Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 08.10.1985, Az.: 1 Ss 154/85
Rechtmäßigkeit einer Geldstrafe wegen Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.10.1985
- Aktenzeichen
- 1 Ss 154/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 31210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:1008.1SS154.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Göttingen - 27.12.1984 - AZ: Ns 33 Ds 6 Js7953/84
Rechtsgrundlagen
- § 166 StGB
- § 154a StPO
- Art. 5 Abs. 2 GG
Fundstelle
- NJW 1986, 1275-1276 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Angeklagten
gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Göttingen vom 27. Dezember 1984
in der Sitzung vom 8. Oktober 1985,
an der teilgenommen haben:
Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...,
Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt N. aus F. als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision wird auf Kosten der Angeklagten verworfen.
Gründe
I.
Der Strafrichter in Göttingen hatte die Angeklagte wegen Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen (§ 166 StGB) zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je DM 20,- verurteilt.
Auf die Berufung der Angeklagten hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Göttingen den Schuldspruch aufrechterhalten, jedoch die Voraussetzungen einer Verwarnung mit Strafvorbehalt bejaht und die Verurteilung zu der vom Strafrichter verhängten Geldstrafe für eine Bewährungszeit von zwei Jahren vorbehalten.
Mit der Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Nach den Feststellungen ist die Angeklagte Vorsitzende eines eingetragenen Vereins mit der Bezeichnung "Internationale Gesellschaft zur Entwicklung der Lebensfreude e.V.". Am 14. April 1984 vertrieb sie auf dem Marktplatz in Göttingen u.a. eine Aufklärungsschrift über die Ziele dieses Vereins sowie eine Schrift zu den Möglichkeiten eines Kirchenaustritts. Darin heißt es:
"Aus Tradition und Gewohnheit sind viele Menschen Mitglieder in Kirchen von Kindesbeinen an. Aus Tradition und Gewohnheit finanziert man die Ziele der Kirchen durch den ach so eingefahrenen Weg des staatlichen Steuereinzuges. So läuft und läuft dies - oft kommt man gar nicht auf die Idee, daß man als Erwachsener sich niemals einer solchen Organisation anschließen würde, geschweige denn ihre Ziele zu finanzieren.
Aus dieser Gewohnheit heraus weiß man oft nicht, wem man sich da angeschlossen hat. Sieht man sich die Geschichte der Kirchen an, ist man Mitglied einer der größten Verbrecherorganisationen der Welt. Hexenverfolgungen, 6 Millionen Frauen verbrannt, Völkermorde, Religionskriege, Kreuzzüge, Unterdrückung und Verarschung des Volkes durch alle Jahrhunderte, Judenverfolgung, Segnung von Waffen, Verteufelung der Lust und und und, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Idee, die alle diese faulen Früchte hervorgebracht hat, ist heute noch dieselbe: Die Lust verteufeln, das Leiden glorifizieren und dann auf Erlösung hoffen!"
Außerdem vertrieb die Angeklagte mindestens zwei verschiedene Arten von Aufklebern. Der eine trug die Aufschrift: "Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis", auf dem anderen war der gekreuzigte Christus dargestellt, der mit roten, sich kreuzenden Linien durchgestrichen war. Eine darum verlaufende Umschrift lautete: "Masochismus ist heilbar."
In der mündlichen Verhandlung über die Revision ist die Verfolgung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht gem. § 154 a Abs. 1, 2 StPO beschränkt worden auf den Vertrieb der erwähnten Aufklärungsschrift, so daß der Inhalt der beiden Aufkleber nicht mehr Gegenstand der Revisionsentscheidung war.
II.
Zur Sachrüge:
Die Verurteilung wegen Beschimpfung von Religionsgesellschaften ist im Hinblick auf die Äußerung, die Kirchen gehörten zu den größten Verbrecherorganisationen der Welt, zu Recht erfolgt.
§ 166 StGB setzt als Tathandlung zunächst eine Beschimpfung voraus, als deren Objekt im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Kennzeichnung als Verbrecherorganisationen die christlichen Kirchen gem. § 166 Abs. 2 StGB in Frage kommen.
Unter Beschimpfung ist jede durch Form oder Inhalt besonders verletzende rohe Äußerung der Mißachtung zu verstehen (RG 61, 308; BGH 7, 110; OLG Köln GA 1972, 214). Daß dies gegeben ist, wenn der Ausdruck Verbrecherorganisation verwendet wird, liegt auf der Hand.
Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß - wie das angefochtene Urteil ausführt - im Laufe der Kirchengeschichte tatsächlich schwerwiegendes Unrecht durch die Kirchen begangen worden ist. Denn durch die Verknüpfung mit der auf die heutige Zeit bezogenen Überlegungen zum Kirchenaustritt, die - wie die Strafkammer ebenfalls hervorhebt - für sich genommen selbstverständlich keine strafrechtliche Relevanz aufweisen - wird dem Leser des Informationsblattes suggeriert, das verbrecherische Treiben bestehe auch heute noch fort, und zwar in Form eines Zusammenschlusses zu besonders schwerwiegenden strafbaren Handlungen.
Der Tatbestand des § 166 StGB erfordert weiterhin, daß die Beschimpfung geeignet sein muß, den öffentlichen Frieden zu stören. Dadurch wird das im Tatbestand des § 166 StGB geschützte Rechtsgut gekennzeichnet (Eser, in: Friesenhahn/Scheuner, Handbuch des Staatskirchenrechts Bd. 2, 1975, S. 827; Zipf, NJW 1969, 1944). Durch die Neugestaltung des § 166 StGB - die am 1.9.1969 in Kraft trat - ist einerseits klargestellt, daß es hier nicht mehr um irgendeine Form der Gotteslästerung geht, andererseits, daß nicht nur der Schutz religiöser Gefühle bezweckt ist. Vielmehr setzt die Geeignetheit zur Störung des öffentlichen Friedens voraus, daß nach Art und Inhalt der Beschimpfung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände aus der Sicht eines objektiven Beobachters die begründete Befürchtung besteht, daß das friedliche Nebeneinander der durch ein gemeinsames Bekenntnis verbundenen Bevölkerungsteile gestört wird (Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 21. Aufl. 1982, § 166 Rdn. 12; LK-Dippel, 10. Aufl. 1985, § 166 Rdn. 35), allgemeiner, daß "berechtigte Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern" (BGH 29, 26). Eine solche Befürchtung kann entstehen, wenn das berechtigte Vertrauen der Betroffenen, daß ihre weltanschauliche oder religiöse Überzeugung respektiert werde, beeinträchtigt werden kann, aber auch dann, wenn die Beschimpfung möglicherweise bei Dritten die Bereitschaft zu Intoleranz gegenüber den Anhängern des beschimpften Bekenntnisses fördert (BGH 16, 49, 46; OLG Celle NJW 1970, 2257; LK-Dippel, 10. Aufl. 1985, § 166 Rdn. 36 f). Die Strafkammer hat dargelegt, daß die Bezeichnung als Verbrecherorganisation im Zusammenhang der hier zu beurteilenden Fallgestaltung geeignet war, bei Dritten die Bereitschaft zur Intoleranz gegenüber den Anhängern der christlichen Kirchen zu fördern. Diese Beurteilung unterliegt der tatrichterlichen Würdigung (BGH 29, 26; OLG Köln NJW 1982, 657) und enthält keinen Rechtsirrtum.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Zwar müssen die "allgemeinen Gesetze", die im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG das Grundrecht der Meinungsfreiheit einschränken, selbst im Lichte der hohen Bedeutung dieses Grundrechts ausgelegt werden (BVerfGE 42, 163, 169 [BVerfG 11.05.1976 - 1 BvR 163/72]; 47, 198, 232; OLG Celle StrVert 1983, 284). Hierfür ist aber von Bedeutung, daߧ 166 StGB selbst wieder grundrechtsschützenden Charakter hat, da er Friedensschutz im Hinblick auf die in Art. 4 GG garantierte Freiheit der Religionsausübung bezweckt. Danach ist anerkannt, daß als Beschimpfen nicht schon jede die Kirchen herabsetzende Äußerung angesehen werden kann, insbesondere nicht jede ablehnende und scharfe Kritik, sondern daß es sich gerade um eine besonders verletzende rohe Äußerung der Mißachtung handeln muß. Das hat die Strafkammer aber, wie die Urteilsgründe mit hinreichender Deutlichkeit zeigen, beachtet.
III.
