Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.10.2018, Az.: 6 A 270/17

Bonusregelung; Entziehung der Fahrerlaubnis; Fahreignungs-Bewertungssystem; Punktereduzierung; Willkürverbot

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
18.10.2018
Aktenzeichen
6 A 270/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74262
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG kommt es auf den Punktestand an, von dem die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung Kenntnis hatte. Den erforderlichen Kenntnisstand kann die Behörde nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes erreichen, nicht durch eine Selbstanzeige des Fahrerlaubnisinhabers.

2. Auf die Unkenntnis einer rechtskräftig geahndeten Zuwiderhandlung kann sich die Fahrerlaubnisbehörde nicht mehr berufen, wenn dies als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre, weil beispielsweise die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes oder die Eintragung im Fahreignungsregister willkürlich verzögert worden ist (hier für den konkreten Fall verneint).

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte ihm nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem die Fahrerlaubnis entzogen hat.

Der Kläger war im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klassen 1, 3 und 4 (alt). Er beging bis zur Ermahnung durch den Beklagten die folgenden Verkehrsordnungswidrigkeiten:

Tatdatum / Verstoß

Punkte

Rechtskraft der Entscheidung

12.09.2015 Geschwindigkeitsüberschreitung (28 km/h)

  1     

 01.01.2016

27.10.2015 Geschwindigkeitsüberschreitung (21 km/h)

  1     

 15.01.2016

12.04.2016 Geschwindigkeitsüberschreitung (22 km/h)

  1     

 05.08.2016

11.07.2016 Geschwindigkeitsüberschreitung (43 km/h)

  2     

 24.06.2017

Mit einem am 28. Juli 2017 bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben übersandte das Kraftfahrt-Bundesamt einen Auszug aus dem Fahreignungsregister und teilte mit, der Kläger habe einen Stand von 5 Punkten erreicht. Daraufhin ermahnte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 1. August 2017 nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.

Danach wurden drei weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten des Klägers rechtskräftig geahndet:

Tatdatum / Verstoß

Punkte

Rechtskraft der Entscheidung

09.10.2016 Geschwindigkeitsüberschreitung (36 km/h)

  1     

11.08.2017

25.12.2016 Geschwindigkeitsüberschreitung (22 km/h)

  1     

22.08.2017

19.02.2017 Geschwindigkeitsüberschreitung (26 km/h)

  1     

15.08.2017

Mit Schreiben vom 15. August 2017 – vor einer Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt – zeigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten an, dass der Kläger die oben angeführten drei weiteren Verkehrsverstöße vom 9. Oktober und 25. Dezember 2016 sowie 19. Februar 2017 begangen habe; die Entscheidungen dazu seien rechtskräftig. Über die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 9. Oktober 2016 habe das Amtsgericht F. mit Urteil vom 4. August 2017 entschieden, eine Ausfertigung liege aber noch nicht vor und werde nach Eingang in Kopie übermittelt. Es werde um Bestätigung gebeten, dass sich der Punktestand des Klägers im Zuge der anstehenden Verwarnung nach der gesetzlichen Regelung über die Punktereduzierung (§ 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG) auf sieben Punkte verringern werde.

Der Beklagte antwortete dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 22. August 2017, er sehe zurzeit keine Veranlassung, seinem Wunsch zu entsprechen. Wie vom Gesetzgeber vorgegeben, werde er nach der entsprechenden Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt eine Verwarnung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem aussprechen. Der Prozessbevollmächtigte machte demgegenüber geltend, er halte die Rechtsauffassung des Beklagten nicht für zutreffend; nach dem Gesetz komme es nicht auf eine Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt, sondern allein auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde an.

Mit Schreiben vom 1. September 2017 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Beklagten unter Übersendung eines entsprechenden Auszugs aus dem Fahreignungsregister mit, dass der Kläger inzwischen einen Stand von 6 Punkten erreicht habe; die Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 9. Oktober und 25. Dezember 2016 waren nicht berücksichtigt.

