Landgericht Osnabrück
Urt. v. 16.01.2015, Az.: 5 O 596/14
Zahlung von Schmerzensgeld wegen im schulischen Chemieunterricht erlittener Brandverletzungen i.R.e. Amtshaftungsanspruchs
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 16.01.2015
- Aktenzeichen
- 5 O 596/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 33149
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2015:0116.5O596.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 839 Abs. 1 BGB
- Art. 34 GG
- § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VI
- § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII
- § 106 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII
Fundstelle
- SchuR 2016, 51-53
In dem Rechtsstreit
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 19.12.2014 durch die Richterin am Landgericht Dr. Höcherl als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom beklagten Land im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs die Zahlung von Schmerzensgeld wegen im schulischen Chemieunterricht erlittener Brandverletzungen.
Der Kläger war im Schuljahr 2012/2013 Schüler der 6. Klasse der Oberschule xxxx. Am 28.9.2012 nahm er an einer Doppelstunde im Wahlpflichtkurs Chemie teil. Dieser wurde von der Lehrerin und Zeugin xxxxx geleitet/deren Anstellungskörperschaft das beklagte Land xxxxxx ist.
In der Doppelstunde führte der Chemiekurs ein Standardexperiment zur Unterrichtseinheit "Verbrennung" durch. Die Schüler erhielten für die Durchführung des Versuchs jeweils ein Drahtnetz als feuerfeste Unterlage, ein Schälchen, ein weiteres Drahtnetz, ein Holzstäbchen sowie einen Bunsenbrenner, welchen sich die Schüler zu zweit teilten. Weiterhin erhielten die Schüler eine Schutzbrille. Das Schälchen wurde von der Lehrerin mit einer geringen, den Boden soeben bedeckenden Menge von ca. 5 ml Brennspiritus gefüllt. Aufgabe der Schüler war es, das in der Flamme des Bunsenbrenners zum Glühen gebrachten Holzstäbchen in die Nähe, des Schälchens zu führen und dabei zu beobachten, zu welchem Zeitpunkt die Flüssigkeit bzw. deren Dämpfe entflammte. Die entflammte Flüssigkeit sollte nach der Durchführung des Versuchs mit dem ausgeteilten Metallnetz erstickt und der Versuch unter Hinzugabe von Salz in den Spiritus wiederholt werden.
Der Kläger saß zum Zeitpunkt des Versuchs mit dem Rücken zum Fenster auf der linken Seite des Klassenraums neben seinem Tischnachbarn, dem Zeugen xxxxx. Zwei Mitschüler, die Zeugen xxxxxx, befanden sich in der rechten Hälfte des Klassenraums an einem dem Lehrerpult zugewandten Tisch. Nachdem diese den Versuch mehrfach durchgeführt hatten, wiesen die beiden Frau xxxx darauf hin, dass ihr Brennspiritus aufgebraucht war. Sie füllte daraufhin eine geringe Menge Brennspiritus in das Schälchen nach. Dabei entzündete sich der Brennspiritus mit der Folge, dass auch die Flüssigkeit in der Flasche in der Hand der Lehrerin in Brand geriet. Die entweichende Flüssigkeit traf den linksseitig sitzenden Kläger, der dadurch Verbrennungen des Gesichts, des Halses und der Thoraxwand erlitt. Der Kläger wurde nach der Behandlung durch den Notarzt stationär in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Hamm aufgenommen und dort bis zum 1.10.2012 in der Brandverletzteneinheit des Klinikums versorgt. Die Erstversorgung mit Abtragen der Brandblasen sowie der Anlage eines Verbandes an Hals und Thorax erfolgte unter Vollnarkose. Nach Beendigung der stationären Behandlung musste der Kläger weitere 14 Tage zu Hause bleiben.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünde wegen Verletzung einer Amtspflicht durch die Lehrerin xxxx ein Schmerzensgeldanspruch zu. Die haftungsprivilegierenden Regelungen der §§ 104 ff. SGB VII stünden diesem Anspruch wegen der vorsätzlichen Verletzung der Amtspflicht nicht entgegen. Dazu behauptet er, die Lehrerin habe den Brennspiritus in die Schale nachgefüllt, obwohl in dieser noch brennende Flüssigkeit enthalten gewesen sei. Sie habe sich dabei zuvor nicht versichert, ob die Flamme tatsächlich erloschen, gewesen sei. Darüber hinaus habe die Lehrerin die Gefahrenquelle vergrößert, indem sie die in Brand geratene Flasche fallen ließ, obwohl es ihr auch möglich gewesen wäre, sie an den Schülern vorbei in den hinteren Bereich des Klassenzimmers zu werfen.