Zu den Verfahrensrügen:
Die Darlegungen im Urteil der Strafkammer, daß "im Laufe der Kirchengeschichte unter Beteiligung oder Duldung kirchlicher Stellen" - wie allgemein bekannt sei - schwerwiegendes Unrecht begangen worden sei, werden der Wahrunterstellung in der Ablehnung des Beweisantrags vom 8.10.1984 gerecht. Das Gericht hat damit insbesondere auch zum Ausdruck gebracht, daß diese Unrechtstaten in organisierter Form begangen worden sind, wie es der Beweisantrag behauptet. Die Formulierung im Beweisantrag, Verbrechen seien bis in die jüngste Vergangenheit begangen worden, wird von der als wahr unterstellten Annahme, es habe sie im Laufe der Kirchengeschichte gegeben, (noch) gedeckt. Der Beweisantrag ist also in seinem Umfang erschöpft worden, und das Gericht hat sich auch an seine Wahrunterstellung gehalten.
Dasselbe gilt vom Beweisantrag vom 13.12.84, der insbesondere auf die Frage des Antisemitismus eingeht. Der Ablehungsbeschluß sieht in diesem Beweisantrag nicht durchweg einen bestimmten Tatsachenvortrag, was von der Revision gerügt wird. Indessen hat diese Einschränkung im Beschluß ersichtlich die Bedeutung, Begriffe wie "Mitte des achtzehnten Jahrhunderts" oder "seit dem antiken Christentum über die christliche Kirche des Mittelalters und die Reformation hinaus bis in die neueste Zeit", die im Beweisantrag enthalten sind, in ihrer relativen zeitlichen Unbestimmtheit zu kennzeichnen. Das ist nicht zu beanstanden. Auch der Hinweis des Gerichts auf die - als allgemein bekannt zugrundegelegte - Tatsache ist nicht rechtsfehlerhaft, daß in der Zeit des Nationalsozialismus die protestantische Kirche Deutschlands sich im Bereich der bekennenden Kirche gegen dessen (antisemitischen) Ziele ausgesprochen habe. Allgemeinkundige Tatsachen, um die es sich hier in der Tat handelt, bedürfen gem. § 244 Abs. 3 StPO keines Beweises. Im Hinblick auf diese allgemein bekannte Tatsache hat das Landgericht zu Recht von dem Beweisführer nähere, einem Beweise zugängliche Angaben gefordert, worin er eine propagandistische Unterstützung des Antisemitismus durch die protestantische Kirche sieht.
IV.
Wegen der Ausscheidung des Vertriebs der beiden Aufkleber aus dem Prozeßstoff hatte der Senat Anlaß, die Frage der Reduzierung des Rechtsfolgenausspruchs zu erwägen. In solchen Fällen eines gegenüber der Tatsacheninstanz verringerten Schuldgehalts der abgeurteilten Tat wird in der Regel dem Rechtsfolgenausspruch die Grundlage entzogen, so daß das Urteil in der Regel hinsichtlich dieses Ausspruchs der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt (BGH 28, 11, 17). Ausnahmsweise kann aber der Strafausspruch auch in Fällen verringerten Schuldgehalts aufrechterhalten werden, wenn nach der Überzeugung des Revisionsgerichts der Tatrichter die erkannte Strafe auch auf der Grundlage des geänderten Schuldumfangs ausgesprochen hätte (KK-Pikart, § 354 Rdn. 18; Meyer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 3, 23. Aufl. 1978, § 354 Rdn. 25).
Von einem solchen Ausnahmefall ist hier auszugehen. Der Tatrichter hat die an sich schon geringe Geldstrafe von 20 Tagessätzen in Form der Verwarnung mit Strafvorbehalt gem. § 59 StGB verhängt und dabei kaum plausible Gründe gefunden, aus denen sich besondere Umstände der Tat oder der Persönlichkeit der Täterin für den Vorbehalt der Strafe ergeben könnten. Insbesondere der Hinweis auf die Eignung zur Störung des Friedens in Form des Weckens und der Förderung von Haß und Verachtung (UA S. 10) sowie die Hervorhebung des nicht unbedeutenden Gewichts der Verunglimpfung (UA S. 12) scheinen solche ungewöhnlichen, zu Gunsten der Angeklagten sprechenden Umstände eher auszuschließen. Daß der Tatrichter im Falle einer Zurückverweisung die Sanktion noch weiter mildern würde, ist daher nach der Überzeugung des Senats ausgeschlossen, so daß der Strafausspruch aufrechterhalten werden konnte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.