Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.12.2007, Az.: 2 B 289/07

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
04.12.2007
Aktenzeichen
2 B 289/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 61864
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2007:1204.2B289.07.0A

Fundstelle

  • AbfallR 2008, 39-40

In der Verwaltungsrechtssache

...

Streitgegenstand: Abfallbeseitigungsrecht

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 2. Kammer - am 4. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

  1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.09.2007 wird wiederhergestellt.

  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen das Verbot nachträglicher Abfalltrennung.

2

Sie ist Eigentümerin von 8000 Wohneinheiten im Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin. Die Wohnungen werden von der B. verwaltet und betreut, die ihrerseits die Firma C. (im Folgenden als D. bezeichnet) mit dem Abfallmanagement der Liegenschaften betraut hat. Um die Kosten für die Abfallentsorgung zu reduzieren - ihre Vergütung besteht in einem Bruchteil der eingesparten Abfallentsorgungsgebühren - nimmt die CCSP Nord eine nachträgliche Trennung von Wertstoffen und Restmüll vor. Zu diesem Zweck fährt sie drei bis fünfmal wöchentlich die Liegenschaften an und entnimmt den Abfallgroßbehältern Wertstoffe wie Altglas, Altpapier und Verpackungsmaterial, die sie zu den von der Antragsgegnerin dafür vorgesehenen Sammelstellen bringt. Die Wertstoffe werden mittels eines Hakens und eines Greifers separiert, wobei der verleibende Restmüll dem Abfallgroßbehälter nicht entnommen wird. Auch ein Pressen des Abfalls zur Volumenreduzierung findet nicht (mehr) statt.

3

Obwohl die D. bereits vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit an die Antragsgegnerin herangetreten ist, um für ihr Konzept zu werben und unzulässige Handhabungen von vorn herein auszuschließen, untersagte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10.10.2006 ein sortieren und verpressen des Abfalls. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch hob sie den angefochtenen Bescheid mit Verfügung vom 20.08.2007 "aus formellen Erwägungen" und wegen des nunmehr unterbleibenden Verpressens des Restmülls auf.

4

Am 18.09.2007 erließ sie sodann einen neuen Bescheid, mit dem sie der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 2 000,00 EUR untersagte, Abfallgroßbehälter zu durchsuchen und ihnen Wertstoffe zu entnehmen. Zur Begründung führte sie aus, das Durchsuchen der Behälter und Entnahmen daraus seien satzungsgemäß verboten. Der Sache nach handele es sich um eine Abfallsortierung außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage. Zudem greife die Firma D. damit in die Zuständigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ein, die mit dem Zeitpunkt des Einwurfs des Abfalls in den Behälter einsetze. Auch sei nicht auszuschließen, dass durch die Sortier- und Entnahmetätigkeiten das Sortierpersonal und Anwohner infolge einer übermäßigen Freisetzung von Keimen in ihrer Gesundheit gefährdet würden.

5

Hiergegen hat die Antragstellerin am 10.10.2007 Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Durch ihre Tätigkeit trage die D. zur Vermeidung von Abfällen bei, indem sie eine gesetzlich vorgeschriebene Mülltrennung, die von den Mietern pflichtwidrig unterlassen worden sei, nachträglich korrigiere. Der Eintritt von Gesundheitsgefahren für die Anwohner bestehe nicht, die Mitarbeiter der D. seien mit Schutzhandschuhen und Atemschutzmasken ausgerüstet. Ein Eingriff in die Zuständigkeit der Antragsgegnerin finde nicht statt, da diese erst im Zeitpunkt der Abholung der Behälter einsetze. Bis dahin sei der Grundstückseigentümer ebenso wie die Mieter Besitzer des Abfalls und für ihn verantwortlich. Durch die Tätigkeit der D. entstünden für die Mieter auch keine höheren Kosten, weil deren Vergütung in einem Bruchteil der eingesparten Abfallgebühren bestehe und zwar die Kosten der D. auf die Mieter umgelegt würden, dafür aber die höheren Ersparnisse bei der Abfallentsorgung ihnen vollumfänglich zugute kämen. Diese Ersparnisse sollen nach dem Konzept der D. dadurch eintreten, dass das Vorhaltevolumen der Abfallbehälter und damit die Abfallentsorgungsgebühren wegen der nachträglichen Entnahme von Wertstoffen reduziert werden. Entsprechende Anträge der Antragstellerin wurden von der Antragsgegnerin allerdings abgelehnt und befinden sich im Widerspruchsverfahren.

