Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.04.2010, Az.: 1 Ws 143/10

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.04.2010
Aktenzeichen
1 Ws 143/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 14435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0414.1WS143.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 02.02.2010 - AZ: 17 StVK 687/09

Amtlicher Leitsatz

Die Versagung der Anstalt, den Verteidiger des Gefangenen an der Vollzugsplankonferenz teilnehmen zu lassen, stellt regelmäßig keine nach § 109 StVollzG anfechtbare Maßnahme dar.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz in Lingen vom 2. Februar 2010 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen (§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG).

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 300 € festgesetzt (§§ 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3, 65 GKG).

Gründe

1

I. Der Beschwerdeführer beantragte bei der Antragsgegnerin die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Vollzugsplankonferenz. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit förmlichem Bescheid unter dem 10. November 2009 ab. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hiergegen lehnte die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet ab. § 9 NJVollzG sehe kein Beteiligungsrecht des Antragstellers und damit auch kein Beteiligungsrecht eines seine Interessen vertretenden Rechtsanwaltes vor. Nur im Einzelfall könne es geboten sein, diesem die Beteiligung an der Vollzugsplankonferenz zu gestatten. Dass vorliegend der Anstaltsleiter der Antragsgegnerin davon abgesehen habe, lasse Ermessensfehler nicht erkennen.

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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

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II. Die Rechtsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 StVollzG).

4

1. Die Frage, ob der Rechtsanwalt eines Gefangenen an einer Vollzugsplankonferenz beteiligt werden muss, ist obergerichtlich geklärt. Nach § 9 Abs. 4 NJVollzG der sich an der Regelung des § 159 StVollzG orientiert (vgl. LTDrs. Nds. 15/3565, S. 92) - werden Vollzugsplankonferenzen mit den ´an der Vollzugsgestaltung maßgeblich Beteiligten´ durchgeführt. Die Beteiligung eines Gefangenen an der Konferenz ist vom Gesetz nicht vorgesehen (Schwind/Böhm/Jehle, Strafvollzugsgesetz, § 159 Rn. 7). Sein gesetzliches Beteiligungsrecht beschränkt sich gemäß § 9 Abs. 5 NJVollzG darauf, dass die Planung mit ihm erörtert wird. Wenn aber schon nach der Struktur des Strafvollzugsgesetzes ein Gefangener kein subjektives Recht auf Teilnahme an der Vollzugsplankonferenz hat, so scheidet auch ein Anspruch auf Beteiligung seines anwaltlichen Vertreters an der Konferenz aus. Das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet dem Verurteilten nicht schlechthin ein allgemeines Recht auf Rechtsbeistand (vgl. BVerfG NStZRR 2002, 25. KG ZfStrVo 2007, 280. OLG Stuttgart, NStZ 2001, 392 [OLG Stuttgart 29.01.2001 - 4 Ws 15/01]). Eine Hinzuziehung eines Verteidigers kann lediglich in besonders gelagerten Einzelfällen sinnvoll sein. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters. Diese Grundsätze hat die Kammer bei ihrer Entscheidung beachtet. Sie lässt auch insoweit keine Rechtsfehler erkennen.

5

2. Indessen gibt Anlass zu weiteren Ausführungen, dass sowohl Antragsgegnerin als auch die Kammer allgemein von der Eröffnung des Rechtswegs nach § 109 StVollzG gegen die Versagung der Teilnahme des Rechtsanwalts an der Vollzugsplankonferenz auszugehen scheinen.

