Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.09.1985, Az.: 2 Ss (OWi) 144/85

Fahrlässig begangene unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung; Kommanditgesellschaften unter einheitlicher Leitung; Austausch von Arbeitern bei schwankender Beschäftigungslage

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.09.1985
Aktenzeichen
2 Ss (OWi) 144/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 15670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1985:0926.2SS.OWI144.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA ... - AZ: 26 Js (OWi) 67727/84

Verfahrensgegenstand

Ordnungswidrigkeit nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts ...
vom 14. März 1985
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 26. September 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ... beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässig begangener unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung (Ordnungswidrigkeit nach Art. 1 § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) zu einer Geldbuße von 800 DM verurteilt. Hiergegen richtet sich die - nach Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels zulässige - Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der Verletzung des sachlichen Rechts rügt.

2

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.

3

II.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist der Betroffene einziger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Firma ... die Komplementär in sowohl der Firma ... in ... als auch der Firma ... in ... ist. Beide Kommanditgesellschaften, die den Bau von Heizungsanlagen und Versorgungsleitungen betreiben, stehen unter der einheitlichen Leitung durch den Betroffenen, der in ... den technischen Ablauf, das gesamte Rechnungswesen sowie die Finanz- und Lohnbuchhaltung beider Firmen abwickelt. Um die Auslastung der Arbeitnehmer der beiden Kommanditgesellschaften bestmöglich zu gewährleisten, tauschte der Betroffene in den letzten Jahren zwischen den zwei Firmen nach jeweiliger Auftragslage Arbeitnehmer aus. So ordnete der Betroffene an, daß der bei der Firma ... beschäftigte Arbeitnehmer ... im Januar sowie von Mai bis Juli 1984 auf einer Baustelle in ... für die Firma ... ... Heizungsmonteurarbeiten durchführte, zu deren Erledigung sich die Firma ... gegenüber Dritten verpflichtet hatte. In dieser Zeit hätte der Arbeitnehmer wegen fehlender Aufträge von der Firma ... nicht beschäftigt werden können. Der Arbeitnehmer, der in jener Zeit zusammen mit Arbeitnehmern der Firma ... arbeitete und von deren Meister überwacht wurde, erhielt seinen Lohn nach wie vor von der Firma ... die sich diese nach geleisteten Arbeitsstunden berechneten Aufwendungen von der Firma ... vergüten ließ. Eine Erlaubnis für die Überlassung eines Arbeitnehmers nach Art. 1 § 1 AÜG hatte der Betroffene nicht eingeholt.

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III.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils rechtfertigen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 1 § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG nicht; sie führen zu seinem Freispruch. Nach der genannten Vorschrift handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Art. 1 § 1 AÜG einen Leiharbeitnehmer einem Dritten ohne Erlaubnis überläßt. Nach Art. 1 § 1 AÜG bedarf ein Arbeitgeber, der Dritten Leiharbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen will, ohne damit Arbeitsvermittlung nach § 13 des Arbeitsförderungsgesetzes zu betreiben, der Erlaubnis. Gemäß dem ab dem 1. Mai 1985 in Kraft getretenen (s. BGBl I S. 710) Absatz 3 Nr. 2 des Art. 1 § 1 AÜG ist jedoch das AÜG nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend nicht bei seinem Arbeitgeber leistet.

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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen des Urteils zu den Voraussetzungen des Art. 1 § 1 Abs. 1 AÜG im einzelnen der rechtlichen Nachprüfung standhalten, insbesondere, ob hier eine Arbeitnehmerüberlassung an Dritte vorlag. Zumindest kann das Verhalten des Betroffenen nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, denn nach der Neuregelung des Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist dieses Gesetz - und damit die Bußgeldvorschrift des Art. 1 § 16 - auf die vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zwischen der ... und der ... jetzt nicht mehr anwendbar und damit gemäß § 4 Abs. 3 OWiG auch nicht mehr auf die Arbeitnehmerüberlassung im Jahr 1984.

