Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.10.2000, Az.: L 9 VS 8/98
Multiple Sklerose als Wehrdienstbeschädigung (WDB); Kausalität zwischen Wehrdienstbelastung und Erkrankung; Wehrdiensteigentümliche Verhältnisse; Truppenärztliche Behandlung in Bundeswehrkrankenhäusern
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 20.10.2000
- Aktenzeichen
- L 9 VS 8/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 15433
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2000:1020.L9VS8.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 14.01.1998 - AZ: S 7 VS 23/92
Rechtsgrundlagen
- § 81 Abs.1 SVG
- § 85 SVG
- § 1 Abs.1 S.1 BVG
- § 1 Abs.3 S.2 BVG
- § 30 Abs.1 S.2 BVG
- § 31 Abs.1 BVG
Prozessführer
A...
Prozessgegner
Bundesrepublik Deutschland,
die Wehrbereichsverwaltung V, Heilbronner Straße 186, 70191 Stuttgart
Sonstige Beteiligte
Land Rheinland-Pfalz,
das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, Baedekerstraße 2-10, 56073 Koblenz
Redaktioneller Leitsatz
Die Erkrankung an multipler Sklerose kann nur dann als Wehrdienstbeschädigung (WDB) anerkannt werden, wenn die Erkrankung ihre Ursache in den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen hat.
hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2000
durch
seine Richter C. - Vorsitzender -, D. und E. sowie
die ehrenamtlichen Richter F. und G.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die bei dem Kläger vorliegende "multiple Sklerose" als Wehrdienstbeschädigung (WDB) anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Der 1963 geborene Kläger war vom 01. Juli 1982 bis zum 31. Januar 1993 als Soldat auf Zeit - zuletzt im Range eines Hauptmannes - bei der Bundeswehr. Er absolvierte zunächst Grundausbildung und Offizierslehrgang. Im Rahmen der Offiziersausbildung nahm der Kläger auch im Januar 1983 an einer Überlebensausbildung See in Sardinien und im Februar 1983 an einer Überlebensausbildung Land in Altenstadt teil. In diesem Zeitraum klagte er erstmals über Beschwerden am Fuß. Sodann studierte er von 1983 bis Anfang 1987 Elektrotechnik an der Bundeswehrhochschule in Hamburg. Nach Rückkehr zur Truppe wurde er in verschiedenen Standorten und Funktionen eingesetzt. Im Wesentlichen war er in Wittmund als EloOffz eingesetzt.
Im Mai 1985 - während seines Studiums - beklagte der Kläger Sehstörungen am linken Auge. Er wurde im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) Hamburg untersucht. Der Augenarzt Dr. H. verordnete dem Kläger auf seinen Wunsch eine Fernbrille, nachdem eine leichte Fehlsichtigkeit des linken Auges diagnostiziert worden war. Der Zustand des linken Auges des Klägers wurde in der Folge 1987, 1989 und 1992 kontrolliert. Hierbei ergaben sich jeweils keine pathologischen Befunde.
Im Frühjahr 1987 kam es zu neurologischen Funktionsstörungen in Form von Anomalien der Muskeleigenreflexe, einer leichten Schwäche im rechten Arm und halbseitigen Sensibilitätsstörungen. Der Neurologe L, der den Kläger untersuchte, äußerte den Verdacht auf das Vorliegen einer "Enzephalomyelitis". Die Beschwerden des Klägers bildeten sich bald zurück. Eine weitere diagnostische Abklärung, die der Neurologe l. in Gestalt einer Lumbaipunktion vorgeschlagen hatte, erfolgte zu diesem Zeitpunkt nicht.
Im Juni des Jahres 1991 traten erneut neurologische Beschwerden bei dem Kläger auf. Der Kläger wurde dem BWK Koblenz - Neurologische Abteilung - zur Abklärung überwiesen, nachdem ein Kernspintomogramm zwei frische Entmarkungsherde nachgewiesen hatte. Im April 1992 wurde dort endgültig das Vorliegen einer "multiplen Sklerose" gesichert.
Der Kläger ließ am 15. Juli 1991 ein WDB-Blatt anlegen, in dem er unter anderem die multiple Sklerose als WDB-Folge geltend machte. Zur Begründung führte er aus, die außergewöhnliche Belastung im Offiziersdienst der Bundeswehr habe zu seiner Erkrankung geführt. Ergänzend wies er auf einzelne, ihn besonders belastende Gegebenheiten des von ihm absolvierten Dienstes hin.