Am 8. September 2017 führte der Beklagte einen Online-Abgleich mit den aktuellen Daten des Fahreignungsregisters durch. Dabei ergab sich, dass inzwischen auch die Verkehrsordnungswidrigkeit vom 25. Dezember 2016 im Register erfasst war, aber weiterhin nicht die Tat vom 9. Oktober 2016. Daraufhin verwarnte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 8. September 2017 unter Verweis auf sechs der oben angeführten Verkehrsordnungswidrigkeiten – ohne die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 9. Oktober 2016 – und mit dem Hinweis, dass diese Taten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit sieben Punkten bewertet seien.

Am 14. September 2017 ging bei dem Beklagten die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes ein, dass nunmehr – mit der Tat vom 25. Dezember 2016 – ein Stand von sieben Punkten erreicht sei. Mit Schreiben vom 14. September 2017, das am 19. September 2017 beim Beklagten einging, teilte das Kraftfahrt-Bundesamt unter Übersendung eines Auszugs aus dem Fahreignungsregister mit, der Punktestand belaufe sich mittlerweile – mit der Tat vom 9. Oktober 2016 – auf acht Punkte.

Mit Bescheid vom 21. September 2017 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis. Er verwies darauf, dass sich inzwischen für den Kläger acht Punkte ergäben, sodass die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erfüllt seien.

Am 19. Oktober 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend, der Beklagte habe die Regelung über die Punktereduzierung (§ 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG) nicht beachtet. Der Stand von acht Punkten habe sich danach auf sieben Punkte verringert, weil dem Beklagten bei der Verwarnung bereits alle Verkehrsverstöße bekannt gewesen seien. Der Beklagte sei bereits mit Anwaltsschreiben vom 15. August 2017 auch über den Verkehrsverstoß vom 9. Oktober 2016 informiert gewesen. Für die Anwendung der Regelung über die Punktereduzierung komme es allein auf den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde an. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 6 StVG. Die Übermittlung von Entscheidungen der Gerichte und Behörden an das Kraftfahrt-Bundesamt verlaufe zudem völlig unterschiedlich, die Verwaltungsabläufe seien völlig willkürlich ausgestaltet. Danach bleibe es dem Zufall überlassen, ob der Betroffene eine Punktereduzierung erhalte. Diese dürfte, so der Kläger, gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) verstoßen. Die hier eingetretene Verzögerung bei der Mitteilung der Tat vom 9. Oktober 2016 sei jedenfalls grundlos und damit willkürlich erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 21. September 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und führt zur Begründung aus, durch das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 15. August 2017 habe er sich noch nicht zu einer Verwarnung nach vorangegangener Punktereduzierung verpflichtet gesehen. Denn zu diesem Zeitpunkt habe noch keine Übermittlung durch das Kraftfahrt-Bundesamt vorgelegen. Erst nachdem das Bundesamt über einen Stand von sechs Punkten unterrichtet, der Beklagte den Online-Abgleich durchgeführt und dies einen Stand von sieben Punkten ergeben hätte, sei die Verwarnung ausgesprochen worden. Aus seiner Sicht ergäben sich keine Hinweise auf eine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise der Behörden. Ein Verschulden der Verfolgungsbehörden und des Kraftfahrt-Bundesamtes müsse er sich im Übrigen nicht zurechnen lassen.

Der Kläger hat einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Hinweisen des Gerichts zurückgenommen.

