Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.03.2015, Az.: 3 K 35/15
Gewährung eines Freibetrags für Pflegeleistungen i.R.d. Unterhaltsverpflichtung des Erben gegenüber dem Erblasser
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.03.2015
- Aktenzeichen
- 3 K 35/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 25086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2015:0321.3K35.15.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 10.05.2017 - AZ: II R 37/15
Rechtsgrundlagen
- § 1601 BGB
- § 1602 Abs. 2 BGB
- § 13 Abs. 1 Nr. 9a ErbStG
Fundstellen
- ErbBstg 2015, 251-252
- ErbStB 2015, 350-351
- NWB 2015, 2910
- NWB direkt 2015, 1048
- NWB-EV 2015, 337-338
- SR-aktuell 2015, 200
- STFA 2015, 28
- WISO-SteuerBrief 2015, 20
- ZEV 2015, 723-724
Amtlicher Leitsatz
Freibetrag für Pflegeleistungen ist auch dann zu gewähren, wenn der Erbe gegenüber dem Erblasser gesetzlich unterhaltsverpflichtet ist, konkret aber wegen fehlender Bedürftigkeit des Erben keine Unterhaltsleistungen zu gewähren hat.
Tatbestand
Die Klägerin ist Tochter und Miterbin zu 1/2 nach ihrer am 20. August 2012 verstorbenen Mutter MCS. Die Erblasserin erlitt im Jahre 2001 bei einer Herzoperation in der Klinik für H in O ein Schädel-Hirn-Trauma und wurde zum Pflegefall. Sie fiel in ein Wachkoma, war gelähmt, lag in embryonaler Haltung und konnte nicht sprechen. Darüber hinaus erlitt sie Spastiken und musste über eine Magensonde ernährt werden. Außerdem war es erforderlich, den Schleim aus den Luftwegen abzusaugen. Die Klägerin hat ihre Mutter ab 12. Dezember 2001 bis zu ihrem Tod in ihr Haus in ein eigens dafür hergerichtetes Zimmer aufgenommen und auf eigene Kosten die Pflege in Gestalt des Absaugens der Luftwegssekrete, des Fütterns über die Magensonde, der Verabreichung von Medikamenten und Spritzen, des regelmäßigen Umlagerns sowie der Körperpflege übernommen.
Die Pflegekasse der AOK E hat Frau MCS in die Pflegestufe III eingeordnet und ihr ab den 16. November 2001 ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 664,68 €, ab 1. Januar in Höhe von 665,- € bewilligt.
Die Erblasserin hinterließ Grundvermögen (Grundstück W, AdE) sowie ganz erhebliches Kapitalvermögen (785.543,- €).
Der Beklagte erließ zunächst gegenüber der Klägerin einen Erbschaftsteuerbescheid unter dem Datum des 30. Juli 2013, in dem er die Erbschaftsteuer auf 50.835,- € festsetzte. Dieser beruhte auf einer gesonderten Feststellung des Belegenheitsfinanzamts Wittmund, welches den Grundstückswert für das Grundstück AdE auf 702.660,- € feststellte. Aufgrund eines geänderten Grundlagenbescheides, durch den der Grundstückswert auf 163.954,- € herabgesetzt wurde, änderte der Beklagte den Erbschaftsteuerbescheid unter dem Datum des 10. Oktober 2013 und setzte die Erbschaftsteuer auf 4.865,- € herab.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte die Berücksichtigung des Freibetrages gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG in Höhe von 20.000,- €. Zur Begründung verwies sie auf die Entscheidung des erkennenden Gerichts 3 K 229/11 vom 20. April 2012. Der Beklagte ließ den Einspruch zunächst gem. § 363 AO ruhen im Hinblick auf das anhängige Revisionsverfahren beim BFH II R 22/12. Nachdem die Finanzverwaltung die Revision zurücknahm und sich damit der Rechtsmeinung des Niedersächsischen Finanzgerichts anschloss, wies der Beklagte dennoch den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 27. Januar 2015 als unbegründet zurück.
