Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.08.2023, Az.: 1 Ws 208/23 (StrVollz)
Erhebung eines Haftkostenbeitrags für vermögenden Strafgefangenen; Rente als Grundlage für Zahlung eines Haftkostenbeitrags; Berücksichtigung abgetretener Ansprüche bei Bemessung des Haftkostenbeitrags; Darlegungs- und Beweislast der JVA bei Nichtaufklärung von Abtretungen im Rahmen des Haftkostenbeitrags
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.08.2023
- Aktenzeichen
- 1 Ws 208/23 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 32937
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2023:0824.1WS208.23STRVOLLZ.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lingen - 06.07.2023 - AZ: 13a StVK 92/23
- LG Osnabrück - 06.07.2023 - AZ: 13a StVK 92/23
Rechtsgrundlagen
- NJVollzG § 52 Abs. 2 S. 2
- § 399 BGB
- § 400 BGB
- § 118 StVollzG
- § 119 StVollzG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Von Strafgefangenen, die eine Rente beziehen, ist grundsätzlich ein Haftkostenbeitrag zu erheben.
- 2.
Eine Kostenbeteiligung nach § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG setzt voraus, dass der Gefangene Einkünfte erzielt, über die er auch verfügen kann. Dies ist bei wirksam abgetretenen Einkünften nicht der Fall.
- 3.
Bei einer nicht näher dargelegten Behauptung einer Abtretung obliegt der Strafvollstreckungskammer, die Behauptung des Antragstellers im Freibeweisverfahren - kritisch - zu würdigen; dabei ist sie nicht gehalten, Behauptungen des Antragstellers, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als "unwiderlegbar" hinzunehmen und den Tatsachenfeststellungen zu Grunde zu legen.
In der Strafvollzugssache
des E. B.,
geboren am ...,
zurzeit in der JVA L.
- Antragstellers und Beschwerdeführers -
- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt T. aus B. -
gegen die Justizvollzugsanstalt L.,
vertreten durch deren Leiter
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Haftkostenbeitrag
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch die Richter am Oberlandesgericht XXX und XXX sowie die Richterin am Oberlandesgericht XXX am 24. August 2023 beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit Sitz beim Amtsgericht Lingen (Ems) vom 6. Juli 2023 (13a StVK 92/23) aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 4.077,88 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe wegen Betruges in der JVA L. Vom 22. Dezember 2021 bis zum 24. Oktober 2021 befand er sich zunächst im offenen und seit dem 17. November 2022 im geschlossenen Vollzug.
Der Antragsteller hat das gesetzliche Rentenalter erreicht. Bereits während des offenen Vollzugs wurde der Antragsteller auf Grund von Renteneinkünften an den Haftkosten beteiligt. Mit Bescheid vom 12. April 2023 erhob die Antragsgegnerin seit 17. November 2022 ebenfalls einen monatlichen Haftkostenbeitrag auf Grund von Renteneinkünften. Diesen setzte sie für den Zeitraum vom 17. November 2022 bis zum 31. Dezember 2022 auf 322,60 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2023 auf monatlich 312,94 EUR fest. Als monatliche Renteneinkünfte legte sie Renteneinkünfte in Höhe von monatlich 621,01 EUR zugrunde.
Gegen die zuletzt erfolgte Haftkostenerhebung wandte sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25. April 2023. Er behauptet, dass er seine Ansprüche auf Rentenzahlung bereits vor Antritt der Strafhaft abgetreten habe. Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags nach § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG damit nicht gegeben sei. Zu den näheren Umständen der Abtretung insbesondere zum Zessionar hat der Antragsteller trotz mehrfacher Aufforderung keine weiteren Angaben getätigt.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück hat mit Beschluss vom 6. Juli 2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, dass es sich bei Renteneinkünften um Einkünfte im Sinne von § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG handelt. Dabei sei unerheblich, ob diese tatsächlich anfielen. Entscheidend sei vielmehr, dass diese auf den in § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG benannten Zeitraums entfielen. Das von der Antragsgegnerin ausgeübte Ermessen, von der Kostenerhebung nach § 52 Abs. 5 NJVollzG nicht abzusehen, sei nicht zu beanstanden gewesen, da der Antragsteller zu den Umständen und Hintergründen der von ihm behaupteten Abtretung keine Angaben getätigt habe. Insoweit könne auch dahingestellt bleiben, inwieweit die Abtretung nach § 400 BGB wegen Unpfändbarkeit der zugrundeliegenden Forderung unwirksam gewesen sei.
