Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 30.09.2004, Az.: 1 B 26/04

Überweisung an Förderschule (unrichtiger Förderschwerpunkt)

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
30.09.2004
Aktenzeichen
1 B 26/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs.

2. Zur Auswahl einer Förderschule, die nicht den zu fördernden Schwerpunkt des emotionalen Erlebens und sozialen Verhaltens, sondern den Schwerpunkt Lernen aufweist.

Gründe

1

I. Die Antragsteller sind die Eltern des am 24.04.1993 in Russland geborenen I. J.. I. wurde zum Schuljahr 1999/2000 wegen fehlender Schulreife in den Schulkindergarten in K. eingeschult. Bereits dort fiel er durch erhebliche Defizite im sprachlichen und im sozial-emotionalen Bereich auf. Dem Anraten des Schulkindergartens, einem Antrag auf Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs zuzustimmen, folgten die Antragsteller nicht. I. wurde daraufhin ohne Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs zum Schuljahr 2000/01 in die erste Klasse der L. -Grundschule in M. eingeschult. Gemäß dem Zeugnis für das erste und zweite Halbjahr dieser Klasse entsprachen zum einen I. s Leistungen im Lesen und Schreiben - trotz zusätzlicher Förderung - nicht den Anforderungen und zum anderen sein Arbeits- und Sozialverhalten den Erwartungen nur mit Einschränkungen. Gemäß dem für das erste und zweite Halbjahr der Klasse 2 (Schuljahr 2001/02) erteiltem Zeugnis hat I. die Ziele der Lehrgänge Lesen und Schreiben nicht erreicht und entsprachen sein Sozialverhalten nur mit Einschränkungen den Erwartungen und sein Arbeitsverhalten nicht den Erwartungen. Er wurde nicht versetzt und wiederholte im Schuljahr 2002/03 die zweite Klasse. Als sich zum Halbjahreswechsel im Schuljahr 2002/03 zeigte, dass I.s Versetzung in die dritte Klasse gefährdet sei und sowohl sein Arbeits- als auch sein Sozialverhalten nicht den Anforderungen entspreche, beschloss die Klassenkonferenz am 22.01.2003, für I. einen Antrag auf Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs zu stellen. Unter dem 09.02.2003 erstellte die L. -Grundschule durch den Klassenlehrer einen "Bericht der meldenden Schule im Rahmen einer sonderpädagogischen Überprüfung" und holte ein Beratungsgutachten der F. -Schule - Schule für Lernhilfe -, E., ein. In seinem Beratungsgutachten vom 04.04.2003 kommt der Sonderschullehrer N. von der F. -Schule zu dem Ergebnis, dass I. von seinem Leistungsvermögen her kein lernbehindertes Kind sei, die Gründe für die Leistungsdefizite vielmehr in einem völlig unzureichenden Arbeits- und Lernverhalten lägen, den besonderen pädagogischen Bedürfnissen von I. nicht mit den Mitteln der Grundschule hinreichend entsprochen werden könne und eine Beschulung in einer Schule für Erziehungshilfe - mit der Einschulung in die dortige dritte Klasse - angeraten werde. Gemeinsam mit dem Grundschullehrer O. und dem Sonderschullehrer N. gab die L. -Grundschule am 02.04.2003 durch den Schulleiter P. gegenüber der Antragsgegnerin die Empfehlung ab, bei I. das Vorliegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs festzustellen und ihn in eine Schule für Erziehungshilfe umzuschulen. Zur Begründung wird Folgendes ausgeführt:

2

"I. ist von seinem Leistungsvermögen her kein lernbehindertes Kind. Die Untersuchungen ergeben, dass bei ihm eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen seinem Vermögen und den gezeigten Schulleistungen festzustellen ist. Auch durch die Wiederholung der zweiten Klasse und durch Förderunterricht konnten die Defizite nicht entscheidend abgebaut werden.

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Die Gründe dafür dürften nicht auf Intelligenzdefizite zurückzuführen sein; vielmehr lassen die Beobachtungen und Untersuchungsergebnisse vermuten, dass sein völlig unzureichendes Arbeits- und Lernverhalten (Konzentrationsmängel, oberflächliche Arbeitsweise, Verweigerung, mangelnde häusliche Unterstützung) hierfür verantwortlich sind.

