Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 31.08.1977, Az.: 9 U 256/76

Einfangen eines reiterlosen Pferdes und Sturz vom Pferd; Kausalzusammenhang zwischen reiterlicher Ungeschicklichkeit und der Verursachung eines komplizierten Armbruchs; Problem der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ; Gefährlichkeit wild gemachter Pferde

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
31.08.1977
Aktenzeichen
9 U 256/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1977, 14716
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1977:0831.9U256.76.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 13.10.1976 - AZ: 6 O 174/76

Fundstelle

  • NJW 1979, 723-724 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 1977
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers wird das am 13. Oktober 1976 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, daß der Beklagte für alle zukünftigen Schäden haftet, die der Kläger durch das Verhalten des Beklagten am 29.12.1973 erlitten hat, soweit die Ansprüche nicht auf Träger der Sozialversicherung übergegangen sind.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 5.000,- zu zahlen nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August 1976.

  3. 3.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. 4.

    Die Kosten des ersten Rechtzuges werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des zweiten Rechtzuges trägt der Kläger in Höhe von 3/13 und der Beklagte in Höhe von 10/13.

  5. 5.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  6. 6.

    Wert der Beschwer: Für den Kläger DM 3.000,-, für den Beklagten DM 10.000,-.

Tatbestand

1

Am 29.12.1973 führte der Kläger mit 8 weiteren Reitern des Vereins ... einen Ausritt in der Gemarkung ... durch. Dabei wurden sie, von dem Beklagten, der als Landwirt seinen Acker pflügte, wahrgenommen. Dieser glaubte, der Kläger sei mit seiner Gruppe verbotenerweise durch ein bestimmtes Waldstück geritten. Der Beklagte brach seine Arbeit ab und fuhr mit seinem Trecker einschließlich anhängendem 6-Schar-Pflug in Richtung der Gruppe, um ihre Namen festzustellen. Diese ritt jedoch davon. Erst als die Reiter vor einer geschlossenen Bahnschranke warten mußten, holte der Beklagte sie ein. Es kam zu einem erregten Wortwechsel, in dessen Verlauf der Beklagte mit seinem Trecker auf die Gruppe zufuhr, anhielt, wieder zurücksetzte und erneut vorfuhr, um die Reiter einzuschüchtern und sie zur Bekanntgabe ihrer Namen zu zwingen. Einige der Reiter waren abgesessen und hinter die geschlossene Schranke gesprungen, um sich vor dem Trecker in Sicherheit zu bringen. Aufgrund des Fahrmanövers rissen sich einige Pferde los und gingen durch. Der Kläger, der auf seinem Pferd sitzen geblieben war, ritt hinter ihnen her, um sie einzufangen. Bei dem Versuch, ein bereits auf der B 241 dahintrabendes Pferd am Zügel zu fassen und einzufangen, rutschte das Pferd des Klägers auf dem Asphalt aus. Pferd und Reiter stürzten zu Boden.

2

Dabei erlitt der Kläger einen komplizierten Armbruch, der als Dauerschaden dazu führte, daß der Kläger den Beruf des Maurers aufgeben mußte und zum Bauzeichner umgeschult wird.

3

Da der von ihm zu tragende Schaden noch nicht genau beziffert werden konnte und Verjährung drohte, hat der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten verlangt. Darüber hinaus hat er vom Beklagten Zahlung eines Schmerzensgeldes begehrt, das er mit 15.000,- DM als angemessen erachtet hat.

4

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, daß der Beklagte für alle zukünftigen Schäden, die der Kläger durch das Verhalten des Beklagten am 29.12.1973 erlitten hat, haftet, soweit die Ansprüche nicht auf Träger der Sozialversicherung übergegangen sind.

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

6

hilfsweise,

Vollstreckungsnachlaß zu gewähren.

7

Er hat vorgetragen, daß es nur wegen der reiterlichen Ungeschicklichkeit des Klägers zu dem Unfall gekommen sei, so daß dem Beklagten der Schaden nicht mehr zugerechnet werden könne. Darüber hinaus ist der Beklagte der Ansicht gewesen, daß eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges zwischen dem Verhalten des Beklagten und der Rechtsgutsverletzung des Klägers vorliege, weil der Kläger das bereits stehengebliebene Pferd durch sein ungestümes Verhalten wieder angetrieben habe. Letztlich scheitere die Einstandspflicht jedoch spätestens am mangelnden Verschulden des Beklagten, da ein solcher Geschehensablauf nicht voraussehbar gewesen sei.