6

Am 12.10.2007 hat die Antragstellerin unter Vertiefung der vorstehenden Gründe um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung ergänzend ausgeführt, die D. betreue auf dem Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin auch Immobilien anderer Eigentümer in gleicher Weise, ohne dass hiergegen eingeschritten werde. Auch in Hannover, Braunschweig und Peine werde ihre Tätigkeit vom zuständigen Abfallentsorgungsträger nicht beanstandet. Die Antragstellerin beantragt,

  1. die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.09.2007 wiederherzustellen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen,

8

und stützt sich dabei vertiefend auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

9

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

10

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, dem - wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Atz 1 Nr. 4 VwGO - eine solche Wirkung nicht zukommt, wiederherstellen, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der belastenden Maßnahme zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der angefochtene Bescheid in einem Klageverfahren keinen Bestand haben wird. So liegt es hier.

11

§ 11 Abs. 4 des Niedersächsischen Abfallgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Juli 2003 (Nds. GVBl.S. 273), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. März 2006 (Nds. GVBl.S. 175), auf den die Antragsgegnerin den angefochtenen Bescheides stützt, bietet keine hinreichende Grundlage für seinen Erlass. Nach dieser Vorschrift können die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger im Einzelfall Anordnungen treffen, um die Einhaltung der Verpflichtungen, die bei der Nutzung ihrer kommunalen Abfallentsorgungseinrichtungen gelten, sicherzustellen. Voraussetzung für eine abfallrechtliche Anordnung der vorliegenden Art wäre daher ein Verstoß gegen entsprechende Verpflichtungen, die sich aus dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, dem Niedersächsischen Abfallgesetz und / oder der Abfallentsorgungssatzung - AES - der Antragsgegnerin vom 30.01.1997, zuletzt geändert durch Änderungssatzung vom 20.12.2006 ergeben können. Die Tätigkeit der CCSP Nord verstößt gegen keine der in diesen Regelwerken enthaltenen Bestimmungen.

12

Soweit sich die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf einen Verstoß gegen § 10 Abs. 3 AES beruft, wonach es nicht gestattet ist, die in ihren Abfallbehältern zur Entsorgung bereitgestellten Abfälle zu durchsuchen oder zu entfernen, wenn es nicht zum Zwecke der Entnahme von Gegenständen geschieht, derer sich der Abfallbesitzer nicht entledigen wollte, ist diese Verbotsnorm so auszulegen, dass sie sich nur an "Unbefugte" im Sinne der (Gesamt-) Rechtsordnung richtet, zu denen der Abfallbesitzer nicht gehört. Andernfalls wäre die Vorschrift mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, weil sie dann den Abfallbesitzer daran hindern würde, seiner aus § 5 Abs. 2 Satz 3 KrW-/AbfG resultierenden Pflicht zur Trennung verwertbaren Abfalls von Abfall zur Beseitigung nachzukommen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27.03.2007 - 10 S 1684/06 -, Juris). Diese Pflicht (und das Recht dazu) besteht für den Abfallbesitzer bis zu dem Zeitpunkt, in dem er den Abfall dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger überlässt, wozu er nach § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet ist.

13

Abfallbesitzer im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ist auch der Eigentümer eines mit Mietwohnhaus bebauten Grundstücks in Bezug auf den von den Mietern erzeugten Abfall, der außerhalb der Wohnungen auf dem Grundstück lagert (vgl. BVerwG, Urt. vom 11.02.1983 - 7 C 45.80 -, NVwZ 1984, 40 [BVerwG 11.02.1983 - 7 C 45/80]). Das folgt aus der besonderen Funktion des öffentlich-rechtlich verankerten Abfallbesitzes, der sich vom bürgerlich-rechtlichen Besitzbegriff unterscheidet, indem er besondere Pflichten mit ihm verbindet und auf einen Besitzbegründungwillen verzichtet (vgl. Breuer in Jarass/Ruchay/Weidemann, Kommentar zum KrW-/AbfG § 3 Rn 138).

14

Der von den Mietern der Antragstellerin erzeugte Abfall, der sich nach dem Einwerfen in den städtischen Abfallgroßbehälter somit (auch) im Besitz der Antragstellerin befindet, wird der Antragsgegnerin erst in dem Zeitpunkt überlassen, in dem sie ihn turnusmäßig abholt. "Überlassen" von Abfall bedeutet, dass der Abfallbesitzer die Abfälle zusammentragen und entsprechend den maßgeblichen Satzungsbestimmungen so zur Verfügung stellen muss, dass der Beseitigungspflichtige sie ohne weiteren Aufwand einsammeln kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 19.01.1989 - 7 C 82.87 -, NJW 1989, 1295). Dabei setzt ein Überlassen im Sinne des Gesetzes voraus, dass der bisherige Abfallbesitzer jedwede Verfügungsbefugnis über den Abfall verliert (vgl. Weidemann in Jarass/Ruchay/Weide- mann, KrW-/AbfG § 13 Rn 48). Das Bereitstellen des Abfalls ist dem Überlassen i.d.R. zeitlich vorgelagert und damit noch nicht mit einem Verlust der Verfügungsbefugnis des Abfallbesitzers verbunden. Bei kommunaler Abholung der Abfälle in einem bestimmten Turnus ist die Überlassungspflicht bis zum Zeitpunkt der Abholung noch nicht "fällig" mit der Folge, dass der Abfall noch nicht der Abfallentsorgungsbehörde "gehört" und diese den Abfallbesitzer nicht daran hindern darf, seinen abfallrechtlichen Pflichten - hier der Einhaltung des Trennungsgebotes - nachzukommen (vgl. VGH München, Urt. vom 30.11.1999 - 20 B 99.1068 -, BayVBl 2000, 55).

