Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.08.1985, Az.: 1 Ss 143/85

Voraussetzungen der strafrechtlichen Verurteilung eines Angeklagten wegen versuchten illegalen Erwerbs von Betäubungsmitteln; Anforderungen an die Substantiierung eines unmittelbaren Ansetzens zur Übernahme oder Übertragung der Verfügungsgewalt an Betäubungsmitteln; Voraussetzungen der Tatbestandsverwirklichung des Erwerbs von Betäubungsmitteln

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.08.1985
Aktenzeichen
1 Ss 143/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 31151
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1985:0813.1SS143.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Verden - 15.11.1984 - AZ: 2 Js 24471/83

Fundstellen

  • MDR 1986, 421-422 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1986, 78-79 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz

In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil der 1 a. großen Hilfsstrafkammer des Landgerichts Verden vom 15. November 1984
in der Sitzung vom 13. August 1985,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht Richter am Amtsgericht ... als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt H., S., - während der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizamtsinspektor ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, verworfen.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten illegalen Erwerbs von Betäubungsmitteln freigesprochen. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Dagegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie hat keinen Erfolg.

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Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

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Im September 1983 erfuhr der Angeklagte, daß der gesondert verfolgte A ... in den nächsten Tagen eine größere Lieferung Haschisch erwartete. Der Angeklagte vereinbarte deshalb mit A ... den Kauf von 100 g Haschisch für den Eigenbedarf zum Preis von 800 DM - "normale Qualität des Haschisch vorausgesetzt -". Als dann am 2. Oktober 1983 das Haschisch in der Wohnung des A ... in A ... angeliefert werden sollte, begab sich der Angeklagte kurz vor 20 Uhr dorthin. Zur Durchführung des beabsichtigten Geschäftes hatte er 1.006 DM Bargeld sowie eine Waage zum Abwiegen des Haschisch bei sich. Im Wohnzimmer des A ... wartete er gemeinsam mit anderen Personen, u.a. einem Amerikaner, der von A ... 1 kg Haschisch kaufen wollte, auf die Anlieferung des Rauschgifts, die dann gegen 20.15 Uhr erfolgte. A ... verließ die Wohnung, übernahm auf der Straße ein Paket mit ca. 1.300 g Haschisch und brachte dieses in die Küche seiner Wohnung. Dorthin hatte sich zwischenzeitlich bereits der amerikanische Verkaufsinteressent begeben, während der Angeklagte weiter im Wohnzimmer wartete. A ... wollte "zunächst das 'große' Geschäft über 1 kg" mit dem Amerikaner abschließen "und dann ... sehen, was für die übrigen Kunden - insbesondere den Angeklagten - noch übrig war". Kurze Zeit später erschien A ... im Wohnzimmer und fragte den Angeklagten nach dessen Waage. Dieser zeigte sie ihm. Da sie sich jedoch als zu klein für das "große" Geschäft mit dem Amerikaner erwies, ging A ... ohne die Waage zurück in die Küche. Alsbald darauf - das Geschäft mit dem Amerikaner war noch nicht zu Ende abgewickelt - erschien die Polizei.

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II.

Das angefochtene Urteil ist frei von Rechtsfehlern.

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Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen sind nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere für die Feststellung, der Angeklagte habe mit dem gesondert Verfolgten A ... den Kauf von 100 g Haschisch zum Preis von 800 DM vereinbart - "normale Qualität des Haschischs vorausgesetzt". Die dazu (UA S. 5, Zeile 22 ff) getroffene Würdigung ist möglich, läßt naheliegende Möglichkeiten nicht außeracht und verstößt nicht gegen Denkgesetze. Damit fallen die Feststellungen in den Verantwortungsbereich des Tatrichters und sind vom Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen.

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Auch im übrigen ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Die Feststellungen tragen den Freispruch. Insbesondere begegnet keinen Bedenken, daß nach den getroffenen Feststellungen die Handlungsweise des Angeklagten die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch noch nicht überschritten hatte.

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Nach § 22 StGB liegt der Versuch einer strafbaren Handlung dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt (vgl. BGHSt 26, 201, 202 m.w.N.; 28, 162, 163; BGH GA 1980, 24; BGH NJW 1980, 1759 [BGH 30.04.1980 - 3 StR 108/80]).

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Da zur Tatbestandsverwirklichung des Erwerbs von Betäubungsmitteln gehört, daß der Täter die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, d.h. im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer durch ein Rechtsgeschäft erlangt (BayObLG GA 1960, 214; Beschluß des hiesigen 2. Senats NJW 1972, 350; OLG Stuttgart NJW 1971, 2275, OLG Hamburg NJW 1975, 1472, [OLG Hamburg 14.08.1974 - 1 Ss 48/74] BGH Strafv. 1981, 625; Joachimski, Betäubungsmittelrecht, 3. Aufl., Anm. 3 zu § 11; Körner, Betäubungsmittelrecht, Rdnr. 146 zu § 29), ist für den Versuch ein unmittelbares Ansetzen zur Übernahme oder Übertragung der Verfügungsgewalt erforderlich.

