Arbeitsgericht Nienburg
Urt. v. 15.03.2007, Az.: 1 Ca 717/06
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Nienburg
- Datum
- 15.03.2007
- Aktenzeichen
- 1 Ca 717/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 63144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGNIE:2007:0315.1CA717.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LAG Niedersachsen - 13.11.2007 - AZ: 13 Sa 549/07
- BAG - 24.09.2008 - AZ: 10 AZR 939/07
In dem Rechtsstreit
...
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Nienburg auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2007 durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden,
den ehrenamtlichen Richter Herrn ...
den ehrenamtlichen Richter Herrn ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklage wird verurteilt, an den Kläger € 1 421,30 nebst 5 % Punkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.01.2007 und weitere € 195,00 nebst 5 % Punkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2007 zu zahlen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
- 3.
Der Streitwert wird auf € 1 616,30 festgesetzt.
- 4.
Die Berufung wird besonders zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine Wechselschichtzulage zusteht.
Der Kläger ist seit dem 01.07.2001 für die Beklagte als Rettungsassistent mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand nach einzelvertraglicher Bezugnahme bis zum 30.09.2005 der BAT und sodann der TVöD-VKA Anwendung.
Die Beklagte lässt ihre Arbeitnehmer, auch den Kläger, in Wechselschichten tätig sein, bei denen diese auch zur Nachtschicht herangezogen werden, und zwar längstens nach Ablauf eines Monates.
Bis zum 31.12.2005 belief sich die Anwesenheits-/Arbeitszeit des Klägers in der Rettungswache der Beklagten auf 48 Stunden durchschnittlich. Hinzu kamen besondere Bereitschaftsdienste. Mit dem 01.01.2006 entfielen diese eigenständigen Bereitschaftsdienste. Im Rahmen der Arbeitszeit des Klägers fielen auch Bereitschaftszeiten an. Der Umfang dieser Bereitschaftszeiten ist zwischen den Parteien streitig.
Die Beklagte gewährte bis Ende 2004 eine Wechselschichtzulage gemäß § 33a Abs. 1 BAT. Sie stellte die Zahlung dieser Zulage ab Januar 2005 ein. Mit Einführung des TVöD-VKA gewährte sie ab Oktober 2005 lediglich eine Schichtzulage in Höhe von € 40,00, nicht aber eine Wechselschichtzulage.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe eine Wechselschichtzulage für den Zeitraum von Mai 2005 bis Februar 2007 zu. Mit Schreiben aus November 2005 und vom 20.03.2006 machte er seine Ansprüche geltend. Die Beklagte lehnte diese Forderung ab.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter und begehrt für die Monate Mai bis September 2005 die Wechselschichtzulage gemäß § 33a BAT in Höhe von monatlich € 102,26 sowie für die Monate Oktober 2005 bis Februar 2007 die Differenz zwischen der Wechselschichtzulage in Höhe von € 105,00 und der gewährten Schichtzulage in Höhe von € 40,00 (monatlich € 65,00), so dass sich ein Gesamtbetrag in Höhe von € 1 616,30 ermittelt.
Er bestreite, dass in seine Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 3 Stunden falle. Wegen der genauen Einzelheiten seines Vorbringens wird diesbezüglich auf seinen Schriftsatz vom 26.02.2007, Blatt 40-42 der Gerichtsakte, verwiesen.
Soweit es den Zeitaum anbelangt, für den der TVöD gilt, vertritt er die Auffassung, dass das Vorliegen von Bereitschaftszeiten unschädlich sei.
Er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 1 421,30 nebst 5 % Punkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.01.2007 und weitere € 195,00 nebst 5 % Punkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.02.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die bis zum Ablauf des Jahres 2005 vom Kläger abgeleisteten Bereitschaftsdienste stünden der Gewährung der Wechselschichtzulage entgegen. Auch habe der Kläger arbeitstäglich 307 Minuten Arbeitsbereitschaft geleistet. Dieses folge aus einem bereits 2003 eingeholten Gutachten der Firma ORGAKOM. Dieses Gutachten habe auch heute noch Gültigkeit, da es keine signifikanten Änderungen der Einsatzlage gegeben habe.
Wegen sämtlicher weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg.
I.
Die mit der Klage geltend gemachten Beträge sind im Rahmen der tarifvertraglichen Ausschlussfristen gemäß §§ 70 BAT, 37 TVöD innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist nach Fälligkeit rechtzeitig schriftlich geltend gemacht worden. Insbesondere ist die vom Kläger erfolgte Geltendmachung (aus März 2006 und November 2005) ausreichend bestimmt und lässt für die Beklagte keinerlei Zweifel daran, welche konkrete Leistung begehrt wird. Die Geltendmachung vom 20.03.2006 wahrt auch die Ausschlussfrist im Hinblick auf zukünftig fällig werdende Ansprüche gemäß Abs. 1 S. 2 des § 37 TVöD.
II.
Die Klageforderung ist auch im Übrigen in vollem Umfang begründet.
1.
Dem Kläger steht die begehrte Wechselschichtzulage gem. § 33a BAT für den Zeitraum Mai bis September 2005 in Höhe von jeweils € 102,26, also insgesamt € 511,30 zu.
