Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 11.10.2016, Az.: 2 A 177/16

isolierter Prozesskostenhilfeantrag; Prozesskostenhilfeantrag; fiktives Vermögen; Vermögensverbrauch; Glaubhaftmachung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.10.2016
Aktenzeichen
2 A 177/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Stellung eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags in gerichtskostenfreien Verfahren durch einen anwaltlich vertretenen Kläger kann statthaft sein.
2. Fiktiv anzurechnendes Vermögen wird bei jeder weiteren Antragstellung auf Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen erneut angerechnet, es sei denn, der Auszubildende hat dessen Verbrauch glaubhaft gemacht. Ein Verbrauch durch die Personen, an die das Vermögen weggegeben worden war, ist nicht ausreichend.

Gründe

Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Zur Überzeugung des Gerichts scheitert die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in diesem gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren nicht schon daran, dass dem Antragsteller für seine noch zu erhebende Klage eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen (mittlerweile eingetretener) Versäumung der Klagefrist nach § 60 VwGO nicht gewährt werden könnte.

Allerdings vertritt das Nds. Oberverwaltungsgericht die gegenteilige Auffassung. Es meint, ein innerhalb der Klagefrist eingereichter, aber erst nach Ablauf der Frist beschiedener Prozesskostenhilfeantrag in gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang stelle kein der Klageerhebung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO dar, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines einem derartigen Klageverfahren vorgeschalteten Prozesskostenhilfeverfahrens nach § 60 VwGO nicht in Betracht komme (Beschlüsse vom 25.02.2008 -4 PA 390/07-; vom 15.02.2013 -4 PA 25/13-, zitiert nach juris). Das Oberverwaltungsgericht begründet seine Ansicht damit, es entstünde der mittellosen Partei in gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang ein Prozesskostenrisiko, das sie daran hindern könnte, unmittelbar Klage einzulegen, nicht. Diese Rechtsprechung beruht auf einer älteren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 17.02.1989 -5 ER 612/89-, Buchholz, 310 § 60 VwGO Nr. 161), in der jedoch ein Anwalt noch nicht beauftragt worden war. Sie wird von der Mehrzahl der deutschen Obergerichte (vgl. Beschluss des Hess. VGH vom 20.05.2005 -10 TP 980/05-, zitiert nach juris Rn. 8, m.w.N.) sowie Teilen der Kommentarliteratur (Olbertz in: Schoch/Schnei- der/Bier, VwGO, § 166 Rn. 16) geteilt.

Die Kammer folgt demgegenüber der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.01.1997 -7 Rar 102/95-, zitiert nach juris) und der abweichenden Literaturmeinung (Neumann in: Sodann/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. § 166 Rn. 29; Kothe in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. § 166 Rn. 5). Zu Unrecht fokussiert die Auffassung des Nds. Oberverwaltungsgerichts den Blick allein auf das Prozesskostenrisiko.

Das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28.01.2013 -1 BvR 274/12-, zitiert nach juris, m.w.N.). Verwiese man den unbemittelten Rechtsschutzsuchenden auf die unmittelbare Klageerhebung ohne Anwalt, würde man ihn anders stellen als den Bemittelten. Man würde ihm das Recht, einen Anwalt seiner Wahl mit der Wahrnehmung seiner Rechte zu beauftragen, verwehren. Hierfür gibt es jedenfalls in den Fällen keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung, in denen die Inanspruchnahme eines Anwalts für den betroffenen Rechtsschutzsuchenden sachlich erforderlich ist. Dies ist z.B. in den Fällen anzunehmen, in denen ein sozialleistungsbegehrender Bürger allein offensichtlich überfordert ist, seine rechtlichen Interessen wahrzunehmen. So liegt es z.B., wenn Leistungen wegen Fehlens der einfachsten Mitwirkung versagt werden oder wenn, wie hier, schwierige Rechtsfragen zu beantworten sind. In einer solchen Situation ist dem unbemittelten wie dem bemittelten Rechtsschutzsuchenden die Möglichkeit, Rat und Hilfe bei einem Rechtsanwalt einzuholen, in gleicher Weise zu eröffnen. Dem kann weder entgegen gehalten werden, dass ein Antrag bei Gericht auch ohne einen solchen Rat in der Rechtsantragstelle eingereicht werden kann, noch dass solcher Rechtsrat auch im Rahmen der Beratungshilfe eingeholt werden könnte (so aber Hess. VGH, a.a.O. Rn. 4).

Zwar kann jeder Bürger in der Rechtsantragstelle eines Gerichts Rechtsschutzanträge stellen; eine Rechtsberatung ist hier jedoch weder möglich noch erlaubt.

