Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.12.1986, Az.: 6 OVG A 112/85
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung von zwei Doppelwerbetafeln an der Rückseite einer Garagenanlage; Bauordnungsrechtliche oder bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Werbetafeln; Frage der Verunstaltung des Ortsbildes und des Straßenbildes durch Werbetafeln; Kriterien für die Einordnung von Werbetafeln als bauliche Anlagen im Sinne des Baugesetzbuches; Planungsrechtliche Relevanz von Werbetafeln
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.12.1986
- Aktenzeichen
- 6 OVG A 112/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 12831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1986:1212.6OVG.A112.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- OVG Oldenburg - AZ: 2 OS VG A 34/84
Rechtsgrundlage
- § 29 Satz 1 BBauG
Verfahrensgegenstand
Bauplanungsrecht
Werbeanlagen nach Bauplanungsrecht
Errichtung von vier Werbetafeln ...
Prozessführer
der Agentur für Außenwerbung Frank ...
Prozessgegner
die Stadt ...,
den Oberstadtdirektor, ...,
Amtlicher Leitsatz
Eine an einer Hauswand angebrachte großflächige Werbetafel im Euroformat (ca. 10 m²) ist eine bauliche Anlage im Sinne von § 29 Satz 1 BBauG.
Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts
für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Taegen,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jenke und
den Richter am Verwaltungsgericht Essig sowie
die ehrenamtlichen Richter Antonik und Böttcher
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer Osnabrück - vom 23. April 1985 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung von zwei Doppelwerbetafeln in den Abmessungen von jeweils 3,75 m × 2,75 m an der Rückseite einer Garagenanlage auf dem Grundstück ... in ...
Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 23. Februar 1970 in Kraft getretenen Bebauungsplanes Nr. 176 der Beklagten, der Industriegebiet sowie im Bereich der Garagenanlage parallel zum ... eine Baugrenze festsetzt. Das Garagengebäude steht teilweise - nämlich mit seinem rückwärtigen Teil - innerhalb des festgesetzten nicht überbaubaren Bereiches.
Den Bauantrag der Klägerin von 24. September 1983 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Oktober 1983 ab. Zur Begründung führte sie an, daß die Werbetafeln sowohl bauordnungs- als auch bauplanungsrechtlich unzulässig seien. Bauordnungsrechtlich stehe § 53 NBauO entgegen, denn die Werbetafeln wirkten zwischen den architektonisch klar gestalteten Wohnhäusern ..., vor der ebenfalls aus Verblendmauerwerk erstellten Einfriedung sowie vor den vor den Häusern angelegten gepflegten Vorgärten verunstaltend. Die Unzulässigkeit der Werbetafeln folge aber auch aus den entgegenstehenden Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 176. Der vorgesehene Standort liege außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen in einem Bereich, der von baulichen Anlagen grundsätzlich freizuhalten sei. Die Garagenanlage sei gemäß § 12 NBauO in Verbindung mit § 23 Abs. 5 BauNVO außerhalb der festgesetzten überbaubaren Grundstücksbereiche zulässig. Aus deren Vorhandensein lasse sich für die Werbeanlagen aber ein Genehmigungsanspruch nicht ableiten. Den von der Klägerin dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung ... mit Bescheid vom 8. Februar 1984 zurück.
Die Klägerin hat zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage vorgetragen: Ihr stehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung zu, denn die Werbetafeln seien sowohl bauordnungs- als auch bauplanungsrechtlich zulässig. Von einer Verunstaltung des Orts- und Straßenbildes i.S.d. § 53 NBauO könne nicht ausgegangen werden. Der vorgesehene Standort liege innerhalb eines festgesetzten Industriegebietes. In einem Industriegebiet seien Werbeanlagen grundsätzlich zulässig, denn die Anforderungen an bauliche Anlagen seien dort geringer als in anderen Baugebieten. Es sei auch kein Verstoß gegen planungsrechtliche Bestimmungen ersichtlich. Die Beklagte verkenne, daß es sich nicht um die Errichtung von freistehenden Werbetafeln handele. Vielmehr sollten diese an die Mauer eines vorhandenen Gebäudes angedübelt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 1983 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... von 8. Februar 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung entsprechend ihrem Antrag vom 29. September 1983 zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden Bezug genommen.