4

Den oben dargestellten besonderen pädagogischen Bedürfnissen von I. kann mit den Mitteln der Grundschule derzeit nicht hinreichend entsprochen werden. Um das Lern- und Leistungsversagen nicht zu manifestieren, ist u.E. eine Beschulung an einer Schule für Erziehungshilfe angeraten, die aufgrund ihrer Rahmenbedingungen eher auf I. s Förderbedürfnisse eingehen kann. I. s Gesamtintelligenz entspricht dem Normalbereich, durch spezielle Zuwendung besteht die Möglichkeit, dass er seine schulischen Leistungen erheblich verbessert.

5

Dort sollte er in die dritte Klasse eingeschult werden."

6

Auf Antrag der Antragsteller berief der Leiter der L. -Grundschule unter dem 08.05.2003 eine Förderkommission ein. Die aus dem Schulleiter als vorsitzendes Mitglied, den durch Bericht und Beratungsgutachten beteiligten Lehrkräften O. und N. sowie den Antragstellern bestehende Förderkommission konnte in ihrer Sitzung am 16.05.2003 keine Einigung erzielen. Während der Schulleiter P., der Grundschullehrer O. und der Sonderschullehrer N. der Auffassung waren, ein sonderpädagogischer Förderbedarf liege vor und es sei die Beschulung in der Schule für Erziehungshilfe in Q. zu empfehlen, waren die durch den Antragsteller zu 1. vertretenen Antragsteller der Ansicht, die Beschulung solle in der Grundschule fortgesetzt werden, da I. auch dort hinreichend lernen könne.

7

Durch Bescheid vom 03.07.2003 stellte die Antragsgegnerin fest, dass bei I. sonderpädagogischer Förderbedarf vorliege und führte dazu aus: I. zeige ein völlig unzureichendes Arbeits- und Lernverhalten. Er habe zum zweiten Mal das Ziel der Klasse 2 nicht erreicht. Da eine Beschulung in der Schule für Erziehungshilfe abgelehnt werde, bestehe nur noch die Möglichkeit der Förderung in einer Schule für Lernhilfe. Zugleich ordnete sie als Maßnahme für den weiteren Schulbesuch an, dass I. mit Wirkung vom 01.08.2003 die F. -Schule, Schule für Lernhilfe, in E. zu besuchen habe. - In dem I. für das Schuljahr 2002/03 unter dem 09.07.2003 erteilten Zeugnis der L. -Grundschule werden das Arbeits- und Sozialverhalten als nicht den Erwartungen entsprechend bewertet und unter "Bemerkungen" wird ausgeführt, dass I. die Ziele des Leselehrgangs und des Schreiblehrgangs zum zweiten Mal nicht erreicht habe, er aber nach Klasse 3 versetzt werde, da er die zweite Klasse nicht noch einmal besuchen dürfe.

8

Gegen den Bescheid vom 03.07.2003 erhoben die Antragsteller Widerspruch, den die Antragsgegnerin nach Einholung eines Lernstandsberichts vom 10.10.2003 mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückwies: Die bisherige Entwicklung und die festgestellte Beeinträchtigung ließen derzeit nur den Schluss zu, dass das Erreichen der Bildungsziele an der Grundschule nicht möglich erscheine. Ausweislich der Stellungnahme der Schule vom 10.10.2003 zeige I. auch weiterhin ein völlig unzureichendes Arbeits-, Sozial- und Lernverhalten und aus schulischer Sicht sei eine Beschulung in der Schule für Lernhilfe oder Erziehungshilfe dringend erforderlich. Da die Antragsteller eine Beschulung in der Schule für Erziehungshilfe ablehnten, I. aber für die Dauer der Beeinträchtigung zum Besuch der für ihn geeigneten Sonderschule verpflichtet sei, bestehe nur noch die Möglichkeit der Förderung in einer Schule für Lernhilfe, da auch eine integrative Beschulung zur Zeit nicht möglich sei. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollten nach dem Wunsch des Gesetzgebers in zunehmendem Maße in allgemein bildenden Schulen beschult werden. Eine solche Förderung im Rahmen der integrativen Beschulung sei aber nur möglich, wenn die personellen, räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen in der betreffenden Schule vorhanden seien. Diese Voraussetzungen seien in der L. -Grundschule in M. jedoch nicht gegeben. Es gebe in dieser Schule keine genehmigte Integrationsklasse, in der I. entsprechend zieldifferent unterrichtet werden könnte. Unabhängig davon scheide eine integrative Beschulung von I. bereits wegen seines festgestellten umfänglichen Förderbedarfs und der Notwendigkeit der Beschulung in einer kleinen Lerngruppe aus.

