Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 29.06.2015, Az.: 1 Ws 133/15

Einordnung einer Störung (hier: Pädophilie) als schwere andere seelische Abartigkeit stellt eine Rechtsfrage dar

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
29.06.2015
Aktenzeichen
1 Ws 133/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 29675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2015:0629.1WS133.15.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerfG - 16.08.2017 - AZ: 2 BvR 1496/15

Fundstellen

  • NStZ-RR 2016, 7
  • NStZ-RR 2016, 77-78
  • RPsych 2016, 238-239

Amtlicher Leitsatz

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist nur dann für erledigt zu erklären, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass der Defektzustand oder die daraus resultierende Gefährlichkeit des Täters weggefallen ist; Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten.

2. Eine Pädophilie kann den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB erreichen. Aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten ist darauf abzustellen, ob die pädophilen Neigungen den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er nicht die zur Bekämpfung seiner Triebe erforderlichen Hemmungen aufbringt; in diesem Fall ist die Annahme einer rechtserheblichen Störung gerechtfertigt.

3. Ob das beim Täter vorliegende Störungsbild unter eines der Eingangsmerkmale von §§ 20, 21 StGB zu subsumieren ist, ist eine Rechtsfrage. Das Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer (nachfolgend: Untergebrachter) wurde durch Urteil des Landgerichts H. vom 24. September 2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Nach den Feststellungen des Urteils folgte der Untergebrachte am 25. Februar 2004 in einem Hallenbad einem damals dreizehnjährigen Jungen in eine Toilettenkabine, stellte sich vor die Tür, hielt den Mund des Jungen zu und forderte diesen auf, sich auf die Toilettenschüssel zu setzen und die Badehose herunterzuziehen. Nachdem der verängstigte Junge dieser Aufforderung Folge geleistet hatte, berührte der Untergebrachte den Penis und das Gesäß des Jungen, entblößte anschließend seinen eigenen Unterleib und masturbierte seinen Penis bis zum Samenerguss. Das Ejakulat spritzte er dem Jungen ins Gesicht. Die Tat dauerte mindestens zehn Minuten. Der Untergebrachte hatte zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von circa 1,2 g/Promille (Bl. 5/6 Bd. I VH). Die Kammer ging auf Basis eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. davon aus, dass die Steuerungsfähigkeit des Untergebrachten zur Tatzeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert war. Beim Untergebrachten bestehe eine Pädophilie bei einer Persönlichkeitsstörung, die mit emotional instabilen und unreifen Elementen gekennzeichnet sei, wobei diese Persönlichkeitsstörung fixierte, unflexible Reaktionen auf Belastungen in allen Bereichen der Persönlichkeit mit der Neigung zu verbal-aggressiven oder auch tätlichen Impulsdurchbrüchen umfasse. Hinzu kämen deutliche Hinweise auf eine intellektuelle Teilleistungsschwäche und ein nicht unerheblicher Alkoholmissbrauch. Infolge dieses komplexen Krankheitsbildes und unter dem Einfluss - wenn auch geringen - Alkoholkonsums im Tatvorfeld sei der Untergebrachte in seinem Hemmungsvermögen gegenüber dem Tatanreiz erheblich vermindert gewesen.

Vor dieser Tat hatte der Untergebrachte bereits eine vierjährige Jugendstrafe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung in zwei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Tatzeiten: Herbst 1998 bis Juni 1999) vollständig verbüßt. Er war am 1. Juli 2003 aus dem Strafvollzug entlassen worden.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird seit dem 22. November 2004 vollzogen. Zuvor hatte der Untergebrachte sich seit dem 4. März 2004 in Untersuchungshaft befunden. Nach Aufenthalten in den Maßregelvollzugsanstalten W. und K. befindet er sich seit dem 5. Oktober 2005 im Maßregelvollzugszentrum N. in M., zeitweise auch in der Außenstelle G. Seitdem wurde er zweimal von externen Sachverständigen begutachtet:

Zunächst erstattete der Sachverständige Dr. J. am 9. Oktober 2009 ein Gutachten. Er diagnostizierte beim Untergebrachten eine homosexuelle Pädophilie, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit unreifen und passiv-aggressiven Zügen sowie einen schädlichen Gebrauch von Alkohol - in beschützter Umgebung abstinent. Die dissozial-psychopathische Störung mache den Untergebrachten schwer therapierbar. Er sei nicht bereit, das Behandlungsregime des Teams zu akzeptieren, versuche die eigenen Vorstellungen durchzusetzen und nur das zu tun, was ihm sinnvoll erscheine bzw. Spaß mache. Basale Anforderungen an das Gemeinschaftsleben, beispielsweise die Hygiene oder der Versuch, sich weniger alimentär selbstschädigend zu verhalten, seien sämtlich unzureichend. Die Gefährlichkeitsprognose sei sehr ungünstig. Bei einer Entlassung des Untergebrachten würde er aufgrund seiner sozialen Inkompetenz rasch Anstoß erregen oder unzufrieden werden, sich hängen lassen, wieder Alkohol trinken und herumstromern. Es drohe die Gefahr sexueller Impulsdurchbrüche bzw. einschlägiger pädosexueller Straftaten, zumal mit dem Untergebrachten noch nicht die Erarbeitung einer differenzierten Rückfallvermeidung möglich sei.

Im Jahr 2014 wurde der Untergebrachte vom Sachverständigen Prof. Dr. K. begutachtet. Dieser diagnostizierte beim Untergebrachten lediglich noch eine auf Jungen bezogene Pädophilie und eine akzentuierte, hospitalisierte Persönlichkeit mit anamnestisch erheblichen kindlichen und jugendlichen Verhaltensstörungen, weil aktuell querschnittlich keine persistierende klinisch relevante Persönlichkeitsstörung mehr erkennbar sei. Zudem biete der Untergebrachte nach zehnjähriger Beobachtung in der Psychiatrie keine Anzeichen für eine Suchterkrankung. Dennoch bestehe das Risiko, dass er wieder gleichartige Handlungen begehen wird, fort. In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Januar 2015 führte der Sachverständige darüber hinaus aus, dass nicht zu erkennen sei, dass die dissozialen Verhaltensgewohnheiten des Untergebrachten zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit hinsichtlich sexueller Übergriffe führen würden. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit, der Selbstkontrolle und der Verhaltensmöglichkeiten des Untergebrachten sei nicht gegeben. Im Rahmen der Anhörung des Untergebrachten und des Sachverständigen durch die Strafvollstreckungskammer am 8. April 2015 führte der Sachverständige zudem aus, dass die Dissozialität beim Untergebrachten eher im Zeitfenster der Pubertät aufgetreten sei. Inzwischen sei es bei ihm zu einer Verhaltensstabilisierung gekommen.

Das Maßregelvollzugszentrum N. regt die Fortdauer der Unterbringung an und hat in der Stellungnahme vom 1. Dezember 2014 unter anderem ausgeführt, dass der Untergebrachte durchgängig eine passiv-orale Haltung hinsichtlich der Behandlungsmotivation einnehme. Dies sei vereinbar mit der Diagnose einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung. Zudem bestehe die homosexuelle Pädophilie beim Untergebrachten fort. Unter medikamentösem Schutz mit einem Antiandrogen seien schrittweise Lockerungen denkbar. Eine Verlegung ins A. Fachklinikum G. für einen therapeutischen Neuanfang lehne der Untergebrachte ab. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe bei ihm nach wie vor das sehr hohe Risiko, dass er ohne die Halt gebenden Strukturen einer Maßregelklinik einschlägige Rückfalldelikte begehen könnte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 1. Dezember 2014 verwiesen.

Mit Beschluss vom 16. April 2015 hat die Große Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung angeordnet .

Gegen diesen Beschluss, der dem Verteidiger des Untergebrachten am 23. April 2015 zugestellt wurde, richtet sich die vom Verteidiger für den Untergebrachten eingelegte sofortige Beschwerde vom 23. April 2014, die am selben Tag beim Landgericht G. eingegangen ist. Der Untergebrachte begehrt die Erledigung der Maßregel sowie die vollständige Anrechnung der im Maßregelvollzug verbüßten Zeit auf die Freiheitsstrafe.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 463 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 Satz 1, 462 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft, form- und fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegt und auch sonst zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Die Voraussetzungen der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus liegen weiterhin vor.

