Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.12.2011, Az.: 6 KLs 54/11

Verurteilung der Mitglieder eines Aufsichtsrates wegen täterschaftlicher Untreue bei halbjährlicher Beantragung der Auslagenerstattung

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
28.12.2011
Aktenzeichen
6 KLs 54/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 33816
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2011:1228.6KLS54.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Braunschweig - AZ: 413 Js 35695/10

Fundstelle

  • Konzern 2012, 146

Verfahrensgegenstand

Untreue

Redaktioneller Leitsatz

1.

Eine ausschließlich auf die Verletzung der §§ 93, 116 AktG abstellende Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals des § 266 Abs. 1 StGB ist nicht geeignet, die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung des Untreuetatbestands auf evidente Fälle pflichtwidrigen Handelns sicherzustellen und damit den Charakter des Untreuetatbestands als Vermögensdelikt zu bewahren.

2.

Ein strafrechtlich relevanter Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht im Sinne der §§ 116, 93 AktG erfordert angesichts des Umstandes, dass die Tätigkeit in der Regel nicht hauptamtlich angelegt ist, eines konkreten Anknüpfungspunktes.

In der Wirtschaftsstrafsache
...
hat die 6. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts in Braunschweig durch die unterzeichnenden Richter am 28.12.2011
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

1

I.

Mit Anklageschrift vom 24.08.2011 - 413 Js 35695/10 - wirft die Staatsanwaltschaft Braunschweig den Angeschuldigten I. und H. vor, sich in Braunschweig und anderen Orten in der Zeit von Dezember 2005 bis Juli 2009 gemäß §§ 266 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 StGB strafbar gemacht zu haben. Die Anklageschrift legt den Angeschuldigten den folgenden Sachverhalt zur Last:

"Der Angeschuldigte H. war vom September 2002 bis Juli 2006 Aufsichtsratsvorsitzender der Nordzucker AG, Braunschweig, und bis Juli 2010 Mitglied des Aufsichtsrats. Der Angeschuldigte Dr. I. war seit dem 10.09.2004 Mitglied des Aufsichtsrats der Nordzucker AG und von Juli 2006 bis Juli 2011 dessen Vorsitzender.

Für ihre Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglieder erhielten die Angeschuldigten sowie die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats eine Vergütung, welche in § 14 der Satzung der Nordzucker AG in der von 2001 bis Juli 2009 geltenden Fassung geregelt ist. Danach erhielten die Aufsichtsratsmitglieder neben einer festen und einer variablen Vergütung sowie der Erstattung von Auslagen auch ein Sitzungsgeld. Die Regelung zum Sitzungsgeld in § 14 Abs. 3 lautete: "Jedes Mitglied des Aufsichtsrats erhält für die Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats oder seiner Ausschüsse ein Sitzungsgeld in Höhe von EUR 150,-- pro Tag."

In den Geschäftsjahren bzw. Kalenderjahren ab Juli 2005 bis Februar 2009 fanden insgesamt 101 Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse statt. Der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse tagten im zweiten Halbjahr 2005 9 mal, im ersten Halbjahr 2006 22 mal, im zweiten Halbjahr 2006 12 mal, im ersten Halbjahr 2007 16 mal, im zweiten Halbjahr 2007 11 mal, im ersten Halbjahr 2008 16 mal, im zweiten Halbjahr 2008 11 mal und im Zeitraum Januar 2009 bis 28.02.2009 5 mal.

Tatsächlich erhielten die Mitglieder des Aufsichtsrates nicht nur für diese Sitzungen ein Sitzungsgeld i.H.v. 150,- EUR, sondern auch für eine Vielzahl weiterer Termine. Insgesamt zahlte die Nordzucker AG 819 mal zu viel Sitzungsgeld i.H.v. jeweils 150,- EUR aus. Dadurch wurde an die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder insgesamt eine Summe von 122.850,- EUR zu.U.nrecht ausgezahlt. Auf die einzelnen Abrechnungszeiträume entfielen dabei 18.300,- EUR auf das 2. Halbjahr 2005, 14.250,- EUR auf das 1. Halbjahr 2006, 14.550,- EUR auf das 2. Halbjahr 2006, 17.100,- EUR auf das 1. Halbjahr 2007 14.400,- EUR auf das 2. Halbjahr 2007, 21.750,- EUR auf das 1. Halbjahr 2008, 17.100 EUR auf das 2. Halbjahr 2008 sowie 5.400,- EUR auf den Zeitraum 1.1. bis 28.02.2009.