9

Dagegen haben die Antragsteller am 27.11.2003 Klage erhoben, die Gegenstand des Verfahrens 1 A 71/04 ist.

10

Während des Klageverfahrens hat I. im Schuljahr 2003/04 weiterhin die L. -Grundschule, nunmehr in der dritten Klasse, besucht. Nach dem Halbjahreszeugnis und einem Lernstandsbericht der Schule vom 16.02.2004 waren I. s Leistungen in Deutsch, Rechtschreibung und Sachunterricht mangelhaft bzw. ungenügend, entsprachen sein Arbeits- und sein Sozialverhalten nicht den Erwartungen, werde die Lücke zu den Leistungen seiner Mitschüler ständig größer und werde er das Ziel des dritten Schuljahres nicht erreichen. Im Ganzjahreszeugnis vom 25.06.2004 wurden seine Leistungen in Deutsch, Sachunterricht und Mathematik mit mangelhaft bewertet. In Rechtschreibung erhielt er keine Zensur, sondern die Bemerkung, dass die Leistungen nicht den Anforderungen des Schuljahres entsprächen, obwohl er im Rechtschreiben gefördert worden sei. Es wurde in dem Zeugnis festgestellt, dass I. die Ziele der Jahrgangsstufe nicht erreicht habe.

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Daraufhin ordnete die Antragsgegnerin nach Anhörung der Antragsteller die sofortige Vollziehung ihres Bescheides vom 03.07.2003 mit folgender Begründung an: Aufgrund des staatlichen Bildungsauftrages sei es nicht zu verantworten, dass ein Kind mit den Behinderungen, wie sie bei I. vorlägen, von einer pädagogisch notwendigen Beschulung ferngehalten werde. Es sei nicht vertretbar, dass I. bis zum Abschluss eines eventuellen Hauptsacheverfahrens wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage die Grundschule besuche. Aus den aktuellen Lernstandsberichten der Grundschule gehe hervor, dass I. dem Unterricht nicht folgen könne und diesen wiederholt störe. Die Häufigkeit der Unterrichtsstörungen steige dabei immer weiter an. I. passe nicht auf, rede, singe, male und störe dadurch permanent die Mitschülerinnen und Mitschüler. Außerdem widersetze er sich Arbeitsanweisungen und verweigere die unterrichtliche Mitarbeit. Das Arbeits- und das Sozialverhalten entsprächen nicht den Erwartungen. Es komme immer häufiger zu Streitereien und Handgreiflichkeiten mit anderen Kindern. Diese Sachlage lasse das öffentliche Interesse höher bewerten als das Interesse des Schülers, infolge der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs vorläufig die Beschulung an der L. -Grundschule fortsetzen zu können.

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Die Antragsteller haben am 17.08.2004 bei der erkennenden Kammer um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung machen Sie geltend: Bei I. bestehe kein sonderpädagogischer Förderbedarf. Er benötige nur diejenige Förderung, der auch jeder andere seiner Mitschüler bedürfe. Die Herausnahme aus der Grundschule werde ihn nicht fördern, sondern sie sei im Gegenteil schädlich. Die Zensuren im Abschlusszeugnis der dritten Klasse stünden einer Versetzung nicht entgegen. Sie - die Antragsteller - seien der Auffassung, dass es ein persönliches Anliegen des Schulleiters P. sei, I. als Kind von Spätaussiedlern nicht an seiner Schule haben zu wollen.

