Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.09.2001, Az.: 7 A 1023/01
Frist; Nothelfer
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.09.2001
- Aktenzeichen
- 7 A 1023/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39364
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 121 BSHG
Tatbestand:
Der Kläger – der ein Krankenhaus betreibt, – begehrt von der Beklagten die Erstattung seiner Aufwendungen für die Behandlung des Patienten P.
Der Patient stammt aus Laos und hielt sich im Rahmen der EXPO 2000 im Gebiet der Beklagten auf. Er wurde in der Zeit vom 10.09.2000 bis 03.10.2000 stationär von dem Kläger behandelt. Für diese Behandlung macht der Kläger an entstandenen Kosten einen Betrag von 12.538,05 DM geltend.
Nach unbestrittenen Angaben des Klägers wurde der Patient notfallmäßig mit schweren Kopfschmerzen in die medizinische Klinik des Klägers gebracht. Die behandelnden Ärzte des Klägers diagnostizierten eine spontane Einblutung in das Schädelinnere.
Der Patient war bereits im Juni 2000 von dem Kläger stationär behandelt worden. Seinerzeit unterschrieb der Patient einen sogenannten „Selbstzahlervertrag“ und erhielt auch eine entsprechende Rechnung.
Der Patient gab bei der Aufnahme an, er sei bei einer Krankenversicherung in Laos, der ...-Assurances, krankenversichert. Nach Angaben des Klägers lies dieser gleichwohl vorsorglich am 14.09.2000 vom Patienten einen Sozialhilfeantrag ausfüllen.
Die Versicherung des Patienten lehnte mit Schreiben vom 24.10.2000 die Übernahme der Krankenhauskosten ab, weil die Erkrankung des Patienten nicht durch die Versicherung abgedeckt sei. Die Behandlung von Erkrankungen, die bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages bestanden haben, seien von der Versicherung ausgeschlossen, argumentierte sie.
Unter dem Datum 31.10.2000 beantragte der Kläger daraufhin bei der Beklagten die Übernahme der Behandlungskosten aus Sozialhilfemitteln. Das Schreiben trägt keinen Eingangsstempel der Beklagten.
Mit Bescheid vom 11.01.2001 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, weil die Hilfebedürftigkeit des Patienten nicht mehr geprüft werden könne. Die Unterlagen hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Patienten seien unvollständig. Auch sei der Antrag auf Kostenübernahme nicht in angemessener Frist gestellt worden. Der Antrag sei so spät gestellt worden, dass weitere Ermittlungen nicht mehr möglich seien.
Telefonisch trug ein Mitarbeiter des Klägers anschließend gegenüber der Beklagten vor, ein Mitarbeiter des EXPO-Büros der Beklagten habe bereits die Kostenübernahme mündlich zugesagt. Nach Ermittlungen der Beklagten bestätigte der Mitarbeiter des EXPO-Büros diese Angaben jedoch nicht (Bl. 20 ff. der Beiakte A).
Der Kläger erhob am 30.01.2001 Widerspruch gegen die Ablehnung, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2001, zugestellt am 12.02.2001, zurückwies.
Der Kläger hat am 09.03.2001 Klage erhoben.
Er trägt vor: Zwar habe der Patient eine Versicherung in Laos angegeben. Er, der Kläger, habe sich darauf aber nicht verlassen wollen und dem Patienten vorsorglich einen Sozialhilfeantrag ausfüllen lassen. Man habe den Sozialhilfeantrag jedoch nicht sogleich weitergeleitet, weil er, der Kläger, zunächst davon ausgegangen sei, dass das Sozialamt nicht in Anspruch genommen werde. Mit seinem Abwarten habe er auch unnötigen Verwaltungsaufwand bei der Beklagten vermeiden wollen für den Fall, dass die Krankenversicherung des Patienten doch zahle. Nachdem feststand, dass nicht mit einer Zahlung der Versicherung gerechnet werden konnte, sei bei der Beklagten die Kostenübernahme beantragt worden. Weitere Angaben als im Antrag enthalten hätten wegen der extremen Sprachschwierigkeiten nicht ermittelt werden können.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 11.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2001, die Kosten der stationären Behandlung für den Zeitraum vom 10.09.2000 bis 03.10.2000 des Herrn P. gemäß der Rechnung vom 11.10.2000 in Höhe von 12.538,05 DM zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Die Angaben im aufgenommenen Sozialhilfeantrag seien nicht plausibel. Der Kläger habe ihr, der Beklagten, jedoch den Sozialhilfeantrag des Patienten und seinen Antrag auf Kostenerstattung so spät zugeleitet, dass keine weiteren Ermittlungen mehr möglich gewesen seien. Denn der Patient halte sich nicht mehr in Deutschland auf. Der Antrag des Klägers sei damit nicht in angemessener Frist gestellt worden.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Weiterhin haben sich alle Beteiligte mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.
