Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.06.1998, Az.: 1 Ws 263/98

Voraussetzung einer mündlichen Anhörung bei ablehnender Entscheidung über ein Halbstrafengesuch; Vorbeugung der Aushöhlung der Regelung über die mündliche Anhörung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
11.06.1998
Aktenzeichen
1 Ws 263/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 28934
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0611.1WS263.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
NULL

Amtlicher Leitsatz

Die ablehnende Entscheidung über ein Halbstrafengesuch setzt fast ausnahmslos eine mündliche Anhörung voraus.

Gründe

1

Der Verurteilte beanstandet zu Recht, dass das Landgericht ohne die nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung entschieden hat. Die Voraussetzungen, die es nach der gesetzlichen Ausnahmeregelung in § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1-3 StPO erlaubt hätten, ohne mündliche Anhörung des Verurteilten zu entscheiden, liegen nicht vor. Es kann dahinstehen, ob der am 4. Dezember 1997 gestellte Antrag verfrüht war und seinerzeit mit dieser Begründung hätte abgelehnt werden können, § 454 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 a StPO. Im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Landgericht lagen die Voraussetzungen dafür nicht mehr vor. Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist, dass es in entsprechender Anwendung von § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO dem Sinn dieser Ausnahmevorschrift gemäß zulässig sein kann, auch in anderen als den im Gesetz genannten Fällen von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abzusehen, ist, um einer Aushöhlung der Regelung über die mündliche Anhörung vorzubeugen, Zurückhaltung geboten. Von einer mündlichen Anhörung wird u.a. nur dann abgesehen werden können, wenn eine Beeinflussung der Entscheidung durch sie von vornherein ausgeschlossen erscheint und ihre Durchführung daher zur inhaltslosen Formalie würde. Dies wird aber nur anzunehmen sein, wenn das entscheidende Gericht bereits zuvor in nahem zeitlichem Zusammenhang Gelegenheit hatte, sich einen persönlichen Eindruck vom Verurteilten zu verschaffen, dieser Eindruck bis zur Entscheidung über die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe fortwirkt und keine Umstände gegeben sind, die seine Ergänzung oder Auffrischung notwendig machen (vgl. BGH NStZ 1995,610 ff). Die in der Rechtsprechung vereinzelt vertretene Auffassung, vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1975, 439, ein Halbstrafengesuch erfordere auch dann keine mündliche Anhörung des Verurteilten, wenn seine Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe nach den Feststellungen des zugrunde liegenden Urteils unwahrscheinlich sei, teilt der Senat nicht (vgl. zum Meinungsstand KK-Fischer, StPO, 3. Auflage, Rdn. 23 zu § 454). Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob besondere Umstände eine vorzeitige Entlassung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe rechtfertigen, ist eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges. Dies setzt einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten voraus. Da das Landgericht Osnabrück - Strafvollstreckungskammer - erstmals über den Antrag des Verurteilten zu entscheiden hatte, liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für ein Absehen von dem gesetzlichen Anhörungsgebot nicht vor.