8

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, dem Feststellungsantrag des Klägers entsprochen und eine Schadensersatzpflicht des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Darüber hinaus hat es den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von DM 8.000,- verurteilt.

9

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Beklagten. Er ist der Ansicht, daß eine Schadensersatzpflicht aus Gründen fehlender adäquater Kausalität schon dem Grunde nach ausscheiden müsse. Nicht der Beklagte habe die Körperverletzung des Klägers verursacht, sondern diese sei dadurch entstanden, daß sein eigenes Pferd ohne erkennbaren Anlaß nach 3 Kilometern Ritt im Galopp ausrutschte und zusammen mit dem Kläger zu Boden stürzte, weil dieser es als "fortgeschrittener Anfänger im Reiten" nicht mehr habe halten können. Dieses habe haftungsrechtlich mit dem Geschehen vor der Bahnschranke nichts mehr zu tun.

10

Darüber hinaus, so meint der Beklagte, könne der vom Kläger geltend gemachte Schaden nicht mehr im Schutzbereich der verletzten Norm liegen, wie der Geschehensablauf deutlich zeige. Im übrigen, so trägt der Beklagte weiter vor, müsse man dem Kläger einen erheblichen Schuldvorwurf machen, da er sich als "fortgeschrittener Anfänger im Reiten" mit einem gewagten Ritt auf einer Asphaltstraße zu viel zugemutet habe. Das gelte vor allem, wenn man sich vor Augen führe, daß er an einer Glasknochenkrankheit leide. Letztlich ist der Beklagte der Ansicht, daß das vom Landgericht dem Kläger zugesprochene Schmerzensgeld zu hoch bemessen sei.

11

Der Beklagte beantragt,

  1. 1.

    das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen,

    hilfsweise,

  2. 2.

    bei hiermit angeregter Zulassung der Revision dem Beklagten zu gestatten, eine etwaige Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung dergestalt abzuwenden, daß Sicherheit auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse sein darf.

12

Der Kläger erstrebt mit seiner Anschlußberufung die Verzinsung des zuerkannten Schmerzensgeldes. Er beantragt,

  1. 1.

    die Berufung des Beklagten zurückzuweisen und das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären, falls der Berufung aber stattgegeben werden sollte, dem Kläger zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung, die auch durch Bürgschaft einer Bank gestellt werden kann, abzuwenden.

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, den dem Kläger vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbetrag mit 4 % jährlich ab Klagezustellung zu verzinsen.

13

Der Kläger ist der Ansicht, daß das Landgericht eine Haftung des Beklagten zutreffend bejaht habe. Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beklagten und der Verletzung des Klägers sei gegeben, da eine Rechtsgüterabwägung zwischen den erkennbaren Risiken eines Einfangversuchs und den grundsätzlich von frei umherlaufenden Pferden ausgehenden Gefahren ganz deutlich zugunsten der Rettungsaktion des Klägers ausgehe. Des weiteren, so trägt der Kläger vor, ändere die Tatsache des Sturzes nach drei Kilometern nichts daran, daß der Beklagte als Verursacher infrage komme, denn er habe durch sein Verhalten das Durchgehen des Pferdes veranlaßt. Darüber hinaus brauche sich der Kläger auch keine Mitschuld vorwerfen zu lassen. Er habe sich weder zuviel zugemutet noch mußte er wegen einer möglicherweise vorliegenden Glasknochenkrankheit auf den Reitsport verzichten. Einem Schädiger seien auch solche Folgen zuzurechnen, die sich aus einer Krankheitsanlage beim Betroffenen ergäben.

14

Der mit der Anschlußberufung geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich nach Ansicht des Klägers bereits aus der landgerichtlichen Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes.

15

Die Berufung teilt diese Ansicht nicht. Sie bestreitet weiterhin eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach und beantragt, die Anschlußberufung zurückzuweisen.

16

Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren verwiesen.

Entscheidungsgründe

17

Die Berufung hat nur zu einem Teil Erfolg. Das Schmerzensgeld war auf 5.000,- DM herabzusetzen.