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Die Antragsteller beantragen,

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die aufschiebende Wirkung ihrer gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 03.07.2003 erhobenen Klage wiederherzustellen und ihnen unter Beiordnung des Herrn Rechtsanwalt R. G. Prozesskostenhilfe zu gewähren.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Dazu führt sie aus, dass sich gerade aus den sich auch im Laufe des Schuljahres 2003/04 verstärkenden Verhaltensauffälligkeiten I.s. ergebe, dass er auf der Grundschule völlig überfordert sei und dort nicht mehr hinreichend gefördert werden könne. Dies beziehe sich nicht nur auf die unmittelbaren schulischen Lern- und Leistungsbereiche, sondern auf seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Der Besuch der vierten Klasse in der Grundschule und die damit verbundenen noch weit höheren Anforderungen würden dazu führen, dass I. noch stärkere Verhaltensauffälligkeiten zeigen werde. Dies würde noch mehr zu Lasten der Mitschülerinnen und Mitschüler gehen, und zwar sowohl in Bezug auf einen ordnungsgemäßen Unterricht als wahrscheinlich auch im Hinblick auf verbale und körperliche Attacken. Der umgehende Besuch der Schule für Lernhilfe werde aus schulpsychologischer Sicht für äußerst notwendig gehalten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie auf die Akte des Verfahrens 1 A 71/04 Bezug genommen.

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II. Der auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichtete Antrag ist zum Teil begründet.

20

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer infolge einer Sofortvollzugsanordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltenden Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der Interessen der Antragsteller einerseits und des öffentlichen Sofortvollzugsinteresses andererseits sind insbesondere auch die Erfolgsaussichten des gegen den Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs insoweit zu berücksichtigen, als sie sich bereits bei summarischer Prüfung beurteilen lassen. - Hier ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass sich die angefochtene Verfügung hinsichtlich der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs als rechtmäßig erweisen wird und deshalb die gegen die Verfügung vom 03.07.2003 erhobene Klage insoweit keine Erfolgsaussichten hat. Hingegen muss nach dem gegenwärtigen Sachstand davon ausgegangen werden, dass die Anordnung, I. habe die F. -Schule - Schule für Lernhilfe - in E. zu besuchen, rechtswidrig ist.

21

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 NSchG werden Schülerinnen und Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben und die entsprechende Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erhalten können, in der Förderschule unterrichtet. Nach Satz 2 kann sonderpädagogischer Förderbedarf in den Bereichen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, Sprache, geistige Entwicklung, motorische und körperliche Entwicklung, Sehen und Hören erworben werden. Nach § 68 Abs. 1 NSchG sind Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 NSchG zum Besuch der für sie geeigneten Förderschule verpflichtet (Satz 1). Eine Verpflichtung zum Besuch der Förderschule besteht nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist (Satz 2). Nach § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG entscheidet die Schulbehörde, ob die Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 NSchG besteht und welche Schule zu besuchen ist. Nach § 4 NSchG sollen Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 NSchG bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben.

22

Es unterliegt keinen Zweifeln und wird auch von den Antragstellern nicht substanziiert bestritten, dass hier die Antragsgegnerin das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs ordnungsgemäß und dabei insbesondere im Einklang mit der Verordnung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 01.11.1997 (Nds. GVBl. S. 458) und den Ergänzenden Bestimmungen zu dieser Verordnung (Erlass vom 06.11.1997, SVBl. S. 385) durchgeführt hat. Aber auch in materieller Hinsicht unterliegt die von der Antragsgegnerin getroffene Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs keinen ernsthaften Bedenken. Die Feststellung der Antragsgegnerin, I. benötige sonderpädagogischen Förderbedarf, steht im Einklang mit dem Bericht des Grundschullehrers O. vom 09.02.2003, dem Beratungsgutachten des Sonderschullehrers N. vom 04.04.2003, der Mehrheitsauffassung der Förderkommission vom 16.05.2003 sowie sämtlichen weiteren schulischen und schulfachlichen Stellungnahmen und auch den sich aus den Zeugnissen ergebenden Verhaltens- und Leistungsentwicklungen I. s. Die gutachterlichen und sonstigen pädagogischen und psychologischen Feststellungen kommen einhellig zu dem Ergebnis, dass bei I. ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung besteht.

23

Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen der emotionalen und sozialen Entwicklung, des Erlebens und der Selbststeuerung anzunehmen, wenn sie in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können (Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.03.2000).