Das Wehrbereichsgebührnisamt zog die truppenärztlichen Unterlagen über den Kläger bei und leitete diese dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. beim Sanitätsamt der Bundeswehr zur Auswertung weiter. Dieser führt in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 11. Januar 1992 zusammenfassend aus, die Diagnose einer Enzephalitis disseminata (multiple Sklerose) sei gesichert. Die Ursache dieser Erkrankung sei unbekannt, Versorgung komme daher nur im Rahmen der so genannten Kann-Versorgung in Betracht. Für die Annahme eines Zusammenhangs seien die vom Kläger angeschuldigten psychischen Belastungen nicht von Bedeutung. Körperliche Belastungen so außergewöhnlichen Ausmaßes, wie dies erforderlich sei, hätten in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Die Erstsymptome im Jahr 1987 seien nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit derartigen Belastungen aufgetreten. Daraufhin lehnte das Wehrbereichsgebührnisamt V mit Bescheid vom 13. Februar 1992 die Gewährung eines Ausgleichs ab.
Auf die Beschwerde des Klägers erging nach erneuter Beteiligung des Ärztlichen Dienstes ( K. ) der abschlägige Beschwerdebescheid vom 23. Juni 1992.
Hiergegen hat der Kläger am 06. Juli 1992 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Aurich hat das Land Rheinland-Pfalz beigeladen. Sodann hat es einen Befundbericht des Neurologen l. beigezogen und den Kläger durch den Neurologen und Psychiater Prof. Dr. L. begutachten lassen (Gutachten vom 04. August 1995). Dieser hat in seinem Gutachten zusammenfassend im Wesentlichen ausgeführt, die ersten sicher belegten Krankheitssymptome hätten 1987 vorgelegen. Hieraus hätte eine weitere Diagnostik abgeleitet werden sollen. Wenn die Diagnose einer multiplen Sklerose bereits damals festgestanden hätte, wäre eine weitere Belastung des Klägers sicherlich vermieden worden. In der Augenerkrankung des Klägers 1985 könne möglicherweise ein erster Schub gesehen werden. Insoweit empfehle sich die Einholung eines zusätzlichen neuroophtalmologischen Gutachtens, wenn aus der damaligen Zeit noch ergänzende Befunde aufbewahrt worden seien. Für einen gesunden Offizier seien die Belastungen, denen der Kläger ausgesetzt worden sei, sicherlich nicht außergewöhnlich gewesen. Für einen bereits Erkrankten, wie dies der Kläger gewesen sei, seien die Belastungen indes schon außergewöhnlich. Abschließend ist Prof. Dr. L. zu dem Ergebnis gekommen, ein Zusammenhang zwischen den Belastungen durch den Bundeswehrdienst und der Erkrankung des Klägers i.S.d. "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", Ausgabe 1983 (AP 83), lasse sich für die Erkrankung des Klägers nicht bejahen. Zurzeit sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers mit 10 v. H. zu bewerten, solange dieser keinen Schub seiner Krankheit erleide. Für Zeiten, in denen der Kläger unter einem Schub leide, müsse die MdE mit 20 v. H. bemessen werden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. Januar 1998, welches dem Kläger am 18. Februar 1998 zugestellt wurde, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, ein Anspruch auf Versorgung stehe dem Kläger nicht zu, weil die Ursachen der multiplen Sklerose in der medizinischen Wissenschaft nach wie vor nicht geklärt seien. Eine Kann-Versorgung komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen hierfür, wie sie sich aus der Ausgabe 1996 der AP (AP 96) ergäben, nicht erfüllt seien.
Der Kläger hat am 17. März 1998 Berufung eingelegt.
Er ist der Auffassung, die von ihm während seiner Zeit in der Bundeswehr durchgemachten psychischen und körperlichen Belastungen seien Auslöser oder verschlimmernde Faktoren bei seiner Erkrankung gewesen. Insbesondere seien schon seine Beschwerden Anfang 1983 und seine Augenerkrankung 1985 als erste Schübe seiner Erkrankung zu sehen. Zumindest die Beschwerden 1983 hätten auch in unmittelbarem Zusammenhang mit enormer körperlicher Belastung gestanden.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 14. Januar 1998 sowie den Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamtes V vom 13. Februar 1992 in der Gestalt des Beschwerdebescheides der Wehrbereichsverwaltung vom 23. Juni 1992 aufzuheben,
- 2.
die bei ihm vorliegende Erkrankung "multiple Sklerose" als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzuerkennen,
- 3.
für die multiple Sklerose einen Ausgleich entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 50 v. H. für die Zeit von Februar 1983 bis zum 31. Januar 1993 zu gewähren.