Gegen diesen Beschluss, der dem Verurteilten am 12. Juli 2023 zugestellt wurde, wendet sich der Verurteilte mit seiner Rechtsbeschwerde vom 25. Juli 2023, die am selben Tage beim Landgericht einging. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und führt aus, dass eine Haftkostenbeteiligung nur dann erfolgen könne, wenn der Antragsteller Einkünfte erziele, die ihm tatsächlich zur Verfügung stehen und worüber er somit auch verfügen können müsse. Die sei bei abgetretenen Forderungen gerade nicht der Fall. Die Hintergründe und näheren Umstände einer Abtretung seien dabei ohne Belang. Überdies sei der Antragsteller auch zu keiner weiteren Aufklärung verpflichtet.
Der Zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat beantragt, die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG als unzulässig zu verwerfen. Die Erhebung von Haftkosten nach § 52 Abs. 1 S. 1 NJVollzG sei bei Nichtvorliegen von Ausnahmetatbeständen zwingend. Letztere seien vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr durfte die Antragsgegnerin aufgrund der nicht näher vereinzelten Behauptung einer Forderungsabtretung sowie der Haftkostenbeteiligung während des offenen Vollzugs davon ausgehen, dass es sich bei der Abtretung lediglich um eine Schutzbehauptung handelte.
II.
Die form- und fristgerecht (§ 118 StVollzG) erhobene Rechtsbeschwerde ist zulässig. Denn es ist geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Es gilt, der Gefahr einer Wiederholung des nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.
III.
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde hat zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.
1. So geht die Strafvollstreckungskammer zwar zunächst zutreffend davon aus, dass Renteneinkünfte grundsätzlich zu den Einkünften im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG zählen, welche für eine Kostenbeteiligung im Rahmen der Haftkosten nach 52 Abs. 2 in Betracht kommen (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2008, 294). Soweit die Kammer allerdings bei ihrer Betrachtung auch solche Einkünfte berücksichtigt, die aus nicht näher festgestellten Gründen bereits abgetreten worden sind, hält dies einer rechtlichen Überprüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
Entgegen der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer ist für die grundsätzliche Möglichkeit für eine Heranziehung zu den Haftkosten zunächst Voraussetzung, dass der Antragssteller über entsprechende Einkünfte verfügte (vgl. Feest, Lesting, Lindemann StVollzG, 7. Aufl., Teil II § 61 LandesR Rn. 6). Hierfür spricht schon der Wortlaut. Denn § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG setzt für eine Kostenbeteiligung zunächst voraus, dass die oder der Gefangene Einkünfte hat, d.h. er auch darüber verfügen kann. Soweit das Gesetz die Formulierung "entfallende" Einkünfte gebraucht, bezieht sich dies erkennbar auf die zeitliche Komponente, bei der nur solche Einkünfte zu berücksichtigen sind, die im jeweiligen Zeitraum anfallen. Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine eng am Wortlaut haftende Anwendung. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption, die eine Angleichung der Haftsituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse erreichen will, ist der Gefangene grundsätzlich an den Kosten seiner Haft zu beteiligen und zwar - den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt in Freiheit vergleichbar - nicht an sämtlichen, durch die Inhaftierung entstehenden Kosten, sondern allein an den Kosten für Unterkunft und Verpflegung (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 52 Rn. 2). Dies setzt hingegen voraus, dass der Gefangene Einkünfte erzielt, die ihm prinzipiell zunächst auch zufließen.
