Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.05.2020, Az.: 15 EK 3/19
Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens; Siebenmonatige Inaktivität eines Gerichts bei der Bearbeitung einer Kostenfestsetzung; Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 27.05.2020
- Aktenzeichen
- 15 EK 3/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2020, 66535
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - AZ: 9 O 2202/13
Rechtsgrundlage
- § 198 GVG
Tenor:
Das Versäumnisurteil vom 6. Januar 2020 wird teilweise aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Verfahrensdauer des Kostenfestsetzungsverfahrens betreffend die Kosten erster Instanz des Rechtsstreits zur Geschäftsnummer 9 O 2202/13 des Landgerichts Osnabrück unangemessen war. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben mit Ausnahme der Kosten der Säumnis, die der Kläger trägt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 201 Abs. 2 S. 1 GKG, § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen. Ein Rechtsmittel gegen das Urteil ist nicht zulässig, da die Revision nicht zugelassen worden ist und die Wertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO von 20.000 € unterschritten wird (§ 201 Abs. 2 S. 3 GVG).
Entscheidungsgründe
Auf den zulässigen Einspruch des Klägers war das Versäumnisurteil des Senats vom 6. Januar 2020 teilweise aufzuheben. Die Klage ist insoweit begründet, als eine unangemessene Verfahrensdauer des Kostenfestsetzungsverfahrens I. Instanz festzustellen ist. Soweit der Kläger eine finanzielle Entschädigung begehrt, war das klageabweisende Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Die zulässige Klage hat Erfolg, soweit für den Zeitraum ab Rückkehr der Akten vom Berufungsgericht im Dezember 2017 bis zur Verfügung des Rechtspflegers im Juli 2018 eine unangemessene Verfahrensdauer festzustellen ist. Für den Zeitraum von Juli 2018 bis Erlass der Kostenfestsetzungsbeschlüsse I und II im April 2019 liegt eine überlange Verfahrensdauer hingegen nicht vor.
Das Kostenfestsetzungsverfahren stellt ein Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 S. 1 GVG dar, bei dessen Verzögerung ein Verfahrensbeteiligter eine Entschädigung erhalten kann. Zwar schließt es sich lediglich an das eigentliche Hauptsacheverfahren an. Die gesetzliche Definition der unter den Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG fallenden Verfahren ist jedoch weit gefasst. Gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist Gerichtsverfahren im Sinne dieser Vorschrift "jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss" (vgl. BSG, Urteil vom 10.07.2014 - B 10 ÜG 8/13 R, juris, Rn. 16 ff.).
Der Kläger hat am 19. August 2018 eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben. Soweit das beklagte Land im Hinblick auf die auf den 23. Mai 2019 datierte Prozessvollmacht seines Prozessbevollmächtigten im Entschädigungsverfahren eine wirksame Vertretung des Klägers im Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge (19. August 2018) in Frage stellt, kommt es darauf nicht an. Denn die Verzögerungsrüge ist nicht vom Prozessbevollmächtigten des vorliegenden Verfahrens erhoben worden, sondern von der Prozessbevollmächtigten des Klägers im landgerichtlichen Verfahren 9 O 2202/13, Frau Dr. BB.
Der Kläger begehrt Entschädigung für eine Verfahrensdauer von Dezember 2017 (Rückkehr der Akten nach Abschluss der Berufung) bis zum Erlass der Kostenfestsetzungsbescheide I und II im April 2019, wobei er vier Monate als angemessene Bearbeitungsdauer in Abzug bringt und so zu einer Überlänge von dreizehn Monaten gelangt.
Dem kann sich der Senat nur zum Teil anschließen. Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich und würde im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bereits an der Vielgestaltigkeit der Verfahren und prozessualen Situationen scheitern. Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls richtet (§ GVG § 198 GVG § 198 Absatz I 2 GVG), wurde bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen (BGH, Urteil vom 14.11.2013 - III ZR 376/12, juris Rn 26).
