Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.07.2022, Az.: 3 B 28/22

Straßenreinigungspflicht; Verkehrsfläche

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.07.2022
Aktenzeichen
3 B 28/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59266
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage - 3 A 137/22 - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2022 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.

Gründe

Die Antragsgegnerin durfte die Antragstellerin nach mehrmaliger erfolgloser Aufforderung unter Androhung der Ersatzvornahme verpflichten, den näher bezeichneten gemeinsamen Fuß- und Radweg der D. in E. vor ihrem Grundstück (Flurstück: F. der Flur G.) zu reinigen bzw. reinigen zu lassen, um die u.a. von Laub ausgehende Gefahr für Fußgänger und Radfahrer, auszurutschen bzw. den Gehweg nicht uneingeschränkt nutzen zu können, abzuwenden.

Das Verwaltungsgericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO wiederherstellen, wenn das Interesse des Betroffenen, von einem Vollzug der Abschiebungsanordnung vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem im öffentlichen Interesse besonders angeordneten sofortigen Vollzug der Straßenreinigungspflicht überwiegt. Hierbei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu berücksichtigen, soweit diese sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits abschätzen lassen. Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angeordneten Straßenreinigungspflicht.

Der Bescheid ist formell nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO in genügender Weise schriftlich begründet. Die Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist rein formeller Natur. Insoweit ist es unerheblich, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe die sofortige Vollziehung auch tatsächlich rechtfertigen bzw. ob damit eine besondere Eilbedürftigkeit erschöpfend und zutreffend dargetan ist. Notwendig und zugleich ausreichend ist vielmehr, dass die Begründung erkennen lässt, dass und warum die Behörde in dem konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt (OVG NRW, Beschl. v. 7. April 2014 - 16 B 89/14 -, juris Rn. 2). Das ist hier der Fall. Sie hat ausdrücklich herausgestellt, dass „durch das Laub auf dem Gehweg vor Ihrem Grundstück eine Gefahr für die Fußgänger und Radfahrer [besteht], da diese den Gehweg nicht uneingeschränkt nutzen können, ausrutschen könnten und ggf. auf die Straße ausweichen müssen“.

Der Bescheid ist auch in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG, § 4 der Satzung der Stadt Lüneburg über die Straßenreinigung vom 1. Januar 2011 (Straßenreinigungssatzung) und die Verordnung der Hansestadt Lüneburg über Art, Maß und räumliche Ausdehnung der Straßenreinigung vom 1. Januar 2011 i.d.F. v. 13. Oktober 2021 (Straßenreinigungsverordnung). Nach § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG und § 4 Straßenreinigungssatzung können die Gemeinden durch Satzung die ihnen obliegenden Straßenreinigungspflichten ganz oder zum Teil den Eigentümern der anliegenden Grundstücke auferlegen. Dies ist hier für die D. (Reinigungsklasse 3) geschehen, so dass die Reinigungspflicht des Gehwegs auf die Antragstellerin als Anliegerin übergegangen ist.

Die Kammer hält die Antragstellerin als Eigentümerin der Schienenverkehrsfläche auch für pflichtig, die angrenzende D. (Gemeindestraße) zu reinigen. Das Gericht kann dem Begriff des „anliegenden Grundstücks“ in § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG nicht entnehmen, dass eine Pflicht zur Straßenreinigung für Eigentümer von (privaten bzw. öffentlichen) Flächen mit Verkehrsfunktion wie hier Schienen im Grundsatz nicht besteht. Mangels Legaldefinition ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen. Danach wird ein Grundstück bezeichnet, das an etwas angrenzt. Dieses Verständnis hat der 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1993 geteilt (zur Bundeswasserstraße, Nds. OVG, Urt. v. 6.4.1993 - 12 L 141/90 -, juris Rn. 10). Eine dahingehende Auslegung, dass ein Grundstück, das als Verkehrsweg dient und damit einem öffentlichen Zweck dient, kein anliegendes Grundstück sein kann, kann dem Sprachgebrauch nicht entnommen werden.

Die Straßenreinigungspflicht der Antragstellerin steht im Einklang mit der Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts. Die Vorschriften des § 52 NStrG haben sicherheitsrechtlichen Charakter und lehnen sich größtenteils an die praktizierten preußischen Regelungen an (Nedden/Mecke, Handbuch des Niedersächsischen Straßenrechts 1964, § 52 S. 274). Die Kammer hält die Verantwortlichkeit der Antragstellerin für die Verunreinigung der D. durch auf ihrem Grundstück u.a. befindliches Laub nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts für gegeben. Die Antragstellerin ist als Eigentümerin ihres Grundstücks, das mit Büschen und Bäumen bewachsen ist, Zustandsstörerin gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes. Danach können Maßnahmen auch gegen eine Person gerichtet werden, die Eigentümerin oder Eigentümer oder sonst an der Sache berechtigt ist. Die Antragstellerin trägt folglich als Zustandsstörerin dazu bei, den Fuß- und Gehweg zu verschmutzen.

