Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.11.2014, Az.: 2 A 885/13
Ahmadi; Ahmadiyya; religiöse Verfolgung; Flüchtlingseigenschaft
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.11.2014
- Aktenzeichen
- 2 A 885/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 1 AsylVfG
- § 3b Abs 1 AsylVfG
- § 3a Abs 1 AsylVfG
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2013 wird in den Ziffern 2.) bis 4.) aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger; er gehört der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya an. Vor seiner Ausreise aus Pakistan lebte er zuletzt in E.. Am 25. November 2011 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 13. Dezember 2011 einen Asylantrag. Diesen begründete er bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28. Dezember 2011 wie folgt:
In seinem Geburtsort F., im Distrikt G., habe er nicht bleiben können, weil er von Mullahs bedroht und geschlagen worden sei. Er sei deshalb 2007 nach E. gegangen und habe dort einen Spielwarenladen betrieben. Hier habe er einen Mitarbeiter eingestellt, ohne zu wissen, dass es sich um einen Moslem gehandelt habe. Man habe in seinem Geschäft gemeinsam das Fernsehprogramm der Ahmadiyya angesehen. Der Mitarbeiter habe ihn bei den Mullahs angeschwärzt und behauptet, er sei gezwungen worden, dieses Programm zu schauen. Erst da habe er, der Kläger, erkannt, dass es sich bei seinem Mitarbeiter nicht um einen Ahmadiyya handelt. Daraufhin seien Mullahs in seinen Laden gekommen und hätten ihn verprügelt; sie hätten ihm den Arm gebrochen; es seien Marktleute, die in der Nähe ihre Stände gehabt hätten zur Hilfe geeilt; die Mullahs hätten ihm den Arm gebrochen, weshalb er ins Krankenhaus habe gehen müssen. Nach dem Krankenhausaufenthalt habe er seinen Laden wieder geöffnet. Die Mullahs hätten daraufhin von der anderen Straßenseite aus auf seinen Laden geschossen; sie hätten auch seine Familie im Heimatort, den sie irgendwie herausgefunden hätten, bedroht.
Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10. Oktober 2013 ab. Ferner stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Gleichzeitig forderte sie den Kläger auf die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Pakistan androhte. Zur Begründung gab das Amt im Wesentlichen an, der Vortrag des Klägers sei unglaubhaft und die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung von Ahmadiyya in Pakistan lägen nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger am 22. Oktober 2013 Klage erhoben.
Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen für eine Gruppenverfolgung von Ahmadiyya in Pakistan lägen vor. Unabhängig davon sei dem Kläger nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; diese habe bewirkt, dass nicht mehr nur das sog. forum internum vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst sei, sondern auch die öffentliche Glaubensbetätigung. Der Kläger sei ein religiös geprägter Mann und ihm werden durch die gegen Ahmadis gerichteten staatlichen Maßnahmen in Pakistan ein Verzichtsverhalten abgenötigt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Oktober 2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen,
hilfsweise,
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AsylVfG im Fall des Klägers vorliegen,
weiter hilfsweise,
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG im Fall des Klägers vorliegen.
Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen unter Hinweis auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat wegen einer ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden staatlichen Verfolgung aus religiösen Motiven gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass diese ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt. Soweit dem der angefochtene Bescheid vom 10. Oktober 2013 entgegensteht, ist er aufzuheben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Bei seiner Entscheidung hat das Gericht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG). Daher sind die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes und des Aufenthaltsgesetzes in ihrer durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 geänderten Fassung anzuwenden.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist und die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 AufenthG nicht vorliegen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. 1953 II, S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 3c AsylVfG ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien und Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder 3. von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Dabei gehören zu den verfolgungsmächtigen nichtstaatlichen Akteuren nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Regelung auch Einzelpersonen (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243, 251). Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU – Flüchtlingsschutzrichlinie – ergänzend anzuwenden.
In § 3 a Abs. 1 AsylVfG werden Handlungen, die als Verfolgung gelten, definiert. Absatz 2 enthält eine beispielhafte Aufzählung derartiger Handlungen. Gemäß § 3 a Abs. 3 AsylVfG muss eine Verknüpfung zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 b AsylVfG genannten Gründen und den in § 3 a AsylVfG als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen. Die Verfolgungsgründe selbst werden in § 3 b AsylVfG näher definiert, wobei Absatz 2 bestimmt, dass bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Verfolgungsmerkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteile vom 07. September 2010 - 10 C 11.09 - sowie vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - und - 10 C 5.09 -, jeweils zitiert nach juris).
In Bezug auf die hier in Rede stehende Verfolgung wegen einer bestimmten Religionsausübung folgt die Kammer der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das in seinem Urteil vom 20.02.2013 (Az. 10 C 23/12, ebenfalls in dem Rechtsstreit eines Ahmadi) ausgeführt hat:
„Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya- Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt.
