Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.08.1992, Az.: 1 Ss 2/91
Sprungrevision gegen einer Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr ; Verstoß eines Polizeibeamten gegen die Belehrungspflicht; Unzulässigkeit der Verwertung einer polizeilichen Aussage; Vorbringen von Verfahrensrügen im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozess
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.08.1992
- Aktenzeichen
- 1 Ss 2/91
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 10497
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1992:0811.1SS2.91.0A
Rechtsgrundlagen
- § 316 StGB
- § 163a StPO
- § 136 Abs. 1 StPO
- § 257 StPO
- § 121 Abs. 2 GVG
- § 45 Abs. 1 S. 1 StPO
- § 473 Abs. 7 StPO
Fundstelle
- NZV 1993, 42-44 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Trunkenheit in Verkehr
Prozessgegner
Auszubildender ..., geboren am ... in ..., wohnhaft ...
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Möglichkeit, Verfahrensrügen im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachträglich vorzubringen, ist nur in sehr engen Grenzen möglich. Zulässig sind sie aber dort, wo die Ablehnung der Wiedereinsetzung zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung des dem Beschwerdeführer zustehenden rechtlichen Gehörs führen würde.
- 2.
Hinsichtlich der Wochenfrist, die gem. § 45 Abs. 1 S. 1 StPO nach dem Wegfall des Hindernisses beginnt, ist für den Wiedereinsetzungsgrund stets auf den Angeklagten abzustellen, nicht auf seinen Verteidiger.
- 3.
Unterläßt es ein Verteidiger im Strafverfahren, der Einführung der ohne Belehrung zustandegekommenen Beschuldigtenaussage in den Prozess zu widersprechen, so ist es illoyal, wenn er später diesen Mangel noch geltend machen will.
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Strafrichters in ... vom 12. Oktober 1990 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Celle am 11. August 1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... gem. § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Tenor:
- 1.)
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer formgerechten Verfahrensrüge gewährt.
- 2.)
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten, der Revision - an einen anderen Strafrichter in ... zurückverwiesen.
Gründe
Der Angeklagte ist vom Strafrichter in ... wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1, 2 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 63,- DM verurteilt worden. Dagegen hatte der Angeklagte Sprungrevision eingelegt. Mit der Revision hatte der Angeklagte zunächst sowohl die Sachrüge als auch Verfahrensrügen erhoben, sich in der ersten Revisionshauptverhandlung vom 26. März 1991 aber auf die Rüge der Verletzung der §§ 136 Abs. 1 S. 2 u. 163 a Abs. A S. 2 StPO beschränkt.
Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte am 13.4.1990 gegen 1.20 Uhr am Steuer seines Kraftfahrzeugs auf der Hauptstraße in ... in Richtung Stadtmitte. In Höhe des Kilometersteins 85,1 kam er von der Fahrbahn ab, und es kam zu einem Unfall, durch den an seinem Auto wirtschaftlicher Totalschaden in Höhe von 15.000,- DM entstand. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt alkoholisiert. Sein Blutalkoholgehalt betrug 1,67 g Promille Zwei Blutproben, die am 13.4.1990 um 2.38 Uhr und 3.03 Uhr entnommen wurden, ergaben Blutalkoholmittelwerte von 1,67 g Promille bzw. 1,54 g Promille.
Daß es der Angeklagte war, der zum Tatzeitpunkt sein Auto fuhr, hat der Strafrichter aufgrund der Aussage des Polizeibeamten ... als erwiesen angesehen. Der Angeklagte selbst hat sich in der Verhandlung zur Sache nicht eingelassen. Der Zeuge ... war von Passanten zum Unfallort gerufen worden, hatte aber dort weder den Angeklagten noch eine andere Person angetroffen, die als Fahrer des beschädigten Fahrzeugs in Frage gekommen wäre. Nur der Führerschein des Angeklagten war im Fahrzeug gefunden worden. Später war der Zeuge ... in Richtung Innenstadt ... gefahren, hatte auf der Hauptstraße eine männliche Person angetroffen, die nach anfänglicher Angabe eines anderen Namens schließlich zugab, die im Führerschein gekennzeichnete Person, also der jetzige Angeklagte, zu sein. Auf weiteres Befragen gab der Angeklagte noch bestimmte weitere Erklärungen zum Vorwurf ab, er habe zum Zeitpunkt des Unfalls sein Fahrzeug geführt, ohne allerdings vom Zeugen ... gem. § 163 a Abs. 4 StPO auf sein Schweigerecht als Beschuldigter hingewiesen worden zu sein. Aus diesen Erklärungen des Angeklagten, die in der Haupt Verhandlung vom Zeugen ... wiedergegeben wurden, sowie aus dem ermittelten Blutalkoholbefund und der anfänglichen falschen Namensangabe hat der Strafrichter die Überzeugung gewonnen, daß der Angeklagte das ihm vorgeworfene Delikt begangen habe.
