Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 19.03.2002, Az.: 3 A 5230/00
Freibetrag; Kostenbeitrag; Sozialhilfe; Verselbständigungspauschale; Übergangswohnheim
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 19.03.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 5230/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41748
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs 3 BSHG
- § 40 Abs 1 BSHG
- § 43 Abs 1 BSHG
- § 85 Abs 1 Nr 3 S 2 BSHG
- § 85 Abs 2 BSHG
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Weitergewährung eines Freibetrages aus ihrem Renteneinkommen.
Die am 16.08.1948 geborene Klägerin wurde, nachdem sie in der Zeit von 1991 bis 1996 in einem Pflegeheim in {H.} Hilfe zur Pflege erhalten hatte, seit dem 31.10.1996 im Übergangswohnheim des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V. in der {I.} in Hannover (Therapeutische Wohngemeinschaft I) betreut. Sie ist seelisch wesentlich behindert. Das {J.} erkannte deshalb unter dem 20.12 1996 seine sachliche Zuständigkeit als überörtlicher Träger der Sozialhilfe gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG an, und die Beklagte gewährte der Klägerin - zunächst durch Bescheid vom 04.02.1997- ab dem 01.10.1996 bis auf weiteres Eingliederungshilfe gemäß § 40 Abs. 1 BSHG für diese Maßnahme.
Weil die Klägerin über Renteneinkommen in Höhe von damals 1.445,06 DM monatlich verfügte, zog die Beklagte sie durch Bescheid vom 07.02.1997 gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 BSHG zu einem Kostenbeitrag heran. Dabei beließ sie entsprechend dem damals geltenden Runderlass des Niedersächsischen Sozialministers vom 30.11.1979 und der Rechtsprechung des Nds. OVG einen Freibetrag in Höhe von 150,-- DM zur Deckung des Bekleidungsbedarfs und zur Anschaffung von Bedarfsgegenständen und gewährte ihr zugleich nach § 21 Abs. 3 S. 4 BSHG einen zusätzlichen Barbetrag in Höhe von 5 % des Renteneinkommens. Durch Bescheide vom 04.07.1997 und 23.07.1997 passte die Beklagte den Kostenbeitrag den jeweiligen Änderungen im Rentenbezug an.
Vom 01.04.1998 an musste sich die Klägerin in der Abteilung Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover einer stationären Behandlung unterziehen. Im Oktober 1998 zog sie in das Therapeutische Wohnheim II des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V. in der {K.} in {L.} ein.
Mit Schreiben vom 10.11.1998 bat der Verein zur Förderung seelisch Behinderter e.V. die Beklagte um Erteilung eines Kostenanerkenntnisses für das Therapeutische Wohnheim II. In dem ärztlichen Begleitschreiben des Dr. {M.} zu diesem Antrag vom 04.11.1998 heißt es:
"In mehreren Gesprächen mit den Betreuern des Therapeutischen Wohnheims I wurde deutlich, dass Frau {N.} durch die Anforderungen eines Übergangswohnheimes überfordert ist, so dass ihr der Einzug in das Langzeitwohnheim vorgeschlagen wurde. Die Aufnahme dort erfolgte unter der Vorstellung, dass Frau {N.} auf absehbare Zeit auf eine engmaschige soziotherapeutische Förderung mit niedrigschwelligen Kontaktangeboten angewiesen sein wird und außerdem einer kontinuierlichen neuroleptischen Therapie bedarf.
Mit einer selbständigen Lebensführung ist Frau {N.} bis auf weiteres deutlich überfordert. Allerdings kann eine sehr allmähliche Stabilisierung des Befindens durch konsequente Medikation und vorsichtige rehabilitative Maßnahmen durchaus erwartet werden...."
Durch Bescheid vom 08.04.1999 gewährte die Beklagte Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 BSHG auch für die Betreuung im Therapeutischen Wohnheim II des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V. für den Zeitraum vom 15.10.1998 bis auf weiteres. Bezüglich des Kostenbeitrages wies sie darauf hin, der Kostenbeitragsbescheid vom 23.07.1998 habe weiterhin Gültigkeit.
