vom Landgericht Arnsberg (zitiert bei Brüggemann, a.a.O.), von Palandt-Diederichsen (Komm, zum BGB, 39. Aufl., § 1755 Anm. 1), von Odersky (Kommentar zum NEG, 4. Aufl., § 1765 a.F., Rdz 44) und von Zopfs (FamRZ 1979, 385 ff.) vertretenen Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen, und zwar insbesondere mit Rücksicht auf den Aufbau und den Wortlaut des § 1755 Abs. 1 BGB. In Satz 1 dieser Vorschrift ist bestimmt, daß mit der Adoption das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen bisherigen Verwandten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Zutreffend entnimmt Ruthe (a.a.O., S. 32) aus dieser Formulierung nur eine Wirkung für die Zukunft, keine Rückwirkung. Dieser Auffassung entspricht auch die Bestimmung des § 1754 BGB. Denn danach "erlangt" das Kind mit der Adoption den Status eines ehelichen Kindes oder der Annehmenden, d.h. von der Annahme an, nicht rückwirkend. Bis zur Annahme "bestanden andere Verwandtschaftsverhältnisse, die auch nicht durch eine Fiktion des Gesetzes beseitigt und rückwirkend durch die neue Verwandtschaft ersetzt werden" (OLG Hamburg, a.a.O.). Von der Wirkung des § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB, dem Fortfall von Ansprüchen für die Zukunft, nimmt nun Satz 2 dieser Bestimmung die dort genannten Renten, Waisengelder und "andere entsprechende wiederkehrende Leistungen" aus. Diese Ansprüche werden durch die Adoption nicht berührt, d.h., sie stehen dem Kind auch weiterhin zu. Diese Regelung hat der Gesetzgeber getroffen, um die Vermittlung in geeignete Adoptivfamilien zu erleichtern (so Ruthe, a.a.O., S. 32).

20

Stellt mithin die Vorschrift des § 1755 Abs. 1 Satz 2, erster Halbsatz BGB eine Ausnahme von dem Grundsatz des Satz 1 dieser Bestimmung dar, so bildet wiederum § 1755 Abs. 1 Satz 2, zweiter Halbsatz BGB eine Ausnahme von Satz 2, erster Halbsatz, d.h., Unterhaltsansprüche werden durch die Adoption berührt. Daraus folgt allerdings nicht, daß auch rückständige Unterhaltsansprüche durch die Adoption zum Erlöschen gebracht werden. Denn, wie bereits oben zu § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeführt wurde, wird durch die Adoption keine rückwirkende Rechtsänderung herbeigeführt. Dann jedoch ist nicht einzusehen, warum rückständige Unterhaltsansprüche erlöschen sollten, wenn andererseits die Adoption nur Wirkungen für die Zukunft auslöst. Hätte der Gesetzgeber gleichwohl mit der Vorschrift des § 1755 Abs. 1 Satz 2, zweiter Halbsatz BGB auch rückständige Unterhaltsansprüche erfassen wollen, so hätte er das eindeutig zum Ausdruck bringen müssen. Dies hätte dann jedoch - worauf Brüggemann (a.a.O., S. 86) zutreffend hinweist - "nichts anderes als eine Enteignung des Kindes bedeutet", für die eine Rechtfertigung nicht zu finden gewesen wäre. Insbesondere könnte diese Rechtfertigung nicht aus der Zustimmung des Kindes zur Adoption hergeleitet werden. Denn diese Zustimmung bezieht sich allein auf eine zukünftige Statusänderung, nicht auf eine rückwirkende Veränderung der Rechtslage.