24

Dass I. auf der L. -Grundschule im Rahmen des dort praktizierten Unterrichts nicht hinreichend gefördert werden kann, ist angesichts des bislang von I. erreichten Lernstandes und der dafür maßgebenden Ursachen offensichtlich. I. hat nach fünfjähriger Schulpflicht bzw. nach einjährigem Besuch des Schulkindergartens und vierjährigem Besuch der Grundschule die Ziele des dritten Schuljahrgangs nicht erreicht. Angesichts seines durch Zeugnisse und Lernstandsberichte ausgewiesenen Leistungsstandes ist davon auszugehen, dass I., würde er die L. -Grundschule weiterhin ohne Änderungen der Rahmenbedingungen besuchen, dort im Schuljahr 2004/05 die dritte Klasse wiederholen müsste. Auch wenn die Klassenkonferenz - im Hinblick auf die streitgegenständliche Verfügung - eine Versetzungsentscheidung nicht getroffen hat, erscheint es als fernliegend, dass sie hier bei dem im Grundsatz eine Versetzung nicht zulassenden Leistungsbild in Anwendung der Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 2 VersetzungsVO eine Versetzung in die vierte Klasse beschließen könnte. Bei einer Wiederholung der dritten Klasse der Grundschule würde I. seine Schullaufbahn nach vier Grundschulbesuchsjahren und einem Jahr Schulkindergarten auf einer Stufe fortsetzen, die seine um drei Jahre jüngeren Mitschülerinnen und Mitschüler regelmäßig bereits nach zwei Jahren Grundschulbesuch erreicht haben. Das belegt zur Genüge, dass I. durch seinen bisherigen Grundschulbesuch nicht hinreichend gefördert worden ist und auch nicht gefördert werden konnte. Aufgrund der vorliegenden gutachterlichen Feststellungen steht fest, dass eine hinreichende Förderung auf der Grundschule - jedenfalls ohne grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen - auch zukünftig nicht möglich sein wird. Das verdeutlichen insbesondere auch die Art der Beeinträchtigung und die Maßnahmen, die zur Beseitigung dieser Beeinträchtigungen erforderlich sind. Aus den Berichten und Gutachten ergibt sich, dass I. keine Lernbeeinträchtigung hat, sondern seine emotionale und soziale Entwicklung schwer gestört ist. Demgemäß besteht bei I. ein erheblicher sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Entsprechend zielen alle pädagogischen und sonderpädagogischen Vorschläge vorrangig auf eine Förderung in diesem Schwerpunktbereich und empfehlen dazu, dem Förderbedarf durch eine Beschulung in einer Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung Rechnung zu tragen.

25

Bestehen mithin keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit der in dem angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellung, bei I. liege ein sonderpädagogischer Förderbedarf vor, führen die dieser Feststellung zugrunde liegenden pädagogischen und sonderpädagogischen Wertungen zugleich aber zu durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit der in dem Bescheid angeordneten Verpflichtung, die F. -Schule - Schule für Lernhilfe - in E. besuchen zu müssen.

26

Bei summarischer Beurteilung ist davon auszugehen, dass bei I. die Voraussetzungen für eine Überweisung an eine Schule für Lernhilfe nicht gegeben sind. Der Förderbedarf, den eine Beeinträchtigung im Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung auslöst, unterscheidet sich vielfältig von demjenigen Förderbedarf, der im Schwerpunkt Lernen besteht. Der Unterricht im Förderschwerpunkt Lernen geht zwar von den Bildungszielen und Lerninhalten der allgemeinen Schulen aus. Diese Ziele und Inhalte des Unterrichts werden jedoch mit Blick auf die Lernvoraussetzungen und den sonderpädagogischen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler modifiziert. Einem differenzierten Lern- und Unterrichtsangebot wird in einem Bildungsgang mit entsprechenden modifizierten und eigenständigen Richtlinien und Lehrplänen entsprochen. Nach den Empfehlungen der KMK vom 10.03.2000 zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung werden Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns, für die eine hinreichende Förderung in allgemeinen Schulen nicht gewährleistet werden kann, in Sonderschulen oder in Schulen und Klassen für Erziehungshilfe unterrichtet. Die sonderpädagogische Förderung erfolgt schwerpunktmäßig im Primarbereich der Schulen und Klassen für Erziehungshilfe. Die Schulen für Erziehungshilfe sind als Durchgangsschulen konzipiert. In ihnen wird grundsätzlich nach den Lehrplänen der Grundschule unterrichtet. Ziel ist die frühestmögliche Rückführung in die Grundschule. Besteht für Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I weiterhin sonderpädagogischer Förderbedarf, so können die Schülerinnen und Schüler durch die sonderpädagogische Förderung einen Schulabschluss erlangen, der ihren individuellen Möglichkeiten entspricht (Nr. 5.3). Dem entspricht insoweit weitgehend der Nds. Runderlassentwurf zur sonderpädagogischen Förderung (vgl. Ziffer 1.5 und Ziffer 5.5). In welchem Maße die Förderbedarfe differieren, verdeutlichen die weiteren Ausführungen im Erlassentwurf sowie in den derzeit geltenden Bestimmungen.

