Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.04.2010, Az.: 1 Ss 51/10
Anforderungen an die Strafzumessungserwägungen bei Verhängung einer Freiheitsstrafe
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 23.04.2010
- Aktenzeichen
- 1 Ss 51/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 16050
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2010:0423.1SS51.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 29.10.2009 - AZ: 12 Ns 49/09
Rechtsgrundlage
- § 46 StGB
Fundstellen
- NStZ-RR 2010, 277
- StV 2010, 489
- StraFo 2010, 255
Amtlicher Leitsatz
Die Strafzumessungserwägung, eine Freiheitsstrafe werde den Angeklagten in seinen Lebensplanungen "nicht groß beeinträchtigen", weil er ohne eigene Einrichtungsgegenstände in einer Wohngemeinschaft lebe und seine Arbeitssituation schlecht sei, bagatellisiert das in einer Freiheitsstrafe liegende Übel in unvertretbarer Weise.
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 29. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich zurückverwiesen.
Gründe
Der Angeklagte war am 13. Januar 2009 vom Amtsgericht Leer wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Aurich mit Urteil vom 29. Oktober 2009 die Freiheitsstrafe auf 6 Monate ohne Strafaussetzung zur Bewährung festgesetzt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung des sachlichen Rechts gerügt wird, ist zulässig und begründet.
Die Strafzumessung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat bei der Prüfung einer Strafaussetzung u. a. ausgeführt (UA S. 10), die freiheitsentziehende Strafverbüßung werde den Angeklagten in seinen - vagen - Lebensplanungen auch "nicht groß beeinträchtigen", weil er keine eigenen Einrichtungsgegenstände habe, sondern in einer Wohngemeinschaft lebe und seine Arbeitssituation zur Zeit schlecht sei. seine wohnlichen und beruflichen Verluste hielten sich in Grenzen. familiär sei er nicht so gebunden, dass dort Probleme für die künftige Lebenssituation entstehen würden.
Diese Urteilsformulierung, die von der Verteidigung als "fast zynisch" angesehen wird, verkennt das in einer Freiheitsstrafe liegendeÜbel in grundlegender und unvertretbarer Weise. Es geht nicht an, den völligen Verlust der persönlichen Freiheit und die massiven Lebenseinschränkungen, die mit einem Strafvollzug verbunden sind, in Hinblick auf Wohn, Eigentums und Lebensverhältnisse eines Angeklagten als "nicht große" Beeinträchtigung zu bewerten und so zu bagatellisieren.
Da es mindestens nicht ausgeschlossen ist, dass sich die Strafkammer hiervon zu Lasten des Angeklagten bei der gesamten Rechtsfolgeentscheidung hat leiten lassen, waren das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer zurückzuverweisen