Arbeitsgericht Nienburg
Urt. v. 28.05.2003, Az.: 1 Ca 219/03
Soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Änderungskündigung; Prüfung der Änderung mehrerer Arbeitsbedingungen; Einseitige Verkürzung der Arbeitszeit; Zulässigkeit eines Abstellens der Arbeitszeit auf den Umsatz des Unternehmens; Möglichkeit der unmittelbaren Anpassung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers ohne die Notwendigkeit des Ausspruchs einer Kündigung in Abhängigkeit von dem erzielten Umsatz; Reduzierung der Arbeitsmenge bei Umsatzrückgang
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Nienburg
- Datum
- 28.05.2003
- Aktenzeichen
- 1 Ca 219/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 32438
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGNIE:2003:0528.1CA219.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 134 BGB
- § 1 KSchG
- § 2 KSchG
Fundstellen
- AUR 2004, 435 (Kurzinformation)
- AuR 2004, 435 (Kurzinformation)
Die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Nienburg hat
auf die mündliche Verhandlung vom 28.05.2003
durch
den Richter ... als Vorsitzender
und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Änderungskündigung vom 24.03.2003 sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Der Streitwert wird auf EUR 6.774,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Änderungskündigung.
Die am 20.08.1959 geborene, ledige Klägerin, unterhaltspflichtig für 0,5 Personen, ist seit dem 01.09.1978 im Betrieb der Beklagten in der Polsterei zu einem durchschnittlichen Bruttogehalt in Höhe von 6 2.258,00 beschäftigt.
Mit Schreiben vom 24.03.2003, der Klägerin am gleichen Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2003 und bot der Klägerin zugleich den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages ab dem 01.10.2003 an.
Das in der Änderungskündigung enthaltene Angebot der Beklagten lautet wie folgt:
"Wir bieten Ihnen gleichzeitig an, das Arbeitsverhältnis im gleichen Tätigkeitsbereich ab dem 01.10.2003 bis zum 31.12.2004 zu folgenden Bedingungen fortzusetzen:
- Ihre wöchentliche Arbeitszeit wird für diesen Zeitraum von derzeit 40,00 Stunden auf 34,00 Stunden abgesenkt. Ihr bisheriges monatliches Bruttoentgelt (bei durchschnittlich 174,00 Stunden/Monat) 2.039,28 6 reduziert sich durch diese Arbeitszeitverkürzung um 15 %. Ihr zukünftiges monatliches Bruttoentgelt (bei durchschnittlich 147,90 Stunden/Monat) beträgt dann 1.733,39 6.
- Wir sind berechtigt, während der Laufzeit dieser Vereinbarung die Arbeitszeit um weitere 2 Stunden auf 32,00 Stunden/Woche zu verkürzen, sollte der Auftragseingang in zwei aufeinander folgenden Monaten jeweils unter 1,7 Mio. 6 absinken. Ihr monatliches Bruttoentgelt (bei durchschnittlich 139,20 Stunden/Monat) beträgt in diesem Fall 1.631,42.
- Mit Ablauf dieser Vereinbarung wird die Arbeitszeit auf die ursprüngliche Arbeitszeit mit entsprechender Entgelterhöhung verbindlich vereinbart.
- Alle übrigen Rechte aus Ihrem Arbeitsverhältnis bleiben unberührt, insbesondere Urlaubsregelung und Betriebszugehörigkeit.
- Jede Veränderung/Ergänzung zu dieser Vereinbarung bedarf der Schriftform.
Im Übrigen gelten die Bedingungen Ihres Arbeitsverhältnisses unverändert fort.
..."
Die Klägerin hat die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt angenommen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist.
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Änderungskündigung sei gem. § 102 BetrVG unwirksam, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Der Betriebsrat sei teilweise fehlerhaft, teilweise nicht vollständig, informiert worden.
Die Änderungskündigung sei zudem wegen Verstoßes gegen § 87 BetrVG unwirksam. Es habe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beachtet werden müssen, was nicht geschehen sei.
Weiter habe die Beklagte dringende betriebliche Erfordernisse nicht substantiiert dargelegt, sodass ihre Kündigung bereits aus diesem Grunde sozial ungerechtfertigt sei.
Auch sei die Beklagte verpflichtet gewesen, eine Sozialauswahl durchzuführen, was nicht geschehen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 24.03.2003, zugegangen am 24.03.2003, unwirksam ist und dass das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht im Wesentlichen geltend, dringende innerbetriebliche Erfordernisse zwängen sie dazu, Kosten einzusparen, um eine drohende Insolvenz zu vermeiden. Ihre Umsätze hätten sich in den vergangenen Jahren drastisch reduziert, was zwangsläufig eine entsprechende Reduzierung der im Produktionsbereich benötigten Arbeitszeit bedeute. Eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen gewesen.