Mit Urteil vom 23. April 1985 hat das Verwaltungsgericht die Klage ohne Durchführung einer Ortsbesichtigung abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß der Zulässigkeit der Werbetafeln zum einen die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 176 entgegenständen, die Tafeln ferner wegen Verstoßes gegen die Abstandsvorschriften unzulässig seien. Von Werbetafeln gingen Wirkungen wie von Gebäuden aus (§ 7 Abs. 8 NBauO a.F.). Wegen der Ausführungen im einzelnen wird auf das Urteil Bezug genommen.
Gegen das ihr am 29. Mai 1985 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. Juni 1985 eingegangene Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ergänzend vorträgt: Die im Bebauungsplan Nr. 176 parallel zum ... festgesetzte Baugrenze stehe nicht entgegen, denn mit Dübeln an einer Hauswand befestigte Werbetafeln im Euroformat stellten keine baulichen Anlagen i.S.d. § 29 BBauG dar. Zwar habe der 5. Senat des Ba.-Wü.-VGH in seinem Urteil vom 30. September 1983 diese Auffassung vertreten, zu folgen sei aber der in dem Urteil vom 29. Juni 1984 vertretenen gegenteiligen Meinung des 8. Senats desselben Gerichtes. Von angedübelten Werbetafeln gingen keine Auswirkungen von bodenrechtlicher Relevanz aus. Unzutreffend sei die vom Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil vertretene Ansicht, die Werbetafeln müßten die landesrechtlichen Grenzabstandsvorschriften beachten.
Von an einer Gebäudewand angedübelten Werbetafeln gingen - im Gegensatz zu freistehenden Werbeanlagen - keine Wirkungen wie von Gebäuden aus.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils nach den Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält daran fest, daß die zur Genehmigung gestellten Werbetafeln sowohl bauordnungs- als auch bauplanungsrechtlich unzulässig seien.
Wegen des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im einzelnen wird auf deren Schriftsätze in beiden Rechtszügen und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ihr steht ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung der vier Anschlagtafeln an der Rückseite der Garagenanlage auf dem Grundstück ... nicht zu, denn diese baulichen Anlagen entsprechen nicht dem öffentlichen Baurecht (§ 75 Abs. 1 NBauO). Die Werbetafeln sind aus planungsrechtlichen Gründen unzulässig, denn der Anbringungsort liegt in einem Bereich, für den der seit dem 23. Februar 1970 in Kraft getretene Bebauungsplan Nr. 176 eine nicht überbaubare Fläche festsetzt. Die Anbringung der Werbetafeln widerspricht damit den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 176 (§ 30 BBauG).
Voraussetzung für die Anwendung des § 30 BBauG ist allerdings, daß es sich bei der Anbringung der vier Anschlagtafeln im Euroformat von jeweils 3,75 m × 2,75 m, also einer Fläche von insgesamt 10,3 m² × 4, um ein Vorhaben nach § 29 BBauG handelt. Dies bejaht der Senat entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung. Zutreffend ist allerdings, daß die bauplanungsrechtliche Einordnung von Werbeanlagen als bauliche Anlagen seit dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahre 1960 durchaus Schwierigkeiten bereitet hat und sie auch heute noch nicht in der Rechtsprechung als abschließend geklärt bezeichnet werden kann, obwohl der Beantwortung dieser Frage eine große praktische Bedeutung zukommt. Werden Werbeanlagen nämlich nicht als bauliche Anlagen i.S.d. § 29 Satz 1 BBauG angesehen, finden die §§ 30 ff. BBauG auf sie keine Anwendung, so daß die baurechtliche Zulässigkeit derartiger Anlagen in der Regel nur durch das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsgebot eingeschränkt wird. Aus jüngster Zeit sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Bausenate des Ba.-Wü. VGH mit sich widersprechenden Entscheidungen anzuführen. So hat der 5. Senat in seinem Urteil vom 30. September 1983 (5 S 640/83 - BRS 40 Nr. 159 = BWVPr 1984, 83) festgestellt, daß eine an eine Hauswand angebrachte großflächige Plakattafel von 2,75 m × 3,70 m eine bauliche Anlage im planungsrechtlichen Sinne gemäß § 29 Satz 1 BBauG sei, und zwar auch dann, wenn sie bauordnungsrechtlich keine bauliche Anlage darstelle. Demgegenüber hat der 8. Senat in seinem Urteil vom 29. Juni 1984 (8 S 1073/84 - BRS 42 Nr. 152) unter ausdrücklicher Ablehnung der entgegengesetzten Auffassung des 5. Senats ausgeführt, daß eine mit Dübeln an einer Hauswand angebrachte 3,70 m × 2,70 m × 0,05 m große Werbetafel keine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Satz 1 BBauG sei. Mit Urteil vom 12. März 1986 (5 S 2976/85 - ZfBR 1986, 197 (LS) = BWVPr 1986, 228) hat der 5. Senat an der bereits in dem Urteil vom 30. September 1983 vertretenen Rechtsauffassung festgehalten.