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können.
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61).
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts).
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABl L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff "verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der "asylerheblichen Verfolgung" durch "Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten.
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an.
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei "Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der "religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others <2012> UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ <Iran> <FC> <Appelat> v. Secretary of State for the Home Department <2010> UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest.
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82).
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist.
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43).
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya- Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4).“
Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an. Daraus folgt, dass von asylerheblichen Verfolgungshandlungen gegen Ahmadi in Pakistan ausgegangen werden kann (ausführlich dazu auch VGH Baden-Württemberg nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 12..06.2013 –A 11 S 757/13-, zitiert nach juris). Das Bundesverwaltungsgericht führt zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit, also zum real risk einer solchen Verfolgung sodann wie folgt aus:
„Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur "bekennenden Ahmadis", die "ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.
Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung ("nature or repetition"). Während die "Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der "Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als "ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender "Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot.
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht.
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht.
Nicht mit Bundesrecht vereinbar ist hingegen die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren "für bekennende Ahmadis bestehen, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33), nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne (UA S. 20). Das begründet das Berufungsgericht in revisionsgerichtlich nachvollziehbarer Weise damit, dass die Zahl der gegen Ahmadis eingeleiteten Strafverfahren, Verurteilungen und Gewalttaten religiöser Extremisten nicht so hoch sei, dass sich daraus die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte ableiten lasse (UA S. 33). Das Urteil lässt jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejaht, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen. Hängt die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das ist in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht hat weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen (vgl. dazu oben Ziff. 2.3.5). Nur wenn eine wertende Betrachtung ergibt, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehört, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt ist.“
Diese Ausführungen überzeugen die Kammer aus den weiteren Gründen des Urteils des VGH Baden-Württemberg vom 12. Juni 2013, a.a.O., Rn. 115 ff. nicht.
„Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.“
Aus diesen überzeugenden Ausführungen folgt, dass einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine für den Flüchtlingsschutz relevante Verfolgung droht. Zur Überzeugung des Gerichts gehört der Kläger zu diesem Personenkreis.
Ausweislich der Bescheinigung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland vom 29. Oktober 2013 ist der Kläger ein gebürtiges Mitglied der Ahmadiyya Gemeinde und hat sowohl in Pakistan wie auch in Deutschland regelmäßig die Moschee besucht und an örtlichen und zentralen Gemeindeveranstaltungen teilgenommen; er entrichte seine Mitgliedsbeiträge ordnungsgemäß. Diese Bescheinigung deckt sich mit den Einlassungen des Klägers bei dessen persönlicher Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Er hat insoweit glaubhaft bekundet, in Pakistan die Gottesdienste besucht und kleinere Hilfsdienste verrichtet zu haben. Seine Tätigkeit für die Gemeinde hier in Deutschland geht weit über seine in Pakistan entwickelten Aktivitäten hinaus. Er hat insoweit überzeugend bekundet, Vorstandsmitglied – General Secretary und Finanzsekretär – der Gemeinde in Göttingen zu sein. Zu seinen Aufgaben zählt es, die Gemeindemitglieder über Veranstaltungen zu informieren und den Vorsitzenden im Verhinderungsfalle zu vertreten. Er nimmt auch aktiv an Werbeveranstaltungen für die Gemeinde, wie dem Aufstellen von Informationsständen teil. Er unterstützt auch die Missionierungsarbeit des hiesigen Missionierungssekretärs; dass der Kläger einräumt, infolge von Verständigungsproblemen derzeit nicht selbst missionierend tätig werden zu können, spricht für seine Glaubwürdigkeit; er übertreibt sein Vorbringen nicht, um in einem vermeintlich besseren Licht dazustehen. Darüber hinaus hat er nach seinem auch insoweit glaubhaften Vorbringen an bundesweiten Treffen der Ahmadiyya Gemeinden teil- und hier unterstützende Aufgaben wahrgenommen. Seine erkennbare Begeisterung darüber, hier in Deutschland so viel und so öffentlich für seinen Glauben eintreten zu können, war zur Überzeugung des Gerichts ehrlich und nicht taktisch motiviert. Hinzu kommt, dass der Kläger zu einer besonderen Gruppe der Gläubigen, den Moosi gehört. Diesen Mitgliedern obliegen besondere Gelübde und sie leisten im Hinblick auf die Verheißung eines besonderen Platzes im Himmel besondere finanzielle Beiträge. Der Kläger konnte überzeugend darlegen, dass diesen Moosi eine erhebliche Vorbildfunktion gegenüber den anderen Gemeindemitgliedern zukommt. Dazu gehört auch, innerhalb wie außerhalb der Gemeinde geistliche Überzeugungsarbeit zu leisten.
Nach alledem gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, anknüpfend an seine Religionszugehörigkeit droht.