Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.09.1999, Az.: Ss 308/99 (I 127)
Grundsätze der Beweiswürdigung im Falle Aussage gegen Aussage
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 21.09.1999
- Aktenzeichen
- Ss 308/99 (I 127)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 31387
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0921.SS308.99I127.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 17.05.1999
Rechtsgrundlagen
- § 222 StGB
- § 229 StGB
Fundstelle
- DAR 2000, 86 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Fahrlässige Tötung u.a.
In dem Strafverfahren
...
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 17. Mai 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 8. Juli 1998 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 65,-- DM verurteilt.
Nach den Festellungen des Amtsgerichts befuhr der Angeklagte am 13. Mai 1997 mit seinem PKW die vorfahrtberechtigte Düstruper Straße in Osnabrück. Vor ihm fuhr am rechten Straßenrand der Zeuge K. mit seinem Fahrrad in die gleiche Richtung. An der Unfallstelle münden, aus der Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen, von links die Sandforter Straße und von rechts die Straße Am Gut Sandfort in die sich geradeaus fortsetzende Düstruper Straße ein. Die Vorfahrtstraße wird dort in einem Linksbogen als abknickende Vorfahrtsstraße in die Sandforter Straße weitergeführt. Der Angeklagte befuhr geradeaus weiter die Düstruper Straße. In der Kurve kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Radfahrer K., der der abknickenden Vorfahrt nach links folgte. Der Angeklagte verlor dabei die Gewalt über sein Fahrzeug und erfaßte die am Straßenrand stehende Rentnerin H., die kurze Zeit später an den Unfallfolgen verstarb.
Das Amtsgericht hatte seinerzeit die Einlassung des Angeklagten als wahr unterstellt, der Radfahrer K. habe seine Absicht, der abknickenden Vorfahrt zu folgen, nicht angezeigt, jedoch die Ansicht vertreten, der Angeklagte habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß auch der Radfahrer K. geradeaus weiterfahren werde, sondern habe mit dessen verkehrswidrigen Verhalten rechnen und sich darauf einstellen müssen.
Letzterer Auffassung ist der Senat durch Beschluß vom 14. Januar 1999 (Ss 506/98) entgegengetreten, hat das Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen, weil nicht auszuschließen sei, daß in der erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen, insbesondere zur Frage, ob der Radfahrer K. seine Fahrtrichtungsänderung durch Handzeichen angekündigt habe, getroffen werden könnten.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung erneut zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 65,-- DM verurteilt.
Die Einlassung des Angeklagten, er habe bei der Annäherung den Radfahrer beobachtet, ein Handzeichen aber nicht gesehen und deshalb angenommen, auch dieser wolle geradeaus fahren, könne ihn nicht entlasten. Der Zeuge K. habe bekundet, er habe sich in Höhe des Transformatorenhäuschens nach dem PKW des Angeklagten umgeguckt und gleichzeitig mit der Kopfbewegung die linke Hand vom Lenker genommen, den Arm nach links in gleichmäßiger Bewegung lang ausgestreckt und den Arm an den Lenker zurückgeführt. Da der Angeklagte selbst ausgesagt habe, er habe auf den Radfahrer geachtet, hätte er dieses Zeichen auf jeden Fall sehen können und müssen. Die Aussage des Zeugen sei auch glaubhaft. Es handele sich um einen 29-jährigen Studenten, der nach seinen Angaben auch Autofahrer sei und wisse, wie er sich bei abknickender Vorfahrt verhalten müsse.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist begründet.
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das vom Amtsgericht angeführte Argument, der Zeuge K. habe gewußt, wie er sich bei abknickender Vorfahrt verhalten müsse, gibt nichts dafür her, ob er sich auch entsprechend verhalten hat. Gleiches gilt, soweit das Amtsgericht ausführt, die Vernehmung der übrigen Zeugen habe nicht ergeben, daß die Aussage des Zeugen K. unrichtig sei. Dies mag sein. Anhaltspunkte für die Richtigkeit sind ihnen aber ebensowenig zu entnehmen.
Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Das Amtsgericht ist zu einer Verantwortlichkeit des Angeklagten und damit zu seiner Verurteilung allein aufgrund der Aussage des Zeugen K. gelangt. In solchen Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen der sich widerstreitenden Angaben das Gericht Glauben schenkt, muß der Tatrichter alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände im Urteil darlegen und würdigen (BGH StV 1992, 97; 1995, 115). Hieran fehlt es. Das Amtsgericht hat es fehlerhaft unterlassen, den Umstand zu würdigen, daß für den Fall, daß die Darstellung des Angeklagten, der Zeuge K. habe kein Handzeichen gegeben, zutreffend sein sollte, nicht der Angeklagte, sondern allein der Zeuge für den tödlichen Unfall verantwortlich wäre und sich nicht nur strafrechtlicher Verfolgung, sondern auch erheblichen zivilrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sähe. Hierin könnte ein starkes Motiv für eine Falschaussage liegen. Das Amtsgericht hätte sich hiermit auseinandersetzen und begründen müssen, warum es der Aussage des Zeugen gleichwohl gefolgt ist.
Da nicht auszuschließen ist, daß das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht, war es aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Für die erneute Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten ist allgemeinkundig, daß es für einen halbwegs geübten Radfahrer sehr wohl möglich ist, sich kurz nach hinten umzusehen und dabei ein Handzeichen zu geben, ohne zu stürzen.
Falls das Amtsgericht es als bewiesen ansehen sollte, daß der Radfahrer K. ein Handzeichen gegeben hat, so würde der dem Angeklagten zu machende Schuldvorwurf nicht dadurch entfallen, daß das Handzeichen 30 - 50 Meter vor der Kurve gegeben worden ist. Selbst wenn man dies als verfrüht ansehen wollte, durfte sich der Angeklagte nicht darauf verlassen, der Radfahrer habe seine Abbiegeabsicht anschließend wieder aufgegeben (OLG Karlsruhe VRS 46, 217).
Schließlich wird das Amtsgericht bei einer erneuten Verurteilung die Anknüpfungstatsachen für die Bemessung des Tagessatzes anzugeben haben.