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So kann der Abschluß des auf die tatsächliche Erlangung von Betäubungsmitteln gerichteten schuldrechtlichen Geschäfts, ja selbst die bloße Anbahnung und Einleitung von Verhandlungen, die erst zum Abschluß einer solchen Vereinbarung über den Erwerb von Betäubungsmitteln führen sollen, dann bereits als Versuchshandlung zu beurteilen sein, wenn sich die Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel nach der Vorstellung des Täters in engerem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang an diese Verhandlungen anschließen soll (Beschluß des OLG Karlsruhe vom 7.3.1978 - 2 Ss 247/77 -; Joachimski a.a.O., Rdnr. 10 b zu § 29; Körner a.a.O. Rdnr. 150/151 zu § 29). Insoweit können die Grundsätze entsprechend herangezogen werden, die in der Rechtsprechung zur Abgrenzung von Versuch und Vorbereitungshandlung für den vergleichbaren Fall des Sichverschaffens und Ankaufens bei der Hehlerei - Begehungsformen, die ebenfalls den einverständlichen Erwerb der tatsächlichen Verfügungsgewalt über Sachen zum Gegenstand haben - entwickelt worden sind (vgl. LK-Vogler, StGB, 10. Aufl., Rdnr. 58 ff zu.§ 22; Schönke-Schröder-Stree, StGB, 21. Aufl., Rdnr. 51 zu § 259).

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Hiernach hat der Angeklagte mit der zwischen ihm und A ... im September abgeschlossenen Ankaufsvereinbarung nach seiner Vorstellung noch nicht i.S. von § 22 StGB unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BTMG in der Begehungsform des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln angesetzt. Denn zum einen stand dieses Handeln des Angeklagten nicht im engeren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über das gewünschte Betäubungsmittel. Zum anderen war der Angeklagte nach den bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils noch nicht endgültig zum Ankauf des - damals im übrigen noch gar nicht in der Verfügungsgewalt des A ... befindlichen - Haschisch entschlossen. Vielmehr sollte der endgültige Erwerb abhängig sein von der Qualität des angebotenen Haschisch. Die Kammer hat hierzu ausdrücklich festgestellt, der Angeklagte habe mit A ... den Kauf von 100 g Haschisch zum Preis von 800 DM vereinbart - "normale Qualität des Haschisch vorausgesetzt" -.

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Auch das Warten des Angeklagten im Wohnzimmer des A ... am 2. Oktober 1983 stellt nur eine bloße Vorbereitung der Tat dar, die nicht strafbar ist. Zwar war der Angeklagte zum Termin der erwarteten Haschisch-Lieferung in der Wohnung zum Zwecke des Drogenerwerbs erschienen und hatte dafür ausreichend Geld sowie eine Waage zum Ab- bzw. Nachwiegen mitgebracht. Dieses Verhalten stellt ein Glied in dem vom Angeklagten gewollten Ursachenablauf bei der erstrebten Tatbestandsverwirklichung des Drogenerwerbs dar und liefert schon einen Beitrag im Sinne einer Bedingung zum Erfolg. Jedoch hätte ein fortgesetztes Sitzen des Angeklagten im Wohnzimmer mit Waage und Geld hier als Handlung im ungestörten Fortgang ohne weiteres Zutun des Angeklagten nicht unmittelbar zur Tatbestandserfüllung des Drogenerwerbs geführt. Vielmehr bedurfte es erst noch eines neuen Willensimpulses (vgl. RG St 43, 332/333) zum Fortgang der Handlungskette, der allein erst den Übergang zum eigentlichen Ansetzen zur Ausführung der Tat dargestellt hätte. Dieser Willensimpuls hätte sich, da der Angeklagte nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bislang zum Kauf noch nicht fest entschlossen war, hier durch den Eintritt in konkrete Kaufverhandlungen mit dem Ziel der anschließenden Übergabe - selbst wenn diese dann aus irgendwelchen Gründen gescheitert wäre - manifestieren müssen.

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Daran fehlt es hier aber. Denn am 2. Oktober 1983 haben nach den Urteilsfeststellungen in der Wohnung des A ... weder Kaufverhandlungen stattgefunden, noch hat der Angeklagte das kurze Zeit später angeliefete Haschisch besichtigt. Die vom Angeklagten und A ... beabsichtigten Kaufverhandlungen sind vielmehr bis zum Eintreffen der Haschisch-Lieferung und Abschluß des "großen" Geschäfts mit dem Amerikaner zurückgestellt worden. Insoweit hat die Kammer ausdrücklich festgestellt, daß zunächst das "große" Geschäft abgeschlossen werden sollte, um "dann zu sehen, was für die übrigen Kunden - insbesondere den Angeklagten - noch übrig war" (UA S. 3).

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Das geschützte Rechtsgut wäre hier, wie die Kammer richtig subsumiert hat, erst gefährdet gewesen, wenn der Angeklagte die Küche zum Zwecke der Kaufverhandlungen, der Prüfung und der Übernahme des Rauschgifts aufgesucht hätte. Trotz der Kürze der Zeit, die hier zwischen dem Aufenthalt im Wohnzimmer und der erwarteten unmittelbaren Übergabe des Haschisch liegt, ist die Handlung des Angeklagten begrifflich dem Herstellen und Beschaffen von Tatmitteln, dem Heranschaffen von Werkzeugen zum Tatort und der Annäherung an das Handlungsobjekt gleichzusetzen. Die Annahme eines Versuchs im vorliegenden Fall würde die Ausweitung des Versuchsbegriffs bedeuten, der mit der Neuregelung des § 22 StGB gerade entgegengewirkt werden sollte.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 1 und 2 StPO.