Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 06.07.1987, Az.: Ss (S) 50/87

Zünden des Motors zum Zwecke des alsbaldigen Losfahrens als Beginn des Führens eines Kraftfahrzeuges

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
06.07.1987
Aktenzeichen
Ss (S) 50/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 16742
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1987:0706.SS.S50.87.0A

Fundstelle

  • NStZ 1987, 546

Verfahrensgegenstand

Fahrlässige Trunkenheit im Straßenverkehr

In dem Rechtssteit
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
in der Sitzung vom 6. Juli 1987
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht, ... Richter am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... als Verteidiger,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts ... vom 10. März 1987 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht ... hat den Angeklagten durch Urteil vom 10. März 1987 vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr aus Rechtsgründen freigesprochen.

2

Die hiergegen gerichtete zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft (§ 335 StGB) hat mit der allein erhobenen Sachrüge Erfolg.

3

Nach den Feststellungen saß der infolge einer Blutalkoholkonzentration von 1,81 o/oo fahruntüchtige Angeklagte am Abend des 3. Oktober 1986 in der Innenstadt von Braunschweig mit aufgesetztem Sturzhelm in der Absicht wegzufahren bei laufendem Motor auf seinem Motorrad Yamaha und blieb längere Zeit stehen, ohne wegzufahren. Ein Anwohner fühlte sich belästigt. Die Polizei schritt ein, ehe er Anstalten zum Wegfahren machte. Der Amtsrichter hat den Angeklagten freigesprochen und sinngemäß ausgeführt, daß ein Kraftfahrzeug i.S. von § 316 StGB erst geführt werde, wenn es sich bewegt.

4

Dem pflichtet der Senat nicht bei. Er vertritt vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Auffassung, daß ein Kraftfahrzeug bereits führt, werden Motor als Fahrer zum Zwecke des alsbaldigen Wegfahrens anläßt, ohne daß es zum Losfahren kommen muß, vgl. BGHSt 7, 315, 316 [BGH 28.04.1955 - 3 StR 13/55];  18, 6, 8 [BGH 27.07.1962 - 4 StR 215/62];  19, 371, 373 [BGH 29.07.1964 - 4 StR 236/64]; Dreher-Tröndle, 43. Aufl. (1986) RN 6 zu § 315 a StGB; Hentschel/Borm, Trunkenheit im Straßenverkehr, 4. Aufl. 1986 RN 322. Daß diese Rechtsprechung aus dem Jahre 1955 zu § 2 Abs. 1 StVZO zu dem Tatbestandsmerkmal "am Verkehr teilnehmen" ergangen ist, bedeutet nicht, daß sie überholt ist. Der Bundesgerichtshof hat in den genannten Entscheidungen darauf hingewiesen, daß die Auslegung der Rechtsfrage, daß ein Anfahren nicht erforderlich ist, bei § 2 StVZO und bei den Tatbeständen des Strafgesetzbuchs, die auf das Führen eines Kraftfahrzeuges abstellen, dieselbe ist. Die Berechtigung dieser Rechtsprechung liegt darin, daß das Zünden des Motors zum Zwecke des alsbaldigen Losfahrens nach natürlicher Auffassung der Beginn des Führens eines Kraftfahrzeuges ist. Von dieser Rechtsprechung werden im wesentlichen die Fälle erfaßt, in denen dieser einheitliche und durch Keine zeitliche Zäsur verzögerte Lebensvorgang von Starten und Losfahren durch das Eingreifen der Polizei oder infolge äußerer Umstände, wie eine Böschung als Hindernis, verhindert wird, vgl. OLG Koblenz, DAR 1972, 50 und VRS 46, 352, 353. Das Zünden des Motors zu anderen Zwecken als dem alsbaldigen eigenhändigen Losfahren begründet die Strafbarkeit als Trunkenheitsfahrt nicht. Das betrifft u.a. die Fälle, in denen der Angeklagte den Motor seines Fahrzeugs zwar anläßt, sich aber von einem anderen fahren lassen wollte, vgl. OLG Düsseldorf VM 1971, 16; OLG Celle VM 73, 19 = VRS 44, 342, oder wenn es nicht mehr zum Abfahren Kommt, weil der Angeklagte bei laufendem Motor einschläft, oder er diesen abstellt AG Freiburg, NJW 1986, 3151 [AG Freiburg 26.02.1986 - 26 Ds 175/85] = VRS 71, 283 (das die Gegenmeinung zugrunde legt); ähnlich OLG Hamm NJW 1984, 137 [OLG Hamm 02.09.1983 - 4 Ss 992/83]; a.A. OLG Schleswig VM 1974, 56.

5

Die Gegenmeinung sieht das Führen eines Kraftfahrzeuges erst als erfüllt an, wenn es sich bewegt, vgl. Schönke/Schröder-Cramer, 22. Aufl. (1985), RN 6; Leipziger Kommentar-Ruth, 10. Aufl., RN 5; Lackner, 16. Aufl. (1985) Anm. 3 a, jeweils zu § 315 c StGB; Mühlaus/Janiaszewski, StVO, 10. Aufl., § 2 Anm. 3; Janiszewski, NStZ 1984, 111;  1987, 271. Diese Auffassung beruft sich zu Unrecht darauf, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässigerweise Versuchshandlungen bestraft würden, so zuletzt Janiszewski, NStZ 1987, 271. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Anlassen des Motors als Beginn des eigenhändigen Losfahrens Keine Versuchshandlung, sondern nach natürlicher Auffassung deren Beginn, während straflose Versuchshandlungen im Vorfeld des erfolgreichen Anlassens liegen, vgl. z.B. BayObLG VRS 48, 207.

6

Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ... zurückzuweisen.

7

In der neuen Hauptverhandlung wird zu beachten sein: Die entgegen der Einlassung des Angeklagten getroffene Feststellung, er habe den Motor angelassen, um alsbald loszufahren, wird dadurch infrage gestellt, daß er längere Zeit auf seinem Motorrad mit laufendem Motor gesessen hat, ohne loszufahren. Es wird daher zu prüfen sein, aus welchem Grunde er den Motor seines Motorrades gezündet und danach längere Zeit (wie lange?) nicht weggefahren ist. Wenn sich ergeben sollte, daß er den Motor ohne die Absicht alsbaldigen Losfahrens angelassen hat, Käme eine Ordnungswidrigkeit der vermeidbaren Abgasbelästigung durch unnötiges Laufenlassen des Motors nach §§ 30 Abs. 1 S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 25 StVO, 24 StVG in Betracht, für die eine konkrete Belästigung, die nach den Gründen des angefochtenen Urteils vorgelegen hat, nicht erforderlich wäre, vgl. KG VRS 63, 390, 391 f; OLG Köln VM 1987 Nr. 45 S. 39.