In ihrem Kostenbeitragsbescheid vom 16.08.1999 zog die Beklagte die Klägerin erneut zu einem Kostenbeitrag heran. In diesem Bescheid wies sie darauf hin, dass nach dem Runderlass des Niedersächsischen Sozialministers vom 07.04.1998 Hilfeempfängern, die sich in einer sogen. Übergangseinrichtung befänden, in der ihnen im Hinblick auf eine teilverselbständigte Lebensführung ein wirtschaftlicher Freiraum eingeräumt werde und in der sie auf eine selbstständige Lebensführung vorbereitet würden, ein Freibetrag aus anderem Einkommen entsprechend § 85 Abs. 2 BSHG in Höhe von 150,-- DM belassen werden solle. Die Gewährung dieses Freibetrages sei jedoch auf die Dauer von zwei Jahren - beginnend mit dem Inkrafttreten des Runderlasses am 01.07.1998 - beschränkt.
Durch Bescheid vom 13.07.2000 regelte die Beklagte den Kostenbeitrag für die Zeit ab dem 01.07.2000 neu. Der bisher gewährte Freibetrag in Höhe von monatlich 150,-- DM ende mit dem 30.06.2000. Ab dem 01.07.2000 werde eine monatliche Eigenleistung in Höhe von 1.500,94 DM gefordert.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin unter dem 31.07.2000 Widerspruch, der folgt begründet wurde: Die Befristung der Freilassung von Einkommen auf zwei Jahre interpretiere die Inanspruchnahme des Einkommens in angemessenem Umfang fehlerhaft. Das Nds. OVG habe zu dieser Frage in mehreren Urteilen Stellung genommen, eine Befristung ergebe sich daraus nicht. Das Nds. OVG habe bei der Frage der Freilassung von Einkommen nicht nur daran gedacht, dass Rücklagen für einen bevorstehenden Auszug zu bilden seien, sondern habe sich mit dem Konzept von Einrichtungen auseinandergesetzt, die "keine Vollversorgung" bieten, sondern von den Behinderten erwarten, dass sie im Rahmen der Eingliederungshilfe selber entscheiden, welche Bedarfe des täglichen Lebens sie aus ihren Freibeträgen befriedigen, ohne dafür einmalige Leistungen zu begehren. Dies entspreche nämlich dem Selbsthilfegedanken des BSHG. Die Klägerin habe dementsprechend seit ihrem Einzug niemals eine Beihilfe für Bedarfe jedweder Art beantragt. Auch seien im Pflegesatz keine Aufwendungen z.B. für Bettwäsche, Handtücher, Geschirr usw. enthalten, wodurch der Pflegesatz im Sachkostenbereich im Vergleich zu anderen Einrichtungen an der untersten Grenze liege.
Das {O.} wies diesen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15.09.2000, zugestellt am 21.09.2002, als unbegründet zurück. Der Klägerin sei nach § 43 Abs. 1 BSHG Hilfe in vollem Umfang gewährt worden, sie habe jedoch zu den Kosten der Hilfe beizutragen. Da ihr Einkommen aus der Erwerbsunfähigkeitsrente mit 1.582,-- DM unter der Einkommensgrenze der §§ 79, 81 BSHG liege, komme § 85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG in Betracht. Danach könne die Aufbringung der Mittel auch aus unter der Einkommensgrenze liegendem Einkommen verlangt werden, soweit bei der Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart würden. Die Aufbringung der Mittel solle in angemessenem Umfang verlangt werden von Personen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung bedürften, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhielten. Die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 BSHG lägen hier vor. Die Berechnung der Kostenbeiträge sei vom Niedersächsischen Sozialministerium im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz mit Erlass vom 07.04.1998 geregelt worden. Danach sei hier grundsätzlich der Einsatz des Einkommens in voller Höhe zu fordern. Für Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen, die vollstationär betreut würden und einer entgeltlichen Beschäftigung nachgingen, sei zum 01.08.1996 in § 85 BSHG hinsichtlich des Einkommens unter der Einkommensgrenze jedoch ein neuer Absatz 2 als Sonderregelung eingefügt worden. Nach Ziff. 5.7 des Erlasses vom 07.04.1998 komme ein entsprechender Freibetrag im Einzelfall auch bei anderen Einkommen - also Einkommen als nicht entgeltlicher Beschäftigung - in Betracht, wenn sich die Hilfeempfängern in einer stationären Einrichtung für seelisch Behinderte befinde, die im Rahmen ihrer Konzeption den Hilfeempfängerinnen im Hinblick auf eine teilverselbständigte