Der Auffassung des 5. Senats ist zu folgen, denn Werbetafeln im Euroformat erfüllen die vom Bundesverwaltungsgericht angeführten Kriterien von baulichen Anlagen: es handelt sich dabei um Vorhaben, auf die - erstens - das Merkmal des "Bauens" zutrifft, die - zweitens - mit dem Boden fest verbunden sind und die - drittens - von planungsrechtlicher Relevanz sind (zu diesen Kriterien grundlegend etwa BVerwG, Urt. v. 31.08.1973 - BVerwG IV C 33.71 -, DVBl 1974, 236 = BVerwGE 44, 59). Das relativ weit auszulegende Merkmal des "Bauens" ist bereits dann erfüllt, wenn eine Anlage technisch aus Holz, Blech, Glas, Kunststoff oder ähnlichem Material hergestellt wird. Durch diese Voraussetzung werden etwa Werbeanlagen in Form von Bemalungen oder Beschriftungen z.B. auf einer Wandfläche oder aber Fahnen bzw. Transparente ausgeschieden. In der Beschriftung einer Außenfläche ist auch nicht etwa eine Nutzungsänderung einer baulichen Anlage zu sehen.
Daß Eurowerbetafeln in diesem Sinne "gebaut" sind, kann nicht zweifelhaft sein, und zwar auch dann nicht, wenn sie - nur - auf eine Giebelwand auf gedübelt sind.
Die Werbetafeln sind auch mit "dem Boden fest verbunden", denn es macht keinen Unterschied, ob die Verbindung mit dem Boden unmittelbar durch besondere Gründung hergestellt oder mittelbar etwa durch das Anbringen an Hausfronten, Giebelwänden, Einfriedungen, auf dem Dach oder an Brückengeländern bewirkt wird. Die unmittelbare Verbindung mit dem Boden wird ersetzt durch die Befestigung an einer anderen baulichen Anlage, die ihrerseits unmittelbar mit dem Boden verbunden ist (Zinkahn in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, Kommentar, RdNr. 10 zu § 29; BVerwG, Beschl. v. 30.01.1968 - BVerwG IV B 223.66 -, BRS 20 Nr. 127 = Buchholz 406.11 Nr. 5 zu § 29 BBauG).