Die Kammer hat das Kraftfahrt-Bundesamt, die Staatsanwaltschaft F. und das Amtsgericht F. um Stellungnahme zu der Frage gebeten, wie sich erkläre, dass die Mitteilung über die rechtskräftige Ahndung der Tat vom 9. Oktober 2016 erst am 19. September 2017 bei dem Beklagten eingegangen ist. Das Bundesamt hat dazu mit Schreiben vom 16. März 2018 ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe die rechtskräftige Entscheidung am 13. September 2017 mitgeteilt, die Information sei am darauffolgenden Tag im automatisierten Verfahren im Fahreignungsregister gespeichert worden; am gleichen Tag sei die Mitteilung an den Beklagten veranlasst worden. Über den Zeitpunkt der Mitteilung an das Bundesamt entschieden die Behörden eigenverantwortlich. Eine verzögerte Bearbeitung durch das Bundesamt sei nicht festzustellen. Die Staatsanwaltschaft F. hat mit Schreiben vom 4. Juni 2018 mitgeteilt, die Akten des Amtsgerichts zu der Ordnungswidrigkeit vom 9. Oktober 2016 seien am 6. September 2017 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Die zuständige Rechtspflegerin habe die Einleitungsverfügung am 12. September 2017 erstellt und die Mitteilung an das Fahreignungsregister am 13. September 2017 ausgeführt. Eine verzögerte Bearbeitung könne nicht festgestellt werden. Das Amtsgericht F. hat mit Schreiben vom 20. Juli 2017 erklärt, von einer verzögerten Bearbeitungsdauer sei nach den Abläufen nicht ernstlich auszugehen. Wegen der Einzelheiten der Ausführungen dazu wird auf die Stellungnahme verwiesen (Bl. 56 der Gerichtsakte). Im Übrigen hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass neben Ordnungswidrigkeiten auch Strafsachen zu bearbeiten seien und in einem Stadtgericht wie dem Amtsgericht F. außerdem Haft- und Schöffensachen in erheblicher Anzahl.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich für ihn acht oder mehr Punkte ergeben; die Fahrerlaubnisbehörde hat ihm die Fahrerlaubnis dann zu entziehen. Die Behörde hat dabei auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Sie darf die Fahrerlaubnis erst entziehen, wenn die Maßnahme der davorliegenden Stufe nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG ergriffen worden ist (vgl. § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Im Zeitpunkt der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit vom 17. Februar 2017 hatte der Kläger einen Stand von acht Punkten erreicht. Dafür ist unerheblich, dass der Beklagte erst später von den Ordnungswidrigkeiten Kenntnis erlangt hat. Die Punkte für alle rechtskräftig geahndeten Ordnungswidrigkeiten sind bereits mit deren Begehung entstanden (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG und dazu Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 4 StVG Rn. 80). Vor der Entziehung der Fahrerlaubnis hatte der Beklagte den Kläger auch verwarnt und damit die Maßnahme der davorliegenden Stufe nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergriffen. Bei der Berechnung des Punktestandes musste der Beklagte auch die Taten vom 9. Oktober 2016, 25. Dezember 2016 und 17. Februar 2017 berücksichtigen, obwohl er vor deren Begehung bereits eine Ermahnung nach der ersten Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) ausgesprochen hatte. Nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG sind bei der Berechnung Zuwiderhandlungen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind.

Der Punktestand hatte sich nicht nach § 4 Abs. 6 Sätze 3 und 2 StVG (sogenannte Bonusregelung) reduziert. Die Vorschriften gelten für den Fall, dass sich einerseits ein Punktestand ergibt, der nach der Grundregel in § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG eine Maßnahme nach einer höheren Stufe des Fahreignungs-Bewertungssystems auslösen würde (z.B. eine Fahrerlaubnis-Entziehung), andererseits die Behörde aber die Maßnahme der davorliegenden Stufe (z.B. eine Verwarnung) noch nicht ergriffen hat. Um sicherzustellen, dass in einem solchen Fall keine der Maßnahmestufen übersprungen wird, sieht die Bonusregelung vor, dass die Behörde die Maßnahme der davorliegenden Stufe zu ergreifen hat (§ 4 Abs. 6 Satz 2 StVG) und sich der Punktestand entsprechend verringert (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG); hatte der Fahrerlaubnisinhaber einen Stand von acht oder mehr Punkten erreicht, ist danach eine Verwarnung auszusprechen, der Punktestand verringert sich mit Wirkung vom Tag des Ausstellens auf sieben Punkte (vgl. § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG). Diese Regelung kommt hier hingegen nicht zur Anwendung.