21

Gegen die hier vertretene Auffassung kann auch nicht eingewandt werden, der Gesetzgeber habe durch "das Adoptionsgesetz Ernst mit dem radikalen Gedanken der Volladoption" machen wollen (so Zopfs, a.a.O.). Denn für den Gesetzgeber waren "eine ganze Reihe von Gründen ausschlaggebend, den Grundsatz der Volladoption bei Unterhaltsansprüchen ... zu durchbrechen" (Ruthe, FamRZ 1979, 388 (389)). So wurde befürchtet, daß der adoptionsbedingte Wegfall von Renten des Kindes die Neigung entstehen lassen könnte, anstelle erwünschter Adoptionsverhältnisse nur Dauerpflegeverhältnisse zu begründen. Dieser Gefahr wollte der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 1755 Abs. 1 Satz 2, erster Halbsatz BGB begegnen, insbesondere auch im Hinblick auf behinderte Kinder, bei denen wegen der hohen Pflegekosten eine Adoption kaum noch durchführbar gewesen wäre. Deshalb sind die unterhaltsrechtlichen Wirkungen der Adoption erheblich eingeschränkt worden, um Nachteile für die betroffenen Adoptivkinder zu vermeiden, Nachteile, die daraus folgen, daß in der Regel alle Verbindungen des Kindes zu seinem früheren Leben abgeschnitten werden (Ruthe, a.a.O.). Auch diese Gründe sprechen mithin gegen die Annahme, daß nach dem Willen des Gesetzgebers rückständige Unterhaltsansprüche haben erlöschen sollen.

22

Zudem wird die hier vertretene Auffassung von Billigkeitsgesichtspunkten getragen. Sie vermeidet nämlich die nicht wünschenswerte Folge, daß derjenige Vater, dem es gelingt, seine Inanspruchnahme - etwa durch die Verzögerung des Unterhaltsrechtsstreits - bis zur Adoption hinauszuschieben, dafür belohnt und besser behandelt wird als derjenige Vater, "der sich den gesetzlichen Folgen seiner Vaterschaft fügt und freiwillig zahlt" (OLG Hamburg, a.a.O.).

23

Nach alledem ist der Beklagte trotz der Adoption der Klägerin verpflichtet, die bis zur Adoption aufgelaufenen Unterhaltsrückstände zu zahlen. Allerdings kann die Klägerin wegen der Höhe der Unterhaltsforderung sich nicht auf einen zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich stützen, weil ein solcher nicht zustande gekommen ist. Denn die Klägerin hat das Angebot des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 22. Juni 1979 nicht angenommen. Ihr Antwortschreiben vom 29. Juni 1979 enthielt nämlich die Erweiterung, daß der Beklagte den Gesamtbetrag von 3.000 DM bis spätestens zum 31. Dezember 1979 gezahlt haben müsse. Dies stellt gemäß § 150 Abs. 2 BGB die Ablehnung des Angebots des Beklagten dar, verbunden mit einem neuen Antrag. Dieses Angebot hat der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 2. August 1979 abgelehnt und der Klägerin ein seinen Vorstellungen entsprechendes neues Angebot unterbreitet, was diese jedoch mit Schriftsatz vom 10. August 1979 abgelehnt hat. Daraufhin hat der Beklagte die Vergleichsverhandlungen mit der Klägerin abgebrochen.

24

Ist mithin zwischen den Parteien kein Vergleich zustande gekommen, so ist der Beklagte gleichwohl verpflichtet, der Klägerin 3.000 DM Unterhaltsrückstand zu zahlen. Denn er hat in seinem Schriftsatz vom 22. Juni 1979 anerkannt, daß in den Jahren von 1975 bis 1978 Unterhaltsrückstände von insgesamt 5.320 DM aufgelaufen sind, auf die er lediglich 2.588 DM gezahlt hat. Mithin verblieb eine Restschuld von 2.732 DM. Wenn dann berücksichtigt wird, daß er der Klägerin auch für das Jahr 1979 mindestens für 6 Monate Unterhalt geschuldet hat, so ist die Klageforderung belegt.

25

Aus diesen Gründen mußte der Berufung stattgegeben werden.

26

Der Zinsanspruch ist nach § 291 BGB gerechtfertigt.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

28

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

29

Gemäß § 621 d ZPO war gegen dieses Urteil die Revision zuzulassen, weil die Auslegung der Vorschrift des § 1755 Abs. 1 Satz 2, zweiter Halbsatz BGB grundsätzliche Bedeutung hat.

Wendt
Hinnekheuser
Boës