Werbeanlagen sind auch - drittens - von planungsrechtlicher Relevanz. Es entspricht allgemeiner Meinung, daß freistehende Werbetafeln, die häufig aufdringlich und "ins Auge springend" wirken, mit der Eigenart z.B. eines reinen oder auch gemischten Wohngebietes nicht vereinbar sind und daher städtebaulich keineswegs unerheblich sind. Dies folgt schon aus § 1 Abs. 6 BBauG, demzufolge bei der Aufstellung von Bebauungsplänen u.a. die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes zu berücksichtigen ist. Entsprechend regelt § 34 Abs. 1 BBauG, daß ein Vorhaben das Ortsbild nicht beeinträchtigen darf. § 35 Abs. 3 BBauG nimmt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange an, wenn das Vorhaben das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet. Sendler (BBauBl 1968, 12) hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sich die planungsrechtliche Relevanz einer Werbeanlage vor allem aus ihrer Größe ergibt: er spricht von einem Umschlag der Quantität in die Qualität einer baulichen Anlage. So kann es beispielhaft nicht ernsthaft streitig sein, daß ein kleineres Hinweisschild auf eine Arzt- oder Rechtsanwaltspraxis keine städtebaulichen Belange berührt, während die mit Großflächenwerbungen der Eurotafeln von üblicherweise etwa 10 m² Größe verbundenen städtebaulichen Auswirkungen auf der Hand liegen (zur näheren Abgrenzung der Größe vgl. etwa Grauvogel/Dürr, Kohlhammer-Kommentar zum BBauG, Anm. 16 zu § 29, die jedenfalls bei Werbetafeln von mehr als 1 m² Größe regelmäßig eine planungsrechtliche Relevanz bejahen; in Betracht kommt auch eine Anknüpfung an die landesrechtlichen Regelungen, in Niedersachsen also Ziffer 10.1 des Anhangs "Genehmigungsfreie bauliche Anlagen und Teile baulicher Anlagen" zu § 69 NBauO i.d.F. des 5. Änderungsgesetzes vom 11.04.1986 - GVBl S. 103 -, wonach Werbeanlagen mit einer Ansichtsfläche von 0,5 m² genehmigungsfrei sind).
Daß es sich bei den hier streitigen Werbetafeln von 3,75 m × 2,75 m um Vorhaben i.S.d. § 29 Satz 1 BBauG handelt, wird nicht durch das oben erwähnte Urteil des 8. Senats des Ba.-Wü. VGH in Zweifel gezogen. Der 8. Senat stützt seine Rechtsauffassung allerdings auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, und zwar Beschl. v. 29.12.1964 - BVerwG I C 97.63 - BRS 15 Nr. 78 = DÖV 1965, 343 = NJW 1965, 879 - DVBl 1965, 203[BVerwG 29.12.1964 - I C 97/63]; Urt. v. 25.06.1965 - BVerwG IV C 73.65 - BRS 16 Nr. 75; Urt. v. 05.10.1966 - BVerwG IV C 164.65 - BRS 17 Nr. 96 sowie der nicht veröffentlichte Beschluß v. 20.01.1967 - BVerwG IV B 232.65 -. Diese Zitate überzeugen jedoch nicht bei näherer Betrachtung. Zum einen sind die angeführten Entscheidungen für die hier anstehende Frage von Eurotafeln nicht einschlägig. Dem Beschluß vom 29.12.1964 ist zu entnehmen, daß ein 0,73 m² großes Werbeschild für ein Motorenöl, das an der Giebelwand einer Scheune angebracht werden sollte, keine bauliche Anlage darstellt.