Im Falle einer wirksamen Abtretung der für die Berechnung einer Haftkostenbeteiligung herangezogenen Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung wäre jedoch ein Wechsel in der Gläubigerstellung eingetreten (MüKoBGB/Kieninger, 9. Aufl. 2022, BGB § 398 Rn. 92) mit der Folge, dass der Zedent die Gläubigerstellung verliert. Demnach wären spätere Abtretungen oder Verpfändungen durch ihn unwirksam, für eine Aufrechnung fehlte es an der Inhaberschaft, Pfändungen gingen ins Leere und die Forderung gehörte im später eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zedenten nicht zur Masse (MüKoBGB/Kieninger aaO Rn. 95). Folglich könnten auch andere Gläubiger des Antragstellers nicht mehr auf die abgetretene Forderung zugreifen. Nichts anderes kann daher für die Antragsgegnerin gelten. Demnach kommt es für die Frage der Prüfung einer Kostenbeteiligung maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller noch Inhaber der von ihm behaupteten Forderung ist.
Zu den Fragen einer Abtretung und deren Wirksamkeit insbesondere im Hinblick auf etwaige Abtretungsverbote (vgl. §§ 399, 400 BGB, § 53 SGB I) hat die Strafvollstreckungskammer dagegen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Senat ist daher an der Prüfung gehindert, ob die Strafvollstreckungskammer letztlich zutreffend von der Erhebung von Haftkostenbeiträgen beim Antragsteller ausgegangen ist.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vorliegend maßgeblich zu prüfen sein wird, ob eine wirksame Abtretung vorgelegen hat. Dabei hat die Kammer die Behauptung des Antragstellers im Freibeweisverfahren - kritisch - zu würdigen. Zwar ist der Gefangene zu einer Auskunft - anders als im Steuerrecht - mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht verpflichtet (vgl. Arloth/Krä StVollzG § 50 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Kuhn, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 50). Den Antragsteller trifft im Verfahren nach dem StVollzG auch weder eine Beweislast für sein Vorbringen noch hat er das Beweisrisiko zu tragen (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 115 Rn. 2 m.w.N.). Der erforderliche Umfang der Aufklärung bemisst sich allerdings an dem Vorbringen der streitenden Parteien. Je eingehender, plausibler und anhand der Umstände nachvollziehbarer eine der Parteien einen Sachverhalt darstellt, die andere Partei ihm aber nur pauschal oder neben der Sache liegend entgegentritt, desto eher darf sich der Tatrichter mit dem Vorbringen der erstgenannten Partei zufriedengeben (KG BeckRS 2016, 13731 und BeckRS 2016, 13733). Behauptungen des Antragstellers, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als "unwiderlegbar" hinzunehmen und den Tatsachenfeststellungen zu Grunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - 3 StR 154/22 -, Rn. 17, juris).
Gemessen daran ist die Strafvollstreckungskammer daher nicht gehalten, allein die bloße Behauptung des Antragstellers über eine Abtretung bei der Prüfung der Haftkostenbeteiligung zugrunde zu legen. Vielmehr sprechen bislang die weiteren Umstände eines fehlenden Tatsachenvortrags zu näheren Umständen der angeblichen Abtretung sowie der zuvor beanstandungsfreien Zahlung des Haftkostenbeitrags während des offenen Vollzugs für eine bloße Schutzbehauptung des Antragstellers. Dass auf seinen Namen ein Beitragskonto mit den zugrunde gelegten monatlichen Beträgen geführt wird ist bislang unstreitig, sodass es dem Antragsteller obliegt, die behauptete Abtretung näher darzulegen, wenn diese - wie hier weder offenkundig noch aus anderen Vorgängen bekannt ist (vgl. in diesem Sinne auch (OLG Koblenz Beschl. v. 20.10.2014 - 2 Ws 495/14 (Vollz), BeckRS 2015, 1832 Rn. 2, beck-online).
3. Angesichts der aufgezeigten Begründungsmängel, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geheilt werden können, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen, weshalb die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen ist (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.