Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.07.2008, Az.: Ws 262/08

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
28.07.2008
Aktenzeichen
Ws 262/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 42402
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2008:0728.WS262.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 05.06.2008 - AZ: 2 KLs 24/07

Fundstelle

  • StraFo 2008, 428 (Volltext mit red. LS)

In der Strafsache

...

wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes ...

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig

am 28. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird die Entscheidung des Vorsitzenden der 2. Strafkammer des Landgerichts Göttingen vom 05. Juni 2008 aufgehoben und Rechtsanwalt H.... M.... M...., Bremen, zum Pflichtverteidiger bestellt.

  2. Die Bestellung von Rechtsanwalt ... G...., N...., wird widerrufen.

  3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

2

Die aus § 142 StPO resultierende Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es, dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers zu entsprechen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger mit dem Wechsel einverstanden ist und durch die Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensverzögerung, noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden ( KG NStZ 1993, 201; OLG Hamburg StV 1999, 588 [OLG Hamburg 15.06.1998 - 2 Ws 153/98]; OLG Brandenburg StV 2001, 442 [OLG Brandenburg 19.12.2000 - 2 Ws 364/00]; OLG Naumburg, 1 Ws 546/04, juris; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; OLG Frankfurt 3 Ws 1205/07, juris, dort Rn. 5). In einem solchen Fall muss der Angeklagte eine Störung des. Vertrauensverhältnisses ausnahmsweise nicht darlegen (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Naumburg, a.a.O., OLG Hamburg a.a.O.). Wenn das Kammergericht im Beschluss vom 20.11.1992 ( NStZ 1993, 201) im Beschlusstenor formuliert, der Angeklagte müsse die Gründe für den Verlust des Vertrauens zu dem bisherigen Pflichtverteidiger "nicht im einzelnen" darlegen, kann daraus nicht geschlossen werden, dass überhaupt Gründe für den Vertrauensverlust darzulegen wären. Ein solches Erfordernis kann den Gründen des Beschlusses vom 20.11.1992 nicht entnommen werden. Der Vertrauensverlust des Angeklagten zu dem bisherigen Verteidiger wird in dem Wunsch, nunmehr von einem anderen Verteidiger vertreten zu werden, hinreichend deutlich. Im konkreten Fall sind die Voraussetzungen für einen "kostenneutralen" Wechsel des Pflichtverteidigers gegeben:

3

Rechtsanwalt G.... hat mit Schriftsatz vom 13.05.2008 erklärt, er gehe davon aus, dass Rechtsanwalt M.... M.... derjenige Verteidiger sei, der das Vertrauen des Angeklagten genieße. Der Angeklagte möge befragt werden, wer ihn im Revisionsverfahren verteidigen solle. Er werde den Wunsch des Angeklagten akzeptieren. Der Angeklagte selbst hat sich für Rechtsanwalt M.... M.... entschieden.

4

Durch die Entpflichtung von Rechtsanwalt G.... und die Beiordnung von Rechtsanwalt M.... M.... entstehen der Staatskasse auch keine Mehrkosten. Rechtsanwalt G.... hat - ebenfalls im Schriftsatz vom 13.05.2008 - erklärt, er werde auf die (nach dem Inhalt des Beschwerdebandes wegen § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG ohnehin nicht entstandene) Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren (Nr. 4130 VV RVG) verzichten, wenn der Angeklagte sich gegen ihn entscheide. Die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) hindert eine Beiordnung von Rechtsanwalt M.... M.... ebenfalls nicht. Er kann die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG nicht verlangen. Dabei kommt es im konkreten Fall nicht darauf an, ob Rechtsanwalt M.... M.... einen nach § 58 Abs. 3 RVG anrechenbaren Vorschuss erhalten hat (vgl. hierzu: OLG Köln NStZ 2006, 514 [OLG Köln 31.03.2006 - 2 Ws 131/06]). Denn er hat auf die Geltendmachung dieser Gebühr gegenüber der Staatskasse verzichtet. Er erklärte am 14.11.2007 im Rahmen eines gegen das Gericht gerichteten Befangenheitsantrags zu Protokoll, dass er "Gebühren, die durch die Beiordnung des ursprünglichen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt G.... bereits verbraucht sind, nicht abrechnen werde" (S. 15 des Verhandlungsprotokolls).

5

Die Gebührenverzichtserklärung war zulässig und steht nicht im Widerspruch zu § 49b Abs. 1 BRAO. Diese Vorschrift betrifft ausschließlich den Fall einer vertraglichen Vereinbarung über die Höhe der Gebühren und erfasst den Verzicht gegenüber der Staatskasse nicht ( OLG Frankfurt 3 Ws 1205/07,Juris, dort Rn. 8f; OLG Bamberg, a.a.O.; Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2007, § 54 Rn. 20).

6

Die Beiordnung von Rechtsanwalt M.... M.... scheitert schließlich auch nicht daran, dass er nach Zustellung des Urteils das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt hat. Zwar kann ein Rechtsanwalt nur zum Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn er die Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung bietet (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 142 Rn. 3). Die Tatsache, dass er nach Absendung des Urteils am 09.06.2008 das Empfangsbekenntnis nicht zurücksandte und seinen bis 22.07.2008 andauernden Urlaub antrat, rechtfertigt die Annahme seiner Unzuverlässigkeit jedoch nicht. Der einmalige Verstoß gegen die Berufsordnung (§ 14 BORA) stellt kein so gravierendes Fehlverhalten dar, dass es gerechtfertigt wäre, allein aus diesem Grund von einer Beiordnung abzusehen. Es erscheint nach Aktenlage nicht ausgeschlossen, dass Rechtsanwalt M.... M.... das Empfangsbekenntnis versehentlich nicht übermittelt hat und ihn die erste telefonische Erinnerung vom 04.07.2008 vor Urlaubsantritt nicht mehr erreicht hat.

7

Das Unterlassen von. Rechtsanwalt M.... M.... führt im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts auch zu keiner erheblichen Verfahrensverzögerung. Insbesondere hindert es nicht, die Akten bereits jetzt dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Das Landgericht wird davon ausgehen können, dass eine Zustellung nach §§ 37 StPO, 189 ZPO spätestens am 23.06.2008 erfolgt ist. An diesem Tag hat Rechtsanwalt M.... M.... die Revisionsbegründung gefertigt, sich dabei auf den Inhalt des Urteils eingelassen und so seinen Annahmewillen konkludent zum Ausdruck gebracht (vgl. hierzu: BGH 5 StR 429/04, Juris, dort Rn. 6).

8

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Hoeffer
Kalde
Neef