18

Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, daß die Schadensersatzpflicht des Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. Einerseits drohte dem Kläger der Ablauf der Verjährungszeit des § 852 BGB, andererseits ist es unbestritten geblieben, daß der Kläger den letztlich ihm verbleibenden Schaden umfangmäßig noch nicht beziffern, mithin eine Leistungsklage noch nicht erheben konnte. Auf die Leistungsklage brauchte er, da die Feststellungsklage bei Klagerhebung zulässig war, nicht überzugehen.

19

Der Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet, aus § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz für die dem Kläger durch den Reitunfall vom 29.12.1973 entstandenen Körperverletzungen zu leisten. Weiterhin muß er dem Kläger auch ein angemessenes Schmerzensgeld zahlen (§ 847 BGB). Denn der Beklagte hat den zu dem komplizierten Armbruch des Klägers führenden Sturz in zurechenbarer Weise verursache. Sein vor der geschlossenen Bahnschranke in der Gemarkung ... gezeigtes Verhalten, als er mit seinem Trecker mehrere Male auf die Reitergruppe zufuhr, um sie zur Bekanntgabe eines Namens zu zwingen, hat die verhängnisvolle Geschehenskette ausgelöst. Dadurch waren einige Reiter gezwungen, von ihren Pferden abzusitzen und sich hinter der geschlossenen Schranke in Sicherheit zu bringen. Des weiteren gerieten auch die nun reiterlosen Pferde in eine psychische Bedrängnis, die als natürliche Tierreaktion ihr Durchgehen auslöste.

20

Der weitere Geschehensablauf ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht so besonders eigenartig und unwahrscheinlich, daß er nach dem üblicher. Verständnis der Adäquanz eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach ausschließt. Es liegt nämlich nicht außerhalb der Lebenserfahrung, daß ein für eine Reitergruppe verantwortlicher Leiter hinter einem, seinem Verantwortungsbereich unterstehenden, durchgegangenen Pferd herreitet, um dieses wieder einzufangen. Diese Wahrscheinlichkeit war hier um so größer, als in unmittelbarer Nähe des Geschehen sortes die Bundesstraße Nr. 241 sowie eine Bahnstrecke der Bundesbahn verläuft.

21

Dabei kann unter Kausalitätsgesichtspunkten unberücksichtigt bleiben, daß der vom Beklagten inganggesetzte Geschehensablauf den Weg über den Kläger nahm, der von sich aus in die Ereigniskette eingriff. Denn insoweit handelt es sich lediglich um die Situation der psychisch vermittelten Kausalität, bei der zwar der Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg über eine andere Person hergestellt wird, bei der aber das psychische Element den Verlauf nicht zu einem minderwertigen stempelt, sondern seine Eigenart ausmacht (vgl. Deutsch, Haftungsrecht I, S. 139/140). Der haftungsbegründende Kausalzusammenhang ist auch nicht unter dem Aspekt der objektiven Zurechnung unterbrochen. Denn insoweit war der eigene Entschluß des Klägers, hinter dem durchgegangenen Pferd herzureiten, nicht völlig frei zustandegekommen. Das ist aber Voraussetzung für die Unterbrechung der Kausalität, durch das Eingreifen eines Dritten in den Geschehensablauf. Die Tatsache, daß ein bisher Unbeteiligter aufgrund eines eigenen Entschlusses tätig wird, damit eine Schadensursache setzt und auch ein Risiko eingeht, hat nicht notwendigerweise die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs zur Folge (BGHZ 57, 25; BGHZ 63, 189). Erst wenn feststeht, daß das Dazwischentreten des Dritten weder herausgefordert noch nahegelegt worden ist, entfällt die Haftung des Erstverursachers (BGH NJW 76, 568 (569); BGH NJW 75, 168 m.w.N.). Dabei hat eine wertende Betrachtung stattzufinden, die abwägt zwischen dem Zweck des Eingreifens und der Erkennbarkeit des Risikos bzw. der Gefährlichkeit des Eingriffs (BGH a.a.O., Larenz SchuldR I 11. Auflage § 27 III, b, 4 und 5; Staudinger-Schäfer, vor § 823 RZ a 8; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 162; ders. JZ 72, 551 u. JZ 75, 375 ff.).

