Amtsgericht Osnabrück
Urt. v. 21.11.1988, Az.: 40 C 269/88
Anspruch auf Schadensersatz wegen einer rechtswidrigen vorläufigen Festnahme ; Verletzung der geschützten potentiellen Bewegungsfreiheit ; Voraussetzungen für das Vorliegen einer Nötigung bei Ausspruch eines konkreten Diebstahlverdachts
Bibliographie
- Gericht
- AG Osnabrück
- Datum
- 21.11.1988
- Aktenzeichen
- 40 C 269/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 18114
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGOSNAB:1988:1121.40C269.88.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 847 Abs. 1 S. 1 BGB
Fundstelle
- NJW-RR 1989, 476 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Osnabrück
auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 1988
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 250,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15.07.1988 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vollstreckbar.
Tatbestand
Am 09.04.1988 betrat die Klägerin das Kaufhaus ... in Osnabrück und probierte einige T-Shirts in einer Umkleidekabine an.
Nachdem sie 3 T-Shirts an eine Verkäuferin zurückgegeben und 2 T-Shirts bezahlt hatte, wurde sie von dem von der Firma ... beauftragten Beklagten angesprochen. Die Klägerin möge sagen, wo sich ein sechstes T-Shirt befände, sie solle an ihren Ruf denken.
Diese Unterredung wurde vor einem Büro geführt und dort später in Gegenwart der Zeugen ... und ... fortgesetzt.
Die Klägerin gab weder Auskünfte noch nannte sie ihren Namen. Nach einiger Zeit wurde die Polizei gerufen. Der Diebstahlsvorwurf bestätigte sich nicht.
Mit Schreiben vom 20.04.1988 lehnte die Firma ... eine Inanspruchnahme ihrerseits ab.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe sie unter Druck setzend immer wieder befragt und ist der Ansicht, sein Verhalten sei nötigend gewesen. Sie behauptet weiterhin, mit sanfter Gewalt in den Büroraum gedrängt worden und mit einem Aufenthalt dort erst nach massivem Drängen einverstanden gewesen zu sein. Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei hierdurch ihrer Freiheit beraubt worden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 500,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.04.1988 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beahuptet, er habe gesehen, wie die Klägerin mit 6 T-Shirts die Umkleidekabine betreten habe, später seien aber nur 5 T-Shirts wieder aufgetaucht. Nach Durchsuchung der Kabine habe er die Klägerin wegen des konkreten Diebstahlsverdachts angesprochen.
Die Klage ist seit dem 15.07.1988 rechtshängig.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokol vom 26.09.1988 und 31.10.1988 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet, hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes und des Zinsanspruchs aber nicht in vollem Umfang.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus §§ 823 I, 847 I S. 1 BGB auf eine billige Entschädigung wegen einer Freiheitsentziehung. Der Beklagte hat die Klägerin in rechtswidriger Weise vorläufig festgenommen und sie hierdurch in ihrer gem. § 823 I BSB geschützten potentiellen Bewegungsfreiheit verletzt.
Der Beklagte hat die Klägerin gebeten, den Büroraum bis zum Eintreffen der Polizei nicht zu verlassen. Das steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Die Zeugin ... hat in glaubhafter Weise bekundet, daß die Klägerin den Büroraum verlassen wollte und daraufhin gebeten wurde zu bleiben, bis die Polizei eintreffe. Für die Richtigkeit der Aussage spricht, daß die Zeugin ... den gesamten Geschehensablauf ausführlich, in sich geschlossen und widerspruchsfrei geschildert hat. Ihre Bekundung wird auch nicht durch die Aussagen der Zeugen ... und ... in Frage gestellt, denn diese Aussagen sind in diesem Punkt unergiebig, da die Zeugen insoweit überhaupt keine Angaben machen.
Die Klägerin durfte unter dem Eindruck des Diebstahlsvorwurfs und der Benachrichtigung der Polizei die Bitte zum Bleiben nur als Verbot des Fortgehens auffassen.
Die daruas resultierende Freiheitsbeschränkung war rechtswidrig.
Der Beklagte hatte keinen Rechtfertigungsgrund aus § 127 I StPO.
Die Klägerin ist nämlich nicht "auf frischer Tat" betroffen worden. Tat i.S.d. § 127 I StPO ist nur jede tatsächlich begangene oder versuchte Straftat (OLG Hamm NJW 1972, 1826 <1827>[OLG Hamm 01.08.1972 - 3 Ss 224/72]; Leipziger Kommentar/Hirsch, StGB, 10. Aufl., vor § 32 Rz. 156 m.w.N.).