Der Kläger meint, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 € sei angemessen. Dazu behauptet er, er leide unter anhaltenden Schmerzen und sei in optischer Hinsicht für eine erhebliche Dauer beeinträchtigt. Der alltägliche Umgang mit den Narben stelle für ihn eine erhebliche psychische Belastung dar.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.9.2012 zu zahlen.
- 2.
den Beklagten darüber hinaus zu verurteilen, an den Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 879,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, die Zeugin xxx habe vor der Durchführung des Versuchs ihre Schüler darauf hingewiesen, dass vor dem Nachfüllen der in dem Schälchen befindliche Spiritus vollständig abgebrannt sein müsse und anschließend ca. drei Minuten gewartet werden solle. Die Schüler hätten während des gesamten Versuchs Schutzbrillen getragen. In der Schale der Zeugen xxxxx sei zum Zeitpunkt des Nachfüllens keine Flamme zu erkennen gewesen. Auch hätten in Anbetracht der Zündtemperatur von Brennspiritus von 425° Celsius keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich dieser in der Flasche durch Kontakt mit dem erhitzten Metallschälchen entzünden würde, da die Zündtemperatur nicht erreicht gewesen sei. Der Beklagte behauptet ferner, die Spiritusflasche sei der Zeugin durch die Verpuffung aus der Hand gerissen geworden.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Osnabrück, Az.: 212 Js 49770/12 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen xxxxx, xxx und xxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 27.06.2014 (Bl. 94-99 d.A.), 24.10.2014 (Bl. 120-122 d.A.) sowie 19.12.2014 (Bl. 132-135 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Dem Kläger ist nicht der Nachweis gelungen, dass die Zeugin XXX die Verletzungen des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat.
1.
Gem. §§ 2 Abs. 1 Nr. 8b, §§ 105 Abs. 1 S. 1, 106 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII haftet das beklagte Land nur für vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Ein Schulunfall, wie er bedauerlicherweise hier den Kläger getroffen hat, unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VI i.V.m. § 106 Abs. 1 Nr. 2 und 105 Abs. S. 1 SGB VII einer Haftungsprivilegierung. Zwar hat der Kläger gegenüber dem gesetzlichen Unfallversicherungsträger Anspruch auf Erstattung sämtlicher Krankheitskosten, welche aus einem von einem Mitglied der Schulgemeinde verursachten Unfall folgen. Gegenstand der Haftungsprivilegierung ist aber, dass insbesondere kein Schmerzensgeld verlangt werden kann. Der Gesetzgeber hat eine Schmerzensgeldzahlung bewusst ausgeschlossen, um den Schulfrieden, der auf dem gemeinsamen Zusammenwirken Vieler gründet, nicht neben dem bedauerlichen Unfall noch zusätzlich durch die Möglichkeit, Schmerzensgeld zu fordern und Schmerzensgeld zahlen zu müssen, zu belasten (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 14.03.2013, Az. 1 U 200/12, zit. nach ). Diese Haftungsprivilegierung gilt auch für Amtshaftungsansprüche gegen die Anstellungskörperschaft nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.2002, NJW 2002, 3096 [BGH 27.06.2002 - III ZR 234/01]). Lediglich im Falle von vorsätzlichem Handeln greift das Haftungsprivileg nicht.
Für die Annahme eines Vorsatzes ist dabei erforderlich, dass der Schädiger nicht nur bezüglich der Verletzungshandlung vorsätzlich gehandelt hat, sondern dass er auch den Verletzungserfolg vorsätzlich herbeigeführt hat (vgl. BGHZ 154, 11 m.w.N.). Vorsätzlich im Sinne eines bedingten Vorsatzes handelt dabei, wer den als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH NJW 1971, 460; BGH NJW-RR 1998,34 [BGH 17.04.1997 - I ZR 131/95]).
2.
Es konnte indessen weder festgestellt werden, dass die Zeugin xxx die Verletzungshandlung (Explosion der Spiritusflasche) noch den Verletzungserfolg (Verletzungen des Klägers) billigend in Kauf genommen hat.
a)
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die Zeugin xxxx die Explosion der Spiritusflasche billigend in Kauf genommen hat. So hat sie selbst in ihrer Zeugenaussage nachvollziehbar und detailreich geschildert, dass sie vor dem Nachfüllen des Spiritus überprüft habe, ob sich noch Spiritus in der Schale befunden habe und ob noch eine Flamme vorhanden gewesen sei; beides sei nicht der Fall gewesen. Da sie alle übrigen Sicherheitsvorkehrungen eingehalten habe, habe sie sich nicht erklären können, wie es zu der Entzündung gekommen sei. Bei Zugrundelegung dieser Aussage spricht nichts dafür, dass die Zeugin das Entstehen der Explosion billigend in Kauf nahm. Vielmehr stellte sich die Explosion aus ihrer Sicht als völlig unvorhersehbares Ereignis dar, auf dessen Verlauf sie keinerlei Einfluss nehmen konnte. Diese Angaben hält das Gericht für glaubhaft. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugin die Flasche in ihren eigenen Händen hielt und sie sich damit im Falle einer Explosion auch selbst gefährdete, ist nichts dafür ersichtlich, dass sie die herbeigeführte Explosion billigend in Kauf genommen hat.