Die Klägerin legt im anschließenden Klageverfahren dar, dass sie rund 11 Jahre lang Pflegeleistungen für ihre schwerstpflegebedürftige Mutter erbracht habe. Ihr stehe deshalb der Pflegefreibetrag vollumfänglich zu. Da ihre Mutter vermögend gewesen sei, hätte sie die Pflegekosten selbst tragen können. Die Klägerin verweist insoweit auf die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts 3 K 229/11 vom 20. April 2012.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Erbschaftsteuerbescheides vom 10. Oktober 2013 und der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2015 die Erbschaftsteuer unter Berücksichtigung eines Freibetrages gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG in Höhe von 20.000,- € niedriger festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zitiert lediglich R 13.5. Abs. 1 ErbStR 2011, ohne sich mit der Argumentation der Klägerin auseinanderzusetzen.
Die Verfahrensbeteiligten haben mit Schriftsätzen vom 23. Februar 2015 (Klägerin) und 13. März 2015 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Steuerfrei bei der Erbschaftsteuer bleibt gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000,- €, der Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist.
Zu den nach dieser Rechtsnorm begünstigten Pflegeleistungen zählen - in Anlehnung an die in § 14 Abs. 4 SGB XI angeführten Hilfeleistungen - die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege (z.B. Waschen, Duschen, Kämmen), der Ernährung (z.B. Zubereiten und Aufnahme der Nahrung), der Mobilität (z.B. selbständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (z.B. Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung). Zur Ermittlung des Werts der vom Erben erbrachten Pflegeleistungen können die jeweils für vergleichbare Leistungen zu zahlenden, üblichen Vergütungssätze entsprechender Berufsgruppen oder gemeinnütziger Vereine herangezogen werden. Dem Erwerber steht es aber stets frei, einen höheren Wert seiner Leistungen nachzuweisen. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen kann der Freibetrag auch in voller Höhe zu gewähren sein, ohne dass es eines Einzelnachweises zum Wert der Pflegeleistungen bedarf (BFH Urteil vom 11. September 2013 II R 37/12, BStBl II 2014, 114 [BFH 11.09.2013 - II R 37/12]).
Im Streitfall hat die Klägerin im Einzelnen dargelegt, dass sie für ihre Mutter intensive und umfassende Hilfeleistungen im Bereich der Ernährung, Körperpflege, Medikamentierung, des Umlagerns und der Absaugung der Atemwegssekrete in diesem Sinne erbracht hat. Dass eine Pflegebedürftigkeit hohen Grades vorlag, ergibt sich bereits daraus, dass die Mutter schon im November 2001 - und damit über den gesamten Pflegezeitraum von Ende 2001 bis zu ihrem Tod im August 2012 hinweg - in die Pflegestufe III eingruppiert worden ist. Orientiert man sich für die Bewertung der von der Klägerin erbrachten Pflegeleistungen an dem gezahlten Pflegegeld von bereits zu Beginn monatlich rund 660,- € (in 2012: 700,-€), so ist evident, dass der Wert der Pflegeleistungen angesichts des extrem langen Zeitraums der Erbringung von Pflegeleistungen von insgesamt rund 10 1/2 Jahren weit über den Freibetrag von 20.000,- € hinausgeht.
Entgegen der Meinung des Beklagten steht der Gewährung des Freibetrages in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG auch nicht entgegen, dass die Klägerin als Tochter der Erblasserin gem. § 1601 BGB abstrakt verpflichtet war, ihrer Mutter Unterhalt zu gewähren. Soweit sich der Beklagte insoweit auf R E 13.5. Erbschaftsteuerrichtlinien beruft, vermag das Gericht dem nicht zu folgen.