Soweit bereits beim Festnehmenden ein vorhandener dringender Tatverdacht ausreichend sein soll (BGH(Z) NJW 1981, 745) ist dies mit dem Gesetzeswortlaut unvereinbar und hätte zur Folge, daß Irrtümer des Festnehmenden zu Lasten des Festgenommenen gingen (OLG Hamm, a.a.O. m.w.N.).
Die Freiheitsentziehung ist schuldhaft herbeigeführt worden.
Der insoweit beweisbelastete Beklagte hat nicht beweisen können, sein Irrtum über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beruhe nicht auf einem Verschulden (vgl. RGZ 88, 118 <120>).
Nach der Beweisaufnahme steht nicht fest, daß der Beklagte zusammen mit der Zeugin ... beobachtete, daß die Klägerin ein sechstes T-Shirt mit in die Umkleidekabine nahm.
Die um Erinnerung bemühte Zeugin ... bekundete in glaubhafte Weise, sie habe den Beklagten lediglich auf die Kundin aufmerksam gemacht. Sie selbst habe nicht sehen können, ob die Klägerin ein weiteres T-Shirt mit in die Kabine genommen habe, da ihr Blick versperrt gewesen sie. Es sei auch möglich, daß die Klägerin das T-Shirt vor Erreichen der Umkleidekabine zumindest auf einem anderen Tisch wieder ablegte.
Die Zeugin konnte aber nicht mehr sagen, ob der Beklagte den Gesamt Vorgang beobachten konnte.
Nach alledem steht nicht fest, daß der Beklagte tatsächlich wahrnahm, daß die Klägerin mit einem sechstem T-Shirt in die Umkleidekabine ging. Da die Klägerin den Büroraum anfänglich einverständlich betreten hat, steht ihr ein Schmerzensgeld nur ab dem Zeitpunkt der Festnahme zu. Die Dauer der Festnahme war kürzer als eine Stunde. Das Gericht hält daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 250,- DM für angemessen.
Ein höheres Schmerzensgeld ist nicht gerechtfertigt, denn der Beklagte hat die Klägerin nicht genötigt.
Eine Nötigung setzt die Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus; der Drohende muß den Eintritt des Übels als von seinem Willen abhängig darstellen (Schönke-Schröder-Eser, StGB, 23. Aufl., vor §§ 234 ff Rz 31).
Der Beklagte hat die Klägerin aber nur gewarnt, als er sie aufforderte an ihren Ruf zu denken. Er hat nämlich lediglich auf eine unabhängig von seinem Willen eintretende Folge eines bestimmten Verhaltens hingewiesen.
Der Beklagte hat die Klägerin auch nicht durch mehrfaches Befragen genötigt. Ein psychisch wirkender Zwang ist nur anzunehmen, wenn die gegenwärtige Übelszufügung geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen, (Wessels, Strafrecht BT-1, 10. Auflage, S. 75 m.w.N.). Schlichtes Befragen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Ein anderes Verhalten des Beklagten hat die Klägerin nicht beweisen können. Einzig die Zeugin ... bekundete, der Beklagte sei sehr schroff gewesen. Eine Befragung in der Weise, daß die Willensfreiheit der Klägerin betroffen wurde, kann hieraus noch nicht entnommen werden. Außerdem stehen dieser Aussage die Bekundungen der Zeugen ... und ... gegenüber, die bekundeten, der Beklagte sei der Klägerin gegenüber höflich gewesen.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten auch keinen Anspruch wegen einer auf schwerem Verschulden beruhenden schweren Persönlichkeitsverletzung. Die Klägerin hat nämlich nicht behauptet, das Verhalten des Beklagten beruhe auf einem schwerem Verschulden (vgl. Jauernig-Teichmann, BGB, 3. Aufl., § 823 VIII A 5 f).
Der Anspruch der Klägerin ist gem. § 291 BGB erst ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, dem 15.07.1988 mit 4 % zu verzinsen.
Die Klägerin hat den Beklagten vorher nicht in Verzug gesetzt, denn sie hat den Beklagten nicht gemahnt. Ein Verzug setzt aber eine Mahnung voraus. Sie war auch nicht entbehrlich, da die Fa ... nicht namens des Beklagten die Zahlung abgelehnt hat. Sie hat sich nur namens des Beklagten bei der Klägerin entschuldigt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I, 708 Nr. 11, 713 ZPO