Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.02.1988, Az.: Ss (BZ) 50/87
Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts; Anforderungen an die Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen bei der Beförderung gefährlicher Güter; Begehung einer Ordnungswidrigkeit wegen Trasport eines gefährlichen Gutes bei falscher Deklarierung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 05.02.1988
- Aktenzeichen
- Ss (BZ) 50/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1988, 15182
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1988:0205.SS.BZ50.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG ... - 11.03.1987 - AZ: 13 OWi 903 Js 1072/87
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 2 Nr. 4 d der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS)
- § 4 GGVS
- § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach der Gefahrgutverordnung Straße
Prozessgegner
Kraftfahrer ..., geboren am ... in ..., wohnhaft in ...
Der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts ...
hat am 5. Februar 1988
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom 11. März 1987 zugelassen.
- 2.
Auf die Rechtsbeschwerde wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht ... zurückverwiesen.
Gründe
Im Einspruchsverfahren gegen den Bußgeldbescheid des Landkreises ... vom 5. Dezember 1986 hat das Amtsgericht ... den Betroffenen am 11.03.1987 wegen fahrlässigen Verstoßes als Fahrzeugführer gegen § 10 Abs. 2 Nr. 4 d der Gefahrengutverordnung Straße (GGVS) i.V.m. Anlage B dieser Verordnung Rdnr. 10385 Abs. 1, 5 S. 1 i.V.m. Abs. 6 zu einer Geldbuße von 80,00 DM verurteilt, weil er Unfallmerkblätter nicht mitgeführt hat. Die Urteilsgründe lauten:
"Der Betroffene führte am 23.10.1986 gegen 15.40 Uhr auf der Bundesautobahn ... in der Gemarkung ... in Höhe die Sattelzugmaschine mit dem Kennzeichen ... mit Sattelanhänger ....
Bei einer Überprüfung wurde festgestellt, daß er u.a. auch gefährliche Stoffe der Klasse 6.1 Ziff. 89 c GGVS mit sich führte, ohne die dazugehörigen Unfallmerkblätter mitzuführen.
Der Betroffene hatte bei Übernahme der Ladung von der Firma ... nicht bemerkt, daß diese Unfallmerkblätter fehlten. Er hat damit fahrlässig gegen § 10 Abs. 2 Nr. 4 GGVS i.V.m. § 10 GGG verstoßen. Unter Berücksichtigung des Umfangs des Verschuldens erschien eine Geldbuße von 80,00 DM angemessen."
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde erhoben, deren Zulassung er beantragt. Zur Begründung führt er aus: Er habe als Fahrzeugführer von der Abfertigungsspedition der ... einen KVO-Frachtbrief erhalten, in dem ein Teil der Ladung die Kennzeichnung als gefährliche Güter i.S. der GGVS enthielt und insoweit Unfallmerkblätter beigefügt waren. Hinsichtlich der übrigen Ladung, für die er Unfallmerkblätter nicht mitgeführt habe, hätten die Ladelisten klar ergeben, daß es sich um keine gefährlichen Stoffe nach der GGVS handele. Insoweit müsse der Fehler offensichtlich bei der Verladeabteilung der Firma ... gelegen haben, die bisher stets zuverlässig gewesen sei. Der Betroffene habe sich auf die Angaben in den Ladepapieren verlassen dürfen. Er habe keinen Anlaß und keine Möglichkeit gehabt, die auf Paletten verladene und mit Schrumpffolie abgedeckte Ware auf ihre Gefährlichkeit zu prüfen.
Die Rechtsbeschwerde war nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Den materiell-rechtlich unvollständigen Urteilsfeststellungen kann nicht entnommen werden, ob das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen ebenso wie das sonstige Ergebnis der Hauptverhandlung rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Darin liegt ein sachlich-rechtlicher Fehler des Urteils, OLG ... NJW 1972, 916 [OLG Hamm 09.09.1971 - 2 Ss OWi 967/71]; ... ObLG NJW 1972, 1433; OLG ... Nds. Rpfl. 1976, 181; OLG - NJW 1977, 1410 [OLG Stuttgart 07.09.1976 - 3 Ss 526/76]; KK-Hürxthal, 2. Aufl., 1987, RN 12 zu § 267; Göhler, 8. Aufl., 1987, § 71 OWiG RN 43.