22

Auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen, ist festzustellen, daß das Verhalten des Beklagten ein Eingreifen des Klägers nahegelegt bzw. herausgefordert hat. Hier hat der Beklagte mehr als nur den äußeren Anlaß für das Tätigwerden des Klägers gesetzt. Er hat eine Linie vorgezeichnet, die den Einfangversuch des Klägers nahelegte und die der Kläger mit seiner Rettungsaktion nicht verlassen, sondern nur logisch fortgesetzt hat. Denn wenn der Verantwortliche einer Gruppe VOR Reitern sieht, wie durch äußere Ereignisse einige seinem Verantwortungsbereich unterstehende Pferde bedrängt werden und letztlich verängstigt durchgehen, so darf er sich herausgefordert fühlen, die Verfolgung aufzunehmen und einen Einfangversuch zu unternehmen. Ein solches Verhalten liegt auf derselben Linie, die vom Beklagten vorgegeben wurde. Vom Beklagten als Verursacher begonnen, wird sie vom Kläger als Dazwischentretenden lediglich fortgezeichnet.

23

Das muß in der vorliegenden Situation um so mehr gelten, weil das enteilte Pferd eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs bedeutete, und damit für das Leben und die Sicherheit einer unbestimmten Anzahl von Verkehrsteilnehmern. Das durchgegangene Pferd lief nämlich nicht nur zuerst entlang einer Bahnstrecke der Bundesbahn, sondern es trabte später auf der Bundesstraße Nr. 241. Diese Tatsache beinhaltet schon für sich genommen den Zustand gesteigerter Gefahr, da Pferdehufe auf dem glatten Asphalt von Teerstraßen erfahrungsgemäß nur schlechten Kalt finden. Dadurch, daß der Kläger einen Einfangversuch begann und er gezwungen war, ebenfalls auf diesem wenig standfesten Untergrund zu reiten, nahm er an dieser durch der. Beklagten gesetzten gesteigerten Gefahr teil. Was sich dann realisierte war such das gesteigerte Risiko dieser Rettungsaktion. Denn die mangelnde Standfestigkeit führte zum Sturz des vom Kläger gerittenen Pferdes und damit zu der Verletzung des Klägers. Für Rechtsgutsverletzungen im Rahmen derartig gesteigerter Risiken haftet beim herausgeforderten bzw. auf derselben Linie liegenden Eingreifen aber der Schädiger (vgl. BGHZ 57, 32 [BGH 13.07.1971 - VI ZR 125/70]).

24

Das Verhalten des Beklagten ist auch widerrechtlich. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob man sich den Grundsätzen des Erfolgsunrechts (vgl. Nachw. bei Staudinger-Werner, vor § 276 RZ 81, 82) oder der Lehre des Handlungsunrechts (Larenz, SchuldR II, 10 Aufl., S. 461) bedient. Denn einerseits steht dem Beklagten wegen seines Verhaltens kein Rechtfertigungsgrund zur Seite, andererseits stellt sein Tun vor der Bahnschranke in der Gemarkung ... eine Handlung dar, die mit der Rechtsordnung nicht im Einklang steht. Es braucht in diesem Zusammenhang nicht darauf eingegangen zu werden, ob ein verbotenes Bereiten der Felder und Wiesen vorgelegen hat, denn der Beklagte hatte nicht das Recht, zur Privatjustiz überzugehen und durch Gewalteinwirkung und konkrete Gefährdung fremder Rechtsgüter irgendwelche Namen zu erfahren. Ein solch nötigendes Verhalten des Beklagten läßt die Beachtung der Grundsätze eines rechtstaatlichen Zusammenlebens vermissen, zumal der Beklagte aus einer früher geführten Korrespondenz wußte, daß nur die Reiter des Vereins ... ihm Schwierigkeiten bereiteten. Es war ihm zuzumuten, in dieser Sache dort vorstellig zu werden.

25

Die vom Kläger erlittene Körperverletzung ist vom Beklagten auch vorhersehbar gewesen. Er hätte als Landwirt die Gefährlichkeit wild gemachter Pferde kennen müssen. Es ist unschwer vors teilbar, daß ein durch einen großer, und lautstark dröhnenden Traktor aus nächster Nahe bedrängtes Pferd verängstigt und unkontrolliert entweicht. Der Beklagte hätte voraussehen müssen, daß ein durchgegangenes Pferd verfolgt wird, um es wieder einzufangen, und daß bei einer Solchen Rettungsaktion etwas passieren kann. Speziell Körperverletzungen des Rettenden liegen dabei im Bereich des Vorstellbaren, wenn der Verfolgende wegen des für ihn ungewohnten Einfangens zu Fall kommt.

