Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.05.2015, Az.: 6 B 40/15
Abschussplan; Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Hegegemeinschaft; Jagdbeirat; Rotwild; Vorwegnahme der Hauptsache; Wildbestandsermittelung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 28.05.2015
- Aktenzeichen
- 6 B 40/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45264
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs 2 S 1 BJagdG
- Art 19 Abs 4 GG
- § 25 Abs 4 JagdG ND
- § 123 VwGO
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Abänderung eines Abschussplanes für Hochwild.
Die Antragstellerin ist eine anerkannte Hegegemeinschaft, die sich derzeit aus den Jagdausübungsberechtigten von 40 Jagdbezirken mit einer Größe von insgesamt 10.417 ha zusammensetzt. Diese Bezirke liegen überwiegend südlich des Truppenübungsplatzes B. und grenzen im Süden an die C., im Westen an die D. sowie den Ort E. und im Osten an die F..
Nach ihrer Satzung ist Zweck die einheitliche Bewirtschaftung, das heißt die Bejagung und Hege der Wildarten Rot-, Dam-, Reh- und Schwarzwild nach einheitlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Bejagungsrichtlinien und der besonderen örtlichen Verhältnisse. Nach § 8 d der Satzung gehört zu den Aufgaben der Mitgliedsversammlung der Beschluss über den Gesamtabschlussplan. Eine Regelung über die Stimmengewichtung enthält die Satzung nicht.
Am 10. März 2015 reichte die Antragstellerin beim Antragsgegner den Abschussplan für Hochwild G. für den Zeitraum vom 1. 4. 2015 bis zum 31.3.2016 ein, der einen Gesamtabschuss von 95 Stück Rotwild und 6 Stück Damwild vorsah. Im Vordruck für den Abschussplan trug sie weder das Abschussergebnis der letzten fünf Jagdjahre noch den Frühjahrswildbestand oder den Zuwachs des am 1. April 2015 vorhandenen weiblichen Wildes ein.
Mit Bescheid vom 30. März 2015 bestätigte der Antragsgegner den Abschussplan für Damwild und setzte für Rotwild nur 70 statt 95 Stück fest, und zwar bei den männlichen Tieren in der Jugendklasse III 12 statt 18 Stück, und bei Jungwild (Hirschkälber) 18 statt 22 Stück sowie bei den weiblichen Tieren der mittleren und oberen Altersklasse 12 statt 15 Stück, der Jugendklasse (Schmaltiere) 9 statt 13 Stück und beim Jungwild (Wildkälber) 14 statt 22 Stück.
In ihrer Jahreshauptversammlung am 9. April 2015 beschloss die Antragstellerin, gegen den Bescheid „Widerspruch“ einzulegen.
Am 24. April hat die Antragstellerin eine Klage erhoben (6 A 147/15), über die noch nicht entschieden ist, und sich zugleich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an das Gericht gewandt.
Sie trägt vor: Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, dass der Jagdbeirat sein Einvernehmen im Beschlusswege erteilt habe. Der Antragsgegner sei nicht berechtigt, noch eine interne Aufgliederung der Altersklassen vorzunehmen. In ihrem Bezirk würden seit Jahren die Abschusszahlen insbesondere der bis zu 3 jährigen Hirsche zu 100 % und mehr erfüllt, hingegen bei den Hirschkälbern und dem weiblichen Rotwild nur zu durch- schnittlich 50 %. Daran habe sich der Antragsgegner nicht orientiert.
Der Truppenübungsplatz sei das Kerngebiet des Rotwildeinstandes, insbesondere des weiblichen Rotwildes, während es sich bei ihrem Gebiet z.T. um reine Hirschreviere handele, in denen als ständiges Wechselwild Hirsche der Alterklasse III durchzögen. Diese gebotene revierbezogene Betrachtungsweise finde sich im Bescheid nicht wieder; statt dessen werde freigegeben, was gar nicht vorhanden sei, nämlich weibliches Rotwild. Aktuell komme es zur Bildung großer Rudel von männlichen Hirschen, wie auf den vorgelegten Lichtbildern dokumentiert. Dies sei u.a. Folge der Rückkehr des Wolfes. Derartige Rudel führten zu erheblichen Schäden. Sie sei wegen der zu befürchtenden Wildschäden und ihrer Hegeverpflichtung auf eine zeitnahe Entscheidung angewiesen.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
Er trägt u.a. vor, er habe in der Sitzung am 12. März 2015 im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat über den Abschussplan der Antragstellerin entschieden. Die Aufstellung des Abschussplanes obliege zunächst der Antragstellerin als Hegegemeinschaft, die aber selbst die Abschussergebnisse der letzten 5 Jahre nicht berücksichtigt habe. Danach habe sie jeweils nur maximal 74,5 % der freigegebenen Hirsche tatsächlich erlegt und sei nie in der Lage gewesen, mehr als 70 Stück Rotwild zu erlegen. Es gebe keinerlei Hinweise dafür, dass sie nunmehr in der Lage sein sollte, diese Zahl zu übertreffen. Auf ihrem Antragsvorblatt habe sie auch keinerlei Angaben zu Wildschäden gemacht. Er bestreite, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sei, ihren Abschussplan zu erfüllen. Die vorgelegten Fotos hätten keinerlei Beweiskraft. Vielmehr sei es so, dass auch weibliches Rotwild in noch größeren Rudeln durch den Landkreis ziehe und das männliche Rotwild diesem in der Brunftzeit folge. Wenn der Vortrag der Antragstellerin stimmen würde, müsste auch das männliche Rotwild auf den Truppenübungsplatz ziehen. Die angezeigten Abschüsse zeigten aber, dass es sowohl männliches als auch weibliches Rotwild im Bezirk der Antragstellerin gebe.
