Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 27.10.1994, Az.: 1 A 206/93
Rechtmäßigkeit einer kommunalaufsichtlichen Verfügung; Einordnung eines vorbereitenden Aufsichtsmittels als Verwaltungsakt; Voraussetzung für die sachgerechte Ausübung der Kommunalaufsicht ; Anlass für ein Unterrichtungsverlangen bei der Anhebung einer Stellenbewertung im Stellenplan ohne eine entsprechende Erläuterung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 27.10.1994
- Aktenzeichen
- 1 A 206/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 17928
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:1994:1027.1A206.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 35 VwVfG
- § 129 Abs. 1 NGO
- § 127 Abs. 1 NGO
Verfahrensgegenstand
Unterrichtungsverlangen nach § 129 NGO
Prozessführer
Samtgemeinde ...
Prozessgegner
Landkreis Cuxhaven,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Vincent-Lübeck-Straße 2, 27474 Cuxhaven
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Das den Aufsichtsbehörden eingeräumte Informationsrecht ist zwingende Voraussetzung dafür, dass die Kommunalaufsicht überhaupt sachgerecht ausgeübt werden kann.
- 2.
Voraussetzung für die Geltendmachung des kommunalaufsichtlichen Unterrichtungsverlangens ist nicht, dass bereits ein konkreter Verdacht einer Rechtsverletzung oder jedenfalls ernstliche Zweifel in diese Richtung bestehen.
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 1994
durch
Präsident des Verwaltungsgericht Schmidt,
Richter am Verwaltungsgericht Steffen und
Richterin Knopp sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine kommunalaufsichtliche Verfügung des Beklagten.
Die Klägerin ist eine Samtgemeinde im Gebiet des beklagten Landkreises. Der Beklagte genehmigte mit Bescheid vom 23. Juni 1993 die Haushaltssatzung 1993 der Klägerin. Diesem Bescheid waren Bemerkungen angefügt, und zwar u.a. die folgende:
"Im Stellenplan 1993 soll eine ausgewiesene Planstelle nach A 9 im Umwelt- und Planungsamt mit einem Verwaltungsfachangestellten nach Vergütungsgruppe IV a BAT besetzt werden. Darüber hinaus wird eine Stelle Verwaltungssachbearbeiter im Umwelt- und Planungsamt von bisher Vergütungsgruppe VI b BAT nach Vergütungsgruppe V c BAT umgewandelt.
Für diese Stellen bitte ich um Vorlage von Arbeitsplatzbeschreibungen/bewertungen. Vor den Überprüfungen bitte ich von Höhergruppierungen abzusehen."
Unter dem 17. Juli 1993 erhob die Klägerin gegen die Forderung des Beklagten Widerspruch, Arbeitsplatzbeschreibungen zur Überprüfung vorzulegen und solange von Höhergruppierungen abzusehen. Gleichzeitig bat sie um Mitteilung, auf welche Rechtsvorschrift des Vorlageverlangen gestützt werde. Hierzu gab der Beklagte mit Schreiben vom 23. Juli 1993 Erläuterungen ab und wies auf die Aufgabe der Kommunalaufsicht hin, sicherzustellen, daß die Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltung die Gesetze beachteten. Insoweit sei die Klägerin bei der Gestaltung der Vergütungs- und Arbeitsbedingungen für kommunale Angestellte und bei Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse der Beamten an gesetzliche Vorschriften gebunden. Die Anforderung der Arbeitsplatzbeschreibungen stelle die Ausübung des kommunalaufsichtlichen Unterrichtungsrechtes gemäß § 129 NGO dar. Im übrigen sei die angefochtene Aufforderung des Beklagten noch nicht als Verwaltungsakt einzuordnen. Erst eine förmliche Anordnung gemäß § 131 NGO eröffne den Rechtsweg.