Weiterhin ergeht im Einverständnis der Beteiligten die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner Behandlungskosten für P.
Als Anspruchsgrundlage kann im vorliegenden Fall nur § 121 BSHG in Betracht kommen. Danach hat jemand, der in einem Eilfall einem Anderen Hilfe gewährt hat, die der Träger der Sozialhilfe bei rechtzeitiger Kenntnis nach diesem Gesetz gewährt haben würde, einen Anspruch, aufgrund eines innerhalb angemessener Frist gestellten Antrags, diese Aufwendungen im gebotenen Umfang erstattet zu bekommen.
Unstreitig handelte es sich bei der Hilfeleistung durch den Kläger um einen medizinischen Notfall. Dies ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 30.08.2001. Die in Rechnung gestellten Aufwendungen waren auch unstreitig geboten. Eine rechtliche oder sittliche Verpflichtung iSd. § 121 Satz 1, letzter Halbsatz BSHG des Klägers war ebenfalls nicht gegeben. Dabei zählt der zwischen Khaysy Phitsarath und dem Kläger geschlossene Behandlungsvertrag nicht zu den rechtlichen Verpflichtungen iSd genannten Vorschrift, weil sie gerade auch Krankenhausträgern einen Erstattungsanspruch eröffnen will (Roscher, in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, § 121 Rdnr. 10 m.w.N. zur Rspr.). Offen lässt das Gericht, ob es unschädlich war, dass der Kläger nicht in dem Bewusstsein handelte, die Hilfe für den Sozialhilfeträger erbracht zu haben. Zum Teil wird jedenfalls die Ansicht vertreten, es könnte in Abweichung von den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag § 121 BSHG auch dann Platz greifen, wenn der Dritte iSd. § 121 BSHG in der Meinung handelte, er besorge ein eigenes Geschäft (so Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 121 Rdnr. 6 und wohl auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.06.2001 – 4 LA 1275/01 -; a.A. Einzelrichterurteil der 7. Kammer des erkennenden Gerichts vom 22.02.2001 – 7 A 532/01 – und wohl Roscher, in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, § 121 Rdnr 1, der davon ausgeht, dass der Nothelfer zugunsten eines Hilfesuchenden für den Sozialhilfeträger handeln muss). Allerdings ist das Gericht mit dem OVG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung v. 16.05.2000 – 22 A 662/98 -, DVBl. 2001, 577) der Meinung, dass – um zu einen Anspruch nach § 121 BSHG zu kommen – nicht nur ein medizinischer Eilfall vorgelegen haben muss, sondern es sich auch um einen sozialrechtlichen Eilfall handeln muss. Mit der Rechtsprechung des OVG Münster liegt ein derartiger sozialhilferechtlicher Eilfall nicht vor, wenn aus verständiger Sicht des Nothelfers keine Unsicherheit darüber bestand, dass die Kosten der erforderlichen Hilfeleistung vom Patienten getragen werden (so auch Roscher, a.a.O., Rdnr. 4, wonach der Nothelfer sogar zu prüfen hat, ob sozialhilferechtlich eine Leistung geboten ist). Ernsthafte Unsicherheiten hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit des Patienten bestanden aber zum Zeitpunkt der Behandlung des P. bei dem Kläger nicht. Mit Schriftsatz vom 12.04.2001 seines Prozessbevollmächtigten räumt er vielmehr selbst ein, dass er Anfangs davon ausgegangen sei, dass er das Sozialamt der Beklagten nicht in Anspruch nehmen müsse.
Darüber hinaus steht nicht fest, ob der vom Kläger behandelte P. zum Zeitpunkt der medizinischen Behandlung hilfebedürftig im Sinne des BSHG war, ob also der Sozialhilfeträger bei rechtzeitiger Kenntnis des Notfalles überhaupt hätte Hilfe leisten müssen.
Im vom Kläger aufgenommenen Sozialhilfeantrag hat P. zwar angegeben, lediglich über ein monatliches Einkommen in Höhe von 30 DM zu verfügen. Diese Angaben sind nicht plausibel. Dass er und seine Ehefrau davon in Deutschland leben konnten, ist aber ausgeschlossen. Überdies sind überhaupt keine Angaben zu einem etwaigen einkommen der Ehefrau und zu den Vermögensverhältnissen gemacht worden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft des Ehepaares P. sind nach alledem völlig ungeklärt und können – da beide Ehepartner zwischenzeitlich längst Deutschland verlassen haben – auch nicht mehr ermittelt werden.