6

Die vom Betroffenen geleiteten Firmen stellen Konzernunternehmen im Sinne der Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, § 18 AktG dar. Unternehmen bilden im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG dann einen Konzern, wenn ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt sind. Abhängige Unternehmen in diesem Sinne sind nach § 17 Abs. 1 AktG rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. Unternehmen eines Konzerns können sämtliche Handelsgesellschaften, also auch alle Personengesellschaften sein (vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 2. Aufl., 1977, § 2 A II 3). Diese Voraussetzungen eines Konzerns sind festgestellt, denn der Betroffene übt über die Firma ... deren einziger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer er ist, einen unmittelbaren, beherrschenden Einfluß auf die zwei Kommanditgesellschaften aus, deren Komplementärin die GmbH ist. Allerdings ist an dieser Firmengruppe keine Aktiengesellschaft oder keine Kommanditgesellschaft auf Aktien beteiligt. Dennoch ist Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG anwendbar. Denn diese Vorschrift, die sich auf Konzernunternehmen lediglich "im Sinne" des § 18 AktG bezieht, setzt nicht voraus, daß zumindest eines der Konzernunternehmen eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien ist. Das Vorhandensein einer derartigen Kapitalgesellschaft ist zwar unentbehrlich, soweit das Aktiengesetz selbst Rechtsfolgen aus dem Konzernbegriff für die Aktiengesellschaft herleitet (so auch Würdinger in Großkomm. zum AktG I/1, 3. Aufl., § 18, Anm. 1; Godin/Wilhelmi, AktG, Bd. I, 4. Aufl., § 18, Anm. 3; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. I, § 18, Rdnr. 11; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 18, Rdnr. 3; Henn, Handbuch des AktG, § 10, Abschnitt 1). Jedoch ist der Begriff der verbundenen Unternehmen (§§ 15 bis 19 AktG), zu denen auch der des Konzerns gehört, nicht allein für das Aktienrecht, sondern grundsätzlich auch für sämtliche Unternehmen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform von Bedeutung (vgl. Emmerich/Sonnenschein a.a.O., § 9 B II, C). Soweit der Konzernbegriff des § 18 AktG in anderen Gesetzen verwendet wird, ohne dort näher definiert zu sein, ist nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Norm zu prüfen, in welchem Sinn der Konzernbegriff auszulegen ist (so auch Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 15 AktG, Rdnr. 71; Hueck, Gesellschaftsrecht, 18. Auf., § 39 III 1). Die Regelung des Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AÜG bezweckt, bestimmte Formen des Personalaustausches von der Geltung des AÜG auszunehmen, bei denen weder der soziale Schutz der Leiharbeitnehmer noch die Ordnung des Arbeitsmarktes die Anwendung der strengen Form- und Kontrollvorschriften des AÜG erforderlich machen (vgl. Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985, Bundestagsdrucksache 10/3206, S. 32, 33; Sandmann/Marschall, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 1985, § 1 AÜG, Rdnr. 68). Diesem Normzweck entspricht auch der Personalaustausch innerhalb einer nach Konzernstrukturen gegliederten Firmengruppe, an der keine Aktiengesellschaft beteiligt ist, sondern in der nur Kommanditgesellschaften miteinander durch dieselbe, sie rechtlich und faktisch beherrschende Komplementär-GmbH verbunden werden. Aus der Sicht des Normzwecks entbehrt es der überzeugenden Grundlage, die Anwendung des Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG zwar über den Kreis der Aktiengesellschaften hinaus zu erweitern, aber die Anwendung davon abhängig zu machen, daß als Konzernunternehmen nur juristische Personen des privaten Rechts in Betracht kommen (so wohl Sandmann/Marschall a.a.O., § 1 AÜG, Rdnr. 80). Die Gesellschaftsform der GmbH & Co. KG steht in nahezu jeder Hinsicht den Kapitalgesellschaften ohnehin viel näher als den Personengesellschaften (vgl. insoweit u.a. BGHZ 62, 261, 263) [BGH 02.04.1974 - VI ZR 23/73]; diese kapitalistische Ausprägung der Kommanditgesellschaft kann auch innerhalb eines Konzerns das herrschende oder das beherrschte Unternehmen sein (so zu Recht auch Emmerich/Sonnenschein a.a.O., § 9 C I 1, 3).

7

Danach hat der Gesetzgeber mit der Privilegierung des Arbeitnehmeraustauschs innerhalb von Konzernunternehmen eine Regelung getroffen, die im wesentlichen bereits 1973 von der Bundesregierung mit der Einführung des AÜG beabsichtigt worden war, denn nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des AÜG sollte das überlassen von Arbeitnehmern zwischen Betrieben, die wirtschaftlich unter einer Leitung stehen, nicht erlaubnispflichtig sein (vgl. Bundestagsdrucksache VI 2303, S. 10).

8

Der Betroffene hat daher Arbeitnehmerüberlassung innerhalb der von ihm beherrschten, im Sinne des am 1. Mai 1985 in Kraft getretenen Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG als Konzern anzusehenden Firmengruppe betrieben. Die Anwendung des Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist auf eine vorübergehend, d.h. nicht ständige Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb des Konzerns beschränkt (s. Sandmann/Marschall a.a.O., § 1 AÜG, Rdnr. 81). Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene den Arbeitnehmer ... nur vorübergehend der Firma ... ... überlassen. Der Arbeitnehmer wurde lediglich zur Überbrückung eines Auftragsmangels bei seiner Arbeitgeberfirma an die Firma ... entsandt.

9

Der Senat hatte nach § 4 Abs. 3 OWiG den erst nach der Verkündung des angefochtenen Urteils in Kraft getretenen Art. 1 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auf den festgestellten Sachverhalt anzuwenden. Kann eine Handlung nach neuem sachlichen Recht nicht geahndet werden, so ist das spätere Gesetz das nach § 4 Abs. 3 OWiG anzuwendende mildeste Gesetz (s.a. BGHSt 20, 116, 119) [BGH 01.12.1964 - 3 StR 35/64]. Die Ausnahme des § 4 Abs. 4 OWiG kommt nicht zum Zuge, weil es sich bei der bisherigen Regelung des Art. 1 § 1 AÜG nicht um ein Zeitgesetz handelte. Unerheblich ist, daß diese Gesetzesänderung erst nach der Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils in Kraft getreten ist; auch das Rechtsbeschwerdegericht hat Gesetzesänderungen zu berücksichtigen (§§ 354 a StPO, 79 Abs. 3 OWiG; vgl. auch Göhler, OWiG, 7. Aufl., § 4 Rdnr. 9).

10

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 467 StPO.