Das Amtsgericht hat nicht erörtert, ob der Betroffene dafür verantwortlich gemacht werden kann, daß die Unfallmerkblätter bei Übergabe der Ladung fehlten. Nach Nr. 10385 der Anlage B zur GGVS (Anlageband I zum BGBl. I Nr. 40 vom 30.07.1985) hat der Fahrzeugführer schriftliche Weisungen (Unfallmerkblätter) mitzuführen (Abs. 1), und zwar die für die tatsächliche Beförderung erforderlichen (Abs. 6) im Führerhaus und, sofern Warntafeln erforderlich sind, in dem Behältnis an deren Rückseite (Abs. 5). Wenn der Fahrzeug führer die Unfallmerkblätter nicht besitzt, hat der Verlader dafür zu sorgen, daß sie vor Beförderungsbeginn in dessen Besitz gelangen (Abs. 3). Aus diesem Abs. 3 ergibt sich die Verpflichtung des Verladers, dem Fahrzeugführer Unfallmerkblätter zu übergeben. Ebenso bestimmt § 4 Abs. 2 GGVS, daß der Absender den Beförderer und der Verlader den Fahrzeugführer auf das gefährliche Gut und dessen Bezeichnung (Benennung, Klasse, Ziffer und ggfls. Buchstabe der Stoffaufzählung) ... hinweisen muß. Diese Verpflichtung des Verladers entbindet den Fahrzeug führer nach der Auffassung des Senats, dem einschlägige Rechtsprechung anderer Gericht nicht bekannt geworden ist, aber nicht davon, selber zu kontrollieren, ob ihm der Verlader die erforderlichen Unfallmerkblätter ausgehändigt hat. Er muß diesen um Klarstellung bitten, wenn ein Versehen des Verladers naheliegt. Diese Kontrollpflicht gehört zu den "erforderlichen Vorkehrungen", die die an der Beförderung gefährlicher Güter Beteiligten nach § 4 Abs. 1 GGVS zu treffen haben, um Schadensfälle zu verhindern oder solche in ihrem Umfang gering zu halten. Denn Fahrzeug führer und Beifahrer sind verpflichtet, vom Inhalt der Unfallmerkblätter vor Beförderungsbeginn Kenntnis zu nehmen und bei Gefahr die nach den Unfallmerkblättern erforderlichen Maßnahmen zu treffen, Rdnr. 10385 der Anlage B zum GGVS Abs. 4. Diese Maßnahmen bestehen in den richtigen Sofortmaßnahmen bei Unfällen und Hinweisen an Polizei und Feuerwehr für weitergehende Bekämpfungsmaßnahmen, so die Richtlinien für die Erstellung von Unfallmerkblättern für den Straßenverkehr - RS OO6 vom 13.03.1985, abgedruckt in: Quester, Gefahrengutvorschriften für den Straßenverkehr (Loseblattsammlung) Band I 1.2.
Um zur Erfüllung dieser Sicherheitsmaßnahmen befähigt zu sein, wird das mit der Beförderung gefährlicher Güter betraute Fahrpersonal einer Schulung unterzogen. Die Erfüllung dieser Sicherheitsmaßnahmen setzt voraus, daß sich der Fahrzeugführer, der die erforderlichen Unfallmerkblätter nicht besitzt, nicht blind auf den Verlader verläßt, sondern prüft, ob ihm die erforderlichen Unfallmerkblätter übergeben worden sind. Den Hinweis auf diese eigene Prüfungspflicht des Fahrzeugführers ergibt der bereits genannte Abs. 3 der Nr. 10385 Anlage B: "Wenn der Fahrzeugführer die Unfallmerkblätter nicht besitzt ...". Abs. 3 muß demnach sinngemäß so gelesen werden: "Wenn der Fahrzeugführer die Unfallmerkblätter nicht besitzt, hat er sich an den Verlader zu wenden, der dafür zu sorgen hat, daß sie ihm vor Beförderungsbeginn ausgehändigt werden". Fahrlässig nach § 10 Abs. 2 Nr. 4 d GGVS handelt der Fahrzeugführer somit nicht nur, wenn er vom Verlader ausgehändigte Unfallmeklerblätter nicht mitfuhrt, sondern auch dann, wenn er weiß oder wissen kann, daß er gefährliche Güter transportiert und im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht fahrlässig nicht darauf hinwirkt, daß ihm irrtümlich vorenthaltene Unfallmerkblätter ausgehändigt werden. Dem steht nicht entgegen, daß der Frachtführer haftungsrechtlich nach der KVO und dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag in internationalen Straßengüterverkehr (§ 12 Abs. 1 S. 3 KVO, Art. 11 Abs. 2 CMR) nicht verpflichtet ist, die übergebenen Unterlagen auf Vollständigkeit zu überprüfen, vgl. BGH NJW 1987, 1144. Dieser Schadensersatzfall betraf einen mit Gefahrenguttransporten nicht vertrauten Fahrzeugführer, dem nicht mitgeteilt wurde, daß er gefährliche Güter (Drahtlack) transportierte und der diese Tatsache auch nicht dem Bündel ihm übergebener Papiere entnommen hatte.
Vorliegend macht der Betroffene geltend, er habe wegen fehlerhafter Deklarierung nicht gewußt, daß er, neben anderen, ein weiteres gefährliches Gut transportiere. Dann wird sich seine etwaige Nachfragepflicht beim Verlader danach richten, ob er die falsche Deklarierung leicht erkennen konnte. In der neuen Hauptverhandlung wird deshalb auch zu prüfen sein, wie für die kontrollierenden Polizeibeamten erkennbar gewesen ist, daß die erforderlichen Unfallmerkblätter nicht mitgeführt würden. Daraus könnten Schlüsse gezogen werden, ob den Fahrzeug führer ein Einfordern der Unfallmerkblätter vor Fahrtantritt möglich und sein entsprechendes Unterlassen schuldhaft gewesen ist.
Danach war das angefochtene Urteil auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht ... zurückzuverweisen, Dem Amtsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu übertragen, da diese von dem noch nicht abzusehenden Ausgang des weiteren Verfahrens abhängt.