1. Die Voraussetzungen für eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 1. Alt. StGB sind nicht erfüllt. Die Erledigung ist nur auszusprechen, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass der bei den Anlasstaten bestehende Defektzustand oder die daraus resultierende Gefährlichkeit des Untergebrachten weggefallen ist; Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten (vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 67d Rn. 24; Veh, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Auflage, § 67d Rn. 28). Dies ist vorliegend nicht der Fall:

a) Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat bei dem Untergebrachten mit überzeugender Begründung eine Pädophilie (ICD-10: F65.4) diagnostiziert, die bereits bei Begehung der Anlasstaten bestanden habe und unvermindert fortbestehe. Der Senat hat zwar keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Diagnose, die durch die Anlasstaten und die oben erwähnte Vorstrafe anschaulich belegt wird. Der Senat vermag sich aber - ebenso wie die Strafvollstreckungskammer - nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon zu überzeugen, dass die beim Untergebrachten vorliegende Pädophilie nicht als schwere andere seelische Abhängigkeit einzustufen ist. Ob das Störungsbild unter eines der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zu subsumieren ist, ist eine Rechtsfrage. Das Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2010, Az.: 2 StR 48/10 - juris Rn. 10; OLG Braunschweig, Beschluss vom 24. September 2014, Az.: 1 Ws 206/12 + 1 Ws 198/13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2007, Az.: 2 Ws 137/07 - juris Rn. 12).

Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat seine Auffassung, dass eine schwere andere seelische Abartigkeit beim Untergebrachten bezogen auf die Pädophilie von Anfang an nicht vorgelegen habe, damit begründet, dass die Pädophilie als solche nach übereinstimmender Lehre keine schwere andere seelische Abartigkeit darstelle, sondern einfach eine Norm abweichende, deviante sexuelle Orientierung sei. Diese normative Bewertung gehört bereits nicht zu den Aufgaben des Sachverständigen und trifft auch nicht in jedem Fall zu. Dabei ist auch nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie, die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB gleichzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2000, Az.: 1 StR 420/00 - beck online; Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 20 Rn. 41; Schöch, in: Leipziger Kommentar StGB, 12. Auflage, § 20 Rn. 155). Vielmehr ist aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Taten darauf abzustellen, ob seine pädophilen Neigungen den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt. Bei einer derartigen Persönlichkeitsentartung ist die Annahme einer rechtserheblichen Störung gerechtfertigt (vgl. Streng, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Auflage, § 20 Rn. 97; Schöch, aaO.).

Eine solche Gesamtbetrachtung hat der Sachverständige nicht vorgenommen. Im Anhörungstermin am 8. April 2015 hat er auf Nachfrage der Strafvollstreckungskammer, inwieweit der Untergebrachte eingeschränkt sei, das Ausleben seiner pädophilen Fantasien zu steuern, ausgeführt, dass dies "Karlsruher Metaphorik" sei und er selbst dies nicht einschätzen könne; er glaube nicht an die schiere pädophile Persönlichkeitsstörung. Da der Untergebrachte bislang sein Innenleben nicht offenbart hat, können keine Feststellungen getroffen werden, was in ihm vorgeht und wie sehr ihn pädophile Inhalte beschäftigen. Sein Interesse für Jungen/junge Männer, das er seit dem Alter von zwölf Jahren wiederkehrend ausgelebt hat, spricht er in der Klinik nicht an und setzt sich auch nicht therapeutisch damit auseinander. Die vierjährige Inhaftierung des Untergebrachten im Jugend- bzw. Jungtätervollzug hat ihn nicht von der Begehung einer erneuten einschlägigen Straftat abgehalten, wobei die Rückfallgeschwindigkeit sowie die Entdeckungsgefahr bei der Tat verhältnismäßig hoch war. Dies spricht für eine Herabsetzung des Hemmungsvermögens. Dass sich der Untergebrachte in den letzten Jahren in der Klinik junge, leicht beeinflussbare Männer als Sexualpartner ausgesucht hat - teilweise auch während er mit seinem ehemaligen Lebenspartner (die Partnerschaft dauerte lediglich ein Jahr) liiert war - entspricht, bezogen auf die Gegebenheiten in einem psychiatrischen Krankenhaus, durchaus seinem Tatmuster. Aufgrund der durch die fehlende Offenheit des Untergebrachten bestehenden Unklarheit über sein inneres Erleben in Bezug auf seine Sexualität und die Straftaten ist es letztlich nicht möglich, verlässlich einzuschätzen, ob die Pädophilie den Untergebrachten in seiner Persönlichkeit so nachhaltig verändert hat, dass sein Hemmungsvermögen in Bezug auf strafrechtlich relevantes Sexualverhalten erheblich herabgesetzt ist oder ob dies nicht der Fall ist.

Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Paraphilie die Persönlichkeit des Untergebrachten derart beherrscht, dass die Störung den erforderlichen Schweregrad für das 4. Merkmal des § 20 StGB erreicht. Diese Beurteilung betrifft den Zeitpunkt des Anlassurteils und den heutigen Zustand gleichermaßen. Angesichts der bislang fehlenden Therapiefortschritte ist nicht ersichtlich, dass es Änderungen gegeben hat. Dass beim Untergebrachten inzwischen keine Dissozialität und auch nicht das Emotional-Instabile mehr im Klinikalltag zu spüren ist und die Maßregelvollzugsanstalt - insbesondere aufgrund der im Januar bis Oktober 2014 vom Untergebrachten unternommenen Anstrengungen zur Gewichtsreduktion - von einer Nachreifung ausgeht, lässt keinen gegenteiligen Rückschluss zu, zumal der Untergebrachte im Oktober 2014 wieder in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen ist und keinem Sport und keiner Arbeit mehr nachgeht.

b) Darüber hinaus kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass beim Untergebrachten keine Persönlichkeitsstörung (mehr) besteht. Eine solche wurde beim Untergebrachten sowohl vom im Erkenntnisverfahren tätigen Sachverständigen Dr. B. (Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, emotional instabilen und unreifen Elementen, wobei diese Persönlichkeitsstörung fixierte, unflexible Reaktionen auf Belastungen in allen Bereichen der Persönlichkeit mit der Neigung zu verbal-aggressiven oder auch tätlichen Impulsdurchbrüchen umfasse) als auch vom Sachverständigen Dr. J. im Jahr 2009 (dissoziale Persönlichkeitsstörung mit unreifen sowie passiv-aggressiven Anteilen) diagnostiziert.

Nach den Ausführungen der Maßregelvollzugsanstalt in der Stellungnahme vom 1. Dezember 2014 seien im Klinikalltag zwar keine Dissozialität und emotional-instabilen Anteile mehr beim Untergebrachten wahrnehmbar, jedoch trete die Persönlichkeitsstörung inzwischen im Sinne einer passiv-aggressiven Problematik auf (ICD-10: F60.8) und habe in den letzten zwei Jahren lediglich leicht abgemildert werden können. Charakteristisch für eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung sei die Widerständigkeit gegenüber Anforderungen mit einer durchgängig negativistischen, angstgetönten und abwertenden Grundhaltung. Sie sei auch gekennzeichnet durch ein tiefgreifendes Muster negativistischer Einstellungen und passiven Widerstandes gegenüber Anregungen und Leistungsanforderungen, die von anderen Menschen kommen.

Soweit der Sachverständige Prof. Dr. K. der Auffassung ist, dass beim Untergebrachten keine passiv-aggressive bzw. emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vorliegt bzw. eine beim Untergebrachten möglicherweise zur Tatzeit vorhandene dissoziale Persönlichkeitsstörung nicht den für die Erfüllung des Kriteriums des 4. Merkmals von § 20 StGB erforderlichen Schweregrad aufweist, hat er dies damit begründet, dass der Untergebrachte zwar schon als unreif anzusehen sei, dies aber auf die Entmündigung durch die Institutionen und die Fähigkeit des Untergebrachten, sich hospitalisieren zu lassen, zurückzuführen sei. Die vorgenannte Diagnose würde er, der Sachverständige, nur bei einer Person akzeptieren, die das vom Untergebrachten gezeigte Verhalten in Freiheit zeigen würde. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, mit der für eine Erledigung der Maßregel erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass die Diagnosen der Sachverständigen Dr. B., Dr. J. und der Ärzte in der Maßregelvollzugsanstalt zum Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung beim Untergebrachten unzutreffend sind. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat selbst ausgeführt, dass seine divergierende Einschätzung auf Wertungsgesichtspunkten beruhe. Anhaltspunkte für Fehler der Sachverständigen oder der Strafkammer im tatsächlichen Bereich bestehen nicht.

