Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.05.1992, Az.: 3 Ss 187/91

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer strafrechtlichen Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr; Voraussetzungen der beweisrechtlichen Verwertbarkeit einer ohne vorherige Belehrung abgegebene Erklärung eines Angeklagten gegenüber einem Polizeibeamten; Voraussetzungen des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots wegen Verletzung der Hinweispflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.05.1992
Aktenzeichen
3 Ss 187/91
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1992, 22201
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1992:0518.3SS187.91.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Hannover - 03.04.1991 - AZ: 711 Js 22867/90

Fundstellen

  • MDR 1992, 796-797 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1993, 545-546 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1992, 510-511 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 1992, 412

Verfahrensgegenstand

Trunkenheit im Verkehr

Strafsache
...
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Angeklagten gegen
das Urteil der 4. großen Strafkammer - Jugendkammer 2 - des Landgerichts Hannover vom 3. April 1991
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Celle am 18. Mai 1992
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten freigesprochen. Das Landgericht hat den Angeklagten auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr mit fünf Wochenendhilfsdiensten belegt und Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB ergriffen.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts erschien der strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretene heranwachsende Angeklagte am Freitag, dem 13. April 1991 um etwa 6.05 Uhr auf der Polizeiwache in Burgwedel, um eine Anzeige wegen Pkw-Aufbruchs zu erstatten. Er war mit seinem Pkw vor das Polizeirevier gefahren, hatte seinen Wagen dort abgestellt, war auf der Fahrerseite ausgestiegen und in Richtung Polizeiwache gegangen. Dies hatte die zum Dienst fahrende Polizeibeamtin F. wahrgenommen, die eine weitere Person im Fahrzeug des Angeklagten nicht bemerkt hatte. Während die Polizeibeamtin F. ihren Pkw hinter dem Gebäude abstellte, trug der Angeklagte auf der Wache sein Anliegen einem Polizeibeamten vor, der ihn an seinen Kollegen G. verwies. Dieser nahm den Angeklagten in einen Nebenraum mit. Dort fiel ihm eine Alkoholfahne des Angeklagten auf. Der Polizeibeamte G., dem der Verdacht einer Straftat des Angeklagten gekommen war, fragte diesen, ohne ihn zuvor als Beschuldigten belehrt zu haben, wie er zur Wache gekommen sei. Der Angeklagte erwiderte sinngemäß, daß er mit seinem Wagen hergefahren sei. Daraufhin veranlaßte der Polizeibamte G. den Angeklagten zu einem Test am Alcomaten. Während dessen Durchführung erschien die Polizeibeamtin F. auf ihrer Dienststelle und erkannte den Angeklagten als die zuvor im Auto beobachtete Person zweifelsfrei wieder. Eine dem Angeklagten um 6.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,62 g %.

3

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Rache nicht eingelassen. Das Landgericht begründet seine Überzeugung davon, daß der Angeklagte sein Fahrzeug zur Polizeiwache geführt habe, zunächst, mit den Beobachtungen der Zeugin F., die "damals absolut sicher gewesen" sei, daß die Person vor der Wache und die Person am Alcomaten "identisch gewesen seien", wenn sie auch jetzt nicht mehr angeben könne, "woran sie das damals festgemacht habe" (UA S. 5, 2, Abs. Mitte). Das Landgericht führt dann weiter aus (UA a.a.O.): "Der damalige Eindruck der Zeugin F. war richtig und wird bestätigt durch die von dem Zeugen G. glaubhaft bekundete Erklärung des Angeklagten, er sei mit seinem Pkw zum Revier gefahren". Gegen eine Verwertung der Erklärung des Angeklagten hatte das Landgericht unter Berufung auf die langjährige einschlägige Rechtsprechung des BGH keine Bedenken.

4

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der entsprechenden Verfahrensrüge; außerdem ist das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge angefochten. Das Rechtsmittel hat mit der zulässig ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.

5

Die ohne vorherige Belehrung abgegebene Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Polizeibeamten G. war für die Beweiswürdigung nicht verwertbar. Denn der Verstoß eines Polizeibeamten gegen die Hinweispflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO begründet ein Beweisverwertungsverbot, auf das sich die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision grundsätzlich berufen kann, es sei denn, der Angeklagte hat sein Recht zu schweigen ohne Belehrung gekannt oder der verteidigte Angeklagte hat in der Hauptverhandlung einer Verwertung ausdrücklich zugestimmt oder ihr bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen (vgl. - in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung - Beschluß des BGH vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91 - m.w.N.).

6

Dafür daß der Angeklagte sein Schweigerecht gekannt haben könnte, geben die Feststellungen nichts her.

7

Zweifelhaft könnte allerdings sein, ob der anwaltlich vertretene Angeklagte in der Hauptverhandlung einer Verwertung seiner gegenüber dem Polizeibeamten G. abgegebenen Erklärung widersprochen hat. Denn dem Hauptverhandlungsprotokoll läßt sich - wie nicht anders zu erwarten - ein derartiger Widerspruch nicht entnehmen. Dadurch könnte die Unverwertbarkeit der Erklärung des Angeklagten in Frage gestellt sein. Indes hegt der Senat erhebliche Bedenken, ob die neue Rechtssprechung hinsichtlich der Einschränkung des prinzipiellen Verwertungsverbots auch auf "Altfälle", d.h. vor der o.g. BGH-Entscheidung durchgeführte Hauptverhandlungen und Revisionsbegründungen anwendbar ist. Denn angesichts langjähriger gefestigter Rechtsprechung käme eine Anwendung auf Altfälle dem Verlangen von Unmöglichem nahe und müßten sich Verteidiger, um sich auch nicht des schwächsten Schimmers einer Verteidigungsmöglichkeit zu begeben, in Zukunft geradezu provoziert sehen, die Durchführung der Beweisaufnahme mit der Behauptung der unsinnigsten Verwertungsverbote zu verzögern. Gegen eine Anwendung auf Altfälle spricht im übrigen auch die Begründung, mit der der BGH das Verwertungsverbot bei anwaltlich vertretenen Angeklagten eingeschränkt hat, nämlich die besondere Verantwortung des Verteidigers und seine Fähigkeit, Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient (BGH-BA S. 17. 1. Abs. a.E.).

8

Jedoch braucht diese Frage hier nicht abschließend geklärt, zu werden. Denn das Landgericht hat sich ausweislich der Urteilsgründe äußerst umfänglich mit der Frage eines möglichen Verwertungsverbots der Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Polizeibeamten G. auseinandergesetzt. Angesichts der langjährigen gefestigten Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage wäre hierfür kein Anlaß gewesen, wenn die Verteidigung sich in der Hauptverhandlung nicht dezidiert gegen eine Verwertung ausgesprochen hätte. Indiz dafür ist auch der Umstand, daß der Verteidiger ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls schon vor dem Amtsgericht auf die nicht erfolgte Belehrung des Angeklagten durch den Zeugen G. hingewiesen hatte. Mithin ist davon auszugehen, daß der Angeklagte einer Verwertung seiner Erklärung vor dem Landgericht widersprochen hat.

9

Daß das Landgericht auch ohne die Bekundung des Zeugen G. die Überzeugung gewonnen hätte, daß der Angeklagte sein Fahrzeug geführt, hat, kann nicht ganz sicher angenommen werden. Es spricht zwar viel für diese Annahme. Aber angesichts der umfänglichen Erörterungen zur Frage der Verwertbarkeit der Erklärung des Angeklagten sind letzte Zweifel nicht auszuräumen, daß es der Strafkammer auf die Aussage des Zeugen G. wesentlich ankam.