Nach übereinstimmender Ansicht des Jagdbeirates gebe es derzeit im Landkreis Celle ein Übergewicht von weiblichem Rotwild, da wegen der Trophäen überwiegend männliche Hirsche geschossen würden. Er habe im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat daher beschlossen, ab sofort bei den Abschussplänen strengere Maßstäbe anzulegen und die gesetzlichen Vorgaben konsequent umzusetzen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Das Begehren, eine vorläufige Genehmigung eines eingereichten Abschussplanes zu erhalten, ist nach § 123 VwGO, gerichtet auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, statthaft (vgl. dazu Welp in Schuck, Bundesjagdgesetz, 2010, § 21 Rn. 16; Lorz u.a., Jagdrecht, 4. Aufl. § 12 BJagdG Rn. 14).
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen notwendig erscheint. Voraussetzung dafür ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Entsprechend dem Zweck des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO können Verwaltungsgerichte grundsätzlich nur vorläufige Anordnungen treffen. Sie dürfen einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang - wenn auch zeitlich befristet - eine Rechtsposition einräumen, die er nur im Klageverfahren erreichen kann. Im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht uneingeschränkt. Es greift nicht ein, wenn die beantragte faktische Vorwegnahme schlechterdings notwendig ist, um unzumutbare Nachteile abzuwenden, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnten, und wenn zugleich ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht. Eine entsprechende gerichtliche Anordnung ergeht somit nur dann, wenn diese erhöhten Anforderungen sowohl an den Anordnungsgrund als auch an den Anordnungsanspruch erfüllt sind (Hess. VGH, Urteil v. 9.12.2009 – 7 B 2937/09; Beschlüsse vom 24.10.2007 - 7 TG 2131/07 - NVwZ-RR 2008, 537 [VG Aachen 19.03.2008 - 6 K 1511/07] und vom 05.08.2009 - 7 B 2059/09 - zit. n. juris; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 Rdnr. 14).
Mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr für das Jagdjahr 2015/2016 weiteres Rotwild entsprechend ihres Abschussplanes zum Abschuss freizugeben, beansprucht die Antragstellerin keine vorläufige Maßnahme, sondern eine endgültige Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. OVG NRW, Beschluss v. 5.12.2013 – 16 B 1024/13 – in juris) Dürfte die Antragstellerin bis zum Ende des laufenden Jagdjahres (31. März 2016) weiteres Rotwild erlegen, würde sich der in der Hauptsache geführte Streit um die Bestätigung des von ihr vorgelegten Abschussplans insoweit aller Voraussicht nach bereits erledigen. Einem solchen die Hauptsache endgültig vorwegnehmenden Antrag ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn dem Antragsteller anderenfalls schwere und unzumutbare, später nicht mehr zu beseitigende Nachteile entstünden, wobei dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie den jeweils betroffenen Grundrechten Rechnung zu tragen ist (Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 -, juris, Rdnr. 33 f. (= BVerfGE 46, 166), und vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, juris, Rdnr. 17 (= BVerfGE 79, 69); BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2011 - 7 VR 6.11 -, juris, Rdnr. 6, mit weiteren Nachweisen).
Dass der Antragstellerin bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache derartige Nachteile drohen, ist nicht dargelegt. Zwar hat sie vorgetragen, dass sie im Hinblick auf ihre Hegeverpflichtung und ihre Verpflichtung zur Erhaltung eines artgerechten Wildbestandes und einer tragbaren Wilddichte wie auch zur Vermeidung von Verbiss- und Schälschäden sowie Wildschäden auf eine zeitnahe Entscheidung in der Sache angewiesen sei; zu befürchten seien negative Folgen in der Forst- und Landwirtschaft wie auch erhebliche finanzielle Einbußen bei den Jagdausübungsberechtigten aufgrund von jagdvertraglichen Wildschadenstragungspflichten. Diese zweifellos zu erwartenden Nachteile sind für die Antragstellerin aber nicht schlechthin unzumutbar (vgl. zum Maßstab Schuck, Bundesjagdgesetz, 2010, § 21 Rn. 16), zumal sie selbst gegenüber dem Antragsgegner wie auch gegenüber dem Verwaltungsgericht keinerlei Angaben über bisher tatsächlich eingetretene und konkret zu erwartende Wildschäden gemacht hat und auch offen ist, inwieweit solche Schäden tatsächlich auf die abweichende Festsetzung der Abschusszahlen zurück zu führen wären. Immerhin ist insoweit auch zu berücksichtigen, dass sie in der Vergangenheit die festgesetzten Abschusszahlen weit unterschritten hat.