26

Die vorliegende Verantwortlichkeit des Beklagten wird auch nicht durch die grundsätzlich im Rahmen des § 254 BGB zu berücksichtigende Gefährdungshaftung des. Tierhalters eingeschränkt (vgl. BGHZ 6, 319;  12;  124 (129) [BGH 15.05.1952 - IV ZR 157/51]). Dabei kann hier dahinstehen, ob wegen der vom Kläger vorgenommenen eiligen Verfolgungsmaßnahmen die Berufung des Beklagten auf Berücksichtigung einer solchen Mitverantwortung nicht sehen für sich rechtsmißbräuchlich ist; denn letztlich wiegt das Verschulden des Beklagten so schwer, daß demgegenüber die gesetzlich angeordnete Tierhalterhaftung zurücktritt. Des weiteren läßt sich auch unter sonstigen Gesichtspunkten kein Mitverschulden des Klägers feststellen. Nicht ein Reitfehler seinerseits führte zu dem Unfall, sondern die mangelnde Standfestigkeit seines Pferdes auf dem glatten Asphalt löste den Sturz des Pferdes aus. Daß der Kläger von seinem Pferd aus versucht hat, den Zügel des reiterlosen Pferdes zu ergreifen, kann ihm nicht als Verschulden zugerechnet werden. Es kann somit dahingestellt bleiben, welchen reiterlichen Ausbildungsgrad der Kläger hatte. Fest steht, daß er kein absoluter Neuling im Reiten war und sich als Verantwortlicher der Gruppe den Einfangversuch durchaus zutrauen konnte.

27

Die dem Kläger entstandenen Schäden stellen auch eine adäquat ursächliche Folge seiner erlittenen Verletzung dar. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß der Kläger wegen der Empfindlichkeit seiner Knochen wegen einer sog. Glasknochenkrankheit nicht aufs Pferd gehört hätte. Ein Schädiger haftet auch dann, wenn durch Verletzung eines gesundheitlich Geschwächten ein ungewöhnlich großer Schaden eintritt (st. Rspr.; RGZ 169, 120, - BGB NJW 74, 1510 m.w.N.). Insoweit fällt der Gesundheitszustand der Unfallopfers in den Risikobereich des Schädigem denn ist nicht einzusehen, warum ein Schädiger privilegiert werden soll, wenn er durch die schädigende Handlung beim Unfallopfer wegen dessen eigenartiger Konstitution besonders schwere Folgen auslöst.

28

Hinsichtlich des Schmerzensgeldes hält der Senat allerdings nur den Betrag von DM 5.000,- für angemessen. Dieser Betrag antspricht im vorliegenden Rechtsstreit der Billigkeit. Es ist dem Kläger zuzugeben, daß es sich bei seiner Verletzung um einen komplizierten Bruch handelt, dessen Umfang und Auswirkungen letztlich noch nicht abzusehen sind. Bei der Festsetzung ist aber zu berücksichtigen, daß die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes hier nicht zum Zuge kommt. Denn angesichts der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des Beklagten wegen Körperverletzung und Nötigung tritt sie hier hinter die Ausgleichsfunktion zurück und entfaltet keine Wirkung mehr. Wenn auch in erster Linie das Strafurteil dem staatlichen Strafanspruch genügt, so führt es doch ebenfalls dazu, dem Genugtuungsbedürfnis des Verletzten Rechnung zu tragen. Den Schädiger gerichtlicher Bestrafung ausgesetzt zu sehen, verschafft dem Geschädigten ganz allgemein das befriedigende Gefühl, der Gerechtigkeit sei nun Genüge getan (vgl. OLG Celle, JZ 70, 548 m. Anmerkung Deutsch). Unter diesem Aspekt war das Schmerzensgeld neu festzusetzen.

29

Die Zinsentscheidung folgt aus § 291 BGB, die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr. 7, 713 a ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: Für den Kläger DM 3.000,-, für den Beklagten DM 10.000,-.