Beratungshilfe stellt keine Alternative zur Prozesskostenhilfe dar, auf die ein unbemittelter Rechtsschutzsuchender verwiesen werden könnte; denn der Anwendungsbereich dieser Hilfe endet gemäß § 1 Abs. 1 BerHG da, wo derjenige der Prozesskostenhilfe anfängt; er erfasst nicht das Klageverfahren. Aus dem Recht, vor den Verwaltungsgerichten als Naturalpartei aufzutreten, würde in Anwendung der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts so eine Pflicht für den unbemittelten Rechtsschutzsuchenden. Diese Ungleichbehandlung gegenüber bemittelten Rechtsschutzsuchenden ist nicht gerechtfertigt; ihr ist durch verfassungskonforme Auslegung zu begegnen.

Allerdings scheitert die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den fehlenden Erfolgsaussichten für die noch zu erhebende Klage.

Voraussichtlich ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller dagegen, dass die Antragsgegnerin ihm bei der Berechnung der Ausbildungsförderungsleistungen einen Betrag in Höhe von 11.829,14 Euro aus einem am 29. August 2011 aufgelösten Sparkonto als Vermögen zugerechnet hat. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Weggabe dieses dem Antragsteller zuzurechnen gewesenen Vermögenswertes an seine Eltern kurz vor Aufnahme seines Studiums rechtsmissbräuchlich war. Ihm war dieser Betrag daher in der Vergangenheit zuzurechnen (vgl. hierzu den Beschluss der Kammer vom 26. Juni 2014 im vorangegangenen Klageverfahren 2 A 52/14).

Auch aktuell ist dieser Vermögenswert dem Antragsteller (fiktiv) weiter zuzurechnen.

Nach der von der Kammer (vgl. zuletzt Beschluss vom 23.01.2015 -2 A 159/14; Urteil vom 03.11.2015 -2 A 845/13-) und dem Nds. Oberverwaltungsgericht (vgl. Beschluss vom 05.03.2015 -4 PA 42/15-) geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.01.1983 -5 C 103/80-, zitiert nach juris) ist im vorangegangenen Bewilligungszeitraum angerechnetes Vermögen, das im Zeitpunkt der Stellung des (Wiederholungs-) Antrags (vgl. § 28 Abs. 2 BAföG) gleichwohl noch vorhanden ist, erneut anzurechnen. Anders als im Fall der Rückforderung (vgl. hierzu den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.07.1986 -5 B 10/85-) kann im Falle der laufenden Bewilligung nicht davon ausgegangen werden, dass der Leistungsberechtigte einmal angerechnetes Vermögen verbraucht hat. Vielmehr obliegt diesem eine gesteigerte Mitwirkungs- und Darlegungspflicht dahingehend, dass und wie er Vermögen, auch fiktiv angerechnetes Vermögen, verbraucht hat. Dieser Nachweispflicht ist der Antragsteller nicht nachgekommen.

Die gegen ihn bestehende Rückforderung in Höhe von 11.699,70 Euro hat der Antragsteller bis auf eine Restforderung in Höhe von 4.496,00 Euro durch Aufrechnung und Verbrauch eines aufgelösten Bausparguthabens in Höhe von 4.649,40 Euro getilgt. Geld aus dem fiktiv angerechneten Zuwachssparen hat er hierfür nicht verwendet.

Soweit er geltend macht, seine Eltern hätten das ihnen überlassene Geld nicht mehr, weil sie es für die Pflege und Besuche seiner in Vietnam lebenden Großeltern verwendet hätten, ist dieser Einwand rechtlich unerheblich. Denn damit verkennt der Antragsteller, dass der entsprechende Vermögenswert fiktiv ihm zuzurechnen ist, so dass auch nur Aufwendungen, die er mit dem Geld getätigt hat vermögensmindernd berücksichtigt werden können. Wollte man die Zahlung von Geld durch die Eltern, das eigentlich dem Abkömmling zusteht, an Verwandte in aufsteigender Linie als vermögensmindernd berücksichtigen, würde man ausbildungsförderungsrechtlich das in § 1609 BGB geregelte Rangverhältnis der Unterhaltsberechtigten (Abkömmlinge vor Verwandten in aufsteigender Linie) missachten. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Ausbildungsförderungsrechts.

Andere Geldabflüsse hat der Antragsteller nicht behauptet, so dass im Zeitpunkt der hier relevanten Antragstellung am 11. Februar 2016 vom Antragsgegner zu Recht weiterhin ein fiktiver Vermögensbetrag in Höhe von 11.829,14 Euro angerechnet worden ist.