Lebensführung einen entsprechenden wirtschaftlichen Freiraum einräume und die Hilfeempfängerin nach Mitteilung der Einrichtung auf eine selbständige Lebensführung vorbereite. Dieser Freibetrag sei auf 150,-- DM begrenzt und auf 2 Jahre befristet. Das Nds. OVG gehe davon aus, dass Hilfeempfängern mit anderem Einkommen als Einkommen aus entgeltlicher Beschäftigung ein Freibetrag zuzubilligen sei, wenn der Hilfeempfänger tatsächlich auf eine selbständige Lebensführung vorbereitet werde und er sich in einer Einrichtung befinde, deren Konzeption dem Hilfeempfänger im Hinblick auf eine teilverselbständigte Lebensführung einen entsprechenden wirtschaftlichen Freiraum einräumt. Der Freibetrag unterliege dem ausschließlichen Zweck der Verselbständigung des Hilfeempfängers. Die Auffassung der Einrichtung, das Nds. OVG habe nicht nur daran gedacht, Rücklagen für einen bevorstehenden Auszug zu bilden, treffe nicht zu. Da ein Bedarf, die für einen Auszug erforderlichen Gegenstände zu erwerben, erst dann entstehe, wenn die Verselbständigung konkret zu erwarten sei und in absehbarer Zeit bevorstehe, sei ein Zeitraum von bis zu 2 Jahren ein überschaubarer und realistischen Prognosen zugänglicher Rahmen. Eine Gewährung ohne zeitliche Befristung widerspräche dem angestrebten Zweck der Rehabilitationsmaßnahme widersprechen. Der Hilfeempfänger, der sich in stationärer Betreuung befinde, wäre finanziell besser gestellt als jemand, der außerhalb von Einrichtungen seinen Lebensunterhalt durch eigenes Einkommen oder durch Hilfe zum Lebensunterhalt sicherstellen müsse.
Die Klägerin hat am 18.10.2000 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Sie trägt vor:
Sowohl die therapeutische Wohngemeinschaft I in der {P.} als auch die therapeutische Wohngemeinschaft II in der {K.} seien Einrichtungen, die keine Vollversorgung böten. In beiden Wohnheimen werde der konzeptionelle Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe praktiziert. Für die Verpflegung sei jeder Betreute selbst verantwortlich. Auf die Aktivierung von Beihilfen für Bedarfslagen jeglicher Art solle beim Vorhandensein von Einkommen verzichtet werden. Aus dem in der Klagebegründung enthaltenen Verwendungsnachweis ergebe sich, dass der Freibetrag wegen Ausschöpfung des finanziellen Rahmens nicht mehr herangezogen werden könne, um Rücklagen für Aufwendungen zu bilden. Die Klägerin beruft sich auf verschiedene Urteile des Nds. OVG zur Frage des Einsatzes von Einkommens unter der Einkommensgrenze. Sie ist der Auffassung, danach diene der Freibetrag von 150,-- DM dazu, Hilfeempfänger in Übergangswohnheimen in die Lage zu versetzen, in wirtschaftlicher Hinsicht selbständig zu disponieren und sich auch mit Kleidung und anderen Bedarfsgegenständen selbständig zu versorgen. Aus dem Taschengeld sei dieser Bedarf nicht zu befriedigen. Die Umsetzung der Freibetragsgewährung bei sonstigem Einkommen sei in Ziffer 5.7 des Erlasses vom 07.04.1998 in einer Weise erfolgt, die der Intention der Rechtsprechung des Nds. OVG nicht entspreche. Schon die Höchstbetragsbegrenzung auf 150,-- DM werde der heutigen Bedarfssituation von Betreuten in Einrichtungen ohne Vollversorgung nicht mehr gerecht. Außerdem sei eine Befristung auf zwei Jahre diesen Urteilen nicht zu entnehmen. Das Nds. OVG habe sich mit dem Konzept von Einrichtungen auseinandergesetzt, die "keine Vollversorgung" böten und deshalb beispielhaft den Selbsthilfegedanken des § 1 Abs. 2 S. 2 BSHG förderten. Die Einkommensfreilassung müsse sich an der konzeptionellen Ausrichtung der jeweiligen Einrichtung und den Bedürfnissen des jeweiligen Hilfeempfängers orientieren. Dem widerspreche jegliche Form der Befristung, zumal sie sich auch nicht mit dem Individualisierungsgrundsatz des § 3 BSHG in Einklang bringen lasse.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des {Q.