Ferner hat die Antragstellerin auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Dazu müsste sie darlegen, dass ihr ein Anspruch auf Festsetzung gerade des von ihr eingereichten Abschussplanes zusteht. Vorliegend sind die erhöhten Anforderungen jedenfalls an die Darlegung und Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsanspruchs nicht erfüllt.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Abschussplanes ist § 21 Abs. 2 Satz 1 Bundesjagdgesetz (BJagdG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBl. I 1976, 2849), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I 2011, 2557) i.V.m. § 25 Landesjagdgesetz Niedersachsen (NJagdG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 2001 (Nds. GVBL.S. 100), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Oktober 2011 (Nds. GVBL. S. 353). Gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG darf u.a. Schalenwild - wozu gemäß § 2 Abs. 3 BJagdG auch Rotwild gehört - nur aufgrund und im Rahmen eines Abschussplans erlegt werden, der von der zuständigen Behörde im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat (§ 37 BJagdG) zu bestätigen oder festzusetzen ist. Diese bundesrechtliche Abschussplanregelung wird durch § 25 NJagdG ergänzt.
Gemäß § 25 Abs. 4 NJagdGentscheidet die Jagdbehörde über den Abschussplan im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat. Beim Aufstellen der Abschusspläne sind die Abschussergebnisse der letzten fünf Jagdjahre und die Verbiss- und Schälschadenssituation im Jagdbezirk zu berücksichtigen (§ 25 Abs. 1 S. 2 NJagdG). Sowohl für Schlussfolgerungen über zu erwartende Wildschäden als auch Wildartenzusammensetzungen ist die Wildbestandsermittlung erforderlich. Die Abschussplanung setzt voraus, dass der Jagdausübungsberechtigte möglichst genau den Frühjahrs-Wildbestand ermittelt. Da exakte Zählungen nicht möglich sind, nennen die Hegerichtlinien für die „annähernde Erfassung“ neben einer während eines ganzen Jahres durchzuführenden Beobachtung des Wildbestandes als Weiser u.a.
- wiederholte Erfassung nach Neuschnee – in winterlichen Notzeiten auch an Fütterungen,
- Zustand der Verjüngung der vorkommenden Baumarten,
- körperliche und gesundheitliche Verfassung des Schalenwildes,
- Vergleich der jährlichen Abschussergebnisse mit dem Abschuss-Soll,
- Bestandsermittlungen und
- Zuwachsberechnungen anhand von Zahlenreihen über einen längeren Zeitraum,
- Auswertung von Stangenschauen, soweit diese regional üblich sind,
- statistische Auswertung der Abschussergebnisse (vgl. Möller, Umweltrecht, Band V Jagdrecht, 5. Aufl. 2013, § 21 BJagdG Rn. 56.4.6).
Die Antragstellerin hat in dem von ihr dem Antragsgegner vorgelegten Abschussplan weder die Abschussergebnisse der letzten 5 Jagdjahre noch den Frühjahrswildbestand am 1. April 2015 noch den Zuwachs des am 1. April 2015 vorhandenen weiblichen Wildes eingetragen, sondern es diesem überlassen, das Formular zu vervollständigen. Auch der Antragsgegner vermochte nur die Abschusszahlen nachzutragen, während Erkenntnisse über den tatsächlichen Frühjahrswildbestand und über den Zuwachs von keiner Seite vorgetragen worden sind. Auch über die Verbiss- und Schälschadenssituation ist nichts bekannt. Nach der Kommentierung (vgl. Möller, a.a.O.) muss die Verbiss- und Schälschadenssituation nicht stets, aber bei Bedarf in einem forstlichen Gutachten dokumentiert werden. Um einen Anspruch auf eine konkrete Abschusszahl glaubhaft zu machen, müsste die Antragstellerin zu diesen Punkten zumindest konkrete Umstände vortragen; ob dem Gericht dann ohne Sachverständigengutachten eine derartige Entscheidung möglich wäre, mag hier dahingestellt bleiben. Bei dem derzeitigen Erkenntnisstand vermag das Gericht einen Anspruch auf die im Haupt- und Hilfsantrag genannten Abschusszahlen nicht festzustellen. Vielmehr bleibt es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Antragstellerin gerade diesen Abschussplan beschlossen und welche Erwägungen sie dabei angestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.