Die Abrechnung der Sitzungsgelder erfolgte kalenderhalbjährlich, jeweils im Januar und Juli durch die gesondert verfolgte S.. Zu diesem Zweck versandte Frau S. an die jeweils 20 Aufsichtsratsmitglieder eine bereits mit den Terminen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse versehene Tabelle, auf der von den jeweiligen Aufsichtsratsmitgliedern zu ergänzen war, an welchem der Termine sie teilgenommen und wie viele Kilometer sie dafür zurückgelegt hatten.

Die Angeschuldigten H. und Dr. Harald I. sowie die übrigen gesondert verfolgten Aufsichtsratsmitglieder füllten die Tabelle aus und ergänzten diese um eine Vielzahl weiterer Termine, welche keine Sitzung des Aufsichtsrates oder seiner Ausschüsse darstellten, wie zum Beispiel Gespräche mit Vorständen der Nordzucker AG, Anreisetage vor Sitzungen, Teilnahme an der Grünen Woche, Teilnahme an einer Grundsteinlegung.

Die Angeschuldigten H. und Dr. I. nahmen als Aufsichtsratsvorsitzende Einfluss auf die Abrechnung und Auszahlung der Sitzungsgelder. Sie waren für Frau S. u.a. Ansprechpartner für Rückfragen zu den Terminen. Sie gaben dieser wie weisungsbefugte Vorgesetzte gezielt Anweisung, welche Termine mit einem Sitzungsgeld abzurechnen waren und welche nicht.

Sie selbst gaben in ihren Abrechnungen eine Vielzahl von Terminen an, von denen sie wussten, dass es sich dabei nicht um Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse handelt. Durch die Rückfragen von Frau S. wussten sie, dass auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder Termine angegeben haben, die nicht unter die Regelung der Satzung fielen.

Dadurch verstießen die Angeschuldigten gegen ihre Pflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG i.V.m. §§ 116, 93 AktG, die Vermögensinteressen der Nordzucker AG zu schützen. Durch die rechtsgrundlose Auszahlung des Geldes wurde das Vermögen der Nordzucker AG um 122.850,- EUR vermindert.

Die Angeschuldigten kannten die Satzung der Nordzucker AG und die Bestimmungen zur Vergütung ihrer Tätigkeit. Sie wussten, dass die von ihnen abgerechneten und erhaltenen Sitzungsgelder nicht mit der Satzung übereinstimmten.

Sie nahmen bewusst und gezielt Einfluss auf die Abrechnungspraxis bei der Nordzucker AG. Durch dieses Vorgehen schalteten sie die vom AktG vorgesehene Kontrolle faktisch aus.

Durch die Tat verschafften sich die Angeschuldigten eine laufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer.

Der Angeschuldigte H. erhielt für den Zeitraum Juli 2005 bis Februar 2009 insgesamt 21.450,- EUR zu.U.nrecht. Beim Angeschuldigten Dr. Harald I. waren es im selben Zeitraum 40.500,- EUR.

Insgesamt bewirkten die Angeschuldigten durch ihr Verhalten einen Vermögensschaden der Nordzucker AG in Höhe von 122.850,- EUR."

2

II.

Die Nichteröffnung des Hauptverfahrens erfolgt aus Rechtsgründen, § 204 Abs. 1 Alt. 2 StPO. Nach dem Sachverhalt, der Gegenstand der Anklageschrift ist, erfüllt das Verhalten der Angeschuldigten nicht den objektiven Tatbestand der Untreue.

3

Ausgehend von dem der Anklageschrift zugrundeliegenden Sachverhalt kommt eine Verurteilung der Angeschuldigten wegen täterschaftlicher Untreue nicht in Betracht. Die halbjährliche Beantragung der Auslagenerstattungen stellt jeweils eine aktienrechtswidrige Handlung dar, aus der der Gesellschaft Nachteile entstanden sind (hierzu näher unter II. 1.). Die Angeschuldigten traf im Zusammenhang mit der Erstattung dieser Gelder jedoch nicht die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen (II. 2.). Eine Strafbarkeit der Angeschuldigten kommt auch nicht unter dem Aspekt einer Teilnahme an Untreuehandlungen anderer Organe der Nordzucker AG in Betracht. Den Vorstand der Nordzucker AG trifft im Bereich der Vergütung des Aufsichtsrates zwar eine entsprechende Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft, jedoch haben die Mitglieder des Vorstands diese im vorliegenden Fall nicht in solchem Umfang verletzt, dass eine Pflichtwidrigkeit i.S.d.§ 266 StGB vorläge. Es fehlt an einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat des Vorstands, die die Angeschuldigten gefördert haben könnten (II. 3.).

4

1.

In rechtlicher Hinsicht können die Angeschuldigten allein den Treubruchtatbestand gem. § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht haben, denn sie waren bereits aufgrund ihrer gesetzlichen Funktion als Mitglieder des Aufsichtsrates im Hinblick auf ihre eigenen Vergütungsangelegenheiten nicht in der Position, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten,§ 112 AktG.