} vom 15.09.2000 insoweit aufzuheben, als der Klägerin bei der Kostenbeitragsfestsetzung für die Zeit ab dem 01.07.2000 aus ihrem Renteneinkommen kein Freibetrag in Höhe von 150,-- DM belassen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ergänzt: Der Klägerin sei bis zum 30.06.2000 ein Freibetrag aus anderem Einkommen in Höhe von 150,-- DM monatlich zugestanden worden. Dieser Freibetrag diene auch nach der Rechtsprechung des Nds. OVG dem ausschließlichen Zweck der Verselbständigung. Dem Hilfeempfänger solle durch die Gewährung des Freibetrages ein ausreichender wirtschaftlicher Freiraum verschafft werden, damit er sich auf das Leben nach der Hilfe einstellen und insbesondere die erforderlichen Gegenstände erwerben könne. Für die Belassung eines Freibetrages komme es deshalb im Einzelfall darauf an, dass der Hilfeempfänger auf eine selbständige Lebensführung und damit auf ein Leben außerhalb der Übergangseinrichtung vorbereitet wird. Die Klägerin werde bereits seit 1996 auf ein selbständiges Leben vorbereitet, ein konkretes Ende der stationären Maßnahme sei jedoch zur Zeit (noch) nicht absehbar. Dies ergebe sich aus dem Entwicklungsbericht der Einrichtung vom 13.10.2000. Es treffe auch nicht zu, dass die Klägerin mit dem Wegfall des Freibetrages keinen wirtschaftlichen Freiraum mehr habe. Ihr werde beispielsweise von der Einrichtung ein Verpflegungskostenanteil in Höhe von 10,00 DM täglich ausgezahlt. Auch durch die Vorbereitung auf hauswirtschaftliche Tätigkeiten werde auf die Verselbständigung hingearbeitet.
Unverständlich sei, warum die Klägerin aus dem Freibetrag einen Kostenanteil für das Waschen der Bekleidung an die Einrichtung zahle, denn durch die im Pflegesatz enthaltene Maßnahmepauschale seien Beträge für saubere Wäsche usw. bereits in vollem Umfang abgedeckt. Ob die Verwendung des Freibetrages für Urlaubsreisen in einem Umfang von 50,-- DM monatlich der Intention des OVG Lüneburg entspreche, erscheine fraglich. Der mit dem Verwendungsnachweis pauschal angeführte Betrag von 750,-- DM für die Anschaffung von Bekleidung sei zu hoch gegriffen, zumal nur ein Ergänzungsbedarf anfalle.
Die Klägerin verfüge durch den Grund- und den Erhöhungsbetrag über einen monatlichen Gesamtbarbetrag in Höhe von zur Zeit 240,05 DM. Solange ihr kein Freibetrag aus anderem Einkommen gewährt werde, habe sie einen Anspruch auf Gewährung einmaliger Beihilfen im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften. Auch wenn nach dem konzeptionellen Ansatz der Einrichtung auf die Aktivierung von Beihilfen für Bedarfslagen jeglicher Art verzichtet werden solle, so könne dies keinen Anspruch auf den Freibetrag begründen. Dieser diene dazu, den Bedarf an der Beschaffung langlebiger Gebrauchsgüter zur Gründung eines eigenen Hausstandes abzudecken, aber nicht dazu, das Einkommen des Hilfeempfängers, über das er frei verfügen kann, zu erhöhen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben. Der Bescheid der Beklagten vom 13.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des {O.} vom 15.09.2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher auch nicht in ihren Rechten (113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag ist § 85 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 BSHG. Danach kann die Aufbringung von Mitteln unter der Einkommensgrenze - nur diese Variante kommt hier in Betracht, weil die Rente, die die Klägerin bezieht, unter der für die Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen liegenden Einkommensgrenze nach §§ 79, 81 BSHG liegt - verlangt werden, soweit bei der Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Nach Satz 2 der Vorschrift soll die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang verlangt werden von Personen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung bedürfen, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten. Abweichend von Satz 1 wird dadurch das Ermessen des Trägers der Sozialhilfe für den Regelfall gebunden und nur ausnahmsweise ein Ermessensspielraum eröffnet.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen von § 85 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 BSHG. Sie bedarf wegen ihrer seelischen Behinderung für voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einem Heim - wobei der Begriff der Pflege nicht im engeren Sinne von § 68 BSHG verstanden wird (vgl. dazu Krahmer in LPK-BSHG, Rdnr. 16 zu § 85 BSHG m.w. N.) - und sie unterhält keine andere Person. Sie soll also in angemessenem Umfang herangezogen werden.