Der Senat war der Auffassung, daß die Überzeugungsbildung des Strafrichters fehlerhaft erfolgt sei, weil ein Beweisverwertungsverbot mißachtet worden sei. Da der Zeuge ... den Angeklagten bei der damaligen Befragung auf der Straße nicht gem. § 163 a Abs. 4 StPOüber sein Schweigerecht belehrt habe, hätten die so gewonnenen Erkenntnisse vom Strafrichter nicht verwertet werden dürfen. Der Senat beabsichtigte deshalb, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Auffassung des Senats stand jedoch in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Versäumung der Belehrung bisher nicht als Hindernis ansah, die gleichwohl gemachten Angaben des Beschuldigten zu verwerten (BGH 31, 395). Demgemäß hat der Senat dem Bundesgerichtshof gem. § 121 Abs. 2 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Führt der Verstoß eines Polizeibeamten gegen die Belehrungspflicht nach §§ 136 Abs. 1, 163 a Abs. 4 StPO zu einem Verbot, die unter Verletzung dieser Belehrungspflicht zustandegekommene Aussage des Beschuldigten gegen seinen Willen zu verwerten?"
Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsfrage mit Beschluß vom 27.2.1992 wie folgt beantwortet:
"Ist der Vernehmung des Beschuldigten durch einen Beamten der Polizeidienstes nicht der Hinweis vorausgegangen, daß es dem Beschuldigten freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, (§ 136 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 163 a Abs. 4 Satz 2 StGB), so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden (gegen BGHSt 31, 395).
Dies gilt nicht, wenn feststeht, daß der Beschuldigte sein Recht zu schweigen ohne Belehrung gekannt hat, oder wenn der verteidigte Angeklagte in der Hauptverhandlung ausdrücklich der Verwertung zugestimmt öder ihr nicht bis zu dem § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat. Dem verteidigten Angeklagten steht ein Angeklagter gleich, der vom Vorsitzenden über die Möglichkeit des Widerspruchs unterrichtet worden ist."
Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof im Grundsatz die Rechtsmeinung des Senats bestätigt, jedoch Einschränkungen hinzugefügt, u. a. die, daß ein Verwertungshindernis nicht besteht, wenn der verteidigte Angeklagte in der Hauptverhandlung der Verwertung nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat.
Die auf einen Vorlagebeschluß gem. § 121 Abs. 2 GVG ergangene Entscheidung des Bundesgerichthofs bindet das vorlegende Oberlandesgericht und die möglicherweise - im Falle der Zurückverweisung - neu verhandelten Tatsacheninstanzen in diesem Verfahren (vgl. BGH 17, 205, 207 f.; KK-Salger, StPO 2. Aufl., § 121 GVG Rn. 47). Da der Angeklagte mit seiner Verfahrensrüge zwar die Verwertung seiner polizeilichen Aussage gerügt hatte, jedoch nicht geltend gemacht hatte, er oder sein Verteidiger hätten dieser Verwertung - überdies innerhalb des Zeitraums des § 257 StPO - widersprochen, war durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs demgemäß die Zulässigkeit seiner Revision in Frage gestellt.
Der Angeklagte hat mit Schriftsatz vom 23. Juni 1992 den Antrag gestellt, ihm gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge dahingehend, sein Verteidiger habe der Verwertung seiner polizeilichen Aussage widersprochen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Damit verbunden ist der Antrag, die Wiedereinsetzung auch für den Fall auszusprechen, daß die Wiedereinsetzungsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO verstrichen sein sollte.
Die Wiedereinsetzung war dem Angeklagten auf seine Kosten (§§ 473 Abs. 7 StPO)zu gewähren. Zwar ist die Möglichkeit, Verfahrensrügen im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachträglich vorzubringen, in der Rechtsprechung nur in sehr engen Grenzen anerkannt (vgl. BGH 1, 44; 14, 330; 31, 161; BGH NStZ 1981, 110; KK-Pikart, StPO 2. Aufl., § 345 Rn. 26). Zulässig sind sie aber dort, wo die Ablehnung der Wiedereinsetzung zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung des dem Beschwerdeführer zustehenden rechtlichen Gehörs führen würde (KK-Pikart, aaO). So liegt der Fall hier. Zur Zeit, als der Angeklagte durch seinen Verteidiger die ursprüngliche Verfahrensrüge erhob, war das hier in Rede stehende Verwertungsverbot umstritten, wie im Vorlagebeschluß des Senats näher ausgeführt ist. Unter den zahlreichen Stellungnahmen zu dieser Frage befand sich aber keine, die einerseits für grundsätzliche Unverwertbarkeit plädierte, andererseits aber eine Rügepräklusion damit verband, wie sie jetzt der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 27.2.1992 dem ausgesprochenen Grundsatz der Unverwertbarkeit einschränkend hinzufügt. Auch der erkennende Senat hat in seinem Vorlagebeschluß eine derartige Einschränkung nicht in Erwägung gezogen. Unter diesen Umständen erschiene es grob unbillig, dem Angeklagten nunmehr keine Gelegenheit zu geben, sich dahin zu erklären, ob er in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter etwa der Verwertung widersprochen habe.