Die Kammer weist darauf hin, dass die Annahme der bestehenden Straßenreinigungspflicht der Antragstellerin und die Vereinbarkeit mit der Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts dem von den Beteiligten zitierten Urteil zur Straßenreinigungspflicht einer Eigentümerin eines Wasserstraßengrundstücks aus dem Jahr 1993 insoweit nicht entgegensteht (Nds. OVG, Urt. des 12. Senats v. 6.4.1993 - 12 L 141/90). Der 12. Senat hat seinerzeit dazu ausgeführt, dass es „wegen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht möglich [ist], Eigentümer von Grundstücken zur Straßenreinigung heranzuziehen, wenn diese nicht dazu beitragen, die Straße zu verschmutzen, also nicht ein Interesse an der Sauberkeit der neben ihrem Grundstück verlaufenden Straße haben und es an einer Beziehung zur Straße fehlt. Unter diesen Umständen können diese Eigentümer nicht mehr als 'Störer' angesehen werden“ (a.a.O., Rn. 10 unter Bezugnahme auf die Heranziehung der Deutschen Bundesbahn zu Straßenreinigungsgebühren für ein Schienengrundstück, das mit Bäumen und Büschen bestanden ist und von der angrenzenden Straße aus instandgehalten wird, OVG Lüneburg, Urt. v. 25.6.1985 - 3 OVG A 96/83 -). Der Senat hat damit Zweifel angemeldet, ob die Klägerin in dem dortigen Verfahren als Störerin zur Straßenreinigung herangezogen werden dürfe, insbesondere, weil das Bundeswasserstraßengrundstück nur eine geringfügige Beziehung zur Straße habe und es nur wenig (allenfalls durch Laubfall) dazu beitrage, die Straße zu verschmutzen. Ferner habe die Klägerin kein irgendwie geartetes Interesse daran, dass die neben ihrem Grundstück verlaufende Straße sauber gehalten werde, zumal sie die Straße für die Bewirtschaftung ihres Grundstückes nicht nutze, sondern das Grundstück unstreitig von der Wasserseite her instand halte. Es hat die dortige Frage, ob die von dem Grundstück ausgehende Verschmutzung der Straße (durch Laubfall) es rechtfertige, die dortige Klägerin als Störerin zur Straßenreinigung heranzuziehen, ausdrücklich dahinstehen lassen und folglich nicht beantwortet.

Die Kammer stützt ihre Entscheidung ferner auf die zur Straßenreinigungsgebührenpflicht ergangene Entscheidung des 9. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2016. Der Senat hat in der dortigen Entscheidung die Straßenreinigungsgebührenpflicht der Eigentümerin mehrerer Schienenweggrundstücke im Stadtgebiet Osnabrück angenommen, wenn ein Zugang zur zu reinigenden Straße tatsächlich vorhanden oder zumindest tatsächlich und rechtlich möglich ist oder wenn von dem Grundstück eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden Straße ausgeht (Nds. OVG, Urt. v. 30.6.2016 - 9 LC 131/15 -, juris Rn. 16). Der Senat hat zwar ausdrücklich festgestellt, dass er lediglich über die Straßenreinigungsgebührenpflicht und nicht über die Pflicht zur Straßenreinigung entschieden habe. Deshalb liege auch keine Abweichung zur Entscheidung des 12. Senats aus dem Jahr 1993 vor (a.a.O., juris Rn. 24). Doch erkennt die Kammer keine sachlichen Gründe, weshalb bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen die Gebührenpflicht begründet wäre, die Straßenreinigungspflicht demgegenüber aber nicht besteht. Für einen „Gleichlauf“ von Reinigungspflicht und Gebührenpflicht spricht zudem, dass auch in § 52 Abs. 3 NStrG die „anliegenden Grundstücke“ als Benutzer einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des kommunalen Abgabenrechts gelten und im Fall der Straßenreinigung durch die Gemeinde die Gebührenpflicht begründen. Die nach diesen Grundsätzen bestehende Straßenreinigungspflicht ist mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie hier an die tatsächliche Verschmutzung des Fuß- und Radweges anknüpft und somit einen sachlichen Grund für die Straßenreinigungspflicht darstellt (BVerwG, Urt. v. 21.4.1972 - VII C 43.70 -, juris Rn. 15.)

Der Straßenreinigungspflicht steht nicht entgegen, dass es sich bei der Antragstellerin um die Eigentümerin eines Schienenweges, d.h. einer Verkehrsfläche, handelt.

