Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 01.07.1991, Az.: 3 Ss 77/91
Tateinheit oder Handlungseinheit zwischen dem Verheimlichen des Nichtabführens eines Teils des Arbeitsentgelts und dem fortgesetzten Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen; Bildung einer untrennbaren inneren Verknüpfung zwischen dem Einbehalten von Sozialversicherungsbeiträgen und dem Nichtabführen von vermögenswirksamen Leistungen als Voraussetzung für das Bestehen einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinn
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.07.1991
- Aktenzeichen
- 3 Ss 77/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 21242
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1991:0701.3SS77.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Hannover - AZ: 25 Js 33873/90
- AG Neustadt am Rübenberge - 03.12.1990
Rechtsgrundlagen
- § 53 StGB
- § 264 StPO
- § 266a Abs. 1 StGB
- § 266a Abs. 2 StGB
Fundstelle
- NStZ 1991, 554-555 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Betrug
Amtlicher Leitsatz
Keine Tatidentität zwischen Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und zeitgleichem Veruntreuen von vermögenswirksamen Leistungen.
In der Strafsache
...
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichters - in Neustadt a. Rbg. vom 3. Dezember 1990
in der Sitzung vom 1. Juli 1991,
an der teilgenommen haben:
Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ..., Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende
Richter,
Oberstaatsanwältin ... als Beamtin der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... aus Hannover als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
fürRecht erkannt:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neustadt a. Rbg. zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Angeklagte ist am 7. November 1989 und am 30. Juli 1990 jeweils wegen fortgesetzten Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266 a Abs. 1 StGB rechtskräftig (25. Januar 1990/30. Juli 1990) verurteilt worden.
Sie war überführt worden, jeweils Sozialversicherungsbeiträge ihrer Arbeitnehmer vom Lohn einbehalten und nicht abgeführt zu haben, und zwar vom 11. Mai 1988 bis Mai 1989 sowie von Dezember 1989 bis Mai 1990 in Höhe von annähernd 20.000,- DM sowie annähernd 5.000,- DM.
Im jetzt anhängigen Strafverfahren wird der Angeklagten fortgesetztes Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266 a Abs. 2 StGB zur Last gelegt. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat die Angeklagte von Januar 1989 bis Januar 1990 13 mal 52,- DM vom Lohn ihres Arbeitnehmers ... als vermögenswirksame Leistungen, die an eine Bausparkasse abzuführen waren, einbehalten, aber nicht weitergeleitet, ohne dies ... mitzuteilen, und auf den Lohnabrechnungen sowie auf Anfrage den Eindruck erweckt, die Gelder weitergeleitet zu haben.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses anderweitiger rechtskräftiger Aburteilung gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Es war der Auffassung, daß einer erneuten Verurteilung die vorangegangenen Verurteilungen vom 7. November 1989 und vom 30. Juli 1990 entgegenstünden. Die dort abgeurteilten Taten seien identisch mit der hier angeklagten Tat. Strafklageverbrauch sei eingetreten, weil sich das frühere fortgesetzte Einbehalten von Sozialversicherungsbeiträgen und das jetzige fortgesetzte Einbehalten von vermögenswirksamen Leistungen zumindest als eine Tat im Sinne von § 264 StPO darstellten.
Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, daß ein Verfahrenshindernis einer erneuten Verurteilung nicht entgegensteht.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist Strafklageverbrauch im Hinblick auf die Urteile des Amtsgerichts Neustadt a. Rbg. vom 7. November 1989 und vom 30. Juli 1990 nicht eingetreten.
1.
Zwischen den dort abgeurteilten Straftaten und der hier angeklagten Straftat besteht Tatmehrheit im Sinne von§ 53 StGB.
1.1.
Ein Fortsetzungszusammenhang zwischen den früher abgeurteilten (fortgesetzten) Straftaten nach § 266 a Abs. 1 StGB und dem Anklagevorwurf einer fortgesetzten Tat in diesem Verfahren nach § 266 a Abs. 2 StGB scheidet bereits aus objektiven Gründen aus. Die hier angeklagten Einzelakte des Verheimlichens des Nichtabführens eines Teils des Arbeitsentgelts und das abgeurteilte fortgesetzte vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen erfüllen weder denselben Deliktstatbestand, noch richten sie sich gegen dasselbe Rechtsgut (vgl. Schönke-Schröder-Stree, StGB, 23. Aufl., Rdnrn. 37 f vor § 52). Geschütztes Rechtsgut in § 266 a Abs. 1 StGB ist das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung, während § 266 a Abs. 2 StGB dem Schutzinteresse der Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens dient (Dreher/Tröndle, StGB, 45. Aufl., Rdnr. 2 zu§ 266 a; Schönke-Schröder-Lenkner, a.a.O., Rdnr. 2 zu§ 266 a).
1.2.
Ebenso wenig kommt eine Handlungseinheit, die sich bei Unterlassungsdelikten nach der Identität der vom Täter geforderten Handlungen bestimmt (vgl. BayObLGE 1985, 131 = NStZ 1986, 173 = StV 1988, 532; Schönke-Schröder-Stree, a.a.O., Rdnr. 28 vor § 52 m.w.N.), in Betracht. Die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge bestand gegenüber den Sozialversicherungsträgern, die Pflicht zur Abführung der vermögenswirksamen Leistungen hingegen gegenüber dem Arbeitnehmer und dem von diesem benannten Dritten. Darüber hinaus hatte die Angeklagte in letzterem Fall auch die zusätzliche Pflicht, den Arbeitsnehmer von der Nichtabführung des einbehaltenen Lohnanteils zu unterrichten.