Die Klägerin begründete mit weiterem Schreiben vom 30. Juli 1993 ihren Widerspruch. Sie wies im wesentlichen darauf hin, daß nach ihrer Auffassung das Unterrichtungsverlangen der Kommunalaufsicht nur beim Vorliegen eines Rechtsverstoßes oder wenigstens eines konkreten Verdachtes eines Rechtsverstoßes zulässig sei. Der Beklagte lasse sich jedoch ausschließlich von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten, wofür spreche, daß er regelmäßig die Vorlage von Stellenbeschreibungen bzw. Arbeitsplatzbeschreibungen verlange. Darauf wies die Bezirksregierung Lüneburg mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1993 den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 27. Oktober 1993 Klage erhoben, mit der sie geltend macht:
Es sei für sie nicht ersichtlich, welchen Anlaß der Beklagte zu seinen offenbar vorhandenen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Ausweisung von Planstellen im Stellenplan gehabt habe. Offenbar habe es konkrete Zweifel nicht gegeben. Denn die Klägerin wisse, daß der Beklagte seit Jahrzehnten regelmäßig vor Einweisung von Beamten in Planstellen ab Besoldungsgruppe A 9 und vor Einstellung oder Höhergruppierung von Angestellten ab Vergütungsgruppe V c jeweils Stellen- bzw. Arbeitsplatzbeschreibungen vorgelegt verlange. So habe man auf einer Dienstbesprechung der Hauptverwaltungsbeamten im Landkreis hierzu nach einer Rechtsgrundlage gefragt und zur Antwort erhalten, es handele sich um altes ... Landrecht. Ein solches routinemäßiges Unterrichtungsverlangen sei aber ein unzulässiger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht und in die Personalhoheit der Klägerin.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 23. Juni 1993 und den Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1993 aufzuheben, soweit darin ein kommunalaufsichtliches Unterrichtungsverlangen betreffend den Stellenplan der Klägerin für das Haushaltsjahr 1993 enthalten ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und führt ergänzend aus, daß der gegenständlich bestimmte Anlaß für das geltend gemachte Unterrichtungsverlangen im vorliegenden Fall darin liege, daß beide Stellen in dem zur Genehmigung vorgelegten Stellenplan höher bewertet würden als bislang. Die Gründe für diese Anhebung seien aus dem Stellenplan allein nicht nachvollziehbar. Insofern müsse die im Stellenplan (ohne erkennbare sachliche Rechtfertigung) vorgesehene Höherbewertung als gegenständlich bestimmter Anlaß angesehen werden. Hier sei das Unterrichtungsverlangen auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß sämtliche Mitgliedsgemeinden der Klägerin Bedarfszuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz erhielten. Eine sparsame Haushaltsführung sei damit als besonders wichtig anzusehen. In der Vergangenheit habe die Klägerin eine A 11-Stelle aus dem Stellenplan herausgenommen und bei der Gemeinde ... eine A 12-Stelle ausgebracht. Im Stellenplan der Klägerin sei die Ausweisung einer A 12-Stelle nicht möglich gewesen. In diesem Falle habe der Beklagte den entsprechenden Beschluß des Rates beanstandet. Diese Beanstandung sei bestandskräftig geworden. Auch dieser Vorgang begründe die Rechtmäßigkeit des Unterrichtungsverlangens des Beklagten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das angefochtene Unterrichtungsverlangen des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat rechtsfehlerfrei im Rahmen seiner kommunalaufsichtlichen Befugnisse Erläuterungen zu einzelnen Positionen des Stellenplanes 1993 der Klägerin verlangt. Dazu im einzelnen:
Zunächst erweist sich die Klage als zulässig. Denn das Unterrichtungsverlangen des Beklagten als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde erweist sich als vorbereitendes Aufsichtsmittel und ist damit bereits als Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG einzuordnen (vgl. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, S. 273; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, § 107, Anm. I). Dies bedeutet, daß gegen ein von der Aufsichtsbehörde geltend gemachtes Unterrichtungsverlangen zulässigerweise der Rechtsbehelf des Widerspruchs erhoben werden kann, ohne daß ein förmliches Anordnungsverfahren gemäß § 131 NGO abgewartet werden müßte.
In der Sache ist die Klage jedoch nicht begründet.
Nach § 129 Abs. 1 NGO kann die Kommunalaufsichtsbehörde sich jederzeit über die Angelegenheiten der Gemeinden unterrichten. Sie kann durch Beauftragte an Ort und Stelle prüfen und besichtigen, mündliche und schriftliche Berichte, Niederschriften des Rates, des Verwaltungsausschusses, der Stadtbezirksräte, der Ortsräte und der Ausschüsse des Rates sowie Akten und sonstige Unterlagen anfordern oder einsehen. Dieses den Aufsichtsbehörden eingeräumte Informationsrecht ist zwingende Voraussetzung dafür, daß die Kommunalaufsicht überhaupt sachgerecht ausgeübt werden kann. Denn nur Kenntnis der örtlichen Verhältnisse in den Gemeinden und Information über dort ablaufende Vorgänge ermöglichen es der Aufsichtsbehörde, das ihr im Rahmen der Kommunalaufsicht eingeräumte Ermessen sachgerecht einzusetzen. Dies bedeutet allerdings nicht, daß das Informationsrecht nach § 129 NGO der Aufsichtsbehörde umfassend zur Verfügung stünde, also unabhängig davon, ob tatsächlich Veranlassung für die gewünschte Unterrichtung besteht. Denn die Kommunalaufsicht soll insgesamt so gehandhabt werden, daß die Entschlußkraft und die Verantwortungsfreude der Gemeinde nicht beeinträchtigt werden (§ 127 Abs. 1 NGO). Zu der Frage, wann Anlaß für die Geltendmachung des im Kommunalrecht verankerten Informationsanspruches besteht, hat sich das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 28. Februar 1977 (VerwRspr. 29, Nr. 160) wie folgt geäußert:
"Allerdings ist dieses Unterrichtungsrecht nicht schrankenlos. Vielmehr ist hierbei von dem verfassungsrechtlich geprägten Spannungsfeld zwischen gemeindlicher Selbstverwaltung und staatlicher Rechtsaufsicht über Gemeinden und Gemeindeverbände auszugehen (Artikel 49 Abs. 3 LV). Dies besagt, daß staatliche Aufsicht nicht zu einer Beeinträchtigung der gemeindlichen Selbstverwaltung oder zu einer Behinderung der Gemeinden bei der Erledigung ihrer Selbstverwaltungsangelegenheiten führen darf. Das Unterrichtungsverlangen der Aufsichtsbehörde setzt daher einen gegenständlich bestimmten Anlaß voraus, der geeignet ist, Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit eines bestimmten gemeindlichen Verhaltens aufkommen zu lassen. Liegt diese Voraussetzung vor, so hat die Aufsichtsbehörde im Sinne eines Entschließungsermessens darüber zu befinden, ob sie überhaupt von ihrem Unterrichtungsrecht Gebrauch machen will. Hieran schließt sich sodann im Sinne eines Auswahlermessens die weitere Entscheidung der Behörde an, welche der vom Gesetz ihr nach § 123 NGO zu Gebote stehenden Unterrichtungsmöglichkeiten sie in dem betreffenden Falle für angemessen erachtet."