Die Kammer geht davon aus, dass die Heranziehung der Klägerin mit ihrer vollen Rente eine Heranziehung "in angemessenem Umfang" darstellt.
Dabei entspricht es ihrer ständigen Rechtsprechung, dass es sich bei dem Begriff des angemessenen Umfanges um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dem Träger der Sozialhilfe ist also insoweit kein Ermessen eingeräumt.
Bei der Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes des "angemessenen Umfanges" sind die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles in den Blick zu nehmen (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 16.11.1999 - 3 A 122/98 m.w.N.). Danach erscheint es der Kammer nicht als angemessen, der Klägerin einen Freibetrag von ihrem Renteneinkommen zu belassen.
In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, ob das Einkommen anderweitig benötigt wird (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 22.06.1999 - 3 A 7075/97 -) Davon geht die Kammer nicht aus.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in seinem Schriftsatz vom 21.02.2001 im Einzelnen ausgeführt, dass der Freibetrag in Höhe von monatlich 150,-- DM verwendet werden soll für die Anschaffung von Bekleidung, für Urlaubsmaßnahmen, Anschaffung bzw. Ersatzbeschaffung von Bettwäsche, Handtüchern, Geschirr, Bestecken, Kochgeschirr, Reparaturkosten bzw. Ersatzbeschaffung von Kleingeräten, für individuellen Fortbildungsbedarf sowie für das Waschen der Wäsche.
Was die Aufwendungen für das Waschen der Wäsche angeht, so spricht nach der Überzeugung das Gerichts viel dafür, dass diese laufende Leistung bereits im Pflegesatz enthalten und der Bedarf der Klägerin insoweit bereits gedeckt ist. Zwar hat die Vorsitzende des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V., {R.}, in der mündlichen Verhandlung erklärt, Kosten für das Waschen der Wäsche seien bereits nach der Ursprungskalkulation nicht im Pflegesatz enthalten. Dafür mag sprechen, dass die Pflegesätze für das Heim in der {S.} vergleichsweise niedrig sind. Auf der anderen Seite spricht gegen diese Annahme, dass Heimbewohner, die nicht über Einkommen und damit auch nicht - wie die Klägerin bis zum 30.06.2001 - über einen Freibetrag verfügen, diese Leistungen vom Heim erhalten.
Bei den übrigen Positionen handelt es durchweg sich um einmalige Bedarfe. Für diese einmaligen Bedarfe, an deren sozialhilferechtlicher Relevanz im Grundsatz kein Zweifel besteht, kann die Klägerin bei der Beklagten - worauf diese auch zu Recht hingewiesen hat - einmalige Beihilfen nach § 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 a BSHG beantragen. Sie muss dies auch tun und dem Träger der Sozialhilfe insoweit eine Prüfung ermöglichen. Eine Bedarfsdeckung ohne vorherige Mitteilung an den Träger der Sozialhilfe muss von diesem nicht als die Leistungsfähigkeit hinsichtlich des Kostenbeitrages mindernd berücksichtigt werden (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 22.06.1999 - 3 A 7075/97, S. 7).