5

Bei jeder Übersendung der ausgefüllten Antragsformulare an die Abteilung Corporate Legal der Nordzucker AG wäre - bei Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen - entgegen der rechtlichen Bewertung in der Anklageschrift eine neue Tat des jeweiligen Aufsichtsratsmitgliedes i.S.d. § 266 StGB gegeben, § 53 Abs. 1 StGB. Die Anweisung der Gelder erfolgte alle sechs Monate. Die Abteilung Corporate Legal der Nordzucker AG, die dem Vorstand untersteht, übersandte den Mitgliedern des Aufsichtsrates hierzu nach Ablauf eines halben Jahres eine E-Mail mit der Überschrift "Es ist Zeit für Ihre Spesenabrechnung" und dem Zusatz "Tragen Sie bitte Ihre Sitzungstermine in der beigefügten Tabelle ein". Die E-Mails enthielten eine Tabelle u.a. mit den Feldern Datum, Sitzung und Ort. Eingetragen waren hierin bereits sämtliche Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse. Die Tabelle enthielt unter "Weitere" leere Zeilen, in die weitere Veranstaltungen eingetragen werden konnten. Dies taten die Angeschuldigten, obwohl es sich bei den "weiteren" Veranstaltungen nicht um Sitzungen des Aufsichtsrates oder seiner Ausschüsse handelte.

6

Jede Übersendung eines Antrages stellt sich als neue Handlung dar, jede darauf folgende Zahlungsanweisung als Zäsur (vgl. zur Abgabe mehrerer Steuererklärungen BGH, Urteil vom 28.10.2004 - 5 StR 276/04, wistra 2005, 30 [BGH 28.10.2004 - 5 StR 276/04]). Zwischen den einzelnen Anträgen bestand kein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit. Da jedem Erstattungsantrag eine neue Prüfung des Antragstellers vorausging, kann auch nicht von einem einheitlichen Tatentschluss ausgegangen werden, der ggf. Idealkonkurrenz begründen könnte.

7

Im Hinblick auf jedes Aufsichtsratsmitglied ist sodann selbständig zu prüfen, welcher Nachteil i.S.d.§ 266 StGB entstanden ist. Dies dürfte nur die Überzahlung sein, die aufgrund der individuellen halbjährlichen Anträge des jeweiligen Aufsichtsrates entstanden ist. Nur insoweit - und nicht in Höhe der gesamten Überzahlung von 122.580,00 EUR - wäre ein Vermögensschaden dem Handeln der jeweiligen Mitglieder des Aufsichtsrates auch zurechenbar.

8

Für den Zeitraum Dezember 2005 bis Juli 2009 verstieß die Auszahlung der Gelder, soweit es sich nicht um Sitzungsgelder für Sitzungen des Aufsichtsrates oder seiner Ausschüsse i.S.d. § 14 Abs. 3 der Satzung der Nordzucker AG in der damals gültigen Fassung handelte, gegen die Satzung. Den Mitgliedern des Aufsichtsrates konnte gem. § 113 Abs. 1 AktG für eine Tätigkeit eine Vergütung auf Grundlage der Satzung oder durch Beschluss der Hauptversammlung gewährt werden. Die Angeschuldigten erhielten eine feste Vergütung, eine variable Vergütung, Sitzungsgeld sowie eine Aufwandsentschädigung (§ 14 Abs. 4 der Satzung). Hiervon waren die Überzahlungen nicht gedeckt. Sie konnten auch nicht durch eine seit dem Jahr 2001 bestehende Praxis oder Übung innerhalb der Gesellschaft gerechtfertigt werden, § 113 Abs. 1 S. 2 AktG.

9

Die Angeschuldigten erlangten durch ihre Anträge objektiv etwas ihnen nicht Zustehendes, was ihnen entgegen den Bestimmungen der Satzung ausgezahlt wurde. Dies wurde vom Vorstand nicht beanstandet oder verhindert. Die Anweisung der Gelder, die keine Sitzungsgelder im Sinne von § 14 Abs. 3 der Satzung darstellten, löste einen verschuldensunabhängigen Rückzahlungsanspruch gegenüber den betreffenden Aufsichtsratsmitgliedern aus. Die Angeschuldigten haben die überzahlten Beträge gegenüber der Nordzucker AG nach Aufforderung der Gesellschaft zwischenzeitlich im vollen Umfang ausgeglichen. Die Erstattung überstieg die in der Anklageschrift jeweils zugrunde gelegten Schadenssummen, da die Angeschuldigten auch Überzahlungen in strafrechtlich verjährter Zeit vor dem Jahre 2005 ausgeglichen haben. Weder das Entstehen dieses zivilrechtlichen Anspruchs, noch sein Ausgleich rechtfertigen die Überzahlung im strafrechtlichen Sinne. Es handelt sich um Vermögensnachteile i.S.d. § 266 StGB. Diese wurden auch durch die spätere Änderung der Satzung der Nordzucker AG im Juni 2009 nicht rückwirkend legalisiert. Nach der Neufassung der Satzung erhält jedes Mitglied des Aufsichtsrates ab dem Geschäftsjahr 2009/2010 für die Teilnahme an Terminen in seiner Funktion als Mitglied des Aufsichtsrats 300,- EUR pro Termin. Das Geschäftsjahr begann am 01.03.2009.