Die Kammer folgt dem. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist somit nicht Voraussetzung für die Geltendmachung des kommunalaufsichtlichen Unterrichtungsverlangens, daß bereits ein konkreter Verdacht einer Rechtsverletzung oder jedenfalls ernstliche Zweifel in diese Richtung bestehen. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, daß die Interventionsschwelle für die Geltendmachung des Unterrichtungsverlangens vielmehr niedriger angesetzt werden muß, um das Zustandekommen von Rechtsverletzungen von vornherein nach Möglichkeit auszuschließen, damit z.B. mögliche Schadensersatzforderungen gegen die Gemeinde vermieden werden. Gleichwohl ist Voraussetzung, daß ein gegenständlich bestimmter Anlaß im Sinne der zitierten Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz vorliegt, der das Tätigwerden der Kommunalaufsichtsbehörde nachvollziehbar erscheinen läßt. Dies ist im vorliegenden Fall festzustellen.
Die Kammer folgt der Auffassung des Beklagten, daß bereits die Anhebung einer Stellenbewertung im Stellenplan ohne eine entsprechende Erläuterung Anlaß für ein Unterrichtungsverlangen sein kann, zumal dann, wenn die Gemeinde - wie hier - wegen ihrer Finanzschwäche bzw. der ihrer Mitgliedsgemeinden ständig auf Bedarfszuweisungen nach dem FAG angewiesen ist. In einem solchen Falle ist es nicht auszuschließen, daß die Durchführung einer Stellenanhebung und insbesondere die Vollziehung dieser Maßnahme durch Besetzung der Stelle einen finanziellen Schaden für die Gemeinde zur Folge haben kann, wenn sich im Nachhinein erweisen sollte, daß die durchgeführte Stellenhebung mit besoldungs- bzw. tarifrechtlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren war. Die Kammer läßt dabei offen, inwieweit der von dem Beklagten angesprochene Vorgang, der Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens gewesen ist, bei dem eine Stelle von der Samtgemeinde in den Stellenplan einer Mitgliedsgemeinde verlagert werden sollte, was zu einer Beanstandung führte, mitbegründend für die Rechtmäßigkeit des Unterrichtungsverlangens gewesen sein kann. Denn bereits aus den genannten Erwägungen bietet der Stellenplan der Klägerin auch aus der Sicht der Kammer Anlaß, in den zwei von dem Beklagten aufgegriffenen Fällen tatsächlich das Unterrichtungsrecht nach der Gemeindeordnung auszuüben.
Dieses Einschreiten der Kommunalaufsichtsbehörde erweist sich nicht als unverhältnismäßig. Dabei hat die Kammer nicht zu bewerten, inwieweit möglicherweise tatsächlich durch die vorgesehenen Stellenhebungen ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften gegeben ist. Denn zu berücksichtigen ist, daß das Unterrichtungsverlangen nach § 129 NGO von seiner Intensität her die geringste Beeinträchtigung der gemeindlichen Selbstverwaltung mit sich bringt, gerade weil ein förmliches Aufsichtsmittel damit noch nicht verbunden ist. Ob das Vorgehen des Beklagten ermessensfehlerhaft wäre, wenn das Vorbringen der Klägerin zutreffen sollte, daß das Unterrichtungsverlangen zum Teil auch routinemäßig ausgeübt wird, kann hier unerörtert bleiben. Die Kammer neigt insoweit allerdings zu der Auffassung, daß die grundsätzliche Entscheidung der Kommunalaufsicht, innerhalb eines nach sachgerechten Kriterien gesetzten Rahmens regelmäßig das Unterrichtungsrecht zu beanspruchen, mit Sinn und Zweck der §§ 127 ff. NGO zu vereinbaren ist. Für den vorliegenden Fall kann von einer Routineangelegenheit indes nicht gesprochen werden, da - wie ausgeführt - konkreter Anlaß für ein Unterrichtungsverlangen bestand.
Nach alledem erweist sich die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Klage war daher mit den kostenrechtlichen Nebenentscheidungen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO abzuweisen.
Steffen
Knopp