Arbeitsgericht Nienburg
Urt. v. 23.01.2003, Az.: 2 Ca 624/02
Aufrechnung des Arbeitgebers gegen Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers; Beachtung der Pfändungsfreigrenzen; Wirksamkeit einer Vertragsstrafeklausel; Arbeitsvertrag als allgemeine Geschäftsbedingung
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Nienburg
- Datum
- 23.01.2003
- Aktenzeichen
- 2 Ca 624/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28184
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGNIE:2003:0123.2CA624.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 611 BGB
- § 389 BGB
- § 394 S. 1 BGB
- § 850 c ZPO
- § 309 Ziff. 6 BGB
- § 309 Ziff. 5 b BGB
- § 305 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- NZA-RR 2004, 73-74 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Nienburg
auf die mündliche Verhandlung vom 23.01.2003
durch
den Direktor des Arbeitsgerichts Wucherpfennig als Vorsitzender
und die ehrenamtlichen Richter von Hardenberg und Köhler als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 416,63 netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.08.2002 zu zahlen.
- 2.
Die Widerklage wird abgewiesen.
- 3.
Die Beklagte und Widerklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- 4.
Der Streitwert beträgt EUR 907,38.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungs- und Vertragsstrafe-Ansprüche.
Der Kläger war ab dem 28.05.2002 bei der Beklagten gemäß Arbeitsvertrag vom 28.05.2002 als Helfer beschäftigt. § 8 des Arbeitsvertrages lautet unter der Überschrift "Vetragsstrafe": "... bei fristlosen Kündigungen nach § 626 BGB ... wird sofort eine Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatslohnes fällig. Die Strafe ist unabhängig vom Nachweis des tatsächlich entstandenen Schadens ...".
Am 24.06.2002 befand sich der Kläger zusammen mit Arbeitskollegen auf dem Weg zu einer Einsatzstelle. Nachdem er einen Telefonanruf per Handy entgegengenommen hatte, ließ sich der Kläger absetzen und kam, zumindest bis zum Freitag, den 28.06.2002, seiner Arbeitsleistung nicht nach, ohne sich bei der Beklagten zu melden. Die Beklagte forderte ihn mit Abmahnungsschreiben vom 25.06.2002 (vgl. Bl. 11 d.A.) und 27.06.2002 (vgl. Bl. 12 d.A.) erfolglos auf, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Mit Schreiben vom 01.07.2002 (vgl. Bl. 13 d.A.) kündigte sie dem Kläger fristlos.
Unter dem 12.07.2002 erstellte die Beklagte dem Kläger eine Gehaltsabrechnung für den Monat Juni 2002, die einen Bruttobetrag von EUR 523,82 und einen Nettobetrag in Höhe von EUR 416,63 auswies (vgl. Bl. 3 d.A.). Eine Auszahlung des Nettobetrages erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 02.08.2002 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Vergütung bis zum 15.08.2002 zu zahlen (vgl. Bl. 4-5 d.A.).
Der Kläger meint, die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit Vergütungsansprüchen für den Monat Juni 2002 sei unwirksam. Die Beklagte hätte die für ihn zu beachtenden Pfändungsfreigrenzen in Höhe von EUR 523,82 nicht beachtet.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der von der Beklagten ihm zur Unterschrift vorgelegte Arbeitsvertrag vom 28.05.2002 sei ein Formularvertrag.
Die Arbeitsvertragsparteien seien den Vertrag nicht im Einzelnen durchgegangen und hätten nicht über die Vertragsstrafeklausel gesprochen. Der Kläger hätte keine Möglichkeit gehabt, eine Änderung des von der Beklagten vorgelegten Vertragsexemplares durchzusetzen. Die Regelungen seien einseitig von der Beklagten diktiert worden. Der Kläger meint, der Arbeitsvertrag falle unter den Geltungsbereich der §§ 305 ff. BGB. Er sei ein vorgedrucktes Muster, in dem lediglich der Name des Arbeitnehmers und der Beginn des Arbeitsverhältnisses eingetragen würde und den die Beklagte auch gegenüber anderen Arbeitnehmern verwende.