10

Ein näheres Eingehen auf diese Rechtsfragen wie auch auf die weiteren Fragen des Tatvorsatzes der Angeschuldigten oder das Vorliegen eines besonders schweren Falles der Untreue erübrigt sich, da es im Hinblick auf die Angeschuldigten bereits an einem weiteren objektiven Tatbestandsmerkmal fehlt.

11

2.

Die Angeschuldigten traf als Mitglieder des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit der Auszahlung von Sitzungsgeldern an sie selbst keine eigene Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Nordzucker AG.

12

Bei einer Aktiengesellschaft bestimmen sich Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflichten der Organe grundsätzlich nach Maßgabe der §§ 76, 93, 116 AktG. Die den Organen einer Aktiengesellschaft angehörenden Personen haben die rechtlichen Pflichten und Vorgaben der Rechtsordnung einzuhalten. Gesetzesverstöße können zivilrechtliche Rechtsfolgen begründen. Eine allein auf die Verletzung der §§ 93, 116 AktG abstellende Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals des § 266 Abs. 1 StGB ist jedoch nicht geeignet, die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung des Untreuetatbestands auf evidente Fälle pflichtwidrigen Handelns sicherzustellen und damit den Charakter des Untreuetatbestands als Vermögensdelikt zu bewahren. Eine derartige Beschränkung ist auch angesichts der Unbestimmtheit des Tatbestandes geboten (BGH, Beschluss vom 13.09.2010 - 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, Rz. 37).

13

Eine Strafbarkeit der Angeschuldigten kommt mangels eigener Vermögensbetreuungspflicht weder durch Handeln, noch durch Unterlassen als Beschützergaranten zugunsten des Gesellschaftsvermögens (Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1510), noch als Überwachergaranten zugunsten der Gesellschaft gegenüber vermögensschädigenden Handlungen des Vorstands (Tiedemann, Tröndle-FS, S. 322) in Betracht. Die Angeschuldigten traf eine Vermögensbetreuungspflicht als Mitglieder des Aufsichtsrates nur in Ausübung ihrer gesetzlich festgelegten Funktion in dem in der Satzung konkretisierten Aufgabenbereich. Aufsichtsratsmitglieder sind im Allgemeinen Träger von Vermögensbetreuungspflichten gegenüber der Gesellschaft, da ihnen mit der Überwachung der Geschäftsführung gemäß §§ 76, 111 AktG organisationsinterne Leitungs- und Kontrollbefugnisse mit umfassender Entscheidungsfreiheit und Selbstständigkeit zugewiesen sind (Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1505). Im Rahmen der Überwachung nach § 111 AktG hat der Aufsichtsrat im Wesentlichen die Leitungsmaßnahmen des Vorstands zu prüfen, dagegen nicht jede Geschäftsführung im Sinne des § 77 AktG. Entscheidend ist, ob die jeweilige Maßnahme des Vorstands weitreichende Konsequenzen für die Zukunft des Unternehmens haben könnte, vgl. § 90 Abs. 1 AktG (Krause, NStZ 2011, 57, 58; Leipold, Mehle-FS, S. 348). Im Rahmen seiner Überwachungspflicht kann der Aufsichtsrat präventiv oder auch vergangenheitsbezogen Entscheidungen des Vorstands überprüfen. Ihm obliegt in diesem Rahmen auch die Personalkompetenz über den Vorstand (§ 84 AktG) und die Befugnis, diesem eine Geschäftsordnung zu geben (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG). Stellt der Aufsichtsrat eine grobe Pflichtverletzung von Vorstandsmitgliedern fest, hat er die Möglichkeit der Abberufung nach§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG. Außerdem hat der Aufsichtsrat die Möglichkeit, sich die Zustimmung zu einzelnen Maßnahmen vorzubehalten, § 111 Abs. 4 S. 2 AktG (vgl. Leipold a.a.O., S. 357; Krause a.a.O., S. 59). Im Rahmen seiner überwachenden Tätigkeit ist der Aufsichtsrat ausschließlich den Interessen der Gesellschaft verpflichtet (Krause, Hamm-FS, S. 349). Seine Mitglieder trifft daher die aktienrechtliche Pflicht, den Vorstand nicht zu rechtswidrigem oder die Gesellschaft schädigendem Handeln zu veranlassen (BGH, Urteil vom 21.12.1979 - II ZR 244/78, NJW 1980, 1629).