Die Kammer verkennt nicht, dass der konzeptionelle Ansatz, den der Verein zur Förderung seelisch Behinderter e.V. in seinen Heimen in der {I.} ebenso wie in der {S.} verfolgt und der deshalb überzeugend ist , weil das Ziel dieses Ansatzes dahin geht, dass seelisch Behinderte in Heimen möglichst selbständig bleiben bzw. werden - wozu auch ein gewisser finanzieller Spielraum gehört - sich hiermit nicht in Einklang bringen lässt. Soll es danach gerade vermieden werden, dass Heimbewohner, die über eigene Einkünfte verfügen, einmalige Beihilfen in Anspruch nehmen müssen, so führt der Umstand, dass Renteneinkommen vom Sozialhilfeträger voll beansprucht wird, zum gegenteiligen Ergebnis. Hinzukommt, dass sowohl der Heimbewohner als auch der Sozialhilfeträger einen hohen Verwaltungsaufwand betreiben müssen, damit die einmaligen Bedarfe der Heimbewohner gedeckt werden können.
Es spricht also viel für eine Pauschalierung von Leistungen. Dem hat der Gesetzgeber auch Rechnung getragen. So geht § 21 Abs. 1 b BSHG davon aus, dass einmalige Leistungen pauschaliert werden können, denn dort ist geregelt, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über den Inhalt, den Umfang, die Pauschalierung und die Gewährung der einmaligen Leistungen regelt. Eine Rechtsverordnung nach dieser Bestimmung ist jedoch bislang nicht erlassen worden.
Die in § 101 a BSHG enthaltene sogen. "Experimentierklausel" lässt zu, dass die Pauschalierung weiterer Leistungen nach dem BSHG erprobt werden kann.
Auf eine Pauschalierung einmaliger Leistungen besteht jedoch nach der derzeitigen Rechtslage kein Rechtsanspruch. Die Kammer sieht sich angesichts dieses Befundes gehindert, die Beklagte durch die Belassung eines Freibetrages für einmalige Beihilfen im Ergebnis zu einer Pauschalierung zu verpflichten, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Dies wäre mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar. Die Entscheidung darüber, ob Leistungen pauschaliert werden, liegt nach der Gesetzessystematik des BSHG bei der Exekutive. Das Gericht kann diese Entscheidung nicht durch eine entsprechende Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs anstelle der Verwaltung treffen.
Es ist deshalb Sache des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe, Lösungen zu finden, die es erlauben, den konzeptionellen Ansatz des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter umzusetzen, indem zumindest bestimmte einmalige Leistungen pauschaliert werden. Dass das BSHG Gestaltungen zulässt, die Hilfeempfängern in Heimen größere Freiräume belassen, lässt sich auch § 21 Abs. 3 S. 5 BSHG entnehmen. Danach kann Hilfeempfängern mit Einkünften aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung oder aus Versorgungsbezügen des öffentlichen Dienstes oder mit sonstigem regelmäßigen Einkommen anstelle des im Einzelfalle maßgebenden Barbetrages ein entsprechender Teil dieser Einkünfte unberücksichtigt gelassen werden. Diese Vorschrift modifiziert die gängige und entmündigende Praxis, alle Einkommen der Hilfeempfänger einzuziehen ( so Roscher in LPK-BSHG, § 21 Rdnr. 78). Zwar gilt diese Vorschrift unmittelbar nur für den Barbetrag, sie macht aber die Tendenz des Gesetzgebers deutlich, Hilfeempfängern mit Einkünften einen größeren eigenen Spielraum zu belassen. Dem würde es entsprechen, das Einkommen des Heimbewohners nicht voll in Anspruch zu nehmen und dann einmalige Leistungen zu gewähren, sondern dem Hilfeempfänger den benötigten Teil des Einkommens von vornherein zu belassen. Ein solcher Weg wäre daher auch hinsichtlich pauschal gewährter einmaliger Leistungen denkbar. Eine Verpflichtung der Beklagten, auf diese Weise zu verfahren, kommt jedoch angesichts des ihr insoweit eingeräumten Ermessens nicht in Betracht.