Als der Beklagte die Verwarnung ausgestellt hat, ist er zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger noch nicht den Stand von acht Punkten erreicht hatte und die Bonusregelung daher nicht anzuwenden war. Für die Anwendung der Regelung kommt es auf den Punktestand an, von dem die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung – hier bei der Verwarnung vom 8. September 2017 – Kenntnis hatte (vgl. BVerwG, U. v. 26.01.2017 - 3 C 21.15 -, juris Rn. 25 = NJW 2017, 2933; Dauer, a.a.O., § 4 StVG Rn. 88a). Den erforderlichen Kenntnisstand kann die Behörde nur durch die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes erhalten, nicht durch eine „Selbstanzeige“, also eine Mitteilung des Fahrerlaubnisinhabers oder seines Rechtsanwalts (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 20.07.2016 - 16 B 382/16 -, juris Rn. 5; VG Oldenburg, U. v. 02.10.2017 - 7 A 5603/17 -, n.v.; VG Karlsruhe, B. v. 15.03.2017 - 3 K 217/17 -, juris Rn. 22; VG Köln, U. v. 20.05.2016 - 9 L 398/16 -, juris Rn. 14; VG Minden, B. v. 16.03.2016 - 9 L 200/16 -, juris Rn. 16; Koehl, NJW 2018, 1281, 1284; a.A. Pießkalla, NZV 2017, 261, 264 f.). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen – wenn auch für eine Konstellation, in der keine Selbstanzeige vorlag – entschieden, dass die Fahrerlaubnisbehörde ihre Entscheidungen im Fahreignungs-Bewertungssystem auf der Grundlage der ihr vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen im Fahreignungsregister trifft und dieser Kenntnisstand maßgebend ist für die Verringerung des Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG (s. BVerwG, a.a.O., Rn. 25).

Welche Informationsquellen die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anwendung der Bonusregelung zu berücksichtigen hat, ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Für die Beschränkung auf Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes sprechen aber der Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems, die Systematik des § 4 StVG, insbesondere die Regelung in Absatz 8 der Vorschrift, sowie die Gesetzesmaterialien.

Dem Gesetzgeber ging es ersichtlich darum, durch die aktuelle Regelung, die die Vorschriften des Punktsystems reformiert hat, die Effektivität und Praktikabilität des Systems zugunsten der Verkehrssicherheit und zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer vor Mehrfachtätern zu stärken; darüber hinaus sollten die Regelungen transparenter und einfacher werden (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 17/12636, S. 17 ff.; Dauer, a.a.O., Rn. 28). Die Beschränkung auf die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes als maßgebliche Informationsquelle gewährleistet Transparenz und Rechtssicherheit sowie eine einfache, unkomplizierte Abwicklung des Verfahrens durch die Fahrerlaubnisbehörde. Nur das Kraftfahrt-Bundesamt kann zuverlässig über die Eintragungen im Fahreignungsregister unterrichten, das gemäß § 28 Abs. 1 StVG bei ihm geführt wird. Mit der Zulassung von Selbstanzeigen wäre die Gefahr (fahrlässiger) Falschmitteilungen verbunden. Die erhöhte Fehleranfälligkeit privater Mitteilungen würde einen schon wegen der Vielzahl der Verfahren erheblichen Prüfungsaufwand der Fahrerlaubnisbehörden im Hinblick auf die tatsächlichen Tat- und Rechtskraftzeitpunkte nach sich ziehen.

Dass die Fahrerlaubnisbehörde den für die Punktereduzierung erforderlichen Kenntnisstand nicht durch Selbstanzeigen der Betroffenen erlangen kann, wird durch die Gesetzesmaterialien und die Systematik des Fahreignungs-Bewertungssystems bestätigt. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die in § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen aufgrund des jeweils erreichten Punktestandes erst nach Rechtskraft und Registrierung der Taten ergriffen werden können (vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bundestags-Drucksache 18/2775, S. 10). Insoweit schreibt das Gesetz dem Kraftfahrt-Bundesamt bei der Informationsübermittlung aber eine besondere Stellung zu: § 4 Abs. 8 StVG sieht vor, dass das Bundesamt den Fahrerlaubnisbehörden zur Vorbereitung der Maßnahmen die vorhandenen Eintragungen in dem bei ihm geführten Fahreignungsregister übermittelt, sobald die für die Maßnahmen erforderlichen Punktestände erreicht sind.

