Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.04.2010, Az.: 2 SsRs 46/10
Begriff des Beschäftigungsverhältnisses i.S.v. § 404 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 09.04.2010
- Aktenzeichen
- 2 SsRs 46/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 14462
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2010:0409.2SSRS46.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 18.12.2009
Rechtsgrundlagen
- § 284 Abs. 1 SGB III
- § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III
Fundstelle
- NStZ-RR 2010, 217-218
Amtlicher Leitsatz
Ein Verstoß gegen § 284 Abs 1 SGB III kann auch dann vorliegen, wenn eine unentgeltliche Tätigkeit vereinbart wird, nach zivilrechtlichen Grundsätzen diese Vereinbarung jedoch unwirksam ist und ein Entgelt hätte gezahlt werden müssen.
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 18. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Beschäftigens eines Arbeitnehmers ohne die erforderliche Arbeitsgenehmigung zu einer Geldbuße von 250, Euro verurteilt. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
"Über die Agentur für Arbeit M... fragte der Betroffene wiederholt nach geeigneten Karosseriebauern und Lackierern für seinen Betrieb an. Nachdem er auf diese Art und Weise keinen ihm geeignet erscheinenden Mitarbeiter gefunden hatte, erweiterte er seine Suche im Internet. Bei ihm meldete sich daraufhin der polnische Staatsbürger R... W.... Unter dem 28.04.2008 schloss der Betroffene - vertreten durch seine Mitarbeiterin - mit R... W... einen Praktikumsvertrag für die Zeit vom 28.04.2008 bis zum 09.05.2008 ab.
In dem Praktikumsvertrag heißt es:
"Grundlage für dieses Praktikum ist ein geplanter Arbeitsvertrag auf der Grundlage der Vereinbarung über den Gastarbeitnehmeraustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen. Herr R... W... besucht die Firma C... in der Zeit vom 28.04.2008 bis zum 09.05.2008, um die Arbeitsweisen, Örtlichkeiten und Mitarbeiter kennen zu lernen. Gleichzeitig sollen die Kenntnisse aus dem überreichten Zeugnis und insbesondere die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse geprüft werden. Dieses Praktikum wird vereinbart, um Klarheit zu erlangen, ob es sinnvoll und erfolgversprechend ist, das offizielle Genehmigungsverfahren zur Fortbildung osteuropäischer Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit, Zentralstelle für Arbeitsvermittlung ZAV in B..., zu betreiben, da dieses mit zahlreichen Prüfungen und Erklärungen über einen Zeitraum von insgesamt 3 Monaten läuft und damit sehr aufwendig ist. Das Praktikum ist unentgeltlich, ein Arbeitsentgelt wird für dieses Praktikum nicht gezahlt. Die Firma C... erstattet lediglich gegen Nachweis die entstandenen Reisekosten. Nach erfolgreichem Abschluss des Praktikums wird das oben angesprochene Genehmigungsverfahren beantragt."
R... W..., der während der "Praktikumszeit" in M..., ..., wohnte, arbeitete vom 28.04.2008 bis zur Überprüfung durch das Hauptzollamt O... am 05.05.2008 unentgeltlich in dem Betrieb des Betroffenen, ohne über die erforderliche Arbeitsgenehmigung zu verfügen. Er war in dem von dem Betroffenen zugewiesenen Bereich der Betriebsstätte tätig und arbeitete von montags bis samstags täglich 8 Stunden, an den ihm zugeteilten Pkws.
Der Betroffene hatte sich bei seinen Rechtsanwälten nach der Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise erkundigt. Rücksprache mit den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit, zu denen er im Vorfeld Kontakt hatte, nahm er jedoch nicht.
Bei Anwendung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt hätte der Betroffene erkennen können und müssen, dass er den polnischen Staatsbürger R... W... nicht ohne Arbeitsgenehmigung hätte beschäftigen dürfen."
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner vom Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde. Er ist der Ansicht, dass ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III eine entgeltliche Tätigkeit erfordere.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass die vom Betroffenen erhobene Sachrüge durchgreife.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung nicht.
Nach überwiegender Ansicht der Bußgeldsenate erfordert ein Verstoß gegen § 284 Abs. 1 SGB III eine entgeltliche Tätigkeit (OLG Hamm, 4 Ss OWi 436/07, Beschluss vom 09.10.2007. OLG Hamm, NStZRR 01, 180. Thüringer OLG, 1 Ss 144/04, Beschluss vom 13.07.2004. Kammergericht Berlin, 2 Ss 215/98 - 5 Ws (B) 486/98, Beschluss vom 20.08.1998. anders wohl Schleswig Holsteinisches OLG, 1 Ss OWi 197/04 (154/01), Beschluss vom 09.12.2004, dort aber nicht tragend für die Entscheidung. soweit nicht anders angegeben, alle bei juris). Dem schließt sich der Senat grundsätzlich an.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils erfolgte die Tätigkeit von Herrn W... entsprechend des geschlossenen Praktikumsvertrages unentgeltlich, wobei ein Entgelt auch in der Gewährung von Sachleistungen wie Unterkunft oder Verpflegung liegen könnte, wenn diese für die geleistete Arbeit gewährt worden wären (OLG Hamm, NStZRR 01, 180).