Auf die Rechtsprechung des Niedersächsische Oberverwaltungsgerichts zur sogen. Verselbständigungspauschale kann sich die Klägerin nicht berufen. Das Nds. OVG hat in mehreren Entscheidungen bei seelisch Behinderten, die sich in einer Übergangseinrichtung befinden, die Belassung eines Freibetrages in Höhe von 150,-- DM als angemessen im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BSHG angesehen. Bereits in seinem Urteil vom 14.05.1986 (- 4 A 112/82 -, FEVS 37, 27 ff) hat das Nds. OVG hierzu ausgeführt, Hilfeempfängern in Übergangswohnheimen solle ein Geldbetrag zum selbstständigen Wirtschaften zur Verfügung stehen, damit das vornehmste Ziel der Hilfe erreicht werden könne, nämlich den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Nach der Konzeption von Übergangsheimen solle der Behinderte schon im Heim genügend wirtschaftlichen Freiraum haben, damit er in seinem engeren Lebenskreis eigenständige Entscheidungen fällen und sich so auf das Leben nach dem Ende der Hilfe einstellen könne. Fortgeführt hat das Nds. OVG diese Rechtsprechung durch seine Urteile vom 13.11.1991 (- 4 L 1977/91 -, FEVS 42, 464 ff.) und vom14.03.2001
(- 4 L 3920/00 -). Die Kammer versteht diese Entscheidungen ebenso wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht so, dass aus dem Freibetrag Gegenstände erworben werden sollen, die ein Heimbewohner nach dem Auszug aus dem Heim braucht, sondern dass ihm bereits im Heim ein Freibetrag zum selbständigen Wirtschaften verbleiben soll.
Die Klägerin lebt aber nicht in einem Übergangswohnheim. Anders als bei der Therapeutischen Wohngemeinschaft I in der {I.} in {L.} handelt es sich bei dem Wohnheim in der {K.} nicht um ein Übergangswohnheim. Dies ergibt sich eindeutig aus der Broschüre über das Wohnheim, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Gerichtsakte gereicht hat. Dort heißt es auf Seite 2 zum "Personenkreis", dass die Aufnahme in dieses Wohnheim in der Regel nach stationärer Behandlung in einer Psychiatrischen Klinik oder nach dem Aufenthalt im Übergangswohnheim erfolgt. Auf Seite 4 heißt es unter "Kooperation mit anderen Diensten", dass wichtige Partner des Wohnheimes Kliniken und Übergangswohnheime sind. Auf Seite 6 heißt es unter "Nachbetreuung", dass die Vorbereitung auf ein Leben in einer eigenen Wohnung zu den Eingliederungshilfemaßnahmen im Wohnheim gehören kann und dass für einige Bewohner daher der Auszug aus dem Wohnheim langfristig möglich sein werde.
Daraus folgt für die Kammer, dass die Rechtsprechung des Nds. OVG auf den hier zu entscheidenden Fall allenfalls dann übertragen werden kann, wenn die Klägerin tatsächlich auf ein Leben in einer eigenen Wohnung vorbereitet würde. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Die Klägerin war nach ihrem Aufenthalt in einem Pflegeheim ursprünglich im Übergangswohnheim in der {I.} untergebracht. Von dort ist sie in das Wohnheim in der {S.} übergewechselt, weil sie durch die Anforderungen eines
Übergangswohnheimes überfordert war. In dem im Tatbestand zitierten ärztlichen Begleitschreiben vom 04.11.1998 zum Antrag auf Erteilung eines Kostenanerkenntnisses für diese Wohngemeinschaft heißt es ausdrücklich, dass die Klägerin mit einer selbstständigen Lebensführung bis auf weiteres deutlich überfordert sei. Dem Entwicklungsbericht des Vereins zur Förderung seelisch Behinderter e.V. vom 13.10.2000 vermag das Gericht eine andere Tendenz nicht zu entnehmen. Dort ist zwar festgehalten, dass sich die Klägerin im Wohnheim langsam eingewöhnt hat und dies als Erfolg angesehen wird, jedoch auch, dass sie ihre Kompetenzen nur in sehr begrenztem Umfang erweitern konnte - dies wird auch aus der Formulierung deutlich, dass die Klägerin sich in den Bereichen Alltagsbewältigung und Selbstversorgung stark unselbstständig zeige- und noch nicht in der Lage sei, selbstständig außerhalb der beschützenden Einrichtung zu leben.
Da die Klägerin im Verfahren unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des nach § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen. Das Urteil war nach S 167 Abs. 2 VwGO wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils entweder durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt oder durch eine Rechtslehrerin oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten bei dem Verwaltungsgericht Hannover, Eintrachtweg 19, 30173 Hannover, schriftlich zu beantragen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamtinnen, Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristinnen oder Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen, Gebietskörperschaften auch durch Beamtinnen, Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils durch Einreichung einer Begründung bei dem Verwaltungsgericht schriftlich darzulegen.