Amtsgericht Helmstedt
Urt. v. 10.09.2008, Az.: 3 C 135/08 (3 C)
Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung eines Swimmingpools durch ein aufgescheuchtes Wildschwein; Verkehrssicherungspflichten eines Jagdpächters; Jagdrechtlicher Tatbestand einer sog. Treibjagd
Bibliographie
- Gericht
- AG Helmstedt
- Datum
- 10.09.2008
- Aktenzeichen
- 3 C 135/08 (3 C)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 37369
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHELMS:2008:0910.3C135.08.3C.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 20 BJagdG
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Helmstedt
auf die mündliche Verhandlung vom 27.08.2008
durch
den Richter Dr. Seeberg
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.)
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- 4.)
Streitwert: Wertstufe bis 1.200,00 €
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Verkehrssicherungspflichtverletzung in Anspruch.
Am 17.12.2007 lief ein aufgescheuchtes Wildschwein auf das Grundstück des Klägers in ... der und stürzte dabei in den abgedeckten Swimmingpool des Klägers. Hierdurch wurden die Winterabdeckfolie und die Abdichtfolie zerstört. Das Wildschwein musste daraufhin durch einen Jäger erlegt werden.
Vor diesem Geschehen auf dem Grundstück des Kläger informierte ein Twieflinger Landwirt den Beklagten, welcher Jagdpächter des Jagdbezirkes Twieflingen ist, darüber, dass Wildscheine in einem Senfacker, den der Landwirt zu bearbeiten gedachte, übergewechselt seien. Daraufhin umstellten 10 Jäger die Ackerfläche, welche sich in ca. 1,5 km Entfernung zum Grundstück des Klägers befindet. Der Landwirt begann sodann mit der Bearbeitung des Senfackers. Die aufgrund der landwirtschaftlichen Tätigkeit aufgescheuchten Wildschweine sollten beim Auswechseln aus der Nutzfläche erlegt werden, um weitere Wildschäden zu vermeiden. Einige Wildscheine wurden von den Jägern erlegt, einige konnten die Ackerfläche verlassen und flüchteten. Welchen Weg diese Tiere nahmen, ist unklar.
Der Kläger behauptet, das Tier, welches seinen Swimmingpool beschädigt habe, gehöre zu der Gruppe von Wildscheinen, die bei der Jagd am Senfacker aufgescheucht worden seien. Er ist der Auffassung, dass die Jäger bei der Jagd Verkehrssicherungspflichten verletzt hätten. Er ist der Ansicht, es hätte darauf geachtet werden müssen, dass der Senfacker von der Seite befahren wird, welche der Ortschaft, in der auch der Kläger wohnt, zugewandt liege. Hierdurch hätte sich das Wild von der Ortschaft wegbewegt. Zudem ist der Kläger der Auffassung, dem Beklagten hätte es oblegen, unter Einsatz von wildscharfen Stöberhunden zu versuchen, die Tiere auch vor dem Befahren des Schlages durch den Schlepper hochzumachen. Der Kläger behauptet, an seinem Swimmingpool sei ein Schaden in Höhe des geltend gemachten Klagebetrages von 1.200,00 € entstanden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von 1.200,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, er habe keine Verkehrssicherungspflichten verletzt, da es sich insbesondere nicht um eine Treibjagd gehandelt habe und eine weitergehende Absicherung nicht geboten gewesen sei. Die Tiere wären durch die landwirtschaftlichen Maschinen auch ohne die Anwesenheit der Jäger aufgeschreckt worden. Zudem habe auch die Niedersächsische Forstverwaltung im Ostelm eine Drückjagd abgehalten, an welcher sich auch andere Jagdbezirke beteiligt hätten. Das Tier habe auch aufgrund dieser Jagd in die Wohnsiedlung geflüchtet sein können.
Der Kläger hat dem Niedersächsischen Landesforsten den Streit verkündet mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten. Für die Einzelheiten wird auf die Streitverkündungsschrift vom 12.06.2008 (Bl. 16 f. d.A.) verwiesen. Mit Schreiben vom 10.09.2008 ist die Anstalt Niedersächsische Landesforsten dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Streitverkündeten (Bl. 33 ff. d.A.) Bezug genommen.