Zutreffend an der Richtlinienbestimmung ist die Erwägung, dass der Ansatz eines Freibetrages dann nicht in Betracht kommt, wenn der Steuerpflichtige im konkreten Fall kraft Gesetzes verpflichtet ist, Unterhaltsbzw. Pflegeleistungen zu erbringen bzw. die Kosten dafür zu übernehmen § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG soll ein freiwilliges finanzielles und/oder ideelles Opfer honorieren, dass der Erbe zugunsten des Erblassers erbracht hat. Ein solches Opfer erbringt aber nicht, wer ohnehin schon kraft Gesetzes verpflichtet ist, für die Kosten der Pflege aufzukommen.
So verhält sich der Sachverhalt im Streitfall indes nicht. Denn die Klägerin war ihrer Mutter gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet. Die Inanspruchnahme des gesetzlich Unterhaltsverpflichteten setzt gem. § 1602 Abs. 2 BGB immer die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten voraus. Die Mutter wäre aber aufgrund ihres umfangreichen Kapitalvermögens und des ihr bewilligten Pflegegeldes durchaus in der Lage gewesen, selbst für die Kosten der Pflege aufzukommen. Insofern hat die Klägerin mit ihren Pflegeleistungen ihrer Mutter gegenüber ein freiwilliges Opfer erbracht, welches mit dem Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG zu honorieren ist (so schon Urteile des erkennenden Gerichts vom 20. April 2012 3 K 229, 230/11, EFG 2012, 1952; im Ergebnis zustimmend Moench/Weinmann, Kommentar zum Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rn. 63; Troll, Kommentar zum ErbStG, § 13 Rn. 102)
Gerade der Streitfall zeigt, dass die Rechtsauffassung des Beklagten zu wenig überzeugenden Ergebnissen führt: Das Pflegegeld ist auf Konten der Mutter gezahlt worden und hat den Wert des Nachlasses weiter erhöht. Die Klägerin war auf der anderen Seite wegen der fehlenden Unterhaltsbedürftigkeit der Mutter rechtlich nicht verpflichtet, diese kostenlos zu pflegen. Soll das Pflegegeld, das durch ihre nahen Familienangehörigen gepflegten Personen gezahlt wurde, nicht zu einer höheren Erbschaftsteuerbelastung führen, so zwingt die Rechtsmeinung der Finanzverwaltung die Familienangehörigen dazu, ihre Beziehungen zueinander zu kommerzialisieren und die Weiterleitung des Pflegegeldes an den pflegenden Angehörigen einzufordern. Dann wäre das weitergeleitete Pflegegeld nach § 13 Abs. 1 Nr. 9a ErbStG wiederum steuerfrei. Dies entspricht aber gerade nicht der Zwecksetzung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG, der Leistungen gegenüber dem Erblasser auch außerhalb vertraglicher Beziehungen begünstigen soll.
Der Beklagte sei auf § 86 Abs. 1 FGO hingewiesen. Danach sind Behörden dem Finanzgericht zur Vorlage von Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Dem ist der Beklagte nicht nachgekommen. Denn in der mit Verfügung vom 11. Februar 2015 angeforderten Akte befinden sich weder der klagegegenständliche Erbschaftsteuerbescheid vom 10. Oktober 2013 - der dem Gericht allein durch die Klägerin zugänglich gemacht worden ist, noch der vorangehende Bescheid vom 30. Juli 2013. Die Abheftung von Probeberechnungen genügt allein schon deshalb nicht, weil diese nicht das Bescheiddatum tragen und das Gericht so außerstande gesetzt wird, die Einhaltung von Einspruchsfristen zu überprüfen.
Das Gericht sieht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die Finanzverwaltung hat seinerzeit gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. April 2012 3 K 229, 230/11, EFG 2012, 1952 Revision eingelegt (Revisionsverfahren II R 22/12). Diese Revision hat die Verwaltung vor einer Entscheidung des BFH zurückgenommen und damit im Ergebnis die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts akzeptiert. Es besteht insofern kein Grund, in einem weiteren Revisionsverfahren erneut über die gleiche Rechtsfrage zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.