Bei der Persönlichkeitsstörung in ihrer von der Maßregelvollzugsanstalt diagnostizierten aktuellen Ausprägung handelt es sich um kein neues Krankheitsbild, das zur Tatzeit noch nicht beim Untergebrachten vorgelegen hat. Vielmehr handelt es sich um einen länger andauernden geistigen Defekt, der für die Verminderung der Schuldfähigkeit des Untergebrachten zur Tatzeit zumindest mitursächlich gewesen ist. Der Untergebrachte hat seit seiner Kindheit bzw. Jugend extrinsischen Leistungs- und Veränderungsanforderungen Widerstand sowohl durch Verweigerung als auch in Form tätlichen Verhaltens entgegengebracht:

Der Sachverständige Dr. J. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Untergebrachte bereits im Jahr 1984 Verhaltensauffälligkeiten, beispielsweise aggressive Tendenzen aufgewiesen habe. Im Jahr 1989 habe ein Neurologe beim Untergebrachten eine verminderte Belastungsfähigkeit, leichte Erregbarkeit sowie Konzentrationsstörungen bei distanzlosem Kontakt festgestellt. Im Jahr 1990 sei von einem Jugendpsychotherapeuten festgestellt worden, dass der Untergebrachte ein zu schwach ausgebildetes moralisches Gewissen aufweise und zur spontanen Triebbefriedigung neige. Er erkenne elterliche Autorität nicht an und reagiere bei Anforderungen mit unkontrollierten Wutausbrüchen und extremen Beschimpfungen. Ab der 7. Klasse habe der Untergebrachte jegliche Mitarbeit in der Schule verweigert und diese nach mangelhaften Leistungen in der 8. Klasse verlassen. Während des Aufenthalts des Untergebrachten in der Jugendhilfeeinrichtung in F. ab dem Jahr 1993 sei es immer wieder zu aggressiven Ausbrüchen und tätlichen Übergriffen auf Mitarbeiter und Mitbewohner gekommen. Berufspraktische Ausbildungen in den Jahren 1996 und 1997 habe der Untergebrachte jeweils abgebrochen; im November 1997 habe es eine tätliche Auseinandersetzung mit einer Erzieherin gegeben. Im Laufe der Behandlung des Untergebrachten im Landeskrankenhaus H. im Jahr 1998 sei von einer zunehmenden Reifestörung mit verminderter Frustrationstoleranz, aggressiven Impulsen sowie erheblichem Vermeidungsverhalten gesprochen worden. In der JA H. und in der JVA V. sei der Untergebrachte unter anderem dadurch aufgefallen, dass er keine Veränderungsbereitschaft gezeigt habe, so dass Therapieversuche erfolglos geblieben seien; mit seinen Straftaten konfrontiert sei er sehr schnell unruhig geworden und habe in einem Höchstmaß aggressiv reagiert. Beruflichen Anforderungen der Haftanstalt habe er unrealistische Ziele entgegengesetzt. Beispielsweise habe er eine Ausbildung zum Friseur bzw. zum Rettungsassistenten angestrebt; beides sei aber nicht realisierbar gewesen. Der Versuch einer ambulanten verhaltenstherapeutischen Behandlung sei mangels Motivation des Untergebrachten gescheitert.