27

Nach den vorliegenden Feststellungen hat I. keine Beeinträchtigung im Schwerpunktbereich Lernen, so dass sich sein Förderbedarf insoweit grundsätzlich von dem Förderbedarf eines Mehrfachbeeinträchtigten unterscheidet. Nach § 14 Abs. 3 NSchG können in einer Förderschule zwar Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen auch gemeinsam unterrichtet werden. Dafür ist jedoch Voraussetzung, dass dadurch eine bessere Förderung zu erwarten ist. Dass für I. eine bessere Förderung erreicht werden kann, wenn er an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen unterrichtet wird, erscheint als ausgeschlossen, wenn dabei dieser Schulbesuch mit demjenigen auf einer Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung verglichen wird. Davon gehen auch erkennbar die der Entscheidung der Antragsgegnerin zugrunde liegenden pädagogischen und sonderpädagogischen Begutachtungen aus. Wenn die Antragsgegnerin die Unterrichtung auf einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen für die bessere Förderung von I. hält, ist dies ersichtlich nur das Ergebnis eines Vergleiches mit der bisherigen Beschulung auf der Grundschule. Ob § 14 Abs. 3 NSchG aber überhaupt auf der Grundlage eines solchen Vergleichs die Pflicht zum Schulbesuch einer nicht beeinträchtigungsspezifischen Förderschule verpflichten kann, erscheint als zweifelhaft. Zwar mag dafür ein Bedürfnis vorliegen, wenn eine Förderschule mit dem spezifischen Förderschwerpunkt nicht in noch zumutbarer Entfernung zum Wohnort zur Verfügung steht und die Beschulung auf der nicht spezifischen Förderschule eine bessere Förderung als auf der allgemeinen Schule erwarten lässt. Indes erscheinen hier die Möglichkeiten, I. s Beeinträchtigung mit einem beeinträchtigungsspezifischen Förderbedarf zu begegnen, nicht als ausgeschöpft. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass I. bislang auf der Grundschule keine sonderpädagogische Förderung erfahren hat, so dass sich hier im Lichte des § 4 NSchG andere Maßnahmen als vorrangig ergeben könnten. Für die Anordnung der Überweisung an die F. -Schule könnte möglicherweise auch tatsächlich weniger der Gesichtspunkt der Förderung von I. als vielmehr die Erwägung im Vordergrund gestanden haben, die weitere Beschulung von I. auf der L. -Grundschule vorrangig im Interesse der anderen Schüler nicht fortsetzen zu wollen. Nach dem gegenwärtigen Sachstand muss es als sehr zweifelhaft erscheinen, dass I. auf einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen überhaupt angemessen gefördert werden kann.

28

Unter Berücksichtigung dieser Rechtmäßigkeitsbedenken und aller sonstigen Umstände gebührt dem Interesse der Antragsteller, dass I. vorläufig nicht die F. -Schule besuchen muss, der Vorrang. Hinsichtlich der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist die streitgegenständliche Verfügung der Antragsgegnerin hingegen - wie dargelegt - nicht zu beanstanden und angesichts dessen hat das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller insoweit keinen Erfolg.

29

Prozesskostenhilfe ist den Antragstellern in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu bewilligen. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier können die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aber nur teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, war ihrem Prozesskostenhilfe auch nur insoweit zu entsprechen.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Kammer erscheinen das jeweilige Obsiegen und Unterliegen als gleichgewichtig.

31

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an dem Vorschlag des Streitwertkataloges 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Ziffer 38.3).