Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 12.12.2011, Az.: 5 Qs 301/11

Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung des Angeklagten im Sinne des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO; Berücksichtigung einer Besorgnis der Unfähigkeit eines Angeklagten zur Selbstverteidigung; Weitere Berücksichtigung eines unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt stehenden Angeklagten i.R.d. Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
12.12.2011
Aktenzeichen
5 Qs 301/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 32709
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2011:1212.5QS301.11.0A

Fundstelle

  • StRR 2012, 42

Amtlicher Leitsatz

Die Kumulation eines drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten können dazu führen, dass die Verteidigung des Ange klagten notwendig i.S.d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist.

In der Strafsache gegen pp. Verteidiger: Rechtsanwalt Karsten Krause, Friedrich-Ebert-Str. 20a, 38440 Wolfsburg, wegen Diebstahls wird der Beschluss des Amtsgericht Goslar vom 10.10.2011 - Az.:xxxxx- auf die Beschwerde des Angeklagten vom 10.11.2011 insoweit auf- gehoben, als darin der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt wurde.

Tenor:

Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt Krause, Friedrich- Ebert-Str. 20 a, 38440 Wolfsburg als Pflichtverteidiger beigeordnet

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

I.

Dem Angeklagten wird in der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 05.09.2011 zur Last gelegt, in einem Geschäft in Goslar am 24.06.2011 Waren in einem Wert von 56,48 Euro gestohlen zu haben.

2

Der erheblich - auch einschlägig - strafrechtlich vorbelastete Angeklagte wurde zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 11.11.2010 - xxxxxx- wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit dauert an.

3

Der Angeklagte steht unter Betreuung. Der Aufgabenkreis der Betreuung umfasst insbesondere Rechtsantrags- und Behördenangelegenheiten. Willenserklärungen in dieser Angelegenheit stehen unter Einwilligungsvorbehalt des Betreuers Rechtsan- walt x. aus y.

4

Mit angefochtenem Beschluss vom 10.10.2011 hat das Amtsgericht Goslar die An klage der Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Zugleich hat das Amtsgericht den Antrag des Angeklag ten auf Beiordnung des Rechtsanwalts Krause als Pflichtverteidiger abgelehnt.

5

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.

6

Die Staatsanwaltschaft hat zu der Beschwerde Stellung genommen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Bad Gandersheim - Betreuungsgericht - vom 13.05.2011, die Beschwerdeschrift vom 10.11.2011 sowie die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 05.12.2011 inhaltlich Bezug genommen und verwiesen.

7

II.

Die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung des Rechtsanwalts Krause als Pflichtverteidiger hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss war insoweit - wie erkannt - teilweise aufzuheben und dem Angeklagten Rechtsanwalt Krause als Pflichtverteidiger beizuordnen.

8

Zwar ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Straferwartung im Hinblick auf die Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat unmittelbar keine Beiordnung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO rechtfertigt.

9

Der Angeklagte ist jedoch bereits erheblich -auch einschlägig - strafrechtlich vorbelastet. in der Vergangenheit wurden bereits wiederholt erkannte Strafaussetzungen zur Bewährung nachträglich widerrufen und Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten vollstreckt. Die nunmehr ihm zur Last gelegte Tat könnte insbesondere im Hinblick auf das so gezeigte Bewährungsversagen des Angeklagten in der Vergangenheit zum Widerruf der letztmaligen Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgericht Goslar vom 11.11.2010 führen. Dieser mittelbare Nachteil sowie der weitere Umstand, dass der Angeklagte unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt steht, gebieten hier die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Die Kumulation des drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten führen dazu, dass die Verteidigung des Ange klagten hier notwendig i.S.d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist (vgl. allein zur Beiordnung für einen unter Betreuung stehenden Beschuldigten Meyer- Goßner, 53. Auflage, § 140 Rn 30 m.w.N.). Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte einen Rechtsanwalt als Betreuer hat (vgl. Meyer- Goßner, a. a. 0. mit Hinweis auf OLG Nürnberg vom 25.07.2007 - 2 Ws 452/07).

10

Die Kosten und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.