Die beklagte Bundesrepublik und das beigeladene Land beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung beziehen sie sich auf die angefochtenen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere treten sie der Behauptung entgegen, die bei dem Kläger vorliegende Erkrankung sei durch die Belastungen des Wehrdienstes verursacht oder verschlimmert worden. Auch lasse sich kein Fehlverhalten des truppenärztlichen Dienstes feststellen. Hinsichtlich der vom Kläger erst im Berufungsverfahren zum Gegenstand der Erörterung gemachten Beschwerden Anfang 1983 werden die versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Medizinaldirektorin M. vom 07. Juli und vom 10. Dezember 1999 vorgelegt.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. L. vom 15. Dezember 1998 eingeholt. Weiter ist die Auskunft des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg - Fachärztliche Untersuchungsstelle 4 - vom 25. Februar 1999 eingeholt worden, worin diese mitteilt, ihr lägen keine weiteren Unterlagen über den Kläger vor.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (WDB-Akte Az.: N.; Beschwerde-Az.: O.; Versorgungsakte des Versorgungsamtes Koblenz Az.: P. ) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Anerkennung der bei ihm vorliegenden multiplen Skierlose als Wehrdienstbeschädigungsfolge zusteht. Es ist hierbei von den richtigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren, sehr ausführlichen Erwägungen zutreffend seine Entscheidung begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 14. Januar 1998 Bezug genommen, § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Das SG hat insbesondere zu Recht darauf hingewiesen, da die Ursachen für das Entstehen einer "Multiplen Sklerose" bis heute nicht bekannt seien, komme der Nachweis einer wesentlichen Verursachung durch wehrdienstliche Umstände nach §§ 85, 81 Abs. 1 und 6 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) nicht in Betracht (vgl. hierzu erneut die Ausführungen in Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 280 ff).
Das SG hat sich darüber hinaus hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs nach §§ 85, 81 Abs. 1 und 6 Satz 2 SVG (Kannversorgung) zu Recht auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 10. November 1993 - Az.: 9/9a RV 41/92 in SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 - bezogen (vgl. insoweit auch Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 13. Januar 1978 - Az.: VI B 57. 77 in DÖV 1979, 105 für das Beamtenversorgungsrecht). Das BSG weist in dieser Entscheidung darauf hin, die Kann-Leistung sei zu versagen, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt die in den AP aufgeführten Voraussetzungen für die Zustimmung nicht vorliegen. Denn die Anhaltspunkte für die Begutachtung der einzelnen Krankheiten sind in Verbindung mit der allgemeinen Zustimmung lückenlos. Sie enthalten nicht nur die Festlegung des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, wann die Zustimmung erteilt wird, sondern auch die Festlegung, wann sie nicht erteilt wird.
Nicht erfüllt ist in der Person des Klägers insbesondere der zeitliche Zusammenhang zwischen seinen erheblichen, körperlichen Belastungen in der Grund- und Offiziersausbildung (insbesondere bei den Überlebenstrainings) und dem ersten dokumentierten Schub seiner Erkrankung.
In den AP 96, Rdnr. 64 heißt es hierzu:
"Unter Berücksichtigung der verschiedenen wissenschaftlichen Hypothesen ist ungewiss, ob folgende exogene Faktoren für die Entstehung und den weiteren Verlauf der MS von ursächlicher Bedeutung sind:
a)
Körperliche Belastungen oder Witterungseinflüsse, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz herabzusetzen,b)
Krankheiten, bei denen eine toxische Schädigung oder eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz in Frage kommt,c)
Elektrotraumen (mit Stromverlaufsrichtung über das Rückenmark). Haben solche Umstände als Schädigungstatbestände vorgelegen, sind die Voraussetzungen für eine "Kannversorgung" dann als gegeben anzusehen, wenn die Erstsymptome der MS während der Einwirkung der genannten Faktoren oder mehrere Monate (bis zu 8 Monaten) danach oder in der Reparationsphase (bis zu 2 Jahren) im Anschluss an eine unter extremen Lebensbedingungen verlaufene Kriegsgefangenschaft aufgetreten sind."