Mit der vorliegenden Entscheidung nimmt die Kammer die Gegenposition zu dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zur Straßenreinigungspflicht der Eigentümerin eines Wasserstraßengrundstücks aus dem Jahr 1993 ein, soweit der 12. Senat dort feststellt hat, die Vorschrift des § 52 Abs. 4 Satz 1 NStrG sei dahin zu verstehen, dass anliegende Grundstücke nicht solche Grundstücke sind, die ihrerseits Verkehrswege sind (Nds. OVG, Urt. v. 6.4.1993 - 12 L 141/90 -, juris Rn. 14). Der 12. Senat hat zur Begründung ausgeführt, dass der genannten Vorschrift des Niedersächsischen Straßengesetzes entnommenen werden könne, dass jedenfalls anliegende „a n d e r e“ Straßen- und Wegegrundstücke nicht der Reinigungspflicht für die Straße, an die sie angrenzen, unterfallen. Er hat ferner erläutert, dass „das System des § 52 NStrG nämlich so angelegt [ist], daß der Eigentümer eines Straßengrundstückes nicht die Pflicht hat, ein anliegendes anderes Straßengrundstück zu reinigen, weil die Reinigung von Straßengrundstücken - soweit diese Vorschrift trägt - abschließend geregelt ist. Für öffentliche (innerhalb der geschlossenen Ortslage gelegene) Straßen folgt die Freiheit von Straßenreinigungslasten für andere Straßen schon daraus, daß diese Straßen selbst der Reinigung gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 NStrG durch die Gemeinde oder gemäß § 52 Abs. 4 NStrG durch die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke unterliegen“. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 erfordere es, diese Erwägungen auch für andere Verkehrswege, die für den Gemeingebrauch bestimmt seien, durchgreifen zu lassen.

Die Kammer hält die Erwägungen des 12. Senats auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG für nicht durchgreifend, weil keine vergleichbare Sachlage vorliegt. Der 12. Senat geht von anderen angrenzenden Straßen- und Wegegrundstücken aus und knüpft daran die Rechtsfolge, dass Eigentümer eines anliegenden Straßengrundstückes nicht straßenreinigungspflichtig sind. Zu vergleichen ist vorliegend jedoch eine öffentliche Gemeindestraße, für welche die Gemeinde straßenreinigungspflichtig ist, mit einem angrenzenden Schienenweg. Allein der Umstand, dass der Schienenweg öffentlichen Zwecken dient, rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Straßenreinigungspflicht erfüllt. Die Straßenreinigungspflicht ist gegeben, wenn ein Zugang zur reinigenden Straße tatsächlich vorhanden oder zumindest tatsächlich und rechtlich möglich oder wenn von dem Grundstück eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden Straße ausgeht. Insoweit knüpft die Kammer - wie dargestellt - die Pflicht zur Straßenreinigung an die vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht für die Straßenreinigungsgebührenpflicht im Jahr 2016 festgestellten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Denn die Fotos belegen, dass ein Zugang zur D. besteht, der als Zugang zur Bahntrasse für Wartungs-/Schneidearbeiten genutzt werden kann und dass von dem Grundstück der Antragstellerin eine nicht völlig unerhebliche Verschmutzung der angrenzenden D. ausgeht. Der Vortrag der Antragstellerin, ihr Grundstück stehe in keiner sachlichen oder funktionalen Beziehung zu den parallel verlaufenden Straßen bzw. deren Reinigung bringe für sie keine Vorteile mit sich, trifft nach dem Gesagten daher nicht zu.

Die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Reinigungspflicht ist ferner vom Umfang her rechtmäßig, weil sie gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenreinigungsverordnung die regelmäßige Beseitigung von Verunreinigungen (Schmutz, Papier, Laub, Unrat, Wildkräuter) auf Fahrbahnen, Gehwegen und Radwegen umfasst. Die Anordnung ist auch verhältnismäßig, insbesondere erforderlich. Ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Fotos vom 30. Juni 2022 liegt dort nicht unerheblich viel Laub auf dem Fußgänger- und Radfahrweg und es wachsen dort Gräser bzw. Kräuter.

Die Androhung der Ersatzvornahme ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Mängel sind weder von der Antragstellerin vorgetragen worden, noch für die Kammer ersichtlich.

Ein besonderes Vollziehungsinteresse liegt vor. Es besteht die konkrete Gefahr, dass in absehbarer Zeit Laub des mit Büschen und Bäumen bewachsenen Grundstücks der Antragstellerin auf die D. fällt. Der Umstand, dass im Sommer regelmäßig nicht mit Stürmen und größerem Laubfall zu rechnen ist, vermag die Gefahr nicht zu negieren. Darüber hinaus befindet sich ausweislich der Fotos vom 30. Juni 2022 bereits hinreichend Laub auf dem Fußgänger- und Radfahrweg. Teilweise ragen Äste und Triebe vom Grundstück der Antragstellerin auf den Weg und es wachsen Gräser bzw. Kräuter auf dem Weg. Da dort eine Bushaltestelle eingerichtet ist, ist davon auszugehen, dass Wartende aufgrund der Verschmälerung des Gehwegs durch Laub und Unkräuter den Radweg nutzen und es zu Gefährdungen mit dem Verkehr auf dem Radweg kommt. Die an der Ecke der D. / H. eingerichtete Baustelle steht der Reinigung dieses Weges im weiteren Verlauf nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.