14

Nach §§ 116, 93 AktG trifft Aufsichtsräte im Wesentlichen die gleiche Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Vorstandsmitglieder. Jedes Mitglied hat dafür zu sorgen, dass die dem Aufsichtsrat übertragenen Zuständigkeiten und Aufgaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Überwachers und Beraters wahrgenommen werden (Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 3. A., S. 748). Ein strafrechtlich relevanter Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht im Sinne der §§ 116, 93 AktG bedarf angesichts des Umstandes, dass die Tätigkeit in der Regel nicht hauptamtlich angelegt ist, eines konkreten Anknüpfungspunktes (Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1508). Bei Vergütungsentscheidungen gilt der Maßstab des § 87 AktG, wonach die Bezüge der Vorstandsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen müssen. Im angeklagten Zeitraum galt § 87 AktG in der ab dem 01.01.1999 gültigen Fassung, die Anforderungen wurden mit Wirkung zum 05.08.2009 (Gesetz vom 31.07.2009) verschärft.

15

In Vergütungsfragen ist anerkannt, dass Mitglieder des Aufsichtsrates bei Entscheidungen im Hinblick auf die Vergütung der Vorstandsmitglieder, die nach § 87 AktG erfolgt, vermögensbetreuungspflichtig sind und sich nach § 266 Abs. 1 StGB strafbar machen können (BGH, Urteil vom 21.12.2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, Rz. 13). Demnach haben die Mitglieder des Aufsichtsrates nach den Vorgaben des Aktienrechts den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Nachteile von ihr abzuwenden. Indes hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass nicht jede Vergütungsentscheidung, die im Ergebnis zu einer Schädigung der AG führt, eine Pflichtverletzung darstellt. Eine Pflichtverletzung ist ausgeschlossen, solange die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, eingehalten werden (BGHSt 50, 331, Rz. 15).

16

Die Angeschuldigten haben durch ihre Anträge auf Gewährung von Sitzungsgeld eine satzungswidrige Praxis ausgenutzt, die durch den Vorstand nicht unterbunden wurde. Dieses Verhalten ist von Entscheidungen des Aufsichtsrates abzugrenzen, die sich als Ausübung seiner gesetzlichen Hauptpflichten (vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage, Rdz. 36 m.w.N.) darstellen und nicht lediglich sogenannte Organnebenpflichten (Tiedemann, Tröndle-FS, S. 327) betreffen. Der - in vielen Varianten denkbare - Verstoß gegen aktienrechtliche Pflichten ist in diesem Zusammenhang nur eine erste, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 266 StGB (Kutzner, NJW 2006, 3541, 3543; Schünemann, NStZ 2006, 196, 199).

17

Bei Entscheidungen, die die Vergütung des betreffenden Organs selbst betreffen, scheidet eine eigene Vermögensbetreuungspflicht des Organs aus. Dies hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich für die Vorstandsvorsitzenden einer AG entschieden, soweit Entscheidungen getroffen werden, die im weitesten Sinne die Bezüge der Vorstandsmitglieder betreffen. Diese sind dem Aufsichtsrat in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesen (§ 87 und 112 AktG). Die Vermögensinteressen von Gesellschaft und Vorstandsmitglied sind in dieser Konstellation nicht gleichgerichtet, sondern typischerweise entgegengesetzt. Insoweit trifft Vorstandsmitglieder keine Pflicht zur Betreuung der Vermögensinteressen der Gesellschaft, auch wenn sie faktische Einwirkungsmöglichkeiten auf die entsprechenden Beschlüsse des Aufsichtsrates haben (BGHSt 50, 331, Rz. 80).