Der Kläger ist der Auffassung, die Unwirksamkeit der Vertragsstrafeklausel folge aus § 309 Nr. 6 und aus § 309 Nr. 5 b BGB. Dem stehe nicht § 310 Abs. 4 S. 2 BGB entgegen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 416,63 netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 16.08.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und im Wege der Widerklage den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte und Widerklägerin EUR 490,75 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.01.2002 zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte meint, sie hätte gegen den Kläger gem. § 8 des Arbeitsvertrages einen Vertragsstrafe-Anspruch in Höhe eines halben Bruttomonatsentgeltes, weil der Kläger seit dem 24.06.2002 unentschuldigt gefehlt und die fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.07.2002 das Arbeitsverhältnis beendet hätte. Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Regelung gem. § 8 des Arbeitsvertrages sei nicht unwirksam. Die Beklagte behauptet, der Vertrag sei zwischen den Parteien vereinbart worden. Der Kläger sei bei Abschluss des Arbeitsvertrages mit der Vertragsstrafe ausdrücklich einverstanden gewesen. Die Wirksamkeit der Vertragsstrafeklausel folge weiterhin aus § 310 Abs. 4 S. 2 BGB.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Widerklage ist unbegründet.
I.
Der klägerische Anspruch folgt aus § 611 BGB i.V.m. dem bis zum 01.07.2002 zwischen den Parteien bestandenen Arbeitsverhältnis in Höhe der von der Beklagten durch Gehaltsabrechnung vom 12.07.2002 für den Monat Juni 2002 ausgewiesenen EUR 416,63 netto.
Dieser Vergütungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte ist nicht gem. § 389 BGB durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen. Denn der Aufrechnung der Beklagten steht § 394 S. 1 BGB i.V.m. § 850 c ZPO entgegen, da der Vergütungsanspruch des Klägers für diesen Monat die für den Kläger zu beachtende Pfändungsfreigrenze nicht übersteigt.
Der Zinsanspruch des Klägers folgte aus § 286 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 S. 1 u. S. 2 BGB in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB, da der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 02.08.2002 zur Zahlung des streitgegenständlichen Betrages bis zum 15.08.2002 aufgefordert hat.
II.
Die von der Beklagten zuletzt im Wege der unbedingten Widerklage verfolgte Vertragsstrafeforderung besteht nicht. Die Vertragsstrafeklausel des § 8 des Arbeitsvertrages ist unwirksam. Die Unwirksamkeit dieser Klausel folgt aus § 309 Ziff. 6 u. Ziff. 5 b BGB.
Danach sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, durch die dem Verwender für den Fall, dass der andere Vertragsteil sich vom Vertrag löst, Zahlung einer Vertragsstrafe versprochen wird bzw. dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, einen Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist davon auszugehen, dass der auch von dem Kläger unterzeichnete Arbeitsvertrag als allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen sind. Gemäß § 305 Abs. 1 BGB sind allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Eine solche liegt gem. S. 3 von § 305 Abs. 1 BGB nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen. Soweit die Beklagte vorträgt, der Vertrag sei zwischen den Parteien vereinbart und der Kläger sei mit dem Abschluss der Vertragsstrafe ausdrücklich einverstanden gewesen, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, dem Beweisangebot der Beklagten durch Einvernahme des Zeugen Johann Hagedorn zu folgen. Notwendig wäre ein Vortrag der Beklagten gewesen, durch welches Verhalten des Klägers darauf zu schließen wäre, dass der Kläger mit der Beklagten diese Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt hat. Entsprechender Vortrag der Beklagten fehlt.
Soweit sich die Beklagte weiterhin auf § 310 Abs. 4 S. 2 BGB stützt, wonach bei der Anwendung von AGB?s auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen sind, kann ihr nicht gefolgt werden. Sicherlich sind Vertragsstrafeklauseln im Arbeitsvertrag geeignet, Arbeitsvertragsparteien zu vertragsgerechtem Verhalten anzuleiten. Derartige Vertragsstrafeklauseln stellen jedoch keine "im Arbeitsrecht geltende Besonderheit" dar. Insoweit unterscheiden sich Arbeitsvertragsverhältnisse nicht von sonstigen Vertragsverhältnissen, in denen Vertragsparteien zur Erbringung von Leistung verpflichtet sind.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert beträgt EUR 907,38.
Die der Festsetzung des Streitwertes im Urteil folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 3 ff. ZPO in Höhe der Klageforderung addiert mit der Widerklageforderung.