Die passiv-orale Haltung des Untergebrachten ist nach den Ausführungen der Maßregelvollzugsanstalt in der Stellungnahme vom 1. Dezember 2014 auch durchgängig im Maßregelvollzug aufgetreten. Erkennbar sei der Widerstand beim Untergebrachten etwa in der Wahl einer Einzeltherapeutin, die krankheitsbedingt lange ausfallen wird, sowie eines Programms zur Gewichtsreduktion, das nur mit erheblichen Lockerungen durchzuführen wäre. Letztlich entziehe sich der Untergebrachte auf diese Art und Weise jeglichem Anspruch auf Veränderung, könne zugleich die Gründe für seinen Stillstand in seiner Umgebung suchen (Externalisierung) und so sein Selbst stabilisieren.

Die Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten beruht mithin sowohl in ihrer früheren als auch in ihrer heutigen Ausprägung auf derselben Defektquelle. Auch drohen wegen dieses Zustandes - und wegen der Pädophilie - im Fall einer etwaigen Entlassung des Untergebrachten aus dem Maßregelvollzug wahrscheinlich erhebliche Straftaten in Form von (schwerem) sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176, 176a StGB) bzw. Vergewaltigung (§ 177 StGB). Die Maßregelvollzugsanstalt hat dazu ausgeführt, dass es dem Untergebrachten aufgrund des Störungsbildes - auch in seiner aktuellen Ausprägung - nicht gelinge, zu erwachsenen und damit gleichrangigen Partnern Kontakt aufzunehmen und so auch seine sexuellen Bedürfnisse adäquat zu regeln, so dass er bei kindlichen Sexualpartnern lande; er sei auch nicht willens, sich damit auseinanderzusetzen. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K. hat ausgeführt, dass die Rückfallgefahr beim Untergebrachten statistisch betrachtet relativ hoch sei. Es bestehe auf jeden Fall ein basales Risiko, das allerdings durch die nachhaltige Straferfahrung aus den vergangenen Jahren eingeschränkt sei. Ihm, dem Sachverständigen, sei aber klar, dass der Vorsatz des Untergebrachten, nicht wieder hinter Gitter zu kommen, allein für eine günstige Prognose nicht ausreiche.

2. Auch die Voraussetzungen einer Aussetzung der Maßregel zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 StGB liegen nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine störungsbedingten erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen würde.

Dabei beherrscht der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl die Anordnung als auch die Fortdauer der Unterbringung. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutsverletzungen verlangt nach einem gerechten und vertretbaren Ausgleich. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985, Az.: 2 BvR 1150/80, 2 BvR 2504/80 - juris Rn. 43). Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hängt das erforderliche Maß an Gewissheit für künftig straffreies Verhalten einerseits wesentlich vom Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ab, wird aber andererseits durch die Dauer der Unterbringung wieder dahin relativiert, dass bei einem bereits langandauernden Freiheitsentzug etwaige Zweifel an einer günstigen Kriminalprognose leichter überwunden und Risiken in Kauf genommen werden müssen, um damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 24. September 2014, Az.: 1 Ws 206/12 + 1 Ws 198/13). Das geforderte Maß der Wahrscheinlichkeit einer günstigen Prognose hängt maßgeblich vom Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ab (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 7. Mai 2001, Az.: 1 AR 43/01, 5 Ws 23/01 - juris Rn. 3).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nicht in Betracht.

Nach wie vor ist zu befürchten, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs insbesondere Kinder sexuell missbrauchen bzw. vergewaltigen wird. Er bedroht damit Rechtsgüter, denen in der Abwägung ein besonders hohes Gewicht beizumessen ist. Aus dem Gesamtverlauf der Unterbringung ist deutlich geworden, dass der Untergebrachte immer noch dazu neigt, ihm unterlegene Personen - im geschützten Rahmen der Unterbringung: junge, leicht beeinflussbare Mitpatienten - zu sexuellen Handlungen zu bewegen. Die kurzzeitige Lebenspartnerschaft des Untergebrachten und die Tatsache, dass es im geschützten Bereich des Maßregelvollzugs zu keinem sexuellen Missbrauch von Kindern mehr gekommen ist, sind nicht geeignet, die Prognose maßgeblich zu verbessern. Beide Aspekte bieten keine konkreten Anhaltspunkte, dass sich die sexuelle Devianz des Untergebrachten inzwischen geändert hat. Auch der Sachverständige Prof. Dr. K. hat geäußert, dass die Annäherung des Untergebrachten an junge erwachsene Partner im Maßregelvollzug ein reines Ausweichverhalten sein könne und diesbezüglich keine sicheren Aussagen möglich seien.