Es liege auch kein Fall der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vor.
Die Option, die Stundenzahl von 34 auf 32 Stunden weiter reduzieren zu können, falls die Auftragszahlen weiter rückläufig sein sollten, mache die Änderungskündigung nicht unwirksam. Auch diese Option sei betrieblich dringend erforderlich. Die Auftragseingänge wirkten sich unmittelbar auf den Umsatz aus, da die Umsätze von den verkauften Stückzahlen abhingen. Da die Beklagte keine Möbel auf Vorrat produziere, wirkten sich die Auftragszahlen nicht nur unmittelbar auf die Produktionszahlen, sondern auch auf die Umsätze aus. Weniger Umsätze bedeuteten unmittelbar weniger Gewinn. Die meisten Kostenfaktoren, die sich auf den Gewinn auswirkten, seien mehr oder weniger fix, lediglich bei den Personalkosten bestehe Einsparungspotenzial.
Die Kündigung verstoße auch nicht gegen §§ 308 Nr. 4 bzw. 307 i.V.m. 306 BGB oder gegen § 4 Abs. 1 TzBfG.
Schließlich liege auch eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor. Der Betriebsrat sei in mehreren Gesprächen über alle wesentlichen Umstände der notwendigen Änderungskündigungen informiert worden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 28.05.2003 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet
I.
Die Änderungskündigung ist bereits deswegen sozial nicht gerechtfertigt, weil die Änderung der Arbeitsbedingungen, die die Beklagte berechtigt, während der Laufzeit der Vereinbarung die Arbeitszeit um weitere 2 Stunden auf 32 Stunden pro Woche zu verkürzen, sollte der Auftragseingang in zwei aufeinander folgenden Monaten jeweils unter 1,7 Mio. 6 absinken, unwirksam ist. Auf die Frage, ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorliegen, kommt es nicht mehr an.
1.
Zielt eine betriebsbedingte Änderungskündigung auf die Änderung mehrerer Arbeitsbedingungen ab, so muss jede einzelne angestrebte Änderung auf ihre soziale Rechtfertigung geprüft werden (Landesarbeitsgericht Brandenburg, Urteil vom 24.10.1996, 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127 - 130).
Vorliegend beabsichtigt die Beklagte, im Rahmen der geänderten Arbeitsbedingungen sich u.a. ein Recht einzuräumen, einseitig die Arbeitszeit um weitere 2 Stunden auf 32 Stunden pro Woche zu verkürzen. Voraussetzung für diese Verkürzung soll nach dem Text der Kündigung vom 24.03.2003 lediglich sein, dass der Auftragseingang in zwei aufeinander folgenden Monaten jeweils unter 1,7. Mio. 6 absinkt. Diese Änderung ist unwirksam und sozial nicht gerechtfertigt. Sie stellt sich als eine objektive Umgehung des Kündigungsschutzes dar und ist gem. § 134 BGB nichtig.
2.
Eine mit einer Änderungskündigung erstrebte Vertragsgestaltung, die keine verbindliche Festlegung der (monatlich) durchschnittlich zu erbringenden Arbeitsleistung beinhaltet und insoweit dem Arbeitgeber vielmehr ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt, stellt sich als eine objektive Umgehung des Kündigungsschutzes dar und ist gem. § 134 BGB nichtig (LAG Brandenburg, Urteil vom 24.10.1996, 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127 - 130). Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die bei arbeitszeitabhängiger Vergütung den Arbeitgeber berechtigen soll, die zunächst festgelegte Arbeitszeit später einseitig nach Bedarf zu reduzieren, stellt eine objektive Umgehung von zwingenden Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts dar und ist daher nach § 134 BGB nichtig (BAG, Urteil vom 12.12.1984, 7 AZR 509/83, BAGE 47, 314 - 329).
3.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit den geänderten Arbeitsbedingungen sich ein von ihr einseitig auszuübendes Recht eingeräumt, die Arbeitszeit (weiter) von 34 Stunden (diese Reduzierung soll mit der Änderungskündigung unbedingt geschehen) auf 32 Stunden zu reduzieren. Die Ausübung dieses Rechts soll zwar nicht ausschließlich billigem Ermessen gem. § 315 BGB unterliegen. Insoweit liegt der vorliegende Fall anders als die vorzitierten Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Brandenburg bzw. des Bundesarbeitsgerichts. Sachlich ist der hier zu beurteilende Fall deshalb jedoch nicht anders zu bewerten. Die Beklagte hat ihr Recht - ausschließlich - an die Voraussetzung geknüpft, dass der Auftragseingang in zwei aufeinander folgenden Monaten jeweils unter 1,7 Mio. 6 absinkt. Damit hat sie einen Bezug ausschließlich zu der Größe des Umsatzes hergestellt. Eine solche Vertragsklausel ist den gleichen inhaltlichen Bedenken unterworfen wie die Regelung, dass der Arbeitgeber nach bloßem billigen Ermessen die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit ändern kann. Ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ausreichend Arbeit zur Verfügung stellen kann, fällt in seine Risikosphäre. Es handelt sich um das sog. Wirtschafts- oder Betriebsrisiko. Dieses Risiko kann der Arbeitgeber nicht einseitig auf den Arbeitnehmer abwälzen. Genau dies geschähe jedoch, würde man eine Vertragsgestaltung zulassen, nach welcher der Arbeitgeber die Arbeitszeit des Arbeitnehmers ohne die Notwendigkeit des Ausspruchs einer Kündigung in Abhängigkeit von dem erzielten Umsatz jeweils unmittelbar anpassen könnte.