Der Senat konnte sich insoweit zunächst nicht die Überzeugung bilden, dass bei dem Kläger bereits 1983 ein erster Schub seiner Erkrankung aufgetreten ist. Hierzu finden sich in der Einlegekarte zur G-Karte des Klägers Eintragungen vom 28. Februar 1983 ("Adduktorenzerrung, Sensibilitätsstörung D 1, 2 rechter Fuß") und von März 1983 ("Druckschmerz rechte Ferse nach G-Marsch"). Hierzu weist Medizinaldirektorin M. in ihren Stellungnahmen für das Sanitätsamt der Bundeswehr vom 07. Juli und 10. Dezember 1999 für den Senat überzeugend darauf hin, hierbei handele es sich wohl um eine Folge zu engen Schuhwerks oder um Folgen einer lokalen Unterkühlung, was sich aus dem verordneten Medikament schließen lasse. Darüber hinaus habe eine andere Symptomatik als im Jahre 1987 vorgelegen. Auch Prof. Dr. L. hat in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Dezember 1998 nicht dargelegt, dass insoweit sicher vom Vorliegen erster Symptome einer Multiplen Sklerose ausgegangen werden könne. Auch in seinem Gutachten vom 04. August 1995 hat er dies nicht getan. Beiden gutachterlichen Stellungnahmen lässt sich aber auch entnehmen, dass der im Hinblick auf die "Multiple Sklerose" besonders kenntnisreiche Gutachter die vorhandenen Unterlagen sehr sorgsam auf mögliche Zeichen einer ersten Erkennbarkeit der Erkrankung durchgesehen hat. Angesichts all dessen spricht nichts dafür, diese Beschwerden bereits als ersten Erkrankungsschub zu werten.
Nicht erfüllt ist in der Person des Klägers in der Zeit acht Monate vor dem ersten dokumentierten Schub (1987) seiner Erkrankung insbesondere die Voraussetzung, die in Rdnr. 64 Abs 3 Buchst a der AP 96 formuliert ist (körperliche Belastungen oder Witterungseinflüsse, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz herabzusetzen). Mit dieser ausdrücklich auf § 1 Abs 3 Satz 2 BVG gestützten Regelung sind - nach der Auffassung des BSG, der sich der Senat anschließt - zunächst nur solche Belastungen gemeint, die dem militärischen oder militärähnlichen Dienst eigentümlich sind und Kriegsopferversorgung auslösen (§ 1 Abs 1 Satz 1 BVG). Die Regelung findet zwar auch Anwendung bei entsprechenden Verhältnissen in den anderen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts, vor allem auch des Soldatenversorgungsrechts. Sie ist aber nicht anzuwenden, wenn solche Verhältnisse nicht vorliegen. Solche Verhältnisse liegen nicht vor, soweit ein Soldat in der in Frage kommenden Zeit nicht wehrdiensttypischen Belastungen ausgesetzt war. Insoweit hat das SG unter Auswertung der von Hauptmann Q. unter dem 1. August 1991 im WDB-Verfahren gegebenen Auskunft zu Recht dargelegt, derart schwere, körperliche Belastungen könnten in der fraglichen Zeit nicht festgestellt werden. Belastungen, die insoweit in Betracht kommen könnten, lägen vielmehr allesamt im Jahre 1983. Eben hierin liegt aber der Unterschied zu der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bayer. LSG vom 12. Juni 1991 (Az.: L 10 V 32/87 SVG in Breithaupt 1992, 307ff). Dort lagen die fraglichen Belastungen eben noch im von den AP genannten Zeitraum.
Im Berufungsverfahren sind darüber hinaus auch keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte zu Tage getreten.
Der Kläger kann auch keinen Ausgleich nach § 85 SVG für Krankheitsschübe seiner "Multiplen Sklerose" beanspruchen, weil er auf die truppenärztliche Versorgung angewiesen war.