15

Die Satzungsbestimmungen der Antragsgegnerin sehen dementsprechend eine zeitlich vorgelagerte Überlassung auch nicht vor. Soweit nach § 10 Abs. 1 AES Abfälle in das Eigentum der Antragsgegnerin übergehen, sobald sie eingesammelt, auf Sammelfahrzeuge verladen oder - soweit satzungsgemäß vorgeschrieben - bei den städtischen Betriebsstätten für Abfallwirtschaft angeliefert oder ordnungsgemäß in die bereitgestellten Behälter eingefüllt worden sind, mag es dahingestellt bleiben, ob der Eigentumsübergang für die hier einschlägige letzte Fallgruppe tatsächlich mit dem Einwerfen des Abfalls in den Großbehälter eintritt. Denn zum einen liegen die Voraussetzungen der Norm jedenfalls für unter Missachtung des Trennungsgebotes eingeworfene Wertstoffe nicht vor, weil sie nicht "ordnungsgemäß" eingefüllt wurden; zum anderen wäre ein zwischenzeitiger Eigentumswechsel für die Pflichten des Abfallbesitzers auch rechtlich unerheblich, weil er durch den Eigentumsübergang auf einen mittelbaren Besitzer selbst den Abfallbesitz nicht verliert, solange der Abfall dem Entsorgungsträger nicht überlassen wurde. Der Zeitpunkt des Überlassens stellt aber nicht auf den Eigentums- sondern auf den Besitzübergang ab. Auch die Regelung des § 14 Abs. 1 UA 2 AES, wonach Großabfallbehälter auf den Abfallbehälterstandplätzen als bereitgestellt gelten, trifft keine Regelung des Überlassungszeitpunktes, sondern betrifft ausschließlich das - in der Regel zeitlich vorgelagerte - Bereitstellen des Abfalls.

16

Die Tätigkeit der D. verstößt auch nicht gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG, wonach Abfälle zum Zwecke der Beseitigung nur in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen behandelt, gelagert oder abgelagert werden dürfen. Denn der Begriff des Behandelns ist zwar weit auszulegen und erfasst deshalb auch das Sortieren von Abfall; hier fehlt es aber daran, dass die Zweckbestimmung der Entsorgungshandlung nicht auf eine Abfallbeseitigung gerichtet ist, sondern auf eine Abfallverwertung (vgl. VGH Mannheim, Urt. vom 27.03.2007 a.a.O.).

17

Auch gegen § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG verstößt die Tätigkeit der D. nicht. Nach dieser Vorschrift sind Abfälle so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird. Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere vor, wenn (1.) die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt wird, (4.) schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen herbeigeführt werden oder (6.) die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet oder gestört wird. Soweit die Antragsgegnerin den Erlass des angefochtenen Bescheides in diesem Zusammenhang damit begründet, die Tätigkeit der D. sei mit gesteigerten Gesundheitsgefahren für Bedienstete oder Anwohner verbunden, vermag die Kammer dem nicht beizutreten. Der bloße Hinweis auf eine Freisetzung von Keimen oder Bioaerosolen reicht zur Begründung von Gefahren nicht aus. Das Öffnen der Abfallbehälter und die Entnahme von Wertstoffen ist nicht mit signifikant größeren Gefahren verbunden, als das Öffnen der Behälter zum Zwecke des Einwurfs von Müll. Zudem dürften sich Anwohner nur selten in unmittelbarer Nähe aufhalten, wenn die Mitarbeiter der D. ihrer Tätigkeit nachgehen. Deren Gesundheit zu schützen ist auch keine abfallrechtliche Aufgabe der Antragsgegnerin. Abgesehen davon dürften für die Mitarbeiter der D. auch keine größeren Gefahren bestehen, als für die städtischen Müllwerker der Antragsgegnerin auch, die üblicherweise bei ihrer Arbeit nicht einmal Schutzhandschuhe oder einen Mundschutz tragen.

18

Auf die Frage, ob die Antragsgegnerin mit ihrer Anordnung zudem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, weil sie gegen die D., soweit diese auf ihrem Hoheitsgebiet im Auftrag anderer Grundstückseigentümer tätig wird, nicht einschreitet, braucht nach alledem nicht weiter eingegangen werden.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und orientiert sich an Ziffer 2.4.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2004, 1327), wobei wegen der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes die Hälfte des insoweit maßgeblichen Betrages in Ansatz gebracht wurde.