Hinsichtlich dieser Unerweislichkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse des P. muss der Kläger die Beweislast tragen. Denn es obliegt ihm, darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass die Beklagte hier Krankenhilfe nach § 37 BSHG aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des P. und seiner Ehefrau im September und Oktober 2000 hätte leisten müssen (zur Beweislast vgl. auch: Roscher, a.a.O., Rdnr. 9; Fasselt/Schaefer, in: Fichtner, BSHG, 1999, § 121 Rdnr. 5; Schellhorn, Jirasek, Seipp, a.a.O., Rdnr. 5; BVerwG, Urt. v. 28.03.1974 – V C 27.73 -, BVerwGE 45, 131 ff., OVG Münster, Entsch. v. 16.05.2000, - 22 A 3534/98 -, FEVS 52, 142). Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 19.01.1999 – 4 L 5250/98 – (FEVS 51, 94 ff.) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Im vom OVG Lüneburg entschiedenen Fall stand nämlich fest, dass zumindest Hilfe nach § 29 BSHG zu erbringen war. Im vorliegenden Fall liegen aber auch dafür keine Anhaltspunkte vor (zu den Voraussetzungen der Anwendung des § 29 BSHG vgl. BVerwG, a.a.O., 134). Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht Lüneburg in dem Beschluss vom 06.06.2001 (a.a.O.) meint, dass immer ein Ersatzanspruch nach § 121 BSHG besteht, wenn sich nach der Krankenhausbehandlung die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Patienten nicht mehr feststellen lassen, vermag dieser Ansicht das Gericht nicht zu folgen. Diese Ansicht hätte eine Umkehr der Beweislast zur Folge und würde den örtlichen Träger der Sozialhilfe in die – vom Gesetz gerade nicht gewollte – Rolle eines Ausfallbürgen drängen.
An der o.a. dargelegten Beweislastverteilung ändert auch nichts etwa der Umstand, dass ein Sozialhilfeträger entgegen Art. I § 20 SGB X ungenügend den Sachverhalt von Amts wegen erforscht hat. Das belegt schon die auch in Fällen der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO, also bei fehlender behördlicher Sachverhaltsermittlung, gleichbleibende materielle Beweislast (OVG Münster, Entsch. v. 16.05.2000, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist der Beklagten aber auch keine mangelnde Sachverhaltsaufklärung vorzuwerfen. Denn sie wurde überhaupt erst nach Abschluss der Behandlung und nach dem Ende der Weltausstellung über diesen Fall informiert. Der Umstand, dass möglicherweise ausländische Gäste und Mitarbeiter ausländischer Pavillons über keinen hinreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen könnten, begründet noch keine Ermittlungspflicht der Beklagten. Allein die Möglichkeit, dass jemand aus diesem Personenkreis hilfebedürftig werden könnte, führt nicht dazu, dass das Sozialamt berechtigt oder gar verpflichtet ist, nunmehr von Amts wegen die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse dieser Menschen zu ermitteln.
Ein Anspruch des Klägers scheitert weiterhin – selbstständig tragend - daran, dass der Kläger sein Erstattungsbegehren nicht innerhalb angemessener Frist iSd § 121 Satz 2 BSHG gestellt hat. Zwar lässt sich der Begriff der Angemessenheit nicht allgemein festlegen und es sind sowohl die objektiven und subjektiven Möglichkeiten des Nothelfers als auch das Interesse des Sozialhilfeträgers an möglichst früher Kenntnis eines Hilfefalles zu berücksichtigen. Wer der Rechtsprechung des 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 06.06.2001 (a.a.O.) folgt, wird auch einstellen müssen, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand sich die Aufklärung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Hilfeempfängers erschwert.
Es bedarf hier keiner Festlegung, bis wann genau der Kläger einen Erstattungsantrag hätte stellen müssen. Die zweite – hier allein streitige - Behandlung des P. begann am 10.09.2000. Dem Kläger war bekannt, dass es sich bei seinem Patienten um einen Mitarbeiter des laotischen Pavillons handelt und dieser nach Ende der Weltausstellung Deutschland wieder verlassen würde und es dann keine hinreichende Aussicht mehr bestand, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Patienten aufzuklären. Gleichwohl trat der Kläger erst nach der Krankenhausentlassung und nach dem Ende der EXPO an das Sozialamt der Beklagten heran. Dem Kläger war auch der Patient aus der vorangegangenen Behandlung von Juni 2000 bereits bekannt. In dem hier zu entscheidenden Fall wäre aber angesichts seiner dargestellten Besonderheiten eine sofortige Information des Beklagten notwendig und damit nur angemessen iSd § 121 Satz 2 BSHG gewesen, damit der Sozialhilfeträger überhaupt zeitnah seinen Pflichten aus Art. I § 20 SGB X nachkommen kann.
Der Kläger kann sich weiterhin nicht mit Erfolg auf eine entsprechende Zusage des Beklagten berufen.
Die jedenfalls im Verwaltungsverfahren behauptete mündliche Zusage eines Mitarbeiters des EXPO-Büros der Beklagten ist durch keinerlei Anhaltspunkte belegt. Der betreffende Mitarbeiter hat eine entsprechende Zusicherung auch verneint. Selbst wenn er sie aber gegeben hätte, wäre diese Zusage nicht wirksam. Es mangelt bereits an der nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X erforderlichen Schriftform.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.