1.3.
Die Unterlassungen der Angeklagten in diesem und den beiden früheren Verfahren stellen sich auch nicht als natürliche Handlungseinheit dar. Denn die gebotenen Handlungen waren äußerlich getrennt und gegenüber verschiedenen Berechtigten vorzunehmen (vgl. BGH St 18, 376, 381).
2.
Schließlich ist auch keine einheitliche Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO gegeben.
Das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und das Einbehalten von vermögenswirksamen Leistungen von Arbeitnehmern sind bei sachlichrechtlicher Tatmehrheit prozessual verschiedene Taten.
Denn die einzelnen Handlungen bzw. Unterlassungen der Angeklagten sind - über ein mögliches äußerliches Ineinanderübergehen hinaus - nach den ihnen zugrundeliegenden Ereignissen bei natürlicher Betrachtung unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung nicht auch innerlich derart unmittelbar Miteinander verknüpft, daß sie nach der Lebensauffassung eine untrennbare Einheit bilden und der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen, zusammengehörenden Lebensvorganges empfunden würde (vgl. BGH St 35, 14, 17 m.w.N.; 32, 215 f; BayObLGE a.a.O., S. 133; OLG Stuttgart MDR 1986, 693 [OLG Stuttgart 21.03.1986 - 1 Ss 121/86]).
Eine solche innere Verknüpfung ist zwischen Einbehalten von Sozialversicherungsbeiträgen und Nichtabführen von vermögenswirksamen Leistungen ebenso wenig gegeben wie zwischen Steuerhinterziehung und Vorenthaltung von Beitragsteilen (BGH St 35, 14; BayObLG NStZ 1986, 173 [BayObLG 26.11.1985 - RReg. 4 St 183/85]; OLG Stuttgart MDR 1986, 693 [OLG Stuttgart 21.03.1986 - 1 Ss 121/86]).
Dies gilt auch, wenn als Grund für die verschiedenen Verstöße der Angeklagten eine mögliche wirtschaftliche Krisensituation ihres Unternehmens in Betracht käme, die Angeklagte also die Taten aufgrund eines Gesamtplanes im Rahmen eines gewerblichen Unternehmens gleichzeitig und über Jahre hinaus - möglicherweise zudem unter Verstoß gegen Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten - in der Absicht begangen hätte, die für das Unternehmen aufgrund gesetzlicher Verpflichtung oder privater Vereinbarung zu leistenden Abgaben - insbesondere Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge, vermögenswirksame Leistungen - auf Dauer nicht zu entrichten.
Denn eins solche einheitliche Motivationslage ist ebenso wenig wie ein Aufnehmen der verschiedenen Handlungen und Unterlassungen in einen Gesamtplan und ein zeitliches Zusammentreffen für sich allein ausreichend, zwei sachlichrechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander stehende Handlungen als einheitliche Tat im prozessualen Sinne erscheinen zu lassen (vgl. BGH St 35, 14, 18 m.w.N.; Urteil des hiesigen 1. Strafsenats vom 5. Januar 1961 - 1 Ss 344/60 - = Nds. Rpfl. 1961, 112 f; KK-Hürxthal Rdnr. 7 zu § 264). Hierfür ist mehr erforderlich als das bloße Agieren im Rahmen eines Gewerbebetriebs, zumal nach der Rechtsprechung nicht einmal der Zusammenhang der Straftaten mit einem Betrieb, der gerade als Mittel zu deren Begehung eingerichtet ist und dementsprechend eingesetzt wird, ausreicht (vgl. BGH a.a.O., S. 19 für den Fall, daß der Täter den Betrieb von vornherein darauf angelegt hat, Arbeitnehmer illegal ("schwarz") zu beschäftigen, und er hinsichtlich derselben Arbeitnehmer innerhalb derselben Zeiträume weder Lohnsteuer anmeldet, noch Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit an die berechtigten Kassen abführt).
Seinen Grund findet dies darin, daß die gegenteilige Auffassung dem Gewerbebetrieb im Ergebnis eine Klammerwirkung beilegen würde, weiche über die prozessuale Einheitlichkeit hinaus eine Art neuer Sammelstraftat schaffte. Dies würde einen gewissen Gegensatz zur Rechtsprechung bedeuten, wonach bei gewerbsmäßiger Begehensweise, die zum Tatbestand gehört oder einen straferhöhenden Umstand bildet, mehrere Delikte keine sogenannte Sammelstraftat, sondern sachlichrechtlich und damit in der Regel auch prozessual selbstständige Taten sind, wenn nicht Fortsetzungszusammenhang besteht (BGH a.a.O.). Darüber hinaus würde eine derartige Behandlung des Gewerbebetriebs auf eine Begünstigung insbesondere von Straftätern hinauslaufen, die durch Aufbau und Einsatz eines kriminellen Unternehmens bedeutende verbrecherische Energie entfalten (BGH a.a.O. S. 20).
Unter diesen Umständen kommen den vom OLG Düsseldorf (NStZ 1987, 375 = wistra 1987, 191; vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 1975, 128 [OLG Zweibrücken 25.04.1974 - Ss 6/74] f; OLG Stuttgart NStZ 1982, 514 f) in seinem Vorlagebeschluß ins Feld geführten Gegenargumenten der Prozeßökonomie - die auch bei verschiedenen Taten im prozessualen Sinne zu gewährleisten ist - und der - im Kernbereich nicht zu erwartenden - Gefahr widersprüchlicher Feststellungen zu denselben zugrundeliegenden Tatsachen keine entscheidende Bedeutung zu.