18

Nichts anderes kann nach Überzeugung der Kammer für Entscheidungen oder Tätigwerden von Aufsichtsratsmitgliedern gelten, soweit deren Vergütung und deren Auslagenerstattung betroffen sind. Die Beantragung und Annahme der überhöhten Auslagenerstattungen im vorliegenden Fall sind im weiteren Sinne mit dem Fall vergleichbar, in dem ein Aufsichtsratsmitglied unter Verstoß gegen das Aktienrecht Leistungen der Gesellschaft annimmt. Dies sind beispielsweise die Annahme einer überhöhten, die Angemessenheitsgrenze des § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG übersteigenden Vergütung, Entgelte im Rahmen von nicht genehmigten Dienst- oder Werkverträgen nach§ 114 AktG oder die Entgegennahme eines nicht den Anforderungen des § 115 AktG entsprechenden Kredites. Selbst der formelle Verstoß gegen diese Normen begründet nur eine Verletzung von Organnebenpflichten und nicht von Vermögensbetreuungspflichten (Zech, Untreue durch Aufsichtsratmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. 2007, S. 285). Das Mitglied des Aufsichtsrates wird im Zusammenhang mit der Annahme solcher Leistungen nicht in seinem ihm übertragenen Aufgabenkreis als Treunehmer tätig, sondern es tritt der Gesellschaft als Vertragspartner gegenüber, das mit der Gesellschaft Rechtsgeschäfte abschließt. (Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Auflage, S. 420, Dittrich, Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen, Diss. 2007, S. 192; Tiedemann, Tröndle-FS, S. 327, Zech, S. 286). In dieser Konstellation ist es einem Aufsichtsratsmitglied nicht möglich, gegen die Pflicht, fremde Vermögensinteressen zu betreuen, zu verstoßen. Die Angeschuldigten wurden bereits nicht in ihrer Funktion als Treunehmer tätig. Sie mögen allgemeine Schuldnerpflichten im Außenverhältnis verletzt haben, diese Pflichten waren indes nicht dazu bestimmt, konkret das Vermögen das Nordzucker AG im Innenverhältnis zu schützen.

19

Der hier zu beurteilende Sachverhalt bietet keinen Anlass, eine Ausnahme von diesem Grundsatz anzunehmen. Selbst für den Fall, dass die Angeschuldigten in Fragen ihrer eigenen Sitzungsgelderstattung einen faktischen Einfluss auf die Mitarbeiterin der Abteilung Corporate Legal, Frau S., ausübten, ändert dies nichts an ihrer fehlenden Vermögensbetreuungspflicht. Hierbei handelte es sich nicht um organspezifisches Fehlverhalten.

20

3.

Auch eine Strafbarkeit der Angeschuldigten wegen Anstiftung oder Beihilfe im Hinblick auf Untreuehandlungen des Vorstandes der Nordzucker AG scheidet aus. Die Vorstandsmitglieder der Nordzucker AG sind Inhaber einer entsprechenden Vermögensbetreuungspflicht, indes scheidet eine strafrechtlich relevante Verletzung dieser Pflicht nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt aus. Damit fehlt es bereits an einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat, die die Angeschuldigten als Mitglieder des Aufsichtsrates durch ihr Handeln gefördert haben könnten. Dies gilt unabhängig davon, ob über den aktienrechtlichen Verstoß hinaus noch eine gravierende Pflichtverletzung des jeweiligen Organs für erforderlich erachtet wird.

21

a)

In Vergütungsangelegenheiten des Aufsichtsrates trifft die Mitglieder des Vorstands eine Vermögensbetreuungspflicht, denn Vorstände sind nach §§ 76, 93 AktG gegenüber der Gesellschaft vermögensbetreuungspflichtig (BGH, Urteil vom 17.09.2009 - 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148, Rz. 36; Fischer, StGB, § 266 Rz. 48 m.w.N.). Die Auszahlung an die Angeschuldigten ist erfolgt, ohne dass die Mitglieder des Vorstandes hiergegen einschritten. Unter Zugrundelegung der allgemeinen Pflicht der Vorstandsmitglieder, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und satzungswidrige Auszahlungen zu verhindern, käme in diesem Zusammenhang grundsätzlich eine eigene Strafbarkeit der Mitglieder des Vorstands in Form der Täterschaft in Betracht.

22

Indes erfüllt auch dies Verhalten den objektiven Tatbestand der Untreue nicht. Nicht jeder aktienrechtliche Pflichtverstoß stellt eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB dar. Der Bundesgerichtshof hat in der sogenannten Sponsoring-Entscheidung (BGH, Urteil vom 06.12.2001 - 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187, Rz. 34) für den Fall der Zuwendungsvergabe klargestellt, dass für eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 StGB nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung genügt, diese muss vielmehr gravierend sein. Ob eine Pflichtverletzung gravierend ist, bestimmt sich aufgrund einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien. Bedeutsam sind dabei: Fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich Verfolgung rein persönlicher Präferenzen. Eine Kreditvergabe nach den Regeln des KWG ist nach zwei weiteren Entscheidungen des BGH (BGH, Urteil vom 15.11.2001 - 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148, Rz. 55; Urteil vom 06.04.2000 - 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30, Rz. 15) nur dann nach § 266 StGB strafbar, wenn die Entscheidungsträger bei der Vergabe ihre bankübliche Informations- und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers gravierend verletzt haben. Ob die Pflichtverletzung gravierend ist, bestimmt sich aufgrund einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien.