Nach der Überzeugung des Senats ist das Maß der Gefährdung durch den Untergebrachten besonders hoch, weil weder eine ausreichende Aufarbeitung der Anlasstat noch eine hinreichende Veränderung seiner Persönlichkeit, insbesondere hinsichtlich der Erkenntnis der Erforderlichkeit von einem offenen Umgang mit Therapeuten und der Erarbeitung von Rückfallvermeidungsstrategien und der Umsetzung dieser Erkenntnisse im Alltag, stattgefunden hat. Die Gründe sind im Untergebrachten selbst zu finden, der sich im Ergebnis - insbesondere bedingt durch seine Persönlichkeitsproblematik - nicht auf eine erfolgreiche Behandlung einlassen kann. Das durch diese erhebliche Gefahr beeinträchtigte Allgemeininteresse am Schutz von Kindern vor (schwerem) sexuellen Missbrauch bzw. vor Vergewaltigung überwiegt nach Bewertung des Senats trotz der bisherigen Dauer der Unterbringung das immer gewichtiger werdende Freiheitsinteresse des Untergebrachten.

Mildere Maßnahmen als die weitere Unterbringung im Maßregelvollzug, durch welche die Gefährlichkeit des Untergebrachten auf ein vertretbares Maß gesenkt werden könnte, sind nicht ersichtlich. Der Sachverständige Prof. Dr. K. empfiehlt zwar den Einsatz triebdämpfender Medikamente und schlägt vor, die Haftzeit zur Bewährung auszusetzen. Diese Empfehlung begründet er indes damit, dass beim Untergebrachten nötige rückfallpräventive verhaltenstherapeutische Maßnahmen aufgrund der geringen Reststrafe im Strafvollzug nicht erarbeitet werden könnten sowie dass er das Gefühl habe, dass sich die Situation zwischen dem Untergebrachten und der Klinik "verhakt" habe und deshalb zu befürchten sei, dass sich in absehbarer Zeit nichts ändern werde. Anknüpfungspunkte für eine Verringerung der Gefährlichkeit bzw. für das Vorliegen einer positiven Sozialprognose bestehen auch nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht. Die Maßregelvollzugsanstalt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass ein medikamentöser Schutz für sich genommen nicht ausreichend sei, weil sich der Untergebrachte kaum störungseinsichtig zeige und deshalb ein hohes Risiko für ein kontratherapeutisches Verhalten bei ihm bestehe. Zudem wurde der Untergebrachte bislang nicht ausreichend in Lockerungen erprobt.

Es besteht allerdings die Hoffnung, dass durch den Maßregelvollzug die Voraussetzungen für eine Entlassung mit vertretbarem Risiko noch geschaffen werden können. Dafür spricht, dass beim Untergebrachten inzwischen eine Nachreifung erfolgt ist und die bisherigen therapeutischen Bemühungen der Maßregelvollzugsanstalt immerhin zu einer leichten Milderung der Persönlichkeitsstörung geführt haben; der Untergebrachte hat im letzten Jahr über einen längeren Zeitraum hinweg Anstrengungen unternommen, sein Übergewicht zu reduzieren und dadurch Eigenverantwortung zu übernehmen. Die Klinik hält nunmehr eine schrittweise Lockerung des Untergebrachten unter medikamentösem Schutz für verantwortbar und empfiehlt die Fortsetzung der Maßregelvollzugsbehandlung, bevorzugt aber in einer anderen Klinik. Ob der Untergebrachte durch die Gewährung von Lockerungen zur therapeutischen Mitarbeit motiviert werden kann und die Erarbeitung von Rückfallvermeidungsstrategien mit ihm möglich sein wird, bleibt abzuwarten.

3. Da aus den vorgenannten Gründen das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Freiheitsinteresse des Untergebrachten weiterhin überwiegt, kommt auch eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 2. Alt. StGB nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.