Für die weiteren Einzelheiten, insbesondere in Bezug auf die geäußerten Rechtsauffassungen, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Es besteht insbesondere kein Anspruch aus §823 BGB (i.V.m. §20 BJagdG).
Für einen Anspruch aus §823 Abs. 1 BGB (i.V.m. §20 BJagdG) fehlt es an der Verletzung einer dem Beklagten grundsätzlich obliegenden Verkehrssicherungspflicht.
1.
Verkehrssicherungspflichten sind allgemeine Rechtspflichten, wonach derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich Gefahren schafft oder andauern lässt, alle geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen treffen muss, um Gefahren von Dritten abzuwenden (vgl. Sprau, in: Palandt, 67. Auflage, 2008, §823 Rn. 46).
Auch den Veranstalter einer Jagd trifft grundsätzlich eine Verkehrssicherungspflicht (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar, 4. Aufl., 2004, §823 Rn. 526). Im Rahmen von sogenannten Treibjagden auf Wildschweine ist ein Jagdveranstalter etwa grundsätzlich verpflichtet, Gefahren, die durch flüchtendes Wild für unbeteiligte Dritte entstehen können, auszuräumen (vgl. Landgericht Aschaffenburg, Urteil vom 30.07.1998, 2 S 329/97, zitiert nach [...]).
Vorliegend ist nicht von der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auszugehen. Eine Verkehrssicherungspflicht soll grundsätzlich nicht alle erdenklichen Schäden ausschließen. Maßgeblich für die Reichweite der zu treffenden Vorkehrungen ist das, was ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen denkender Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises für notwendig und auch ausreichend halten darf (vgl. Sprau, in: Palandt, a.a.O., §823 Rn. 51), um Schäden an Rechtsgütern Dritter zu vermeiden.
Im vorliegenden Rechtsstreit sind nach Auffassung des Gerichts die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten im Grundsatz geringer als im Rahmen einer sogenannten Treibjagd (vgl. auch Wagner, in: Münchener Kommentar, a.a.O., §823 Rn. 526), die hier gerade nicht vorliegt.
Bei einer Treibjagd werden gezielt Personen als Treiber eingesetzt, die das Wild aufscheuchen, damit die Jäger die Tiere letztlich erlegen können. Dabei wird gerade eine bestimmte besondere Gefahrenlage geschaffen. Eine Vergleichbarkeit mit der hier zu beurteilenden Situation ist nicht gegeben. Die Jäger haben den Senfacker lediglich umstellt, um das auswechselnde Wild ggf. zu erlegen und damit weitere Schäden in naheliegenden landwirtschaftlichen Flächen zu vermeiden. Der Landwirt hat schließlich mit seiner Maschine den Acker befahren, um diesen zu bearbeiten. Im Rahmen der landwirtschaftlichen Arbeiten sind die Wildschweine dann aufgescheucht worden. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte etwa veranlasst hätte, dass das Wild in die Richtung des Wohngebietes getrieben worden wäre. Ein gezieltes Treiben von Seiten der Jäger hat nicht stattgefunden. Auch lagen keine sonstigen weiteren besonderen Umstände, wie z.B. das Mitführen von Jagdhunden vor, die zu einer Erhöhung der Anforderungen an Verkehrssicherungspflichten geführt hätten.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte seine grundsätzlich bestehende Verkehrssicherungspflicht nicht hinreichend beachtet hat. Der Senfacker, in welchem die Wildschweine "hochgemacht" worden sind, liegt rund 1,5 km von dem Wohngebiet entfernt, in dem sich das Grundstück des Klägers befindet. Auf eine solch weite Entfernung hin war es dem Klägern nicht zumutbar, das Verhalten der Wildschweine vorherzusehen. Insbesondere war nicht damit zu rechnen, dass ein einzelnes Tier - unterstellt, es handelte sich um ein Tier aus der aufgescheuchten Rotte - sogar bis in die Ortslage vordringt. Vielmehr hätten die Wildscheine auf diverse Hindernisse, wie etwa Straßen oder Abzäunungen treffen können, was eine Änderung der Laufrichtung der Tiere hätte bewirken können.