23

Unter Anwendung dieser Gesamtbetrachtungslehre kommt eine Strafbarkeit der Vorstandsmitglieder der Nordzucker AG gem. § 266 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit der Erstattung der Sitzungsgelder mangels gravierender Pflichtverletzung nicht in Betracht. Die Gewährung der Gelder erfolgte ohne satzungsmäßige Rechtfertigung, jedoch war sie durchaus im Unternehmensinteresse. Die Zahlungen gefährdeten weder den Bestand, noch die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft. Die Auslagenerstattung erfolgte mit Nähe zum Unternehmensgegenstand, denn die Angeschuldigten rechneten lediglich Sitzungsgelder ab, die sie in ihrer Funktion als Aufsichtsratsmitglieder wahrnahmen. Eine Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage der Gesellschaft kann in den Erstattungen von 150,00 EUR pro Sitzungstag nicht gesehen werden. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass bei Neufassung der Satzung nunmehr ein pauschales Sitzungsgeld von 300,00 EUR beschlossen wurde. Ebenso wenig handelt es sich bei der Gewährung der Auslagen um ein Handeln aus sachwidrigen Motiven.

24

Ein Verstoß gegen die innerbetriebliche Transparenz liegt im Ergebnis ebenso wenig vor. Auch andere Mitglieder des Aufsichtsrates rechneten auf diese Weise ab. Der Vorstand hatte Gelegenheit, sich zu informieren. Schließlich war es auch den Aktionären möglich, die Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse dem Bericht des Aufsichtsrates zu entnehmen und diese mit den gewährten Sitzungsgeldern zu vergleichen, die sich aus den Jahresabschlüssen ergaben. Letztlich führten ein solcher Abgleich durch einen Aktionär und dessen Strafanzeige dazu, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Angeschuldigten eingeleitet wurde.

25

b)

Selbst für den Fall, dass das Kriterium eines gravierenden aktienrechtlichen Pflichtverstoßes im Sinne der Rechtsprechung zu Risikogeschäften nicht auf diesen Sachverhalt übertragen wird, gelangt die Kammer nicht zu einer i.S.d. § 266 StGB relevanten Pflichtwidrigkeit der Vorstandsmitglieder.

26

Die Übertragung der Kriterien aus den Kreditvergabe- und Sponsoring-Entscheidungen auf Fälle der Untreue außerhalb von risikobehafteten unternehmerischen Prognoseentscheidungen ist auf Kritik gestoßen (vgl. Schilha, Die Aufsichtsratstätigkeit in der Aktiengesellschaft im Spiegel strafrechtlicher Verantwortung, Diss. 2008, S. 291). Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 21.12.2005 - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, Rdz. 33) hat in der sog. Mannesmann-Entscheidung das Kriterium der gravierenden Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Auslegung des § 266 StGB nicht für allgemeingültig erklärt. Vielmehr folgt die Pflichtwidrigkeit i.S.d.§ 266 StGB jedenfalls bei Entscheidungen, in denen den vermögensbetreuungspflichtigen Organen überhaupt kein Handlungsspielraum bleibt, bereits unmittelbar aus dem aktienrechtlichen Verstoß (BGH a.a.O., Rz. 38; Kubiciel, NStZ 2005, 353). Die Entscheidung des 3. Strafsenats hatte eine Zuerkennung von Prämien zum Gegenstand, die für das zu betreuende Vermögen der Mannesmann AG ausschließlich nachteilige Wirkungen hatte. Ein irgendwie gearteter Vorteil für die Gesellschaft war damit nicht verbunden, so dass der Handlungsspielraum des Vorstands auf Null reduziert war.

27

Die Satzung der Nordzucker AG sah eine Auszahlung der gewährten Gelder nicht vor, so dass hieraus formell eine Reduzierung des Ermessens des Vorstands auf Null folgte. Indes wies die Gewährung der Auslagen im vorliegenden Fall die Besonderheit auf, dass diese Form der Aufwandsentschädigung seit dem Jahr 2001 praktiziert und im Jahr 2009 satzungsmäßig legalisiert wurde. Laut der seit dem Geschäftsjahr 2009 geltenden Fassung wird den Mitgliedern des Aufsichtsrates nunmehr ein Sitzungsgeld von 300,00 EUR für die Teilnahme an (jeglichen) Terminen in ihrer Funktion als Mitglieder des Aufsichtsrates gewährt. Die Angeschuldigten beantragten keine Erstattungen für Termine, die nicht im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Aufsichtsräte standen. Vielmehr wiesen die in der Anklageschrift dokumentierten Veranstaltungen stets einen Unternehmensbezug auf. Dafür, dass hiermit nicht auch jeweils ein Unternehmensnutzen verbunden war, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Gewährung der nicht unangemessen hohen Sitzungspauschalen lief den Interessen der Gesellschaft trotz der entgegenstehenden Fassung der Satzung damit nicht zuwider.