Für den Zeitraum ab Juli 2018 weist die Verfahrensbehandlung des Rechtspflegers keinen Grund zur Beanstandung in zeitlicher Hinsicht auf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine "einfache" Kostenfestsetzung handelte, sondern ein komplexer Verfahrensablauf vorlag, bei dem im Festsetzungsverfahren Umstände wie der Anwaltswechsel auf Seiten der Kläger des Ausgangsverfahrens das Verfahren erschwerten und bei dem die Kosten im Hinblick auf einen weiteren Anwaltswechsel, die insofern zugrunde zu legende Fassung des RVG, die Werte und die Höhe der in mehreren Verfahren entstandenen Gebühren höchst streitig waren. Nachdem der Rechtspfleger die Prozessbevollmächtigten der Kläger des Ausgangsverfahrens mit Verfügung vom 10. Juli 2018 um Stellungnahme zu Einwendungen des seinerzeitigen Beklagten aufgefordert hatte, baten diese zunächst um Übersendung der ihnen nicht vorliegenden Anträge und der benannten Stellungnahme des Beklagten, da sie die Kläger in erster Instanz noch nicht vertreten hatten, sodann um Akteneinsicht und trugen am 5. September 2018 zu der Abrechnung der früheren Anwälte der Kläger, Rechtsanwälte CC, und den dagegen erhobenen Einwendungen des Beklagten vor. Dies ergab für den Rechtspfleger die Notwendigkeit der Beiziehung sämtlicher Beiakten. Im Zeitraum, in dem diese noch fehlten, wurde von ihm die Entscheidung über die (ebenfalls streitige) Festsetzung der Kosten der Berufung getroffen und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Oktober 2018 erlassen. Während der weiteren Bearbeitung der Kosten erster Instanz wurde das Erfordernis der Beiziehung einer weiteren Beiakte, nämlich eines selbständigen Beweisverfahrens beim Amtsgericht Osnabrück, festgestellt und auch diese angefordert. Nach Vorliegen sämtliche Akten wurden am 28. November 2018 mehrere Hinweise an beide Parteien erteilt, was den Wert der verbundenen Verfahren 9 O 1477/15 und 9 O 2202/13, die Höhe der abgerechneten Gebühr nach Nr. 3101 VV RVG, die Notwendigkeit des Anwaltswechsels auf Klägerseite und den Wert der Widerklage betraf. Eine Stellungnahme dazu erfolgte von beiden Parteien zunächst nicht. Mit Verfügung vom 10. Januar 2019 erinnerte der Rechtspfleger beide Parteien an die Erledigung der Verfügung vom 28. November 2018. Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Kläger wegen der gerichtlichen Hinweise auf die früheren Bevollmächtigten verwiesen hatten, nahmen diese unter dem 11. Februar 2019 Stellung. Nach weiterer Zwischenverfügung des Rechtspflegers wurde der Kostenfestsetzungsantrag durch die Rechtsanwälte CC am 26. Februar 2019 geändert, die gleichzeitig um erneute Akteneinsicht ersuchten. Mit Verfügung vom 14. März 2019 wurde die Prozessbevollmächtigte des Beklagten um Mitteilung gebeten, ob der Antrag noch in Bezug auf den Streitwert für die Verfahrensgebühr geändert werde. Am 29. März 2019 fand ein Telefonat zwischen dem Rechtspfleger und Rechtsanwältin Dr. BB über eine Rücknahme der Terminsgebühr statt. Nach einem weiteren Hinweis an die Rechtsanwälte CC am 29. März 2019, dem diese am 11. April zustimmten, wurden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse I und II am 17. April 2019 erlassen.
Demgegenüber ist im Zeitraum vor Juli 2018 eine siebenmonatige Inaktivität des Gerichts in Bezug auf die Bearbeitung der Kostenfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren festzustellen. Die Anträge waren bereits nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Landgericht gestellt worden. Dass eine Bearbeitung bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens zurückgestellt wurde, stellt keine Verfahrensverzögerung dar und wird auch nicht als solche von Seiten des Klägers zum Gegenstand seines Entschädigungsantrags gemacht. Nach Rückkehr der Akten aus der Berufungsinstanz erfolgte jedoch lediglich eine Bearbeitung der am 10. Dezember 2017 eingegangenen Kostenfestsetzungsanträge für die zweite Instanz. Die Bearbeitung der Anträge für die erste Instanz wurde durch den Rechtspfleger erst begonnen, als die Kostenrechnung V durch den Kostenbeamten der Geschäftsstelle am 10. Juli 2018 erstellt worden war (vor Band I, 9 O 2202/13 verbunden mit 9 O 1477/15). Mit Datum vom selben Tag bat der Rechtspfleger die Kläger um Mitteilung, ob sie - nach der Unterbrechung durch das Berufungsverfahren - noch zu den Ausführungen der Gegenseite zu ihrem Kostenfestsetzungsantrag I. Instanz Stellung zu nähmen beabsichtigten, womit die Bearbeitung dieser Kostenfestsetzung durch den Rechtspfleger wieder aufgenommen wurde.
Die siebenmonatige Inaktivität des Gerichts stellt eine unangemessene Verfahrensverzögerung im Sinne des § 198 GVG dar.
Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Gleiches gilt für die von Rechtspflegern bearbeiteten Gerichtsverfahren. Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 -, NJW 2014, 1816, juris Rn 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 52).
Im vorliegenden Fall der Bearbeitung eines Kostenfestsetzungsantrag überschreitet jedoch eine Dauer von sieben Monaten die noch zuzubilligende Frist.
Eine finanzielle Entschädigung steht dem Kläger nicht zu. Eine Entschädigungszahlung kann nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist, insbesondere durch die an keinen Antrag gebundene (§ 198 Abs. 4 S. 2 GVG) Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer. In dem hier vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren ist eine Feststellung ausreichend. Im Gegensatz zu der Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache hat die Erledigung des Kostenfestsetzungsverfahrens für die Partei regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle. In materieller Hinsicht stellt ihn die Dauer des Verfahrens sogar günstig, indem sein Kostenerstattungsanspruch ab Eingang des Festsetzungsantrags in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst wird (§ 104 Abs. 1 S. 2 ZPO). Immaterielle Nachteile infolge einer Verzögerung der Bearbeitung wiegen im Vergleich dazu eher gering. Dass der Kläger eine Erstattung seiner Kosten zu erwarten hatte, stand mit Erlass der Kostengrundentscheidung bzw. Rücknahme der Berufung fest. Zu entscheiden war lediglich über die Höhe des Erstattungsanspruchs. Eine besondere Belastung des Klägers ist auch nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 201 Abs. 2, 4 GVG, 344 ZPO. Nach § 201 Abs. 4 GVG entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird. Bei einem Vergleich des vom Kläger bezifferten Entschädigungsanspruchs von 1.300 € mit dem Zeitraum der festgestellten Verzögerung hält das Gericht eine Kostenaufhebung für billig.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 201 Abs. 1 GVG, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).