Dem steht auch nicht die Aussage des Zeugen xxxx entgegen. Dieser hat zwar bekundet, dass sich noch eine sichtbare Flamme in dem Schälchen befunden habe kurz bevor Frau xx den Brennspiritus nachgefüllt habe; dies habe er auch seinem Banknachbarn, dem Zeugen xxx, wenige Sekunden vor dem Nachfüllen mitgeteilt. Diese Angaben waren allerdings nicht glaubhaft. Denn zum einen weichen diese Angaben von seinen Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 15.10.2012 ab, in denen er den Hinweis auf die Flamme an den Zeugen xxxxr nicht erwähnte. Warum er das Gespräch verschwieg, konnte sich der Zeuge zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht erklären. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum der Zeuge das für den Geschehensablauf bedeutende Gespräch mit seinem Tischnachbarn in der zeitlich im näheren Zusammenhang mit dem Schadensereignis stehenden polizeilichen Vernehmung nicht erwähnte, diesem aber in seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung eine hervorgehobene Bedeutung zumaß. Die Aussage stand zudem in einem offenen Widerspruch zur Aussage des Zeugen xxx. Dieser hat bekundet, er habe mit seinem Banknachbarn, dem Zeugen xxx, vor dem schädigenden Ereignis weder über eine Flamme im Schälchen gesprochen, noch habe dieser ihn auf eine solche hingewiesen.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass selbst bei Zugrundelegung der Richtigkeit der Angaben des Zeugen xxx der Nachweis des Vorsatzes gleichwohl nicht geführt wäre. Denn auch wenn sich eine sichtbare Flamme in dem Schälchen befunden hätte und der Zeuge xxx seinen Tischnachbarn darauf hingewiesen hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugin xxx diesen Hinweis, der sich nicht an sie richtete, nicht wahrgenommen und die Flamme übersehen hat. Ein solches Verhalten würde - die Richtigkeit der Aussage des Zeugen xxx unterstellt - möglicherweise als grob fahrlässig zu bewerten sein, belegt aber nicht, dass die Zeugin die Explosion billigend in Kauf nahm.
b)
Darüber hinaus konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Zeugin xx die Verletzungen des Klägers billigend in Kauf genommen hat. Die Zeugin xx selbst hat nachvollziehbar geschildert, dass ihr die Spiritusflasche nach dem Nachfüllen des Spiritus aus der Hand gerissen worden sei, ohne dass sie Einfluss darauf nehmen konnte, wohin die Flasche flog. Dies deckt sich mit den Angaben des Zeugen xxx, der ebenfalls beschrieben hat, dass die Flasche der Lehrerin "weggerissen" worden sei. Auch der Zeuge xx hat diesbezüglich bekundet, dass die Brennspiritusflüssigkeit lediglich zufällig in Richtung des Klägers gespritzt sei; sie hätte auch ihn oder seinen Tischnachbarn treffen können. Vor dem Hintergrund dieser Aussagen ist bereits zweifelhaft, ob das Wissenselement des bedingten Vorsatzes erfüllt ist, ob also aus Sieht der Zeugin überhaupt damit zu rechnen war, dass die Flüssigkeit der Flasche im Falle einer Explosion in Richtung des Klägers spritzen und diesen verletzen würde. Dies gilt umso mehr, als sich der Kläger an einem Tisch im linken Bereich des Klassenzimmers in der Nähe der Fenster befand, obwohl der Zeugin xxx die Flasche durch die Explosion aus der Hand gerissen wurde, als sie sich im rechten Bereich des Klassenzimmers aufhielt.
Selbst wenn man dies bejahen würde, so fehlt es indessen jedenfalls an Anknüpfungspunkten für das voluntative Element des Vorsatzes: Dass die Zeugin eine Verletzung des Klägers bewusst in Kauf nahm ist angesichts des nicht steuerbaren Handlungsverlaufs nicht anzunehmen.
3.
Mangels Hauptforderung bestehen auch die geltend gemachten Nebenforderungen in Gestalt von Zinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.