4.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass im vorliegenden Fall der Beklagten lediglich eine zeitlich, sachlich und vom Umfang her begrenzte Anpassungsmöglichkeit im Zusammenhang mit Umsatzrückgängen im Rahmen einer Änderungskündigung eingeräumt wird. Unstreitig trägt die Änderungskündigung der bislang eingetretenen Reduzierung der Arbeitsmenge bereits durch die Reduzierung von 40 auf 34 Wochenstunden Rechnung. Die der Beklagten weiter eingeräumte Option soll dazu dienen, zukünftig möglicherweise eintretende Umsatzrückgänge zu erfassen und daraus arbeitsrechtliche Konsequenzen herzuleiten, ohne dass es einer weiteren Kündigung bedürfte. Dies ist nicht möglich. Bereits die Einräumung einer einzigen solchen Option, wenn auch in sachlich begrenzter Weise, stellt eine Umgehung von § 2 KSchG und damit einer nicht der Parteidispositon unterliegenden Arbeitnehmerschutzvorschrift dar.
5.
Hinzu kommt, dass nach der der Beklagten eingeräumten Option allein bereits ein zukünftiger Umsatzrückgang - ganz gleich, durch welche Umstände dieser veranlasst ist und ganz gleich, wie sich dieser Umsatzrückgang konkret insbesondere hinsichtlich seiner Folgen auf die Arbeitsmenge darstellt - die Beklagte zur Reduzierung der Arbeitszeit berechtigen soll. Es kann - auch unter Berücksichtigung der Darlegungen der Beklagten - keineswegs angenommen werden, dass ein Umsatzrückgang stets mit einer (dann auch noch proportionalen) Reduzierung der Arbeitsmenge verbunden ist. Offensichtlich stellt die Beklagte preiswertere und teurere Möbel her, wie sich bereits daraus ergeben dürfte, dass sie neben Furniermöbeln auch Echtholzmöbel herstellt. Wenige Echtholzmöbel werden den gleichen Verkaufspreis erzielen wie eine entsprechende größere Menge von Furniermöbeln, jedoch im Zweifelsfall einen anders gearteten Personalaufwand nach sich ziehen als jene. Hinzu kommt, dass sogar Möbel bzw. Möbelgruppen mit gleichem Verkaufspreis unterschiedlich arbeitsintensiv sein können. Dementsprechend lässt der Umsatz gerade keinen zwingenden Schluss auf die zur Abarbeitung stehende Arbeitsmenge und erst recht keinen zwingenden Schluss auf die am konkreten Arbeitsplatz der Klägerin zu bewältigende Arbeitsmenge zu.
Jedenfalls hat die Beklagte keine hinreichend substantiierten Darlegungen getätigt, die belegen würden, dass bei ihr eine derartige Ausnahmesituation bestünde, bei welcher die Arbeitsmenge stets und in jedem Falle sich vollständig proportional zum Umsatz verhält. Die Einräumung der hier streitgegenständlichen Option in den geänderten Arbeitsvertragsbedingungen ist daher, will man sie entgegen dem oben Ausgeführten nicht bereits als nichtig gem. § 134 BGB ansehen, jedenfalls sozial ungerechtfertigt i.S.d. § 1 KSchG, da der bloße Umsatzrückgang, von dem die Reduzierung abhängig sein soll, als solcher kein dringendes betriebliches Erfordernis darzustellen vermag, auf Grund dessen eine Reduzierung der Arbeitszeit der Klägerin von 34 auf 32 Stunden wöchentlich sachlich gerechtfertigt wäre.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Die Kosten waren der vollumfänglich unterlegenen Beklagten aufzuerlegen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 6.774,00 festgesetzt.
Gem. § 61 Abs. 1 ArbGG war der Streitwert im Urteil festzusetzen. Er ergibt sich vorliegend i. S. einer Begrenzung aus dem dreifachen Bruttomonatsentgelt, § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG, da das 36-fache des Unterschiedsbetrages des Bruttomonatslohnes der Klägerin vor und nach der Änderungskündigung 3 Bruttomonatsgehälter überschreitet.