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a) Die Voraussetzungen des § 109 StVollzG liegen in einem solchen Fall grundsätzlich nicht vor. § 109 StVollzG eröffnet dem Strafgefangenen die Möglichkeit, gegen Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs eine gerichtliche Entscheidung zu erlangen. Der Begriff der Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Sinne des § 109 StVollzG ist im Lichte der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Justizvollzugsanstalt eine regelnde Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG darstellt, kommt es darauf an, ob die Möglichkeit besteht, dass dieses Handeln oder Unterlassen Rechte des Gefangenen verletzt (vgl. BVerfG, StraFo 2006, 429 [BVerfG 03.07.2006 - 2 BvR 1383/03]). Voraussetzung für eine Maßnahme i.S.d. § 109 StVollzG ist demnach, dass ein behördliches (hoheitliches) Handeln zur Regelung eines Einzelfalls vorliegt, das unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet. Durch die erstrebte bzw. angefochtene Maßnahme muss eine Regelung getroffen werden bzw. worden sein. Erforderlich ist eine - zumindest auch - rechtliche Gestaltung von Lebensverhältnissen. Fehlt es an einer solchen rechtlichen Einwirkung, scheidet der Rechtsweg nach §§ 109 ff. StVollzG aus. Rechtswirkung können einzelne Maßnahmen haben, die in Ausführung des Vollzugsplans getroffen werden sowie benachteiligende Einzelregelungen des Vollzugsplans. Zudem ist der Vollzugsplan als ganzes angreifbar, soweit ein rechtsfehlerhaftes Vorgehen beanstandet wird. Denn die Festlegungen des Vollzugsplans sind bei der Entscheidung über konkrete Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen und haben damit erhebliche Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen (Callies/MüllerDietz, § 109 Rn. 11 f.. Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 335). Der Begriff der Maßnahme i.S.d. § 109 StVollzG knüpft insoweit an die Definition des Verwaltungsaktes in § 35 VwVfG an, auch wenn er insgesamt weit zu interpretieren ist (Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 767).

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Dagegen ist die Durchführung und Gestaltung der Vollzugsplankonferenz nach § 9 NJVollzG eine rein innerorganisatorische Maßnahme zum Zwecke der Vorbereitung der im Vollzugsplan zu regelnden Entscheidungen, denn sie bildet den Rahmen für die zur Erstellung und periodischen Fortschreibung des Vollzugsplans erforderliche umfassende Sammlung von Informationen über den Gefangenen und die Diskussion der auf dieser Grundlage einzuleitenden Behandlungsschritte (vgl. BVerfG, StraFo 2006, 512 [BVerfG 25.09.2006 - 2 BvR 2132/05]). Dieser behördeninterne Beratungsvorgang stellt noch keinen Vollzugsverwaltungsakt dar, denn erst dessen Umsetzung entfaltet Außenwirkung gegenüber dem Gefangenen. Soweit ein rechtsfehlerhaftes Vorgehen beanstandet wird, hat der Gefangene die Möglichkeit, den Vollzugsplan im Verfahren nach § 109 StVollzG auf die Rechtsfehlerfreiheit des Aufstellungsverfahrens sowie das inhaltliche Gestaltungsermessen in seiner Gesamtheit einer Kontrolle zu unterziehen (OLG Celle, NStZ 1999, 444. NStZ 1998, 397). Hierbei bleibt es ihm unbenommen, sich zur Durchsetzung seiner Rechte eines anwaltlichen Vertreters zu bedienen. Damit ist nicht nur der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gebot des fairen Verfahrens Genüge getan (vgl. BVerfG, NStZ 1993, 301 [BVerfG 16.02.1993 - 2 BvR 594/92]. NStZRR 2002, 25).

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b) Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Teilnahme eines Rechtsanwaltes an der Vollzugsplankonferenz sind daher regelmäßig als unzulässig zurückzuweisen. Gleichwohl war vorliegend ausnahmsweise der Rechtsweg nach § 109 StVollzG eröffnet. Denn die Antragsgegnerin hat ihre Ablehnung per Bescheid erlassen, der auch eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. In Anlehnung an die Beurteilung der Verwaltungsaktsqualität einer behördlichen Maßnahme im verwaltungsrechtlichen Verfahren ist in erster Linie darauf abzustellen, ob für den Adressaten aus dem Akt selbst oder aus den Umständen des Erlasses objektiv erkennbar ist, dass eine einseitige und konkrete, verbindliche, der Rechtsbeständigkeit fähige Regelung kraft hoheitlicher Gewalt gewollt ist (vgl. Kopp/Ramsauer, § 35 VwVfG, Rn. 17). Dabei ist der objektive Empfängerhorizont nach §§ 157, 133 BGB analog maßgeblich (vgl. BVerwGE 48, 281 [BVerwG 09.06.1975 - BVerwG VI C 163.73]). Schon der äußeren Form nach erging die ablehnende Entscheidung erkennbar als hoheitliches Handeln zur Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung, mithin als Vollzugsverwaltungsakt. Dadurch war dem Antragsteller der Rechtsweg nach §§ 109 ff. StVollzG eröffnet. Eine Verwerfung der Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits unzulässig war, konnte daher nicht ergehen. Insoweit war auch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Stuttgart (aaO.), die von einer allgemeinen Anfechtbarkeit der Versagung der Teilnahme auszugehen scheint, von vorn herein nicht veranlasst.