Zu den Wehrdienstbeschädigungen iS des § 81 Abs 1 SVG auf Grund wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse gehören nach der Rechtsprechung des BSG - wie dieses unlängst in seinem Urteil vom 12. April 2000 (Az.: B 9 VS 2/99 R) zusammenfassend ausgeführt hat - auch Schädigungen, die auf den besonderen Gegebenheiten des soldatischen Sozialbereichs der Bundeswehr, der sich deutlich von dem des Zivillebens unterscheidet, beruhen. Insbesondere gilt dies für den Bereich der truppenärztlichen Behandlung in Bundeswehrkrankenhäusern. Die Besonderheit der Behandlung von Soldaten durch Militärärzte der Bundeswehr knüpft an die dienstliche Verpflichtung der Soldaten an, sich gesund zu erhalten, damit die Bundeswehr ihren Verteidigungsauftrag uneingeschränkt erfüllen kann. Jeder Soldat muss sich deshalb notwendigen Behandlungen genauso unterziehen, wie er seinen Dienst auszuüben hat, dessen schädigende Folgen ausdrücklich durch § 81 Abs 1 SVG geschützt sind. Die danach im Allgemeinen vorhandene Vorstellung der Soldaten, dass sie sich nicht nur im eigenen Interesse behandeln lassen müssen, sondern damit auch ihrer gesetzlichen Pflicht zur gesteigerten Gesunderhaltung nachkommen, ist deshalb ein wehrdiensteigentümlicher Umstand. Von ihm ist in Behandlungsfällen regelmäßig auszugehen. Wehrdiensteigentümlich ist in derartigen Fällen weiter, dass der Soldat den behandelnden Arzt grundsätzlich nicht frei wählen kann. Im Rahmen der ihm zustehenden freien Heilfürsorge besteht vielmehr der Zwang, sich ausschließlich von Offizieren des Sanitätsdienstes behandeln zu lassen. Von den damit verbundenen Risiken hat der Staat die Soldaten durch die Entschädigungsansprüche nach §§ 80, 85 SVG befreit (vgl. insbesondere Urteil des BSG vom 4. Oktober 1984, Az.: 9a/9 KLV 1/81 in BSGE 57, 171 ff [BSG 04.10.1984 - 9a/9 KLV 1/81] = SozR 3200 § 81 Nr 20; BSG, Beschluss vom 24. Juni 1981 in SozR 3200 § 81 Nr 15). Sind die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung wenigstens wesentliche (Mit-)Ursache einer gesundheitlichen Schädigung eines Soldaten, sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine Versorgung erfüllt, es sei denn, die Schädigung wäre bei freier Arztwahl auch in jedem anderen Krankenhaus eingetreten. Typischer Fall einer wesentlichen Schädigung ist ein Behandlungsfehler. Ob selbst dann ein Anspruch auf Versorgung besteht, wenn die eingetretene Schädigung nicht auf einem schuldhaften Kunstfehler, der einen zivilen Schadensersatzanspruch begründen würde, beruht, hat das BSG bisher offen gelassen (vgl. BSG Urteil vom 4. Oktober 1984 a.a.O. ).
Anhaltspunkte für einen derartigen Kunstfehler oder eine sonstige ursächliche Schädigung durch die truppenärztliche Versorgung sind im Falle des Klägers aber nicht ersichtlich.
Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Vermutung des Klägers, seine Augenbeschwerden 1985 seien als erste Anzeichen seiner Erkrankung zu deuten und bei rechtzeitiger Erkennung durch den truppenärztlichen Dienst wären weitere Schübe seiner Erkrankung vermeidbar gewesen. Insoweit scheitert ein Anspruch des Klägers schon daran, dass er 1985 untersucht wurde und ausweislich der erhobenen Befunde keine Veränderungen des Augenhintergrundes feststellbar waren. Dies ergibt sich aus den Untersuchungsunterlagen der fachärztlichen Untersuchungsstelle 4 des BWK Hamburg (Augenarzt Dr H.) vom 6. Dezember 1985. Dort heißt es ausdrücklich, der Fundus (Kurzbez. für F. oculi; Augenhintergrund) sei "o. B. ". Auch anlässlich einer Nachuntersuchung in der fachärztlichen Untersuchungsstelle für Augenheilkunde des BWK Osnabrück (Augenarzt Dr. R. ) am 3. März 1987 sind bei der Untersuchung des Fundus keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Gleiches gilt für die Untersuchung durch den Augenarzt Dr. S. am 16. Juni 1989 und durch die fachärztliche Untersuchungsstelle 4 (Augen) des BWK Bad Zwischenahn (Oberfeldarzt T.) am 1. Juli 1992. Angesichts all dieser Befunde lassen sich keinerlei Hinweise erkennen, die darauf hindeuten, bereits 1985 hätte sich auf Grund der Augenbeschwerden des Klägers das Vorliegen einer "multiplen Sklerose" erkennen lassen. Daher kann auch nicht festgestellt werden, auf Grund des Angewiesenseins des Klägers auf truppenärztliche Versorgung sei es insoweit nicht zur rechtzeitigen Erkennung der Erkrankung des Klägers gekommen.