28

Bereits der Schadensersatzanspruch gegenüber Vorstandsmitgliedern infolge Pflichtverletzungen aus § 93 Abs. 2 AktG erfordert, dass das Organ die Grenzen seines unternehmerischen Leitungsermessens überschreitet (BGH, Urteil vom21.04.1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, Rz. 25). Auch in diesem Zusammenhang kann im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht jede Pflichtverletzung strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Der 1. Strafsenat hat in diesem Zusammenhang gefordert, dass eine den Tatbestand des § 266 StGB begründende gesellschaftsrechtliche Pflichtwidrigkeit erst vorliegt, wenn die - weit zu ziehenden - äußersten Grenzen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit überschritten und damit eine Hauptpflicht gegenüber dem zu betreuenden Unternehmen verletzt wird (BGH, Urteil vom 22.11.2005 - 1 StR 571/04, wistra 2006, 105, Rz. 22). Bei dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit handelt es sich nicht um eine bloße Blankettverweisung auf zivil- oder öffentlichrechtliche Vorschriften, sondern um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal. Gerade vor dem Hintergrund der Vielzahl denkbarer gesellschaftsrechtlicher Verstöße ist in Fällen wie dem vorliegenden eine normative Einschränkung des Tatbestandes des § 266 StGB auf eindeutige Fälle geboten. Diese kann etwa in der Form erfolgen, dass jede wirtschaftlich sinnvolle oder vertretbare Vermögensminderung der Gesellschaft als legitim (nicht pflichtwidrig) hingenommen und nur eindeutig unvertretbares Verhalten als pflichtwidrig angesehen wird (Tiedemann, Tröndle-FS, S. 328; Rönnau, NStZ 2004, 113, 118). Auch ein der Gesellschaft finanziell nachteiliges Handeln stellt dann keine Pflichtwidrigkeit dar, wenn damit in verantwortungsvoller Weise andere Zwecke der Gesellschaft verfolgt werden, mögen sie sie sich auch nicht hinreichend aus der Satzung ergeben (Geerds, Otto-FS, S. 570). Eine solche Auslegung entspricht auch den Ausführungen des 1. Strafsenats im Urteil vom 13.09.2010, wonach es bereits von Verfassungs wegen geboten ist, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken (1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, Rz. 55 m.w.N.). Einen solchen wirtschaftlich unvertretbaren bzw. evidenten Verstoß vermag die Kammer im Handeln der Vorstandsmitglieder aus den angeführten Gründen nicht zu erblicken.

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III.

Eine Entscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG ist nicht veranlasst. Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung sind andere Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG. Indes verpflichtet nur der Vollzug solcher Maßnahmen zu einer Entschädigung, nicht schon ihre Anordnung. In dieser Sache wurde im Zuge des Ermittlungsverfahrens eine Sicherstellung gem. § 94 Abs. 1 StPO in Bezug auf Unterlagen der Gesellschaft, die nicht Beschuldigte ist, vollzogen. Gegenüber den Angeschuldigten fehlt es dem Grunde nach an einer Entschädigungspflicht für diese Maßnahme.

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Das Ermittlungsverfahren gegen die Angeschuldigten und andere Personen wurde am 27.07.2010 eingeleitet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 31.08.2010 (3 Gs 1983-1984/10) wurde gem. §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung der Wohn-, Geschäfts- und Lager- sowie anderer Räume einschließlich der Personen und der Kraftfahrzeuge der Angeschuldigten selbst angeordnet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 01.09.2010 (3 Gs 1985/10) wurde gem. §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Geschäfts- und Lagerräume mit allen Nebenräumen und des sonstigen Besitztums der Nordzucker AG angeordnet. Bei Aufsuchen der Geschäftsräume der Nordzucker AG am 28.09.2010 händigten der Vorstandsvorsitzende sowie der Leiter der Rechtsabteilung den Ermittlungspersonen die gewünschten Unterlagen freiwillig aus, eine Durchsuchung oder Beschlagnahme fand nicht statt. Auf einen Vollzug des Beschlusses vom 31.08.2010 betreffend die privaten Räume der Angeschuldigten wurde noch am gleichen Tage verzichtet.

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IV.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 464, 467 Abs. 1 StPO.

Dreyer
Wiemerslage, LL.M
Behrendt