Das führt jedoch nicht ohne Weiteres dazu, dass ein Verstoß gegen § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nicht vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Entgelt zu zahlen gewesen wäre.
In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist in Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis ein sogenanntes Einfühlungsverhältnis ohne Vergütungsanspruch anerkannt. Unter einem derartigen Einfühlungsverhältnis wird ein "ganz loses Rechtsverhältnis eigener Art, welches sich von einem Arbeitsverhältnis - insbesondere auch von dem Probearbeitsverhältnis - dadurch unterscheidet, dass der in den Betrieb aufgenommene potentielle Arbeitnehmer während der Einfühlungsphase keine Pflichten übernimmt, insbesondere keine Arbeitspflicht hat, da er nicht dem Direktions oder Weisungsrecht des potentiellen Arbeitgebers unterliegt, sondern lediglich dem Hausrecht des Betriebsinhabers untersteht" (Sächsisches Landesarbeitsgericht, 2 Sa 386/03, Urteil vom 05.03.2004, juris), verstanden. Zweck eines derartigen Einfühlungsverhältnisses ist es in der Regel, die Voraussetzungen der Zusammenarbeit für das potentielle spätere Arbeitsverhältnis zu klären (Landesarbeitsgericht Köln, 8 Sa 1662/97, Urteil vom 18.03.1998, juris). Wesentliches Merkmal eines Einfühlungsverhältnisses ist danach die fehlende Verpflichtung zur Arbeitsleistung bzw. die fehlende Weisungsbefugnis des Arbeitgebers (vgl. Arbeitsgericht Weiden, 1 Ca 64/08 C, Urteil vom 07.05.2008, juris). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Beschäftigte vielmehr in den betrieblichen Arbeitsablauf eingegliedert, kann nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die Vereinbarung einer unentgeltlichen Tätigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein (Arbeitsgericht Weiden aaO.).
Liegt eine derartige Eingliederung in den Betrieb vor, die dazu führt, dass nach zivilrechtlichen Grundsätzen die Vereinbarung von Unentgeltlichkeit unwirksam ist, mithin ein Entgelt zu zahlen wäre, stünde deshalb die ausdrücklich getroffene Vereinbarung der Unentgeltlichkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des § 284 Abs. 1 SGB III nicht entgegen. Zwar hängt damit die Frage, ob die Beschäftigung eines Ausländers ohne Genehmigung bußgeldbewehrt ist, im Ergebnis von einer zivilrechtlichen Wertung ab. Dies ist jedoch unschädlich. Entsprechendes gilt auch für den Straftatbestand des § 10 SchwarzArbG, wonach bestraft wird, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III bezeichnete Handlung begeht und den Ausländer zu Arbeitbedingungen beschäftigt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer/innen stehen, die die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu den zur Eingliederung von Herrn W... insoweit vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ausgeführt:
"Es handelte sich um eine geplant kurzfristige Tätigkeit von nur 12 Tagen, wobei den Urteilsgründen schon nicht entnommen werden kann, worauf die Feststellung der Arbeitszeit des Praktikanten beruht (6 Tage à 8 Stunden wöchentlich, vgl. S. 3 UA). Die Tatrichterin hat den Umfang der Tätigkeit des W... R... nicht in für das Rechtsbeschwerdegericht prüfbarer Form in die Urteilsgründe aufgenommen. Die Bezugnahme auf eine im beigezogenen Verfahren gegen diesen enthaltene Einlassung, ohne deren Inhalt wiederzugeben, ist nicht zulässig. Das Amtsgericht hat lediglich festgestellt, der Praktikant habe an den ihm zugeteilten Pkw's gearbeitet (S. 3 UA). Daraus können keine Rückschlüsse auf die erforderliche Einbindung in betriebliche Abläufe, seine Verpflichtung zur Arbeit oder andere Kriterien des § 7 Abs. 1 SGB IV gezogen werden.
...
Es hätte im vorliegenden Fall schon einer konkreten Angabe der von Herrn R... vorzunehmenden Arbeiten bedurft, um festzustellen, inwieweit seine Tätigkeit unter Eingliederung in den Betrieb nach Zeit, Dauer und Ort weisungsgebunden war und inwieweit er trotz des offenbar bestehenden Fachkräftemangels zur Ableistung unentgeltlicher Arbeit gezwungen war. Wesen eines Praktikums, zumal eines unentgeltlichen, ist nämlich die Freiheit des Praktikanten, die Tätigkeit jederzeit zu unterlassen. Warum dies im vorliegenden Fall nicht so gewesen sei, kann den Urteilsgründen dagegen nicht entnommen werden."
Dem schließt sich der Senat an.
Da weitere Feststellungen möglich erscheinen, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.