Vergleichbare Sachverhalte lagen dem Urteil vom 25.06.1965 (in Emaille ausgeführtes Werbeschild - Flachschild - von 0,73 m² Größe an einem Wohnhausanbau) sowie dem Urteil vom 05.10.1966 (zwei jeweils 0,463 m² große Werbeschilder mit der Aufschrift ... am Giebel eines Stallgebäudes) zugrunde. Es ist einleuchtend, daß derartigen Werbeanlagen eine städtebauliche Relevanz nicht zukommt. Lediglich der Beschluß des BVerwG vom 20.01.1967 belegt die Auffassung des 8. Senats, da sich darin die Ausführung wiederfindet, daß sich für eine 10,30 m² große Werbetafel im Hinblick auf den Größenumfang keine andere Beurteilung ergebe. Dieser sich aus diesen Entscheidungen - jedenfalls früher - ableitenden Tendenz des Bundesverwaltungsgerichts kommt heute aber keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Bereits in seinem Beschluß vom 30.01.1968 (BVerwG IV B 223.65, a.a.O.) hat nämlich das Bundesverwaltungsgericht eine erweiternde Auslegung des § 29 Satz 1 BBauG für eine auf dem Flachdach eines Gebäudes angebrachte Werbeanlage gebilligt. In dem Urteil vom 28. April 1972 (BVerwG IV C 11.69 - BRS 25 Nr. 127) wird dann grundsätzlich festgestellt, daß Werbeeinrichtungen als solche weder dem bauordnungsrechtlichen noch dem bauplanungsrechtlichen Regelungsbereich vorbehalten sind, sondern in dem Maße, in dem sie überhaupt unter baurechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sind, je nach der gesetzgeberischen Zielsetzung sowohl einer bauplanungsrechtlichen als auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich sind. Diese Ausführungen machen deutlich, daß es maßgeblich allein auf die planungsrechtliche Relevanz der jeweiligen Werbeanlage im Einzelfall ankommt (ebenso zu dieser zeitlichen Darstellung und der sich daraus ableitenden Wertung s. Zinkahn, a.a.O., RdNr. 9 f. zu § 29; Grauvogel/Dürr, a.a.O., Anm. 16 f. zu § 29; Schlichter/Stich/Tittel, BBauG, Kommentar, RdNr. 2 zu § 29).
Die städtebauliche Relevanz von Eurowerbetafeln ist, wie oben angeführt, regelmäßig, so auch hier, zu bejahen. Sind die vier zur Genehmigung gestellten Werbetafeln bauliche Anlagen i.S.d. § 29 Satz 1 BBauG, ist ihre Zulässigkeit an § 30 BBauG zu messen. Die Errichtung von Werbetafeln außerhalb bebaubarer Flächen ist unzulässig, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um freistehende Werbetafeln, sondern um an vorhandenen Gebäuden angedübelte Werbeeinrichtungen handelt.
Die Werbetafeln sind auch nicht über § 23 Abs. 5 BauNVO zulässig. Satz 1 dieser Vorschrift ist nicht einschlägig, weil die Werbetafeln keine Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauNVO sind. Zu diesen Nebenanlagen gehören lediglich solche Einrichtungen, die dem Nutzungszweck der Grundstücke oder des gesamten Baugebiets dienen. Zu ihnen gehören Anlagen der Fremdwerbung nicht.
Die Zulässigkeit folgt auch nicht aus § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO. Mit dieser Frage hat sich der Senat, bereits in seinem Urteil vom 24.04.1985 (6 OVG A 135/84) wie folgt auseinandergesetzt:
"Nach dieser Vorschrift können zwar bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht im Bauwich oder in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können, auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden. Auch zu diesen baulichen Anlagen gehören die Werbetafeln jedoch nicht. Nach § 7 Abs. 8 NBauO müssen sie wie Gebäude Abstand halten, weil von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (vgl. Urt. d. Sen. v. 10.05.1978 - VI OVG A 37/76 -, BRS Bd. 33 Nr. 124). Vorschriften, die - wie beispielsweise § 12 oder § 7 Abs. 7 NBauO - Abweichungen von dem Gebot, daß von der Grenze Abstand zu halten ist, zulassen, gibt es für freistehende Werbetafeln nicht. Insbesondere stellt auch § 9 Abs. 1 NBauO eine solche Vorschrift nicht dar. Nach ihr können benachbarte öffentliche Verkehrsflächen für die Bemessung des Grenzabstandes bis zu ihrer Mittellinie dem Baugrundstück zugerechnet werden. Das bedeutet, daß hinsichtlich der Abstandsregelungen die Grenze des Baugrundstücks gleichsam in die Mittellinie der Straße verlegt wird.
Im übrigen bleibt es jedoch bei den Regelungen über den Grenzabstand. Wollte man der Argumentation der Klägerin folgen, so wären nicht nur Plakatanschlagtafeln, sondern auch sämtliche anderen baulichen Anlagen, insbesondere Gebäude, gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zulässig, wenn über die Vorschrift des § 9 Abs. 1 NBauO der erforderliche Grenzabstand gewahrt ist. Eine derartige Auslegung ist mit dem Sinn des § 23 BauNVO unvereinbar."