Die Anerkennung einer Selbstanzeige bei der Ermittlung des maßgeblichen Punktestandes würde Intensivtätern im Straßenverkehr zudem die Möglichkeit an die Hand geben, innerhalb bestimmter Zeiträume ohne das Risiko einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG weitere Verkehrsübertretungen zu begehen. Der Betroffene könnte Verkehrsdelikte in ordnungswidrigkeits- und strafrechtlichen Verfahren mit dem Ziel „sammeln“, diese der Fahrerlaubnisbehörde „auf einen Schlag“ zur Kenntnis zu geben und dadurch eine Punktereduzierung zu erreichen (s. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 26). Eine derartige Steuerung des Punktestandes durch den Betroffenen wäre mit dem Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems, die von Mehrfachtätern ausgehenden Gefahren im Straßenverkehr zu minimieren, nicht zu vereinbaren.

Der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG steht der hier befürworteten Auslegung, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die erforderliche Kenntnis nur durch Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes erlangen kann, nicht entgegen. Nach der Vorschrift ist zwar auf die „Kenntnis“ der Fahrerlaubnisbehörde über „Punkte für Zuwiderhandlungen“ abzustellen. Damit ist aber nicht ausdrücklich festgelegt, aus welcher Quelle die Behörde die erforderlichen Kenntnisse erhalten muss.

Die Fahrerlaubnisbehörde ist auch nicht verpflichtet, nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes über den Punktestand und unmittelbar vor dem Ergreifen der Maßnahme (hier der Verwarnung) nochmals den aktuellen Stand im Fahreignungsregister zu ermitteln (BVerwG, a. a. O., Rn. 27). Dies wird auch nicht anders zu beurteilen sein, wenn der Betroffene der Behörde Belege über die eintragungsfähigen Verkehrszuwiderhandlungen und deren Rechtskraft vorgelegt hat. Auch damit bleibt die Mitteilung eine Selbstanzeige, die aus den dargelegten Gründen für den Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde bei der Anwendung der Bonusregelung nicht maßgeblich ist. Die Frage ist für den vorliegenden Fall aber auch nicht von entscheidender Bedeutung. Denn der Beklagte hatte noch an dem Tag, an dem er die Verwarnung ausgestellt hat, eine aktuelle Zusammenstellung der für den Kläger eingetragenen Zuwiderhandlungen aus dem Fahreignungsregister abgerufen, nach der die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 9. Oktober 2016 weiterhin nicht eingetragen war. Unabhängig davon hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mit der Selbstanzeige vom 15. August 2017 Belege für den rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens hinsichtlich dieser Tat nicht vorgelegt.

Auf die Unkenntnis einer rechtskräftig geahndeten Zuwiderhandlung wird sich die Fahrerlaubnisbehörde allerdings dann nicht mehr berufen können, wenn dies als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre, weil beispielsweise die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes oder die Eintragung im Fahreignungsregister willkürlich verzögert worden ist (vgl. BayVGH, B. v. 28.04.2016 - 11 Cs 16.537 -, juris Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, B. v. 06.08.2015 - 10 S 1176/15 -, juris Rn. 23; VG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 25; Zwerger, ZfSch 2017, 364, 367). Für einen solchen Sachverhalt gibt es hier jedoch keine Anhaltspunkte.