Denn die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage sind gegeben. Der Kläger hat in Wechselschichten im Tarifsinne gearbeitet. Unstreitig wird auf der Rettungswache der Beklagten in wechselnden Arbeitsschichten Dienst verrichtet. In diesen Schichten muss auch ununterbrochen bei Tag und bei Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet werden.
a)
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob während dieser Schichten Arbeitsbereitschaft anfällt. Denn arbeitszeitrechtlich sind die Zeiten der Arbeitsbereitschaft in die Arbeitszeit einzubeziehen. Dies folgt aus der Existenz des Ausschlussgrundes gemäß §§ 33a Abs. 3 lit B BAT. Die Tarifvertragsparteien haben es lediglich als erheblich angesehen, wenn innerhalb einer regelmäßigen Arbeitszeit Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich wenigstens 3 Stunden täglich anfällt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass Arbeitsbereitschaftszeiten von wenige als 3 Stunden täglich unschädlich für das Vorliegen von Wechselschichten sind (so überzeugungskräftig das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16.11.2006, Az.: 7 Sa 220/06 ).
b)
Aus Sicht des Gerichtes ist es unschädlich, wenn der Kläger zusätzlich zu seinen Schichtdiensten, die auch Bereitschaftsdienstzeiten enthalten, gesonderte und eigenständige Bereitschaftsdienste abgeleistet hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Wertung mit dem Grundgedanken der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.02.1997 (Az.: 10 AZR 639/96 - NZA 1997, 1179-1181) in Einklang steht. Zwischenzeitlich hat sich unsere Rechtsordnung auch vor dem Hintergrund der bekannten EUGH-Rechtsprechung zur Behandlung von Arbeitszeit weiterentwickelt. Aus Sicht der Kammer können und dürfen die über eine normale 48-Stunden-Woche hinausgehenden zusätzlichen Bereitschaftsdienste nicht dazu führen, dass die Wechselschichtzulage entfällt. Denn unproblematisch stehen dem Kläger diese Ansprüche zu, lässt man die zusätzlichen Bereitschaftsdienste unberücksichtigt. Insbesondere hat der Kläger dann eine 48-Stunden-Arbeitswoche gehabt und damit vom zeitlichen Umfang eine Arbeitsleistung erbracht, die nach den Wertungen des Arbeitszeitgesetzes der regelmäßigen zulässigen Höchstdauer (vgl. § 3 AZG) entspricht.
c)
Die Beklagte hat die Voraussetzungen des § 33 Abs. 3b BAT für den Wegfall der Wechselschichtzulage nicht dargelegt. Es steht zu ihren Gunsten nicht fest bzw. kann nicht bewiesen werden, dass täglich mehr als 3 Stunden der Arbeitszeit des Klägers Arbeitsbereitschaft gewesen sind. Für diese Tatsache, die einen Ausnahmetatbestand von einer grundsätzlich anzuwendenden Anspruchsgrundlage begründet, ist jedoch der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig ( BAG, Urteil vom 09.03.2005, Az.: 5 AZR 385/02 - EZA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 177).
Das von der Beklagten benannte Gutachten der ORGAKOM ist als Privatgutachten kein anerkanntes Beweismittel. Im Übrigen betrifft dieses Gutachten einen Zeitraum (2002), der lange Zeit zurückliegt und mit dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht einmal ansatzweise identisch ist. Aus diesem Grund verbietet sich auch die Zeugeneinvernahme des Geschäftsführers der ORGAKOM. Diese Zeugeneinvernahme ist ein ungeeignetes Beweismittel, um die gegenwärtigen Verhältnisse bei der Beklagten zu klären. Insoweit folgt das erkennende Gericht in vollem Umfang den Wertungen des Arbeitsgerichts Nienburg, Urteil vom 09.02.2006, Az.: 3 Ca 356/05.
2.
Dem Kläger steht auch die streitgegenständlich geltend gemachte Wechselschichtzulage abzüglich der gezahlten Schichtzulage in Höhe von € 65,00 monatlich für den Zeitraum von Oktober 2005 bis einschließlich Februar 2007 zu.
a)
Anspruchsgrundlage ist der § 8 Abs. 5 TVöD. Die Voraussetzungen für diese Anspruchsgrundlage sind gegeben. Insbesondere ist der Kläger in Wechselschichten tätig. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist es unschädlich, wenn in diesen Schichten (in einem nicht näher zu bestimmenden Umfang) auch Bereitschaftszeiten enthalten sind. Auch die Auffassung des Arbeitsgerichts Kiel (Urteil vom 28.06.2006, Az.: 4 Ca 608 c/06 ) wird diesseits nicht geteilt. Keineswegs lassen Bereitschaftszeiten innerhalb einer Wechselschicht den Anspruch auf die Wechselschichtzulage entfallen, vielmehr sind sie vollständig unerheblich und für die Beurteilung der Problematik, ob eine Wechselschichtzulage gewährt werden muss oder nicht, ohne Belang. Denn mit Einführung des TVöD ist eine dem § 33a Abs. 3b BAT einschränkende Vorschrift gestrichen worden. Hieraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass eine Zulage gewährt werden muss, wenn pro Tag zu mehr als 3 Stunden Bereitschaftszeiten anfallen. Das Gericht folgt insoweit in vollem Umfang der zutreffenden Rechtsauffassung des Klägers aus seinem Schriftsatz vom 26.02.2007, dort Ziffer 2, Seite 4-6 desselben, Blatt 42-44 der Gerichtsakte und verweist auf diese.
b)
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die zusätzlichen Bereitschaftsdienstzeiten in dem Zeitraum vom 01.10. bis zum 31.12.2005 könnten der Wechselschichtzulage entgegenstehen, wird auf die Ausführungen zu II, 1b dieses Urteils verwiesen.
III.
Der Zinsanspruch resultiert aus den Grundsätzen des Schuldnerverzuges gem. § 286, 288, 247 BGB.
IV.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 ZPO, 61 Abs. 1, 64 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2b ArbGG.