Es besteht kein vernünftiger Grund, diese zu freistehenden Werbetafeln entwickelten Grundsätze nicht auch auf an Gebäudewänden angebrachte Werbeanlagen zu übertragen. Denn der gesetzgeberische Zweck, nur bestimmte bauliche Anlagen auf den sonst nicht überbaubaren Flächen zuzulassen, bleibt unverändert bestehen.
Der Klägerin steht letztlich nicht ein Anspruch auf Befreiung zu. Da weder Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 BBauG) noch städtebauliche Gründe die Abweichung rechtfertigen (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BBauG), könnte sich die Klägerin allenfalls darauf berufen, daß die Durchführung des Bebauungsplanes Nr. 176 für sie zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (§ 31 Abs. 2 Nr. 3 BBauG). Bei der "Härte" muß es sich um eine vom Bebauungsplan nicht beabsichtigte Härte handeln, also nicht um eine - nur - unbillige oder gar soziale Härte. Erforderlich ist dafür eine "bodenrechtliche Besonderheit".
In Einzelfällen, in denen das Schutzgut der Norm nicht oder nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen ist, andererseits aber bei Anwendung der Norm eine sinnvolle Bebauung des Grundstücks unmöglich gemacht oder verhältnismäßig erschwert würde, soll durch eine Befreiung geholfen werden können (BVerwG, Urt. v. 14.07.1972 - BVerwG IV C 69.70 -, BVerwGE 40, 268). Derartige Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es handelt sich nicht etwa um die Bebauung eines Grundstücks an sich, sondern um die Frage, ob ein schmaler Randstreifen des Plangebiets zum ..., von den nach § 23 Abs. 5 BauNVO zulässigen Nebenanlagen abgesehen, von einer dem Grundstück nicht dienenden Bebauung sonst freigehalten werden soll. Eine für die Klägerin unbillige Härte kann darin nicht gesehen werden.
Von den Beteiligten wird ferner die Unvereinbarkeit der Werbetafeln aus bauordnungsrechtlichen Gründen diskutiert. Der Senat teilt nicht die Auffassung, daß die Versagung der Erteilung der Baugenehmigung auch aus bauordnungsrechtlichen Gründen rechtmäßig ist. Denn zum einen stehen die vom Verwaltungsgericht angeführten abstandsrechtlichen Regelungen der NBauO nicht entgegen. Das Urteil des Senats vom 10.05.1978 - VI OVG A 37/76 - OVGE 34, 405 = BRS 33 Nr. 124, ist nicht einschlägig, denn es handelt sich hier nicht um freistehende Werbetafeln. Von an Hauswänden angebrachten Werbetafeln gehen keine Wirkungen wie von Gebäuden aus (§ 7 Abs. 8 NBauO n.F.). Ebenso läßt der vorgesehene Standort der Werbetafeln innerhalb eines Industriegebietes keinen Raum für eine Verunstaltung i.S.d. §§ 53, 1 Abs. 3 NBauO n.F. (zum Verunstaltungsbegriff: BVerwG, Urt. v. 28.06.1955 - BVerwG I C 146.53 -, BVerwGE 2, 172). Zwar erscheint der unmittelbare Nahbereich nach den in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltenen Fotos zunächst nahezu wie ein allgemeines Wohngebiet. Dieser Eindruck wird jedoch durch die umgebende gewerbliche bzw. industriell geprägte Nutzung überlagert und verdrängt, so daß von einer belastenden bzw. Unlust erregenden Wirkung der Werbeanlagen nicht auszugehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Senat läßt die Revision zu, denn der Frage, ob an Hauswänden angebrachte großflächige Werbetafeln bauliche Anlagen i.S.d. § 29 Satz 1 BBauG sind, kommt grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Revision ist ferner deswegen zuzulassen, weil der Senat jedenfalls von dem nicht veröffentlichten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 1967 - BVerwG IV B 132.65 - abweicht.
Streitwertbeschluss:
Beschluß
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 16.000,00 DM (i.W.: sechzehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.