Auch die von dem Kläger behaupteten Handlungsalternativen vermögen keine Verkehrssicherungspflichtverletzung durch den Beklagten zu begründen, da das schädigende Ereignis selbst dann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre.
Das Befahren mit der landwirtschaftlichen Maschine aus Richtung der Ortschaft, wie es der Kläger für notwendig erachtete, hätte keine Garantie dafür geboten, dass die Wildschweine sich von dem Wohngebiet weg bewegen. Die Wildschweine wären dann auf die Jäger, die auf der anderen Seite des Ackers hätten Stellung beziehen müssen, getroffen, was wiederum dazu hätte führen können, dass die Wildscheine ihren Lauf in Richtung Ortschaft verändert hätten.
Eine Möglichkeit, die Ortschaft vor Schäden zu bewahren, hätte ggf. darin bestanden, Streckenposten aufzustellen, welche die Laufrichtung der Tiere beobachtet und unter Umständen die Tiere erlegt hätten. Dies hätte jedoch bei einer Strecke von etwa 1,5 km bis zur Ortschaft einen unverhältnismäßigen unzumutbaren Aufwand bedeutet (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 17.02.2003, 9 U 12/03 zitiert nach [...]). Eine Absicherung dieser Art wäre in der kurzen Zeit, die erforderlich war, um die landwirtschaftlichen Arbeiten zu sichern, aus praktischen Gründen auch kaum möglich gewesen. Insbesondere bei der Anzahl von 10 Jägern bestanden keine ausreichenden Kapazitäten für die Vornahme derartiger Maßnahmen. Zudem hätte diese Vorgehensweise auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern können, dass nicht doch ein einzelnes Wildschwein in die Ortslage vordringt.
Darüber hinaus trägt der Kläger vor, dass es erforderlich gewesen wäre, vor dem Einfahren der landwirtschaftlichen Maschinen Jagdhunde in den Senfacker zu schicken, die das Wild hätten heraustreiben können. Selbst eine solche Handlungsalternative hätte nicht den vom Kläger gewünschten Erfolg garantiert. Auch der Einsatz der Hunde hätte nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern können, dass die Wildscheine in Richtung Siedlung fliehen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Jäger in zeitlicher Bedrängnis handelten. Der Landwirt hatte die Jäger erst kurz vorher informiert und um Hilfe gebeten. Daraufhin haben die Jäger den Acker umstellt und die aus ihrer Sicht gebotenen Maßnahmen eingeleitet.
2.
Zudem liegt es nach dem Dafürhalten des Gerichts außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass ein aufgeschrecktes Wildschwein gerade in ein 1,5 km entferntes Wohngebiet flüchtet und dort in einen Swimmingpool stürzt. Ein derartiges - eher unnatürliches - Verhalten ist nicht ohne weiteres vorhersehbar, insbesondere dann nicht, wenn das Wildschwein zuvor noch bereits etliche eingezäunte Grundstücke überwinden musste (vgl. auch Landgericht Lüneburg, Urteil vom 29.11.2002, 4 O 201/02 zitiert nach [...]). Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen müssen vielmehr bei Jagden für den Bereich befahrender Straßen erfolgen (vgl. BGH Urteil v. 10.02.1976, VI ZR 160/74 zitiert nach [...], Wagner, in Münchener Kommentar, a.a.O. §823 Rn. 526 f.). Denn gerade aufgrund des durch Jagdveranstaltungen vermehrt hervorgerufenen Wildwechsels wird das Risiko von Verkehrsunfällen gesteigert, was eine mögliche Gefahrenquelle darstellt. Ein derart atypisches - tierisches - Verhalten, wie es im vorliegenden Fall vorliegt, ist indes hier nicht mehr vom Schutzzweck der Norm des §823 BGB gedeckt.
3.
Schließlich kann nicht mit der für eine Überzeugungsbildung i.S.d. §286 ZPO notwendigen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Wildschein gerade um eines der Tiere aus dem Senfacker handelte. Es kommen weitere potentielle Ursachen, möglicherweise Jagmaßnahmen der Streitverkündeten, in Betracht, wodurch das Verhalten des Wildschweins hätte ausgelöst worden sein können.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§91, 101 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach den §§708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
Die Streitwertbestimmung ergibt sich aus §3 f. ZPO.