Der Angeklagte hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig gestellt. Hinsichtlich der Wochenfrist, die gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nach dem Wegfall des Hindernisses beginnt, ist für den Wiedereinsetzungsgrund auf den Angeklagten abzustellen, nicht auf den Verteidiger (Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl., § 45 Rn. 3). Das Hindernis ist die Unkenntnis des Umstands, auf den sich die Fristversäumnis bezieht, im vorliegender. Fall also die normative Lage, daß der Nichtwiderspruch des verteidigten Angeklagten in der Hauptverhandlung die Verwertung der ohne Belehrung zustandegekommenen polizeilicher. Aussage erlaubt. Diese normative Lage ist dem, Angeklagten durch die Zustellung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs von 27.2.1992 am 22.3.1992 zur Kenntnis gebracht worden.
Es ist zweifelhaft, ob für den rechtsunkundigen Angeklagten mit der Kenntnis des Wortlauts des Beschlusses auch schon die Kenntnis vom Umstand verbunden war, auf den sich die Firstversäumnis bezog, also die Kenntnis der sich aus dem Beschluß ergebenden neuen normativen Lage. Jedenfalls trifft den Angeklagten kein Verschulden, wenn er nicht bereits am 23.3.1992 zur der Schlußfolgerung gelangt ist, er müsse, um eine zulässige Verfahrensrüge erheben zu können, nunmehr einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Denn erst am 22.6.1992, nach der Erörterung der aufgetretenen Rechtsfragen in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Senat, hat der Verteidiger den Angeklagten, der in dieser Hauptverhandlung nicht anwesend war, über die rechtliche Relevanz des Wortlauts des Beschlusses des Bundesgerichtshofs informiert, so daß der am 23.6.1992 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls rechtzeitig war. Der Antrag enthielt im übrigen die Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Umstände, soweit sie sich nicht bereits aus den Akten ergeben.
Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Angeklagte nunmehr eine geänderte Verfahrensrüge verbunden. Er rügt weiterhin die Verwertung der ohne Belehrung gem. §§ 163 a Abs. 4; 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zustandegekommenen Aussage und trägt zusätzlich vor, der Verteidiger habe in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter der Verwertung der so zustandegekommenen Aussage widersprochen. Dies zwar nicht in der Frist des § 257 StPO, jedoch sei es im Schlußplädoyer geschehen. Dieser Umstand ist durch anwaltliche Versicherung und durch die dienstliche Erklärung des seinerzeit amtierenden Strafrichters bewiesen.
Die Verfahrensrüge hat Erfolg. Zwar trägt der Angeklagte auch jetzt nicht vor, er habe seinerzeit in der Hauptverhandlung in der Frist gem. § 257 StPO der Verwertung widersprochen.
Hinsichtlich der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 27.2.1992 ist aber nicht allein der Wortlaut dieses Beschlusses, sondern auch dessen Begründung, jedenfalls soweit sie im Wortlaut zum Ausdruck kommt. Der Bundesgerichtshof stützt die Einschränkung des an sich bestehenden Verwertungsverbots bei einem verteidigten Angeklagten auf die Erwägung, daß der Verteidiger in der Hauptverhandlung eine "besondere Verantwortung" trage und die Fähigkeit besitze "Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient" (BA S. 17). In dieser Begründung kreuzen sich die Gedanken des Verzichts und der Verwirkung: Der Gedanke des Verzichts auf den Widerspruch gegen die Verwertung kommt darin zum Ausdruck, daß der Bundesgerichtshof auf die Fähigkeit des Verteidigers hinweist, Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen und ihre Relevanz für eine sinnvolle Verteidigung abzuschätzen. Denn wenn und soweit der Verteidiger - auch in concreto - diese Fähigkeiten besitzt, kann sein Schweigen als bewußter Verzicht auf einen Widerspruch gegen die Verwertung gedeutet werden.
