Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 23.01.2024, Az.: S 6 KR 41/23

Anspruch gegen den Krankenversicherer auf Auszahlung der Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
23.01.2024
Aktenzeichen
S 6 KR 41/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16826
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2024:0123.S6KR41.23.00

In dem Rechtsstreit
A.
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.
gegen
Deutsche Rentenversicherung C.
- Beklagte -
hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig ohne mündliche Verhandlung am 24. Oktober 2023 durch den Richter am Sozialgericht D. sowie die ehrenamtlichen Richter E. und F. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Auszahlung der Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten für die Kalenderjahre 2012 bis 2022 (nachfolgend: Gesundheitsboni).

Der im G. 1965 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Mit Schreiben vom 19. September 2022 beantragte er unter Beifügung der erforderlichen Belege nebst tabellarischer Aufstellung die Auszahlung der Gesundheitsboni für die Jahre 2012 bis 2022. Dabei ist unstreitig, dass geeignete Nachweise für gesundheitsbewusstes Verhalten eingereicht wurden.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2022 lehnte die Beklagte die Zahlung der Gesundheitsboni für die Jahre 2012 bis 2021 mit der Begründung ab, die Unterlagen für 2021 wie auch für die Jahre davor seien - ebenfalls unstreitig - erst nach dem 31. März 2022 bei ihr eingegangen. Infolge einer Änderung ihrer Satzung am 18. November 2021, die am 01. Januar 2022 in Kraft trat, sei sie rechtlich gehindert, die Gesundheitsboni auszuzahlen. Für das Bonusjahr 2022 enthält der Ausgangsbescheid keine (ablehnende) Regelung. Der geänderte § 68 der Satzung der Beklagten lautet in seinem Absatz 1, Unterabsatz 4: "Der Nachweisbogen ist spätestens bis zum 31. März des auf ein Bonusjahr folgenden Kalenderjahres einzureichen. Nach diesem Datum eingereichte Nachweise für vergangene Bonusjahre werden nicht anerkannt." Diese Satzungsänderung wurde gemäß § 99 der Satzung im Internet veröffentlicht und in der Mitgliederzeitschrift "tag" der Beklagten für das 4. Quartal 2021, dort auf den Seiten 10 und insbesondere 11 (Bl. 30 f. der GA) unter der Überschrift "Das ist neu ab 1. Januar 2022 - Bonusprogramme..." thematisiert.

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober 2022 (Eingang: 28.Okt. 2022) Widerspruch mit der Begründung, die (neuen) Regelungen könnten nicht für die Vorjahre gelten. Es seien für jeden Bonus die Regelungen maßgeblich und anzuwenden, die im Zeitpunkt der Erfüllung der Bonusvoraussetzungen gegolten hätten. Ihm seien "bis dato keine Beschränkungen bezüglich eines Einreichungszeitraum bekannt" (gewesen); nach seinem Kenntnisstand "gab es in den Vorjahren keine Regelungen zu einer Einreichungsfrist. Auf den eingereichten Nachweisbögen ist keine Frist angegeben und in meinen weiteren Unterlagen sind auch keine Einreichungsfristen oder limitierende Bonusregeln angegeben."

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2023 "für die Kalenderjahre 2012 bis 2022" unter Hinweis auf ihre Satzungsänderung zurück.

Der Kläger hat am 03. Februar 2023 vor diesem Gericht Klage erhoben.

Er trägt vor, er habe weder eine Zeitschrift mit dem beschriebenen Inhalt noch einen ausdrücklichen Hinweis auf eine Veröffentlichung im Internet erhalten noch eine Internetnachricht über die Satzungsänderung gelesen. Zudem normiere diese eine verfassungswidrige Rückwirkung. Wegen der Details wird auf die Schriftsätze vom 22. März 2023 und vom 04. Mai 2023 (Bl. 13 f., 39 GA) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 13. Oktober 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Boni für gesundheitsbewusstes Verhalten für die Kalenderjahre 2012 bis 2022 auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung ihrer Bescheide sowie die bindende Satzungsänderung.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, in der Sache jedoch unbegründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Auszahlung der Gesundheitsboni für die Kalenderjahre 2012 bis 2021 zu.

Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer auf die Begründung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10. Januar 2023, schließt sich jener an und sieht prinzipiell von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend hebt die Kammer hervor:

Soweit im Widerspruchsbescheid und offenbar daran anknüpfend auch im Klageantrag das Jahr 2022 erwähnt wird, handelt es sich um einen Schreibfehler, der nicht zu einer Einbeziehung des Bonus für das Jahr 2022 in den vorliegenden Streitgegenstand führt. Zum einen trifft der Ausgangsbescheid keinerlei Regelung zu einer Bonuszahlung für 2022, zum anderen war sowohl bei Antragstellung im September 2022 als auch bei Widerspruchs- und Klageerhebung die insoweit relevante Frist (31. März 2023) erkennbar eingehalten bzw. einhaltbar; es bestand am 13. Oktober 2022 kein Bescheidungserfordernis. Das Gericht hat den Klageantrag in diesem Sinn ausgelegt.

Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt haben sollte, von der Satzungsänderung Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich um eine Rechtsnorm, die nicht individuell bekannt gemacht, quasi mitgeteilt werden muss. Ihre Bekanntmachung in der durch höherrangiges Recht vorgesehenen, allgemein zugänglichen Weise reicht aus. Diese ist hier eingehalten worden. Ob ein von der Rechtsnorm betroffenes Mitglied der Beklagten davon aktiv Kenntnis nimmt oder von der Erfüllung dieser (Vor-) Obliegenheit absieht, ist dabei unerheblich. Ein allgemeines und schutzwürdiges Vertrauen auf den dauerhaften Fortbestand einer bisherigen, für das Mitglied günstigeren Antragsregelung gibt es nicht.

Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das "grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze" vor. Ein solch umfängliches Verbot existiert nicht. Verfassungsrechtlich untersagt, da gegen das aus dem Rechtstaatsprinzip folgende Prinzip des Vertrauensschutzes verstoßend, ist lediglich die sog. echte belastende Rückwirkung, die tatbestandlich einen komplett in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen und durch den Normadressaten nicht mehr zu seinen Gunsten beeinflussbaren Sachverhalt voraussetzt. Vorliegend handelt sich dagegen um einen verfassungsrechtlichen erlaubten Fall der sog. unechten (belastenden) Rückwirkung. Denn der Kläger hatte mindestens in der Zeit vom 01. Januar 2022 bis zum 31. März 2022, praktisch betrachtet sogar seit November 2021 die Möglichkeit, durch einen vor Ablauf des 31. März 2022 gestellten Antrag den Sachverhalt trotz der Satzungsänderung noch positiv für sich zu gestalten, nämlich die begehrten Boni nach fristgerechtem Antrag zu erhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

In Anlehnung an die in der o.g. Ausgabe der Mitgliederzeitschrift (Seite 11, Bl. 31 der GA) aufgelisteten Bonusbeträge geht die Kammer davon aus, dass bei Addition aller hier gegenständlichen Gesundheitsboni die Berufungssumme erreicht wird.