Auch für die Beschwerden des Klägers im August 1987 steht ihm kein Anspruch aus § 85 SVG zu. Der Senat geht insofern vom folgenden, festgestellten Sachverhalt aus: Anfang August des Jahres meldete sich der Kläger bei dem Stabsarzt Seidel und klagte über Sensibilitätsstörungen der rechten Körperhälfte. Dieser überwies ihn zur Untersuchung an den Neurologen l., welcher unter dem 7. August 1987 den Verdacht auf das Vorliegen einer Enzephalomyelitis (Entzündung von Gehirn und Rückenmark) äußerte und zur weiteren Aufklärung eine Lumbaipunktion vorschlug. Diese wurde ausweislich der Eintragungen in der G-Karte zurückgestellt, um den weiteren Verlauf abzuwarten. Der Kläger sollte sich bei anhaltenden Beschwerden binnen zwei Wochen erneut vorstellen, um weitere Diagnostik (Lumbaipunktion) einzuleiten. Er stellte sich jedoch erst am 12. November 1987 erneut vor und klagte über Beschwerden im rechten Oberschenkel nach sportlicher Betätigung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Sensibilitätsstörungen binnen der veranschlagten zwei Wochen abgeklungen waren und - in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. L. - dass die in den ersten zwei bis drei Wochen des August 1987 aufgetretenen Beschwerden des Klägers retrospektiv als die erste gesicherte Manifestation der Erkrankung des Klägers gewertet werden müssen. Der Senat geht mit Prof. Dr. L. auch davon aus, dass bei weiterer Durchführung der von dem Neurologen l. vorgeschlagenen Diagnostik womöglich das Vorliegen einer"Multiplen Sklerose" zu sichern gewesen wäre. Dies hätte wohl auch dazu geführt, die Belastung des Klägers zukünftig zu minimieren (vgl. hierzu auch die ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. L. vom 15. Dezember 1998). Der Senat unterstellt weiter den Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner außerordentlichen Belastung im ersten Halbjahr 1991 als wahr, der auch von den anderen Beteiligten nicht bestritten wurde. Weiter geht der Senat davon aus, der Erkrankungsschub, den der Kläger im Juni 1991 erlitten hat, wäre zu vermeiden gewesen, wenn diese Belastung geringer gewesen wäre. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L. an, der ausführt, psychophysische Erschöpfungszustände könnten bei einem bereits Erkrankten durchaus weitere Erkrankungsschübe auslösen. Der Senat folgt Prof. Dr. L. auch insoweit, als er die anzusetzende MdE während der Schübe auf 20 v. H. schätzt. Insoweit steht dem Kläger allerdings kein Ausgleich nach § 85 SVG zu. Diese Vorschrift ordnet nämlich an, ein Ausgleich sei nach Maßgabe der §§ 30 Abs. 1, 31 BVG zu gewähren. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVG sind jedoch vorübergehende Gesundheitsstörungen von bis zu sechs Monaten nicht anspruchauslösend. Um eine solche vorübergehende Gesundheitsstörung handelte es sich aber bei den Beschwerden des Klägers im Jahre 1991. Der Kläger hat nämlich ausweislich der Eintragungen in der Einlegekarte zur G-Karte am 4. Juni 1991 angegeben, die Beschwerden hielten seit zwei Monaten an. Bereits im Entlassungsbericht des BWK Koblenz vom 18. Juli 1991 ist dann die Rede davon, bei Ende des stationären Aufenthaltes am 4. Juli 1991 seien die Beschwerden rückläufig gewesen. Unter dem 26. Juli 1991 heißt es dann in der Einlegekarte zur G-Karte, bis auf ein leichtes Taubheitsgefühl im Bauchhautbereich und "schwere" Beine seien keine Beschwerden mehr vorhanden. Am 17. September 1991 verzeichnet der behandelnde Stabsarzt Dr. U. "völliges Wohlbefinden" des Klägers. Daher ist davon auszugehen, dass der Krankheitsschub 1991 unter einem halben Jahr und daher unter der anspruchsauslösenden Grenze des § 30 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVG geblieben ist.
Darüber hinaus erreicht dieser Krankheitsschub aber nach dem zuvor dargestellten, festgestellten Sachverhalt auch keine Höhe der MdE, die anspruchauslösend sein könnte. Nach § 85 Abs. 1 SVG in Verbindung mit § 31 Abs. 1 und 2 BVG ist dies nämlich nur der Fall, wenn eine MdE von mindestens 25 v. H. erreicht wird. Da dies nach dem zuvor Dargestellten auch in der Zeit des Krankheitsschubs nicht der Fall war, scheidet auch unter diesem Gesichtspunkt ein Ausgleichsanspruch des Klägers aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.