Der Gedanke der Verwirkung eines "Rechts" zum Widerspruch gegen die Verwertung liegt im Hinweis des Bundesgerichtshofs auf die "besondere Verantwortung" des Verteidigers und die ihm gesetzte Frist zum Widerspruch, die in Anlehnung an § 257 StPO festgesetzt wird. Mit diesen Erwägungen wird zum Ausdruck gebracht, daß ein Verwertungsverbot selbst dann nicht bestehen soll, wenn der schweigende Verteidiger - aus welchen Gründen auch immer - gar nicht erkannt hat, daß ein Verwertungsverbot an sich besteht; der Hinweis auf dessen besondere Verantwortung macht klar, daß er im Interesse seines Mandanten die Pflicht hat, an solche Möglichkeiten zu denken, und daß dann, wenn er gegenüber dieser Pflichtanforderung etwa versagt hat, der daraus entstehende Nachteil beim Angeklagten liegen soll. Die vom Bundesgerichtshof für den Widerspruch des Verteidigers gesetzte Frist dient der Verfahrensökonomie und soll u. a. dem Gericht möglichst bald Klarheit darüber verschaffen, welchen Prozeßstoff es zur Grundlage seines Urteils machen darf.
Eine Verknüpfung mit dem Gedanken der Verwirkung ist damit deshalb gegeben, weil der Begriff der Verwirkung üblicherweise als "illoyale Verspätung" wiedergegeben wird (vgl. etwa Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, S. 1 ff., 25 ff,; Menzel, Grundfragen der Verwirkung, 1987, S. 6). In bestimmtem Umfang wird er von Rechtsprechung und Literatur auch im Bereich des Strafprozeßrechts herangezogen (grundlegend W. Schmid. Die "Verwirkung" von Verfahrensrügen im Strafprozeß, 1967, passim, mit zahlr. Nachweisen); die vom Bundesgerichtshof zitierte Entscheidung BGH 9, 24 (und auch die Entscheidung BGH 24, 143, 148) verwendet ihn beispielsweise in diesem Sinne. Unterläßt es ein Verteidiger im Strafverfahren, der Einführung der ohne Belehrung zustandegekommenen Beschlußgenaussage in den Prozeß zu widersprechen, so scheint es "illoyal", wenn er später - etwa mit der Revision - den Mangel noch geltend machen will; nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist der Tatbestand "illoyaler Verspätung" schon dann gegeben, wenn der Verteidiger den in § 257 StPO genannten Zeitpunkt überschritten hat.
Dieser gedankliche Hintergrund führt nach Auffassung des Senats zu der Folgerung, daß die Bindungswirkung der auf den Vorlagebeschluß ergangenen Entscheidung auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs selbst nicht das in der Vergangenheit liegende Prozeßverhalten des Verteidigers im vorliegenden Fall ergreifen soll, soweit dieser seinerzeit der Verwertung der Aussage des Zeugen ... nicht in der Frist des § 257 StPO widersprochen hat. Denn angesichts der seinerzeit bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung konnte in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter in Gifhorn nicht mehr vom verteidigten Angeklagten verlangt werden, als daß er überhaupt der Verwertung seiner dem Polizeibeamten gegenüber gemachten Aussage widersprach, was auch geschehen ist. Wie sich aus dem Zusammenhang des strafrichterlichen Urteils ergibt, ist auch der damals amtierende Richter nicht etwa von einem zu vermutenden Verzicht ausgegangen. Der erkennende Senat hat, wie sich aus der Formulierung der Vorlagefrage und deren Begründung ersehen läßt, ebenfalls nicht angenommen, daß die Nichteinhaltung der Frist gem. § 257 StPO für einen Widerspruch die Verwertung der Aussage des Zeugen ... zu einer erlaubten mache. Andernfalls hätte es einer Vorlage an den Bundesgerichtshof gar nicht bedurft, weil der Senat, hätte er die Ausschlußfrist des § 257 StPO für maßgebend gehalten, die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers seinerzeit als unzulässig hätte verwerfen müssen. Denn in diesem Fall hätte sich die Unzulässigkeit daraus ergeben, daß der Beschwerdeführer mit der Verfahrensrüge nicht geltend gemacht hatte, er habe in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter die Frist gem. § 257 StPO für seinen Widerspruch eingehalten. Unter diesen Umständen dem Beschwerdeführer im Wege der Bindungswirkung jetzt nachträglich die Frist des § 257 StPO entgegenzuhalten, würde nach Auffassung des Senats den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechen.
Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Denn der Strafrichter hat, wie das angefochtene Urteil ergibt, über die Aussage des Polizeibeamten ... die Angaben des Angeklagten verwertet, die dieser dem Polizeibeamten gegenüber ohne die gem. § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO erforderliche Belehrung gemacht hat. Der verteidigte Angeklagte hat - wie oben ausgeführt - der Verwertung in der Hauptverhandlung widersprochen. Daß er dabei die in § 257 StPO genannte Frist nicht eingehalten hat, ist, wie ebenfalls schon dargelegt, für den vorliegenden Fall unerheblich. Auf der Verwertung der Aussage des Zeugen ... beruht das angefochtene Urteil, weil der Strafrichter im Inhalt dieser Aussage ein wichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten gesehen hat.
Da nicht auszuschließen ist, daß in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende Feststellungen zur Schuldfrage möglich sind, ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.