Dass die Behörden die Abläufe gezielt verzögert haben, um eine Punkteverringerung unmöglich zu machen, ist nach den eingeholten Stellungnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes, der Staatsanwaltschaft F. und des Amtsgerichts F. ausgeschlossen. Aber auch wenn man für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens die objektive Verletzung des Willkürverbots genügen lässt, liegt eine willkürliche Verzögerung hier nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das Strafgericht und die beteiligten Behörden das Verfahren bis zur Eintragung der Zuwiderhandlung vom 9. Oktober 2016 und der Mitteilung darüber an den Beklagten ohne sachlichen Grund verzögert haben.

Das Amtsgericht F. hat dazu erklärt, die Akte zur Verkehrsordnungswidrigkeit des Klägers vom 9. Oktober 2016 sei nach Durchführung der Verhandlung am 4. August 2017 mit Verfügung vom selben Tage der Staatsanwaltschaft übermittelt worden mit der Frage, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde. Am 11. August 2017 habe die Akte dem Amtsgericht mit der entsprechenden Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft wieder vorgelegen. Am 5. September 2017 habe eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts den Rechtskraftvermerk erteilt. Die Akte ist ausweislich der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft F. dort am darauffolgenden Tage eingegangen. Die zuständige Rechtspflegerin hat die Einleitungsverfügung am 12. September 2017 erstellt und die Mitteilung an das Fahreignungsregister einen Tag später vorgenommen. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat die Eintragung dem Beklagten unter dem 14. September 2017 mitgeteilt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis hat der Beklagte am 21. September 2017 verfügt. Insgesamt lassen die Abläufe nicht erkennen, dass die Behörden die auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Geschäftsbelastungen angemessenen Bearbeitungsfristen überschritten haben. Die Staatsanwaltschaft hat die Mitteilung an das Fahreignungsregister binnen acht Tagen vorgenommen, das Kraftfahrt-Bundesamt ist nur einen Tag nach Eingang der Mitteilung tätig geworden. Das Verfahren beim Amtsgericht zur Eintragung des Rechtskraftvermerks und Rücksendung der Akte an die Staatsanwaltschaft hat zwar mehr als drei Wochen in Anspruch genommen. Auch dies liegt jedoch nicht außerhalb der zeitlichen Abläufe, die bei einem Stadtgericht mit – nach den eigenen, nachvollziehbaren Angaben des Gerichts – erheblicher Belastung durch Verfahren unterschiedlicher Art zu erwarten sind.

Die gesetzliche Regelung, nach der die Punkteverringerung nicht nur vom Eintritt der Rechtskraft abhängt, sondern auch vom Abschluss der anschließenden Verwaltungsverfahren zur Eintragung in das Fahreignungsregister mit ihren unterschiedlichen zeitlichen Abläufen, verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Regelungen können zwar zu Ungleichbehandlungen führen. Dabei handelt es sich nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, jedoch lediglich um verfahrensbedingte Unterschiede, die im Hinblick auf den Gesetzeszweck, die Allgemeinheit durch ein typisierendes Bewertungssystem effektiv vor ungeeigneten Kraftfahrern zu schützen, das Grundrecht nicht verletzen und daher hinzunehmen sind (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 37 ff.; s. auch VGH Baden-Württemberg, B. v. 06.08.2015 - 10 S 1176/15 -, juris Rn. 20 ff.). Das Fahreignungs-Bewertungssystem kommt ohne die Anknüpfung an ordnungswidrigkeits- und strafrechtliche Verfahren und zur einfachen, rechtssicheren und praktikablen Umsetzung der Regelungen auch ohne die Eintragungen im Fahreignungsregister mit den jeweils unvermeidbar verschiedenen Laufzeiten nicht aus. Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die beteiligten Stellen die Erledigung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verzögern, um die Fahrerlaubnisinhaber beim Vollzug des Fahreignungs-Bewertungssystems zu begünstigen oder ihnen zu schaden (so auch BVerwG, a.a.O., Rn. 40). Ob im Einzelfall eine willkürliche Handhabung der Mitteilungspflichten festzustellen ist und damit ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegt, kann hinreichend vom Verwaltungsgericht überprüft werden (s. oben).